Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 31-32 / 26.07.2004
Zur Druckversion .
Claudia Heine

Ein bisschen Mann, ein bisschen Frau

Auf der Suche nach neuen Einnahmequellen erfand die Werbung den "metrosexuellen" Herren

Die Männer sind in Bewegung. Ist das neu? Mit dem Bild vom Jäger, der das erlegte Tier an die heimische Feuerstelle schleppt, sind die meisten Mitteleuropäer groß geworden: der Mann als Agierender, sei es für's Essen oder die Sicherheit. Soziologen meinen damit jedoch ein verändertes Rollenverhalten, das sie schon seit einigen Jahren beobachten: weg vom traditionellen Macho hin zum so genannten "neuen Mann". Werbestrategen klatschten da in die Hände und riefen im vergangenen Sommer eine scheinbar sensationelle Entdeckung aus: den metrosexuellen Mann.

Der metrosexuelle Mann fährt nicht etwa leidenschaftlich gern mit der métro durch Paris. Obwohl er in der Stadt der Mode schon richtig ist: Metrosexuell zu sein bedeutet nämlich, auch als Mann seine weibliche Seite auszuleben. Woran man das erkennt? An den "typisch weiblichen" Interessen eben: Mode, Kosmetik und Körperpflege, Gesundheit und gutes Essen, aber auch stilvolle Möbel - dafür interessiert sich der Metrosexuelle. Angeblich rasiert er sich auch die Brusthaare, geht zur Maniküre, benutzt Rasierschaum mit pflegenden Kamilleextrakten und wechselt öfter seine Frisuren. So wie der englische Fußballspieler David Beckham - Ikone dieses neuen Trends und der Werbeindustrie überhaupt.

Seine feinen Fingernägel, leuchtenden Haarsträhnen und kecke Unterwäsche sind aber nur ein Teil des Bildes. Komplettiert wird es durch die Beziehung zu seiner Ehefrau - ein ehemaliges "Spice Girl" - und den Kindern. Denn es geht nicht um das Klischeebild eines Homosexuellen, sondern um Männer, die Frauen lieben und ihre Rolle als Vater. Verschwinden also die Grenzen zwischen Frauen und Männern? Oberflächlich betrachtet sieht es so aus. Und bei der Kreation "metrosexueller Mann" und seiner Definition geht es fast nur um sie, die Oberfläche.

Der Werbegigant "Euro RSCG" fand in einer Umfrage in den USA und Großbritannien heraus, dass

20 Prozent aller Männer in den Metropolen - daher der Begriff metrosexuell - in diese Zielgruppe passen. Wichtiger ist aber, so stellten die Marketingexperten fest, dass sie bereit sind, viel Geld für Kleidung und Körperpflege auszugeben. Männer werden als Konsumenten entdeckt - tatsächlich eine neue Rolle. Sie sind zwar die Manager des Kapitalismus, galten aber dennoch bisher als ungeeignet, kapitalistische Absatzbedürfnisse zu befriedigen: zu bescheiden und uninteressiert an den schönen Dingen, mit denen man sich pflegen, kleiden und einrichten kann. In

ironischer Anspielung auf diese Situation und die gleichzeitige Blüte neuer Hochglanzmagazine für Männer, schuf der britische Journalist Mark Simpson 1994 den Begriff des Metrosexuellen: die Erfindung des passenden Mannes für diese Zeitschriften.

Auf der Jagd nach dem idealen Körper

Von einem Verschwinden der Geschlechtergrenzen kann dennoch keine Rede sein. Ob nun metrosexuell oder neuer Mann - bisher handelt es sich nicht um ein Massenphänomen. Auch hat Männlichkeit viele Gesichter, und der neue Mann ist nur eines von vielen. Soziologen fanden heraus, dass sich Männerrollen trotz der Veränderungen zu gleichen Teilen zwischen den extremen Polen "traditionelle" und "neue" Männer bewegen. Während der traditionelle Mann nach wie vor den passenden Platz der Frau an Heim und Herd sieht, beteiligt sich der neue Mann deutlich mehr an Haus- und Familienarbeit, nimmt die Vaterrolle ernst und unterstützt seine Frau in ihrer Berufstätigkeit. Dazwischen existieren auch noch die "pragmatischen Männer", die sich aus dem traditionellen wie dem modernen Bild die Rosinen rauspicken: Es ist gut, wenn auch die Frau Geld ins Haus bringt - für die schmuddeligen Hausarbeiten mache ich meine Hände trotzdem nicht schmutzig. Ihre Gruppe ist bei weitem die größte.

Neu am Trend des metrosexuellen Mannes scheint dagegen eines zu sein: Männliche Identität definierte sich in der zweigeteilten Geschlechterordnung bisher über die Abgrenzung zur Weiblichkeit. Zu diesem unterschiedlichen Rollenverständnis

gehörte auch das Verhältnis zum eigenen Körper. Körperlichkeit wird seit Jahrhunderten mit Weiblichkeit assoziiert. Männer wurden in der wissenschaftlichen Diskussion stets als Menschen beschrieben, die ihren Körper beherrschen und nur gebrauchen, um ihre Ziele zu erreichen. Frauen dagegen galten in ihrem Charakter und ihren Handlungsmöglichkeiten durch ihren Körper bestimmt. Im Bild vom neuen Mann verwischen diese Konturen.

Der Druck, auch im eigenen Erscheinungsbild bestimmte Erwartungen erfüllen zu müssen, ist für Männer enorm gewachsen. Essstörungen, bisher ein klassisches Frauenproblem, sind nur eine Folge der Jagd nach dem idealen männlichen Körper. Aber selbst in der neuen männlichen Körperlichkeit zeigen sich die Grenzen zur Frau. Im Unterschied zu ihr, die eigentlich "nur" schön sein muss, besteht die männliche Schönheit vorwiegend aus der Symbolisierung von Stärke.

Der "neue Mann" präsentiert sich letztendlich nicht als Neuerfindung: Trotz seiner Hinwendung zu Familie und Kindern und seiner Offenheit gegenüber der Auseinandersetzung mit eigenen Gefühlen bleiben Stärke, Vernunft und Erfolg seine Markenzeichen. Auch David Beckham verbindet beides: Als Star in einem klassischen Männersport wie Fußball kämpft er "Mann gegen Mann" um den Ball; als Vater passt er gern auf seine zwei Kinder auf.

Diese neue Kombination von scheinbar männlichen und weiblichen Verhaltensweisen hätte noch nie ein Widerspruch sein müssen, ginge es nach Judith Butler. Die amerikanische Gender-Theoretikerin lehnt eine solche Zuordnung aufgrund des Körpers grundsätzlich ab. Jede geschlechtliche Identität von Männern und Frauen ist nach ihrer Lesart im Verlauf der Zivilisation angelernt und weder naturgegeben noch an den Körper gebunden. Folglich sind auch Zuordnungen von weiblichen oder männlichen Symbolen ein willkürlicher Akt.

"Geschlecht ist nicht genau das, was jemand ‚ist' oder exakt das, was jemand ‚hat'", schreibt Butler, "Geschlecht ist der ‚Mechanismus', durch den Vorstellungen von maskulin und feminin geschaffen und eingebürgert werden, doch dieser könnte ebenso gut dazu dienen, solche Begriffe zu zerstören oder zu beseitigen." Werbetrends jedoch verschwinden genauso schnell, wie sie kommen. Die metrosexuelle Revolution lässt bisher auf sich warten. Claudia Heine ist Volontärin bei "Das Parlament".


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.