Der Übergang von autoritären zu demokratischen Systemen wird häufig von Misstönen neuer rechtsradikaler Parteien und Bewegungen begleitet. Im Falle der osteuropäischen Länder setzen sie der jungen Demokratie eine radikale Systemalternative entgegen, die sich gegen die aktuelle Ordnung und gegen das Vorgängerregime richtet. Interessant daran ist weniger ihre Existenz. Sie wird von einigen Experten sogar als "normale Pathologie" sich schnell modernisierender Gesellschaften bezeichnet. Vielmehr sollte man den Blick auf die regionalen Besonderheiten dieses Phänomens sowie die Gründe dafür richten.
Die Bandbreite durchschnittlicher rechter Wahlerfolge in Osteuropa in den 90er-Jahren und danach schwankt erheblich: In den baltischen Ländern sowie in Bulgarien - bis zum Auftreten von "Ataka" in den Wahlen vom Juni 2005 - war beziehungsweise ist keine nennenswerte rechtsradikale Partei zu finden, und das, obwohl die Bedingungen dafür recht günstig waren. Auch in Tschechien verflog ab Ende der 90er-Jahre der Zulauf für die "Republikaner" fast völlig.
Auf der anderen Seite haben in Russland und Rumänien - und abgestuft dazu auch in Polen - derartige Parteien mit zusammen genommen oft zweistelligen Ergebnissen überdurchschnittliche Wahlerfolge erzielt. In Polen waren die wichtigsten rechtsradikalen Parteien zunächst die Nationale Front Vaterland (Stronnictwo Narodowe Ojczyzna, SN), die eine explizit antisemitische und antideutsche Position vertritt. Außerdem die Konföderation für ein unabhängiges Polen (Konfederacja Polski Niepodleglej, KPN). Hervorzuheben ist auch eine polnische Besonderheit: das Vorhandensein klerikal-nationalistischer Parteien. Dazu gehört die Christliche Nationale Union (Zjednoczenie Chrzescijansko-Narodowe, ZChN), welche katholische Dogmen zur Grundlage polnischer Politik erklärt und von sich behauptet, die Interessen aller ethnischen Polen in Osteuropa zu vertreten. Außerdem ist seit der polnischen Parlamentswahl im Jahre 2001 die neu gegründete religiös-fundamentalistische Liga der Polnischen Familien (Liga Polskich Rodzin, LPR) im Parlament vertreten. Sie greift auf die Netzwerke älterer rechtsradikaler Parteien wie ZChN, ROP und SO zurück.
Ganz unterschiedliche Strömungen
Der Erfolg dieser Parteien allerdings ist meist nicht von Dauer: Mit Ausnahme von Polen haben in allen neuen EU-Mitgliedstaaten der Region rechtsradikale Parteien in der Wahl zum Europaparlament im Juni 2004 deutlich weniger Unterstützung erhalten als in der jeweiligen nationalen Parlamentswahl davor. Nimmt man allerdings weniger systemfeindliche, aber ebenfalls ausgesprochen nationalistische Parteien dazu, so ändert sich das Bild schlagartig: Mit wenigen Ausnahmen (Estland, Slowenien, Ungarn) liegt das Wählerreservoir für solche Parteien bei etwa 20 Prozent pro Land.
Doch man muss unterscheiden, mit welchen Parteitypen innerhalb des rechtsradikalen Lagers man es zu tun hat: Eine autokratisch-faschistische Rechte, die sich ideologisch an faschistischen und rechtsautoritären Regimen der Zwischenkriegszeit orientiert, ist in Russland und Rumänien stark. Hier finden sich auch Übergänge zu den ebenfalls starken nationalkommunistischen Strömungen der kommunistischen Nachfolgeparteien. Eher ethnozentristisch-rassistisch orientiert sind dagegen die rechten Parteien in Ungarn und Tschechien.
In Polen existiert darüber hinaus eine religiös-fundamentalistische Strömung. Und noch etwas muss man unterscheiden: die eher parteiförmige, an Wahlen teilnehmende Variante von Rechtsradikalen, und die rechtsradikalen Bewegungen und Subkulturen, einschließlich des Gewaltmilieus, für die Wahlen und die institutionelle Politik nicht im Vordergrund ihrer Aktivitäten stehen. Sie sind ideologisch überwiegend als faschistisch-autokratisch einzustufen.
Darüber hinaus gibt es eine wachsende Szene gewalttätiger rechter Gruppen und Skinheads. In vielen polnischen Städten finden regelmäßig Treffen einiger hundert militanter Anhänger statt, genauso wie antisemitische oder faschistische Graffiti an den Gebäuden nicht außergewöhnlich sind. Auch in der tschechischen Republik existiert eine sichtbare Szene gewaltbereiter rechter Extremisten, die oft Roma als ihre Opfer aussuchen und auf eine gewisse Sympathie ihrer Mitbürger zählen können. Schätzungen über die ungarische Skinhead-Szene weisen für die 90er-Jahre rund 4.000 Anhänger aus. Am größten dürfte aber das Potenzial in Russland sein, wo Medien über 50.000 Skinheads berichten. Dazu kommen stark ideologisierte und militante Gruppen wie diejenigen um Alexander Dugin oder die neue "Bewegung gegen illegale Einwanderung".
Die dominanten Kräfte der radikalen Rechten in diesen Ländern unterscheiden sich von den meisten westlichen Varianten in organisatorischer und ideologischer Hinsicht. Zum einen ist die osteuropäische radikale Rechte organisatorisch weniger entwickelt als ihr westliches Pendant; ein Schicksal, das sie mit den meisten politischen Parteien in der Region teilt. Deswegen darf sich der Blick auf dieses Phänomen nicht auf die rechten Parteien beschränken, sondern muss auch deren Beziehungen zu den Bewegungen und Milieus berücksichtigen. Ein solcher Blick verdeutlicht, dass der Parteiensektor in den konsolidierten Ländern Osteuropas (wie im Baltikum, in Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik) schwächer ist als in den meisten westlichen Demokratien, vor allem in Österreich, Belgien oder Frankreich.
Zum anderen orientiert sich die radikale Rechte in Osteuropa ideologisch mehr an der Vergangenheit als ihr westliches Gegenüber, das heißt sie ist antidemokratischer und militanter. In den meisten Ländern, wo die Demokratie noch nicht "the only game in town" (Juan Linz) ist, eröffnet dies der radikalen Rechten Möglichkeiten, die sie im Westen nicht hat.
Dabei vollzog sich in weiten Teilen der Region die Herausbildung eines Nationalbewusstseins ohne Staat - vielmehr bildete sich der ethnische Nationengedanke als vorherrschender Typ heraus. Staatliche Kontinuitäten sind daher kürzer als bei den meisten westeuropäischen Nationen und zudem höchst unterschiedlich entwickelt.
Wahlerfolge in Polen
In Polen kommt aufgrund der Bedeutung des Katholizismus die Variante der religiös-fundamentalistischen Organisationen hinzu. Die ambivalente Rolle der katholischen Kirche gegenüber dem Antisemitismus mag auch erklären helfen, warum in Polen trotz eines eher schwach ausgeprägten begünstigenden Kontextes die Wahlergebnisse recht hoch sind. Sie liegen noch bedeutend höher, wenn man die rechtspopulistische Partei Samoobrona (Selbstverteidigung) des Bauernführers Andrzej Lepper dazu zählt (siehe Kasten rechts). Dort, wo der Regimekonflikt noch nicht überwunden ist, dominieren eher faschistisch-autokratische Parteien die Szene, wie in Russland und Rumänien bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts. Allerdings konnte in Russland das Aufschaukeln des Zusammenspiels von rechten und linken Kräften im Sinne einer "Weimarisierung" mit der Wahl Putins zunächst gebremst werden.
Vor diesem Hintergrund weicht die Entwicklung der politischen Kultur in Osteuropa von der in Westeuropa ab. Nur die Tschechische Republik zeigt frühe Zeichen einer demokratischen Kultur mit einem relativ hohen Niveau an Systemverbundenheit und der Etablierung pluralistischer Prinzipien. Jenseits bedeutender intraregionaler Unterschiede zeichnen sich die politischen Kulturen Osteuropas, die in der Vergangenheit im Sozialismus sozialisiert und in der Gegenwart von der Transformation geprägt wurden, durch eine geringere Akzeptanz der liberalen Marktprinzipien als im Westen aus. Aber auch durch eine stärkere Orientierung an sozialistischen und egalitären Werten und der Unzufriedenheit mit dem Transformationsprozess und seinen Ergebnissen.
Im Gegensatz zur Demokratisierung (West-) Deutschlands nach 1945 hat der antikommunistische Druck des Aufruhrs von 1989 zwangsläufig zu einer Rehabilitierung des Nationalstaates in Osteuropa geführt. Deswegen sind nationalistische Rhetorik und das ethnische Konzept der Nation in der politischen Klasse und der breiten Öffentlichkeit kein Randphänomen, sondern relativ weit verbreitet - und zwar in einem spezifisch postkommunistischen Kontext einer im Vergleich zu Westeuropa schwächeren Zivilgesellschaft.
Der Autor ist Professor für Politikwissenschaften an der
Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder.