Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 38 / 13.09.2004
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Wolfgang Hanneforth

Sinn und Unsinn in der Gentechnik

Viele Informationen zu einem umstrittenen Thema

Wolfram Henn ist Professor für Humangenetik und Ethik in der Medizin an der Universität des Saarlandes und Mitglied der Kommission für Grundpositionen und ethische Fragen der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik. In seinem Buch geht es um vier Themenkreise: Wie ist es mit unserer Toleranz bestellt gegenüber der biologischen Verschiedenheit a. anderer Arten, b. anderer Völker, c. dem anderen Geschlecht und d. dem gesundheitlich Anderen?

Der Titel des Buches widerspricht einigen gängigen Klischees - derart gängigen, dass man geneigt ist zu sagen: das wusste ich schon. Wer sich aber mit den Inhalten im Detail auseinandersetzt, wird sich von einer Reihe weiterer möglicher Klischees verabschieden können. Hier einige Beispiele:

- Es gibt keine Beziehung zwischen Hirnvolumen und Intelligenz; ebenso ist es evolutionsbiologisch abwegig, an rassen- oder gar geschlechtsspezifische Unterschiede in der allgemeinen Intelligenz zu glauben.

- Der wichtigste Steuermechanismus bei der Entwicklung zu Mann oder Frau sind weniger die geschlechtsbestimmenden Gene als die Geschlechtshormone (und ein Geschlechtsbewusstsein); die Neurobiologie liefert keine Grundlage für ein Schubladendenken nach sogenannten Frauen- und Männerberufen.

- Nicht bei allen Genen sind beide von Vater und Mutter ererbten Kopien aktiv; ganze Chromosomenabschnitte unterliegen einer elternspezifischen Prägung ("Imprinting"). Da jeder Organismus nicht nur sozial, sondern auch genetisch Vater und Mutter benötigt, würden einem geklonten Kind (jedenfalls bei Anwendung der bisher üblichen Praktiken) die notwendigen Genaktivitäten eines Elternteils fehlen.

- Das geistige Entwicklungspotential eines behinderten Menschen ist - wie bei gesunden auch - nicht nur vom Funktionszustand eines einzelnen Gens abhängig, sondern vom Zusammenwirken einer Vielzahl von genetischen und sozialen Faktoren. Auch für Behinderte gilt: kein Mensch ist wie der andere.

- Auch eine monogenetische Erbkrankheit wie die Mukoviszidose ist uneinheitlich: für das für diese

Erkrankung verantwortliche, den Salzhaushalt regulierende Protein beziehungsweise Gen gibt es über tausend verschiedene Mutationen mit einer entsprechend völlig unterschiedlichen Krankheitssymptomatik.

- Viele prädiktive Gentests sind vor allem ein Geschäft für kommerzielle Labors und Patentinhaber. Tests auf Brustkrebs auslösende Genmutationen liefern weder eine sichere Prognose für eine künftigeErkrankung noch sichern sie im negativen Fall Risikofreiheit.

- Unsere genetische Konstitution ist grundsätzlich unvollkommen. Bei mehreren tausend, meist rezessiven Erbleiden ist wohl jeder Mensch mit hoher Wahrscheinlichkeit Träger mehrerer solcher Erbkrankheiten. Eine Keimzelle unterscheidet sich gar infolge spontaner Neumutationen in etwa 100 Einzelinformationen von der Körperzelle des Menschen, der sie gebildet hat.

- Die evolutionäre Notwendigkeit genetischer Vielfalt ist ein wichtiges Argument gegen jeden Versuch gezielter Vereinheitlichung des menschlichen Genbestandes durch Eugenik.

- In fast jeder einzelnen afrikanischen Population gibt es mehr genetische Vielfalt als im gesamten Rest der Welt zusammen.

- Die meisten Behinderungen eines Menschen sind nicht erblich bedingt, sondern wurden vor oder nach der Geburt erworben - das ist ein entscheidenes Argument gegen eine Präimplantationsdiagnostik!

- Jeder Form artifizieller Vitaminsubstitution (etwa durch den gentechnisch erzeugten "Golden Rice") ist eine originär ausgewogene Ernährung vorzuziehen; die Empfehlung der Welternährungsorganisation: Rückbesinnung auf gewachsene regionale Formen des Landbaus.

Die Zahl der Beispiele ließe sich vermehren. Anders als der etwas reißerische Titel vermuten lässt, ist das Buch getragen von wohl ausgewogener und fundierter Sachkenntnis und -information. Die Literaturhinweise allein umfassen 13 Seiten. Fazit: Ein spannendes Buch mit einer teils neuen Sicht auch auf Sinn oder Unsinn von Gentechnik. Wolfgang Hanneforth

Wolfram Henn

Warum Frauen nicht schwach,

Schwarze nicht dumm und Behinderte

nicht arm dran sind.

Der Mythos von den guten Genen.

Herder Verlag, Reihe "Herder-Spektrum",

Freiburg/Br. 2004; 190 S. , 8,90 Euro


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