Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Eigentlich sollte der Karlsruher Bundesparteitag der baden-württembergischen SPD vier Monate vor der Landtagswahl Rückenwind verschaffen, schließlich war zu diesem Zweck der Tagungsort gewählt worden. Und dann das: Ausgerechnet die südwestdeutsche Spitzenkandidatin Ute Vogt erhielt mit gerade mal zwei Dritteln der Stimmen bei der Kür der fünf Stellvertreter des neuen Vormanns Matthias Platzeck das schlechteste Ergebnis - das Gegenteil eines Schubs für den Wahlkampf. Natürlich wurde versucht, diesen Makel herunterzuspielen. Wolfgang Drexler, Fraktionsvorsitzender im Landtag, sprach von einem "ehrlichen Ergebnis", das "im Rahmen" liege. Vogt selbst meinte, wer ehrlich durch das Leben gehe, "der hat's manchmal nicht bequem".
Nasenstüber auf dem Parteitag
Der Nasenstüber beim Parteikonvent war die Quittung für Vogts Agieren beim Rücktritt Franz Münteferings vom SPD-Vorsitz wegen der gescheiterten Wahl Kajo Wasserhövels zum Generalsekretär. Und der Ärger über die Rolle Vogts in Berlin ist an der schwäbischen und badischen Basis trotz eines "reinigenden Gewitters" (Drexler) bei einer Debatte in der Landtagsfraktion noch keineswegs verraucht. Die Schramme von Karlsruhe ist indes nicht die einzige Hypothek, die den Start ins Rennen für den Urnengang am 26. März belastet. Hinzu kommt, dass die Südwest-SPD anders als die Landes-CDU nicht in der Berliner Ministerriege präsent ist. Die Große Koalition in Berlin dürfte sich zwischen Neckar und Oberrhein auch politisch vor allem für die Opposition als Hemmschuh erweisen. Bei einem Parteitag im Dezember müssen Vogt und Drexler einiges tun, um die SPD für die nächsten Monate in Schwung zu bringen. Am 18. September war die Partei in Baden-Württemberg auf 30,1 Prozent gefallen - und bei Bundestagswahlen pflegt man meist besser abzuschneiden als auf Landesebene, wo Vogt 2001 auf 33,3 Prozent geklettert war.
Frohgemut hatte die Spitzenkandidatin noch Ende Oktober verkündet, CDU-Ministerpräsident Günther Oettinger sei ein leichterer Gegner als dessen Vorgänger Erwin Teufel. Vorläufig hat sie es jedoch selbst nicht gerade einfach. Hunderte Telefonate und E-Mails von Parteimitgliedern waren auf die Landtagsabgeordneten und andere führende Mandatsträger eingeprasselt. Tenor: Protest gegen Vogts Taktik in Berlin beim Abgang Münteferings. Zum einen wurde ihr vorgehalten, dass sie mit ihrem Votum für Andrea Nahles zur Krise beigetragen hatte. Vor allem aber wurde Vogt ein TV-Interview verübelt, das in den Augen vieler von Naivität und Unprofessionalität zeugte: Hätte sie vor der Abstimmung im Bundesvorstand gewusst, welche Folgen ein Votum für Nahles hat, "hätte ich mir das noch einmal überlegt". Der Landtagsabgeordnete Rainer Stickelberger meinte danach, es werde "sehr, sehr schwierig sein, Ute Vogt noch als Spitzenkandidatin zu vermitteln".
Nun, kurz vor einem Urnengang wechselt man nicht die Pferde. Nach einer kontroversen Debatte in der Fraktion, die "sehr offen, kritisch und selbstkritisch geführt wurde" (Drexler), wurden die Reihen geschlossen: Niemand habe "die Spitzenkandidatin in Frage gestellt", verkündete der Fraktionsvorsitzende. Vogt unterstreicht: "Ich habe Rückendeckung auch von denen, die mich kritisiert haben."
Aber lässt sich die Motivationsdelle der SPD-Basis mit Krisenmanagement so ohne weiteres überwinden, zumal dann ja noch die Scharte von Karlsruhe folgte? Viel wird davon abhängen, ob Oettingers Herausforderin politisch Power in den Wahlkampf zu bringen vermag. Der Glanz von Bundesprominenz wird wohl eher matt strahlen. Minister stellt die Südwest-SPD in der Großen Koalition keine. In der zweiten Reihe sind der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, Gesundheits-Staatssekretärin Marion Caspers-Merk und Verkehrs-Staatssekretärin Karin Roth vertreten. Doch solche Funktionen schlagen nicht so stark durch. Vogt selbst hat keinerlei Amtsbonus mehr, mit dem sie wuchern könnte: Die 41-Jährige ist nicht mehr Innen-Staatssekretärin in Berlin und sitzt weder im Bundestag noch im Landtag. So muss sie sich allein als Spitzenkandidatin behaupten.
Die Union hat es da besser. Innenminister Wolfgang Schäuble, Bildungsministerin Annette Schavan und der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder vermögen mit ihrem jeweiligen Berliner Amtsbonus auch im Landtagswahlkampf zu punkten. Politisch dürfte die Landes-Union die Große Koalition auf Bundesebene ebenfalls leichter als die SPD verkraften können. Zwar werden unpopuläre Maßnahmen wie die Mehrwertsteuererhöhung, die Eingriffe ins Rentensystem über Nullrunden und Lebensarbeitszeitverlängerung oder der Abbau des Kündigungsschutzes auch der CDU im Wahlkampf das Leben schwer machen. Ob die Partei Oettingers Ende März noch bei 45 Prozent stehen wird, wie es eine Umfrage im Auftrag der Regierung jüngst ermittelte, ist nicht ausgemacht.
Der SPD droht jedoch Konkurrenz durch die Linkspartei, die frustrierte Wähler anlockt. Am 18. September kam Ulrich Maurers Truppe im Südwesten immerhin auf 3,8 Prozent, doch das ist natürlich auch noch ausbaufähig. Auf Landesebene ist Oettinger zudem in der komfortablen Lage, als Ministerpräsident im Wahlkampf nicht angreifen zu müssen, sondern sich auf das staatstragende Werben für sich und seine Politik beschränken zu können. Die Opposition hingegen muss angreifen: Und es ist unvermeidlich ein Spagat, in Stuttgart eine Partei zu attackieren, mit der man in Berlin in einem Kabinett sitzt.
Ute Vogt will sich auf Bildungspolitik konzentrieren, in der Tat ein Landesthema. Doch mit einem Programm zum Ausbau von Ganztagsbetreuung hat die Regierung der SPD bereits etwas Wind aus den Segeln genommen. Ohne Zweifel weist dieses Konzept Defizite auf, weil es ihm an der pädagogischen Qualität mangelt. Doch ob der Streit über diese Frage für einen Wahlkampfknüller reicht? Erstaunlich mutet ein anderer Schwerpunkt an, den Vogt setzen will: Sie wirft der CDU vor, ihre Aufgaben bei der inneren Sicherheit und der Polizei zu vernachlässigen - wobei gerade Baden-Württemberg seit jeher einen betont restriktiven innenpolitischen Kurs fährt. Da wäre eher das Plädoyer für mehr Liberalität und Bürgerrechte eine Alternative, aber so etwas liegt wohl nicht im Trend der Zeit. Man darf sehr gespannt sein, mit welchem Profil sich die Spitzenkandidatin der SPD im Wahlkampf in Szene zu setzen gedenkt.