Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 44 / 31.10.2005
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Mirko Heinemann

Kompromisslos Politik machen

Nichtregierungsorganisationen sind attraktiv für Jugendliche: Die Hemmschwelle für eine Mitarbeit ist niedrig

Die Umwelt retten und Spaß dabei haben - wollt ihr das auch?" So lautet der Aufruf im Internet, und rund 20 Jugendliche haben sich an diesem Freitag auf den Weg in die Berliner Greenpeace-Zentrale gemacht. Sie wollen bei einer "JAG" mitmachen. JAGs sind die "Jugend-Aktions-Gruppen", kleine, selbst organisierte Einheiten, die im Namen von Greenpeace aktiv sind.

Der Raum im zweiten Stock des dunklen Altbaus ist gut gefüllt, die Aktivisten sitzen um einen großen Tisch in der Mitte. Sie sind zwischen 14 und 20 Jahre alt, die meisten sind Mädchen. An der Wand hängt ein Plakat, auf dem steht: "Gesicht zeigen für die Wale." Auf einem anderen Plakat weisen Ernie und Bert aus der Sesamstraße auf die Gefährlichkeit von Dieselruß hin. "Hat jemand was mitgebracht?", fragt die 17-jährige Johanna in die Runde. Eine Teilnehmerin hält einen Zeitungsartikel in die Höhe, den sie vorlesen möchte. Darin werden die Gefahren von Pestiziden für die Gesundheit der Verbraucher erörtert. Moderatorin Johanna weist darauf hin, dass an den "nächsten zwei Mittwochs" bei Greenpeace Filme über Hiroshima gezeigt werden. Der dritte Tagesordnungspunkt widmet sich technischen Fragen: "Hat jemand die Kinderschminke gesehen?"

Greenpeace Deutschland gibt es seit 25 Jahren. 2.700 Menschen engagieren sich hier ehrenamtlich, mehr als eine halbe Million Menschen sind Förderer. In den 1.700 so genannten "Greenteams" arbeiten sogar Kinder mit, die von volljährigen, ehrenamtlichen Greenpeace-Aktivisten betreut werden. Bundesweit sind derzeit 48 JAGs registriert. Sie organisieren sich selbst und dürfen eigene Themen setzen. Bei der Aktionsplanung und bei der Gewährung von Sachmitteln können sie auf Unterstützung der Mutterorganisation zählen, wo es Ansprechpartner für die Jugendlichen gibt. Die Jugendgruppen treffen sich in der Regel ein Mal pro Woche, diskutieren und planen mehr oder weniger spektakuläre Aktionen, mit denen sie Umwelt-Themen in die Öffentlichkeit bringen wollen. Sie bereiten Infostände und Demonstrationen vor, entwerfen Slogans für Banner und recherchieren das nötige Hintergrundwissen.

"Es gibt nicht Schöneres, als mit Passanten zu dis-kutieren", schwärmt die 18-jährige Ricarda. "Vor allem, wenn man sie am Ende überzeugt." Ricarda ist seit Anfang des Jahres dabei und hat gleich zu Beginn die "Greendays" mitgemacht, das bundesweite Treffen der Greenpeace-Jugendgruppen. "Total nette Menschen." Johanna dagegen ist schon bei Greenpeace aktiv, seit sie zehn Jahre alt ist. "Ich stimme zu 95 Prozent mit den Zielen von Greenpeace überein", sagt die junge Frau.

"Die Jugendlichen, die zu uns kommen, wissen meist sehr genau, was sie wollen", sagt Greenpeace-Sprecherin Nicole Emden. Oft ziehe sie der legendäre Ruf von Greenpeace an, für Jugendliche besonders interessant sei zudem die internationale Ausrichtung der Organisation. Bei Greenpeace-Kampagnen wie "Solar Generation" arbeiten Jugendliche aus verschiedenen europäischen Ländern mit Altersgenossen aus den USA oder Kanada zusammen.

Die in der JAG versammelten Jugendlichen eint, dass politische Arbeit in Parteien für sie nicht infrage kommt. "Politiker arbeiten nur noch mit Politikern zusammen, wir dagegen sind auf der Straße unterwegs. Wir sind nahe an der Bevölkerung dran", sagt Ricarda. "Unsere Aktionen sind direkter", ergänzt Philine, ebenfalls 17 Jahre alt. Aber vor allem ist es der politische Kompromiss, der vielen in der Greenpeace-Gruppe widerstrebt. Sie wollen sich in ihren Überzeugungen nicht verbiegen müssen. Reden von Politikern seien "geschönt". Und: "Bei Greenpeace müssen wir nicht ständig darauf achten, unsere Grundsätze in Frage zu stellen."

Ein wenig anders gelagert sind die Interessen derjenigen, die sich bei der globalisierungskritischen Bewegung Attac engagieren. "Wer hierher kommt, den interessieren in erster Linie wirtschaftspolitische Fragen", sagt Attac-Sprecher Malte Kreutzfeldt. Es waren vor allem die spektakulären Proteste am Rande des G8-Gipfels 2001 in Genua, die Attac in die breite Öffentlichkeit rückten. Seitdem gehört die Organisation zu den am schnellsten wachsenden NGOs. 90.000 Mitglieder in 50 Ländern hat man inzwischen nach eigenen Angaben. Bei Attac Deutschland sind rund 16.000 Menschen in 250 Gruppen aktiv, eine statistische Aufschlüsselung nach Alter wird nicht durchgeführt. "Attac-Mitglieder sind in der Regel jung", so Malte Kreutzfeldt, "die meisten stoßen im Laufe ihres Studiums dazu." In einigen Städten haben sich Zusammenschlüsse für unter 25-Jährige gegründet, über 20 Hochschulgruppen stehen Studierenden aller Fachbereiche offen.

"Das Gefühl von globaler Ungerechtigkeit" lasse junge Menschen bei Attac aktiv werden, erklärt Kreutzfeldt. Zudem sei die Einstiegsschwelle niedrig - man könne ohne weitere Formalitäten eine Gruppe gründen und sofort aktiv werden. Hierarchien wie bei den Parteien - "wo man sich erst hocharbeiten muss, bevor man ein Flugblatt schreiben darf" - seien hier unbekannt. Natürlich seien es vor allem die "aktionsorientierten Protestformen", sprich: die spektakulären Demonstrationen, die Attac für Jugendliche attraktiv machten. Dazu komme ein starkes Informationsbedürfnis über die Funktionsweise globaler Handelsströme. Großen Wert legt Attac außerdem auf die Verbindung von Spaß und Politik. Malte Kreutzfeldt: "Unsere Sommerakademie besteht aus einem Zeltlager, wo wir Seminare veranstalten und diskutieren. Und natürlich feiern." In den Universitätsstädten ist der Anteil von jüngeren Mitgliedern am größten, in ländlichen Regionen gebe es viele Ältere, die bei Attac-Gruppen mitmachen. Attac arbeitet mit anderen NGOs wie Greenpeace und dem BUND zusammen, aber auch mit Gewerkschaften und kirchlichen Gruppen.

Spektakuläre Aktionen - die Sache von Amnesty International ist dies nicht. Die Menschenrechtsorganisation setzt vor allem auf nachhaltige, inhaltliche Arbeit. Dafür hält sich der Zulauf von Jugendlichen in Grenzen. Ein jüngst entworfenes Strategiepapier zeigt auf, wie die Menschenrechtsorganisation attraktiver für junge Menschen gestaltet werden könnte. Eine stärkere Zusammenarbeit mit anderen NGOs wird dort angeregt, außerdem sollen Jugendliche stärker in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Trotz Nachwuchssorgen gibt es über 90 Jugendgruppen bundesweit, die rund zehn bis 15 Mitglieder umfassen, außerdem rund 47 studentische Gruppen. Insgesamt arbeiten über 600 Gruppen innerhalb der "Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.", hinzu kommen 10.000 Einzelmitglieder und rund 30.000 Förderer.

"Sobald man in der Schule das Thema Menschenrechte durchnimmt, bekommt man zwangsläufig Kontakt zu Amnesty", erklärt Marc Ludwig. Der 20-jährige Berliner ist seit fünf Jahren Mitglied bei Amnesty und schätzt vor allem die "persönliche Bindung", die aufgebaut wird. Jede Jugendgruppe beschäftigt sich intensiv mit einem Fall, in der Regel einem politischen Häftling, dessen Freilassung Amnesty fordert. Außerdem führen die Jugendgruppen Briefaktionen durch, sammeln Unterschriften und betreiben Infostände in Fußgängerzonen oder auf Straßenfesten. Hochschulgruppen haben sich dagegen mehr auf die Zusammenarbeit mit Musikern und Künstlern spezialisiert, die junge Menschen für die Mitarbeit bei Amnesty gewinnen sollen. In Berlin nimmt die Amnesty-Jugend mit einem eigenen Wagen an dem alljährlich stattfindenden Karneval der Kulturen teil. Dort machen die Jugendlichen darauf aufmerksam, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte universell ist. Marc Ludwig: "Auch wenn jeden Tag weltweit Menschenrechte verletzt werden, ist unser Einsatz nicht umsonst. Es gibt immer wieder Erfolge, und die sollen gefeiert werden."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.