Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 01-02 / 12.01.2004
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Bert Schulz

Vergiftete Beziehungen

Damals...vor 15 Jahren am 18. Januar 1989: Debatte im Bundestag über die Libyen-Affäre

Als im vergangenen Jahr der US-amerikanische Außenminister Donald Rumsfeld die Bundesrepublik, immerhin ein langjähriger NATO-Verbündeter, in einem Zug mit den "Schurkenstaaten" Kuba und Libyen nannte, konnte man meinen, eine neue Phase der internationalen Politik hätte begonnen. Aber bereits einige Monate nach dem offiziellen Ende des Krieges im Irak verliefen die Fronten im "alten Europa" im Wesentlichen wieder nach bekannten Mustern. Vielleicht wäre Rumsfelds Vergleich eineinhalb Jahrzehnte früher etwas passender gewesen: Vor 15 Jahren war "Schurkenstaat" noch kein inflationär gebrauchtes Wort und Europa nicht in alt und neu geteilt sondern in ost und west - politisch war die Situation deswegen aber umso brisanter.

Etwas überraschend erklärt der damalige Präsident der USA, Ronald Reagen, kurz vor Weihnachten 1988, die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten würden über einen Präventivschlag gegen Libyen nachdenken. Der Grund: Laut Geheimdienstinformationen besäße das Land 60 Kilometer südlich der Hauptstadt Tripolis eine Fabrik zur Herstellung von Giftgas. Kurz nach Neujahr verschärfen sich die Spannungen zwischen den USA und dem nordafrikanischen Staat nach dem Abschuss zweier libyscher Kampfflugzeuge durch die amerikanische Luftwaffe über dem Mittelmeer.

Zu diesem Zeitpunkt hat der Konflikt bereits eine deutsche Dimension bekommen: Medienberichte vom Jahresanfang 1989, dass bundesdeutsche Firmen maßgeblich am Bau der Todesfabrik mitgewirkt hätten, werden von amerikanischer Seite bestätigt. Dabei habe die im baden-württembergischen Lahr ansässige Firma Imhausen-Chemie eine Schlüsselrolle gespielt.

Erste Untersuchungen der deutschen Staatsanwaltschaft kommen jedoch zu keinem Ergebnis. Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) beschwert sich darauf am 9. Januar in ungewöhnlich deutlicher Weise, dass man durch die öffentlichen Anschuldigungen "die Deutschen auf die Anklagebank setzt, ohne dass wir die Möglichkeit haben, die Beweismittel einzusehen". "Unter Freunden" würde man so nicht miteinander umgehen. Ein Tag später beschließt das Bundeskabinett schärfere Exportkontrollen; in den folgenden Tagen berichtet die Presse über abgehörte Telefongespräche zwischen der libyschen Fabrikleitung und Imhausen-Chemie sowie über Geheimdiensthinweise auf eine Baubeteiligung der Firma, die das Kanzleramt bereits zwei Jahre vorher erhalten habe.

Am 18. Januar gibt Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble (CDU) vor dem Bundestag eine Erklärung zu der Affäre ab, in der er detailliert darlegt, wann der deutschen Exekutive welche Erkenntnisse bekannt waren und wie sie darauf reagiert habe. Danach habe der BND im August 1987 erste Hinweise auf den Bau einer Giftgasfabrik gehabt; im Mai 1988 habe die amerikanische Botschaft das Auswärtige Amt über den Verdacht der USA informiert, dass drei deutsche Firmen daran beteiligt waren. Gegenwärtig, so Schäuble, müsse man aufgrund der "nachrichtendienstlichen Erkenntnisse davon ausgehen, dass die Anlage zur Produktion chemischer Kampfstoffe geeignet ist". Aus gleicher Quelle gebe es "Hinweise auf die Mitwirkung deutscher Firmen" beim Bau der Anlage. Ob dabei allerdings gegen geltendes Recht verstoßen wurde, müsse noch geklärt werden.

In seiner Replik greift der SPD-Abgeordnete Norbert Gansel die Bundesregierung scharf an: Schäubles Darlegungen hätten gezeigt, dass sie die "politische Dimension der Affäre noch immer nicht" erkannt habe. "Alle" müssten begreifen, dass das deutsch-amerikanische Verhältnis "noch nie so belastet und beschädigt war wie heute"; wichtig sei aber, dass die Beziehungen zwischen beiden Staaten "in kritischer Solidarität" funktionierten. Gansel warf der Regierung zudem vor, ihre Kenntnisse immer nur in dem Maße preisgegeben zu haben, wie sie unter dem "Druck amerikanischer Indiskretionen und Recherchen deutscher Journalisten" dazu gezwungen wurde. Die Grünen forderten einen Stopp sämtlicher Rüstungsexporte.

Mit der Aussprache war die Libyen-Affäre noch nicht vom Tisch: Am 15. Februar beschließt die Bundesregierung eine Verschärfung des Außenwirtschaftsgesetzes sowie der Außenwirtschaftsordnung. Zwei Tage später gibt Wolfgang Schäuble eine Regierungserklärung zu den Vorkommnissen um die Chemiefabrik ab. Schließlich wird der Firmenchef der Imhausen-Chemie im Juni 1990 zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt: Laut dem Urteil hat er bereits 1984 davon gewusst, dass die Fabrik, an deren Herstellung seine Firma maßgeblich beteiligt war, allein zur Herstellung von Giftgas geplant war.

Ende vergangenen Jahres schloss sich dann der Kreis: Ähnlich überrascht wie über Donald Rumsfelds Vergleich reagierte die deutsche Öffentlichkeit auf eine Erklärung von Libyens Revolutionsführer Muammar el Gaddafi. Sein Land verzichte auf atomare, biologische und chemische Waffen, lies der "Schurke" verlautbaren.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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