Mein Sohn sitzt gerade auf dem Töpfchen, und ich habe endlich Zeit, mal kurz in die Zeitung zu schauen. Erstaunlich, was die Kollegen so schreiben: "Der Münchner Pipi-Verlag feiert heute seinen 100. Geburtstag." Oh, das war wohl ein Freudscher Verleser. Als Vater denkt man eben eher an Pipi und Kacka als an Piper und Kafka.
Eltern sein und trotzdem berufstätig - das ist auch für Männer ein mittleres Abenteuer. Immer wieder bietet es neue Überraschungen und erfordert logistische Meisterleistungen. Vor allem, wenn die Bazillen zuschlagen. Statt die neuesten Pressemitteilungen zu studieren, forsche ich dann lieber nach der Inkubationszeit von Windpocken. Alle Räder stehen still,
wenn's die Kinderkrankheit will!
Während ich diese Zeilen schreibe, sitzt mir gerade mein Sohn im Nacken. Das tut er oft im übertragenen Sinne: Da will er unbedingt einen Lego-Turm mit mir bauen, während ich unbedingt meinen Turm unerledigter Arbeiten um zumindest eine Etage verkleinern möchte. Heute aber turnt er real auf meinem Nacken herum und bringt den gut gefederten Schreibtisch-stuhl in rhythmische Wallungen. Der Inhalt seiner Triefnase ergießt sich auf meinen Pullover. Denn Junior ist leider krank - zu krank für den Kindergarten, aber nicht krank genug fürs Bett. Also wurde morgens schnell ein Notfallplan konzipiert. Man könnte ihn "E-PaBü-OuO" nennen: Zunächst kommt der Verschnupfte mit zum Einkaufen, dann in Papas Büro, und mittags springen Oma und Opa ein. Nachmittags übernimmt dann Mama den Kleinen, wenn sie auf ihrer Teilzeitstelle Feierabend macht. Es gibt noch viele andere Notfallpläne - zum Beispiel "PaBü-MaBü-E". Man muss eben flexibel bleiben. Sehr passend, dass eine Bremer Zeitung neulich in einer Beilage über Logistikbetriebe auch eine Familie mit ihrem ausgeklügelten Tagesablauf vorgestellt hat.
Dabei haben meine Frau und ich es noch gut: Wir sind zu zweit. "Zwei gegen einen" ist zwar eigentlich unfair, aber dank unserer Überzahl haben wir gute Chancen, die kindliche Trotzphase zu überstehen, die bekanntlich von null bis 20 dauert (Jahre, nicht Monate!). Als Alleinerziehender würde ich mich hoffnungslos überfordert fühlen.
Ein unbedingtes Muss für uns Eltern ist Hilfe von außen: Neben Freunden und Verwandten brauchen wir Krabbelgruppen, Kindergärten und Ganztagsschulen. Vor allem in kleineren Orten herrscht da noch einiger Nachholbedarf. Etwas mehr Staatsknete wäre auch nicht schlecht - und die Möglichkeit, unsere Kosten voll von der Steuer abzusetzen. Denn Kinder sind uns nicht nur lieb, sondern auch teuer. Mit Entsetzen habe ich unserem jüngsten Steuerbescheid entnommen, dass von unseren Kindergartenbeiträgen (fast 3.000 Euro pro Jahr) gerade mal 1.137 Euro als steuermindernd anerkannt werden. Hallo, Politiker - Reformbedarf!
"Papa, komm!" Inzwischen sitze ich nicht mehr im Büro, sondern am häuslichen Schreibtisch, der manchmal abends oder am Wochenende als Zweitarbeitsplatz dient. "Paaapa, kooomm!" Eigentlich müsste ich diesen Artikel zu Ende schreiben, aber mein Sohn möchte heute nicht von Mama, sondern von mir die Gute-Nacht-Geschichte hören. "Paaaaaaapa, koooooomm!" Na gut, ich kann ja auch nachher noch weiterschreiben. So, da bin ich wieder. Eine typische Situation. Als berufstätiger Vater fühlt man sich oft hin- und hergerissen zwischen beruflichen und familiären Ansprüchen. Ständiger Begleiter ist das schlechte Gewissen: Entweder kommt die Arbeit zu kurz oder das Kind - und die Partnerschaft sowieso. Von meinen Hobbies ganz zu schweigen. Perfektionisten sollten lieber nicht Vater werden; sie müssten mit zu vielen Kompromissen und Halbheiten leben.
Ich habe es immerhin einfacher als viele andere berufstätige Väter. Als freiberuflicher Journalist kann ich mir meine Arbeitszeit oft frei einteilen. Nach der Geburt unseres Sohnes habe ich manchmal nachts meine Artikel geschrieben und vormittags gleich nach dem Aufstehen recherchiert, wenn er gerade an der Mutterbrust hing. Da saß ich dann unrasiert und ungewaschen im Bademantel und telefonierte mit Politikerinnen und Pressesprechern. Gut, dass sich das Bildtelefon noch nicht allgemein durchgesetzt hat! Weil ich dann oft erst nach dem Mittagessen ins Büro fuhr, fragte schon mal ein Nachbar meine Frau: "Ist Ihr Mann arbeitslos?" Das war noch die Zeit, als wir uns zu halbwegs gleichen Teilen für Kinderbetreuung und Haushalt zuständig fühlten und es so auch praktizierten. Mittlerweile ist daraus ein nur noch gefühlter Zustand geworden. Zwar ist jeder von uns grundsätzlich weiterhin zu gleichen Teilen für alles verantwortlich, aber im Alltag bin ich jetzt doch viel länger im Büro als meine Frau in ihrer Firma, und entsprechend mehr kümmert sie sich um Kind und Kegel.
Fluchttendenz der Männer
Vielen Eltern geht es ähnlich (wenn sie nicht gerade, wie ein Journalistenpaar aus meinem Kollegenkreis, einen minutiösen Schichtplan mit Fifty-fifty-Zuständigkeit entwickeln). Bald nach der Geburt wächst bei vielen Männern der teils nur subjektiv empfundene, teils objektiv vorhandene Druck, wieder verstärkt Geld zu beschaffen. Wenn die Frauen dann abgestillt haben und ebenfalls wieder arbeiten könnten, begnügen sie sich oft mit einer Teilzeitstelle. Dabei könnten durchaus auch die Männer ihre Arbeit reduzieren: Das neue Teilzeitgesetz von Ende 2000 gibt auch ihnen einen Rechtsanspruch auf reduzierte Arbeitszeit, zumindest in Betrieben mit mehr als 15 Beschäftigten und "soweit betriebliche Gründe nicht entgegenstehen". Aber viele kennen ihr Recht gar nicht, und selbst wenn, entscheiden sie sich doch für das traditionelle Modell mit Haupternährer und Dazuverdienerin. Finanziell mag das sinnvoll sein, wenn Frauen schlechter bezahlt werden als Männer.
Oft steckt dahinter aber auch eine gewisse Fluchttendenz: Solange die Kinder noch zu klein sind für Fußball und Modelleisenbahn, ist es für viele Männer befriedigender und bequemer, sich nur nach Feierabend um den Nachwuchs zu kümmern und ansonsten den Alltagsstress mit den Kleinen den Frauen zu überlassen. Wir leben also auch nicht sehr viel anders als unsere oft kritisierten Vorfahren.
Nicht mal fünf Prozent aller heutigen Väter nehmen ihr Recht in Anspruch, bis zu drei Jahre lang beruflich zu pausieren - früher nannte man das schönfärberisch "Erziehungsurlaub", mittlerweile heißt es "Elternzeit", wird aber immer noch schlecht bezahlt (307 bis 460 Euro Staatsbeihilfe pro Monat). Als freier Journalist hätte ich mir eine solche Auszeit wahrscheinlich nicht leisten können, weil dadurch meine Kontakte zu Informanten und Redaktionen bedroht worden wären. Festangestellten dürfte der Ausstieg auf Zeit leichter fallen, da sie einen Rückkehranspruch haben. Doch in der Praxis haben auch sie vielfach Angst vor beruflichen Nachteilen.
Zum Beispiel mein Bekannter T. Er ist noch ein halber Neuling auf seiner Ingenieur-Stelle und möchte lieber nicht ausprobieren, was passiert, wenn er jetzt Elternzeit beantragt. Vaterschaft scheint in dieser Art Firmen nicht vorgesehen zu sein. T. arbeitet 40 Stunden pro Woche, mit Fahrzeit sind es sogar 50. Logisch, dass sich sein Baby oft nicht von ihm, sondern nur von Mama trösten lässt. Die wiederum wird noch mehr ans Haus gefesselt, obwohl sie selber einen hoch qualifizierten Beruf erlernt hat. So geht es vielen Eltern, und irgendwann zerbricht daran womöglich noch die Beziehung.
Manchmal geht es auch anders. Mein Kollege H., seit Jahren fest angestellt bei einer Regionalzeitung, war so mutig, für anderthalb Jahre in "Erziehungsurlaub" zu gehen. "Das war die beglückendste und tollste Zeit, die ich je erlebt habe", erzählt der 40-Jährige. "Ich wollte unbedingt erleben, wie mein Kind aufwächst." Anders als er war sein Arbeitgeber "nicht gerade freudig erregt" über die Auszeit, aber "er hat nicht einmal versucht, mich davon abzubringen". Auch bei seinen Kollegen hat keiner gesagt: "Nun ist der Mann total durchgeknallt!" Seine Arbeit hat H. nicht ein einziges Mal vermisst. Denn: "Mein Beruf, so leidenschaftlich und gerne ich ihn ausübe, ist nicht das Maß aller Dinge - sondern Frau und Kind." Inzwischen arbeitet er auf einer Dreiviertelstelle - und tut dem Arbeitgeber womöglich noch einen Gefallen damit, denn die Firma wollte sowieso Personalkosten einsparen.
Nicht alle Väter sind so uneingeschränkt glücklich, wenn sie sich nur um ihren Nachwuchs kümmern. Der Journalist Christian Nürnberger zum Beispiel hatte vor 14 Jahren seinen Job gekündigt, um sich ganz der Säuglingspflege zu widmen. Ihn traf offenbar ein mittlerer Schock, wie er kürzlich in der "Zeit" schrieb: "Statt eines fröhlich glucksenden Babys hielt ich ein schreiendes Triebbündel in der Hand, das jedem Versuch, es zu zivilisieren, hartnäckig widerstand." Und doch würde er es wieder tun: "Erst heute, wenn ich die Videos von damals angucke, sehe ich, wie süß dieses Bündel damals war, und bedauere, diese Zeit nicht genossen zu haben."
Fazit: Ob sich Männer mehr Zeit für ihren Nachwuchs nehmen, hängt zwar teilweise von äußeren Zwängen ab, aber auch von den persönlichen Prioritäten und dem eigenen Durchsetzungsvermögen. Also, liebe Geschlechtsgenossen: Nur Mut!
Eckhard Stengel
Der Autor (49) lebt als freier Journalist in Bremen und ist seit August 2000 Vater eines Sohnes.