Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 38 / 13.09.2004
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Bernadette Schweda

Streit über ein "leidiges Thema"

Koalition will die Neuregelung des Zahnersatzes rückgängig machen

Der Streit über Teile der Gesundheitsreform droht zu einer neuen Hängepartie zu werden. Denn die auf Vorschlag der Union nach langen Diskussionen ausgehandelte und Ende vergangenen Jahres gemeinsam mit der Koalition beschlossene Neuregelung der Zahnersatzversicherung soll nun gekippt werden. Dies hat Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) in der Haushaltsdebatte am 7. September im Bundestag angekündigt. Gleichzeitig brachten die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen einen neuen Gesetzentwurf (15/3681) ein, der die zum 1. Januar 2005 vorgesehene gesonderte Finanzierung des Zahn-ersatzes in der gesetzlichen Krankenversicherung rückgängig machen soll. Auch die Wahlmöglichkeit zur privaten Krankenversicherung beim Zahnersatz soll damit aufgehoben werden.

Anstatt der bisher vorgesehenen einkommensunabhängigen Pauschale zur Absicherung des Zahnersatzes schlägt die Koalition nun vor, einen an das Einkommen gekoppelten Zusatzbeitrag von 0,4 Prozent des Verdienstes bis zur Bemessungsgrenze zu erheben. Der hälftige Arbeitgeberanteil soll wegfallen. In Kraft treten soll diese Regelung am 1. Juli kommenden Jahres. Gleichzeitig soll eine zum 1. Januar 2006 vorgesehene Beitragserhöhung für das Krankengeld von 0,5 Prozent vorgezogen werden und ein halbes Jahr früher gelten.

Die CDU/CSU lehnte die Pläne der Bundesregierung und den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen im Plenum ab und will sich nun für die Vorstellung ihrer eigenen Position bis Ende Oktober Zeit lassen. Sie kündigte an, den Entwurf auch im Bundesrat abzulehnen und erst im Vermittlungsausschuss zu verhandeln. Trotzdem werde die Union "konstruktiv versuchen, eine Lösung zu finden", so die CDU-Vorsitzende Angela Merkel.

In der Bundestagsdebatte begründete die Gesundheitsministerin ihren Rückzieher bei der Umsetzung der geplanten Regelung mit erheblichen Umsetzungsproblemen. Man müsse bei diesem "leidigen Thema" den Mut zur Korrektur haben. Die Entscheidung, den Zahnersatz aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung herauszunehmen und ihn durch einen einheitlichen Pauschalbetrag zu finanzieren, sei - so Schmidt weiter - sozial ungerecht, bürokratisch und, bezogen auf das Solidarprinzip, systemfremd. Ihr Vorschlag sei die beste und praktikabelste Lösung, sagte die Ministerin und appellierte an die Union: "Lassen Sie uns daher gemeinsam einen anderen Weg finden! Lassen wir alles beim Alten, was den Zahnersatz angeht!"

"An Scheinheiligkeit kaum zu übertreffen" - so quittierte der CDU-Sozialexperte Andreas Storm die Argumentation Schmidts. Ihre Volte bei der Neuregelung des Zahnersatzes sei der "unrühmliche Höhepunkt rot-grüner Unberechenbarkeit". Die Entscheidung sei vor einem Jahr mit 90 Prozent der Stimmen im Bundestag beschlossen worden, obwohl der Kompromiss keiner Seite leicht gefallen sei. Die Union stehe zu den gemeinsamen Beschlüssen, gleichwohl sei sie für alternative Vorschläge offen. Allerdings müsse eine neue Lösung besser sein als die vor einem Jahr vereinbarte und auch besser als die jetzt von der Regierung vorgeschlagene. Der gesundheitspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Wolfgang Zöller, warf Schmidt vor, sie habe die Umsetzung des Kompromisses hintertrieben. Es sei unredlich, mit einem Konsens so umzugehen.

Als ein "bürokratisches Monstrum" und "nicht umsetzbar" bezeichnete hingegen Birgitt Bender von Bündnis 90/Die Grünen die gemeinsame Lösung und warf gleichzeitig der Union ein "Kasperletheater" vor. Sie solle lieber einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen.

Zustimmung fand die Neupositionierung der Koalition bei der PDS, die sich ohnehin immer gegen die einkommensunabhängige Pauschale ausgesprochen hatte. Die "Kopfpauschale auf Zahnersatz" sei bei den Bürgerinnen und Bürgern im Augenblick nicht durchsetzbar.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.