Werner Hoyer hat einen frommen Wunsch: "Niemals", so forderte der FDP-Abgeordnete am 8. November unter dem Applaus aus allen Bundestagsfraktionen, dürfe die Entscheidung über Militäreinsätze "zur Routine werden". Es sei doch "bemerkenswert", dass sowohl die letzte Entscheidung des 15. Deutschen Bundestages und die erste Entscheidung des neuen Bundestages eben solche Einsätze betroffen habe - erst das ISAF-Mandat in Afghanistan und nun die Operation "Enduring Freedom". Doch wie routiniert Deutschland seine Soldaten in diese Einsätze schickt, zeigte einen Blick in die Zeitungen am nächsten Morgen. Die Mandatsverlängerung schaffte es selbst bei überregionalen Blättern kaum noch auf die Titelseite, wurde irgendwo auf Seite vier oder Seite fünf als Kurzmeldung abgehandelt. Vor vier Jahren am 16. November hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder noch die Vertrauensfrage stellen müssen, um eine eigene Regierungsmehrheit für den Anti-Terror-Einsatz der Bundeswehr zu erzwingen.
Immerhin stellt die Beteiligung an der Operation "Enduring Freedom" im Unterschied zu den anderen Missionen den einzigen Kampfauftrag für die Bundeswehr dar: "Diese Operation hat zum Ziel, Führungs- und Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen sowie Dritte dauerhaft von der Unterstützung terroristischer Aktivitäten abzuhalten. Deutsche bewaffnete Streitkräfte tragen dazu mit ihren Fähigkeiten bei." Diese Passage aus dem Antrag der Bundesregierung (Drucksache 14/7296), den der Bundestag am 16. November 2001 annahm, gilt nach der Verlängerung des Mandates durch das Parlament (16/26) am 8. November weiterhin. Der ausdrückliche Kampfauftrag bezog sich von Anfang an vor allem auf die circa 100 Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr. Diese Eliteeinheit der Bundeswehr operierte in den vergangenen vier Jahren in Afghanistan und kann auch in den kommenden zwölf Monaten jederzeit wieder zum Einsatz kommen.
Während die Verwendung aller anderen an "Enduring Freedom" beteiligten Bundeswehrsoldaten relativ genau definiert ist, unterliegen die Operationen der KSK strenger Geheimhaltung - aus naheliegenden Gründen. Selbst die Ehefrauen der betroffenen Soldaten dürfen nichts über deren Einsatzgebiete und Missionsziele erfahren. Dies ist einerseits nötig, um den Erfolg der KSK-Operationen nicht auf's Spiel zu setzen, anderseits aber auch, um die Soldatenfrauen selbst zu schützen.
Die strikte und notwendige Geheimhaltung von KSK-Einsätzen führt jedoch immer wieder zu Problemen, da sie immerhin die Kontrollfunktion des Deutschen Bundestages über die Bundeswehr betrifft. So wehrte sich der Bundestagsabgeordnete Paul Schäfer (Die Linke) gegen den Vorwurf des Abgeordneten Rainer Arnold (SPD), er habe Informationen aus einer vertraulichen Unterrichtung durch Bundesverteidigungsminister Peter Struck an die Presse gegeben. So war in der Ausgabe der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 8. November zu lesen, die KSK befände sich auf der Rückkehr aus einem Einsatz. Schäfer hielt diesem Vorwurf entgegen, dass sein Gespräch mit den Journalisten bereits zwei Stunden vor der Unterrichtung durch den Verteidigungsminister stattgefunden habe und er deshalb keine Informationen habe weitergeben können. In einer Presseerklärung schob der Abgeordnete der Linkspartei nach: "Die Information, ob sich KSK-Einheiten in Afghanistan befinden oder nicht", falle nicht unter die Geimhaltung. Und weiter: "Es wäre absurd, wenn das Parlament den Einsatz dieses Kommandos beschließt, aber nichts darüber erführe, ob dieser Einsatz überhaupt stattfände." Doch dieser Interpretation wollte sich der SPD-Abgeordnete Arnold nicht anschließen: "Können Sie wirklich verant- worten," fragte er Schäfer in der Debatte, "dass die Journalisten mit ihren Kameras auf dem Flughafen Köln/Bonn warten, bis die Soldaten der Kommandospezialkräfte, von deren Rückführung sie wissen, dort tatsächlich landen, und das übermorgen im ,Stern' steht? Das ist hochgradig gefährlich und unverantwortlich." Er erhielt dafür aus allen Fraktionen - außer der Linken - zustimmenden Applaus.
Grund für Kritik und Verstimmung unter Parlamentariern liefert auch der von der Bundesregierung beantragte personelle Umfang des "Enduring Freedom"-Mandates und die möglichen Einsatzgebiete. Demnach kann die Bundeswehr in den kommenden zwölf Monaten bis zu 2.800 Soldaten einsetzen. Zwar wurde diese Zahl im Vergleich zum Vorjahr bereits um 300 Soldaten verringert, aber selbst die angegebene Mandatsobergrenze wird von der Bundeswehr derzeit nicht ausgereizt. Tatsächlich operieren im Rahmen von "Enduring Freedom" am Horn von Afrika derzeit die Fregatte "Lübeck" und 250 Soldaten. Zudem erklärt sich die Reduzierung der Mandatsobergrenze zum überwiegenden Teil dadurch, dass die Seeraumüberwachungsflugzeuge vom Typ "Breguet Atlantique" aus Altersgründen nicht mehr zum Einsatz kommen können, und das neue System "P3 Orion" der Bundeswehr frühestens im Jahr 2007 zur Verfügung stehen wird.
Die beiden FDP-Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Jürgen Koppelin verweigerten aus diesem Grund dem Antrag der Bundesregierung die Zustimmung, obwohl sie die militärische Bekämpfung des Terrorismus prinzipiell unterstützen. In einer persönlichen Erklärung nach Paragraf 31 der Geschäftsordnung der Bundesregierung begründeten die Liberalen ihre Position so: "Der vorgelegte Antrag ist kein ,ehrlicher Antrag', denn für das erforderliche Mandat würden maximal 900 Soldaten ausreichen." Zudem bemängeln Leutheusser-Schnarrenberger und Koppelin, dass der Regierungsantrag zu unkonkret sei: "Bei der Verlängerung des Mandates handelt es sich um eine Entscheidung für die allgemeine, nicht sehr konkrete Vorhaltung und Bereitstellung von Bundeswehrsoldaten in verschiedenen Regionen der Welt - einem riesigen potenziellen Einsatzgebiet -, aber nicht um die Entscheidung für einen konkreten Einsatz. Der Parlamentsvorbehalt des Deutschen Bundestages kann unserer Auffassung nach nur wirkungsvoll wahgenommen werden, wenn der Bundestag über genau bestimmte Einsätze entscheidet, aber nicht der Bundesregierung erneut einen Blankoscheck erteilt."
In der Tat darf die Bundeswehr gemäß des erteilten Mandates in einem sehr weiträumigen Gebiet operieren. Es umfasst die arabische Halbinsel, Mittel- und Zentralasien und den nordöstlichen Teil Afrikas sowie die angrenzenden Seegebiete. Allerdings unterliegt diese Regelung einer entscheidenden Auflage. Deutsche Soldaten dürfen nur in den Gebieten jener Staaten - mit Ausnahme von Afghanistan - aktiv werden, deren Regierungen dies auch ausdrücklich genehmigen. Alles andere würde auch eine Verletzung des Völkerrechts darstellen.
Doch diese Einschränkung stellt die Bundeswehr und ihre Verbündeten auch vor Probleme. Die Einheiten der Bundesmarine, die am Horn von Afrika zusammen mit den Koalitionskräften aus den USA, Frankreich, Italien, Großbritannien und Pakistan (Task Force 150) den Seeverkehr kontrollieren und den Transport von Waffen, Munition oder Drogen im Auftrag von Terrororganisationen wie Al Qaida unterbinden sollen, dürfen eben auch nicht in die Hoheitsgewässer der Anrainer-Staaten ihres Einsatzgebietes eindringen: Dieses umfasst das Rote Meer mit der Meerenge Bab el Mandeb, den Golf von Aden, die Arabische See und den Golf von Oman bis zur Straße von Hormus - ein Gebiet, in das die Fläche Deutschlands acht mal passen würde. Experten gehen jedoch davon aus, dass der Schmuggel von Waffen für Terroristen eben genau in jenen küstennahen Bereichen der angrenzenden Staaten über die Bühne gehen könnte, in denen die Bundesmarine nicht aktiv werden darf - und dies auch nicht tut, wie von Seiten des Verteidigungsministeriums ausdrücklich betont wird. Selbst im Falle von Somalia, einem völlig zerrütteten Staat, würde man die Hoheitsrechte achten.
Seit Beginn der Militäroperation "Enduring Freedom" am Horn von Afrika im Februar 2002 hat die Bundesmarine, die von Dschibuti aus operiert, circa 11.000 Schiffe überprüft. Überprüft heißt, dass die Schiffe über Funk ihren Namen, ihren Zielhafen, den zuletzt angelaufen Hafen und vor allem ihre Ladung angeben müssen. Die Daten werden an das amerikanische Einsatzkommado in Bahrain übermittelt und dort überprüft. In Verdachtsfällen werden die Schiffe von so genannten Boarding-Teams, kleinen bewaffneten Kommando-Trupps durchsucht. Dazu ist es allerdings von Seiten der deutschen Kriegsschiffe nach Angaben des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr in Potsdam erst 50 mal gekommen. Die Bundesmarine hat auch das Recht, die Schiffe unter Androhung von Waffengewalt in einen Hafen zur dortigen Untersuchung umzuleiten - vor allem dann, wenn Waffen, Munition, Drogen oder Tatverdächtige an Bord gefunden werden.
Wenn auch kein Kampfeinsatz im eigentlichen Sinne, so ist die Operation in diesen Gewässern nicht ohne Gefahr für die Soldaten. Immer wieder wird auf den eingesetzten Fregatten der Marine der Ernstfall geprobt: Ein mit Sprengstoff beladenes Schnellboot könnte jederzeit versuchen, die Kriegsschiffe in der Manier von Selbstmordattentätern zu rammen. Dieses Schicksal erlitt im Oktober 2000 der US-Zerstörer "Cole" im Jemen.
Wie erfolgreich die Seeüberwachung von "Enduring Freedom" ist, darüber kann man letztlich nur spekulieren. Der Einsatz hat vor allem "abschreckenden Charakter", so wie "die Polizei in Deutschland Streife durch die Straßen fährt", wie es ein Sprecher des Einsatzführungskommandos anschaulich beschreibt. Gern verweist man bei der Bundesmarine darauf, dass durch die ständige Präsenz des multinationalen Flottenverbandes die in diesen Gewässern weit verbreitete Piraterie "deutlich zurückgegangen" sei - immerhin ein wünschenswerter Nebeneffekt des Einsatzes. Doch diese Aussage ist mit einem dicken Fragezeichen zu versehen - zumindest in den Gewässern vor Somalia. Dort beschossen vor wenigen Tagen Piraten das Luxus-Kreuzfahrtschiff "Seaborn Spirit" - das Schiff entkam nur knapp. Kurz zuvor waren zwei Schiffe mit Hilfsgütern von Piraten aufgebracht worden. "Diese Gewässer sind zu einem Tummelplatz für Seeräuber geworden", warnte in der vergangenen Woche das Internationale Schifffahrtsbüro (IMB) in Kuala Lumpur. Vor der somalischen Küste ist es nach Angaben des IMB im vergangenen halben Jahr zu mindestens 25 Attacken von Piraten auf Schiffe gekommen.
Eine der entscheidensten Fragen, die im Zusammenhang mit der Operation "Endurin Freedom" im Raum steht, ist jene nach ihrem möglichen Ende. Nimmt man ihren Auftrag - die Bekämpfung des internationalen Terrors - ernst, so ist ein Ende, vor allem ein erfolgreiches, derzeit nicht abzusehen. Zu hoffen bleibt nur, dass die Gewöhnung in der deutschen Öffentlichkeit an diesen wohl ungewöhnlichsten Auslandseinsatz der Bundeswehr nicht wirklich in Routine umschlägt.