Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 46 / 14.11.2005
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Helmut Merschmann

Seminararbeiten aus dem Internet

Ausschneiden, kopieren, einfügen: Schüler und Studenten schreiben ihre Arbeiten oft nicht allein

Die Zeit drängt, der Termin kommt immer näher, doch man schiebt die Aufgabe so lange vor sich her, bis nichts mehr geht. Vielen Schülern und Studenten ist diese Situation nur allzu bekannt. Regelmäßig, wenn es um Haus- oder Seminararbeiten geht, kehrt sie wieder. Zwischen Freunden, Hobbys und guten Ausreden werden die Hausaufgaben vertagt. Bis der Tag der Wahrheit kommt - und dann muss ein Wunder geschehen. Not macht erfinderisch, und zum Glück gibt es im Internet Webseiten wie hausarbeiten.de, wo sich zu fast jedem Thema etwas Passendes findet. Ausschneiden, kopieren, einfügen - heißt die Parole am Abend vor Abgabeschluss. Und siehe da: Ein soeben noch weiß vor sich hinstarrendes Blatt Papier strotzt mit einem Mal vor wohlklingenden Worten.

Mit einem guten Drittel beziffert der amerikanische Forscher Don McCabe die Schummelversuche unter Studenten. In einer von ihm geführten Umfrage unter 50.000 amerikanischen Studenten haben gar 70 Prozent angegeben, andere beim Täuschen schon einmal beobachtet zu haben. Die Informatikerin und Spezialistin für Plagiate Deborah Weber-Wulff, Professorin an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft (FHTW) in Berlin, hat einmal 34 studentische Hausarbeiten untersucht und dabei zwölf Plagiate entdeckt. Ein Kollege von ihr fand 20 Plagiate unter 50 eingereichten Arbeiten. Als er den Studenten anbot, ihre nicht selbstständig verfassten Werke zurückzuziehen, meldeten sich 25, darunter zehn, deren Arbeiten der Dozent als Plagiate gar nicht erkannt hatte.

So wenig repräsentativ die Stichproben sein mögen, so sehr machen sie auf ein grassierendes Problem aufmerksam, dessen Ausmaß man gerade an Universitäten nicht vermutet hätte: den mangelnden Respekt vor den geistigen Leistungen anderer Leute. Wissenschaftliches Arbeiten besteht nun einmal darin, die Einflüsse auf die eigene Arbeit mittels Zitaten und präziser Quellenangaben penibel aufzuzeigen. "Wir brauchen eine Kultur, wo ganz klar gesagt wird, woher was stammt und welches der eigene Anteil ist", fordert Weber-Wulff; "das ist eine Frage des korrekten Umgangs". Alles andere wäre Betrug und ein Verstoß gegen das Urheberrechtsgesetz. Darüber hinaus schneidet man sich nur ins eigene Fleisch, wenn die grundlegenden Arbeitstechniken nicht erlernt werden.

In der Praxis sieht es allerdings anders aus. Da gelten Täuschungsversuche als Kavaliersdelikt. Gespickt hat schließlich jeder schon einmal. Und nicht erst seit dem Internet sind Plagiate bekannt. Abgekupfert wird überall: In der Musik nennt man das Coverversion oder Sampling, in der Konsumwelt spricht man von Produktpiraterie, in der Literatur haben sich Bestsellerautoren wie Dan Brown wiederholt Plagiatsvorwürfen ausgesetzt gesehen. Selbst Bertolt Brecht musste sich vom Literaturkritiker Alfred Kerr vorhalten lassen, sich bei der "Dreigroschenoper" doch ziemlich dreist beim französischen Dichter François Villon bedient zu haben.

Doch noch nie war die Schummelei so einfach wie in Zeiten von Internet und elektronischer Recherche. Schnipp-schnapp, "copy & paste" - ganze Passagen, wenn nicht gleich komplette Texte wandern im Nu ins eigene Werk. Tröstlich allein ist, dass Plagiate genauso schnell, wie sie entstehen, aufgedeckt werden können. Dozenten haben sich längst angewöhnt, stichprobenartig Textpassagen in Suchmaschinen einzugeben. Sie landen dann allzu oft auf einer Webseite, deren Inhalt eins zu eins übernommen worden ist.

Die meisten Plagiate fallen dadurch auf, dass sie sich von den gewohnten Leistungen der Betroffenen deutlich abheben, deren Niveau übersteigen. Viele Fremdwörter, korrekte Konjunktive und Gedankengänge, die bis in den letzten Winkel der Nebensätze überzeugen, machen Lehrer und Dozenten stutzig. Besonders häufig fallen Stilbrüche auf. Wenn nach seitenlangem Holpern durch die deutsche Grammatik plötzlich flüssige und elegant formulierte Passagen folgen, ist dies meist ein Indiz für falsches Spiel. Orthografische Fehler führen, gibt man sie in eine Suchmaschine ein, oft zu den Originaltexten zurück. "Wer schon so faul ist, eine Arbeit zu übernehmen, ist oft auch zu faul, um eine Rechtschreibkorrektur vorzunehmen", sagt Weber-Wulff.

Inzwischen regt sich Widerstand an den Universitäten. Die Hochschulrektorenkonferenz hat von den Unis gefordert, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, wie mit studentischem Fehlverhalten umzugehen ist. In einigen Prüfungsordnungen wurden bereits Sanktionen verankert und es wird vor allem auch zunehmend versucht, diese in Tat umzusetzen. An der Berliner FHTW führt ein Täuschungsversuch zur Note "mangelhaft". An der Otto-Guericke-Universität in Magdeburg wird der Kandidat bei fortgesetztem Betrug von der Prüfung ausgeschlossen. Das kulturwissenschaftliche Institut der Viadrina-Universität in Frankfurt an der Oder exmatrikuliert den Prüfling bereits nach zwei Plagiatversuchen. Drakonische Strafen - hart, aber gerecht?

Zumindest müssen die Unis sich die Frage gefallen lassen, wie sie ihren Studenten den korrekten Umgang mit Quellen beibringen wollen. In manchen geisteswissenschaftlichen Fächern ist ein so genanntes Propädeutikum, eine Einführung ins wissenschaftliche Arbeiten, im ersten Semester eine Pflichtübung. Bei den Natur- und Technikwissenschaften sieht es anders aus. Dort existieren Diplomandenseminare oft erst kurz vor Abschluss - also reichlich spät. Notwendig wären flächendeckende Propädeutika, gerade auch angesichts der zunehmenden einseitigen Recherche im Internet statt in Bibliotheken. Dafür aber haben weder Hochschulen noch Ministerien Mittel übrig. Aus Sicht der Unis sind ohnehin die Schulen zuständig. "Eigentlich erwerben die Leute bereits an den weiterführenden Schulen mit der Hochschulzugangsberechtigung, die Qualifikation für den Umgang mit fremden Texten", sagt Wulff-Weber.

An Schulen aber, das ist nur allzu bekannt, beginnt auch die Schummelei. Sowohl Lehrern als auch den Schulbehörden ist das Phänomen bewusst. "Je jünger die Schüler sind, desto eher wird das Mogeln mal versucht", sagt Jens Stiller, Sprecher der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport, "aber desto schneller kommt man ihnen auch auf die Schliche". Über das Ausmaß von Plagiatversuchen an Schulen liegen keine Zahlen vor, und von Restriktionen will man noch absehen. "Wir wollen pädagogisch wirken", sagt Stiller mit dem Hinweis darauf, dass erst in jüngs-ter Zeit ein "Umgang mit fremden Texten" ins Curriculum von Fächern wie Deutsch, Geschichte und Politik Einzug gehalten hat. Von einer allgemeinen schülerischen Kompetenz auf diesem Gebiet kann wohl noch keine Rede sein. Den schwarzen Peter schieben sich Schulen und Unis gegenseitig zu.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.