Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 43 / 18.10.2004
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Thomas Biskup

Adel als Exportschlager

Im Angebot: Deutsche Dynastien auf dem europäischen Binnenmarkt

Die Briten haben ihre Windsors, die Niederlande das Haus Oranien, und auch in den ehemaligen Monarchien Frankreich und Russland gibt es mit den Bourbonen und den Romanows eindeutige dynastische Referenzpunkte. In Deutschland ist die Situation weniger übersichtlich, denn jahrhundertelang bedingten hier einander föderale politische Struktur und dynastische Vielfalt.

Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, bis 1806 das völkerrechtliche Gehäuse der Deutschen, war kein "Staat" im modernen Sinne und schon gar keine Erbmonarchie, sondern eine "Rechts- und Friedensordnung", deren Oberhaupt als Römischer (!) Kaiser nur beschränkte Machtbefugnisse besaß. Auch wenn seit dem 15. Jahrhundert nahezu alle Kaiser aus dem Hause Habsburg kamen, so blieb das Alte Reich eine Wahlmonarchie, und die Habsburger mussten sich immer wieder gegen Rivalen aus anderen Dynastien durchsetzen. Immerhin stand ihnen nach 1815 das Präsidium des Deutschen Bundes zu, der als loser Staatenbund eine Art säkularisierter light-Version des untergegangenen Reiches darstellte.

Mit der Niederlage gegen Preußen im deutsch-deutschen Krieg von 1866 jedoch schieden die Habsburger - die gleichsam die Dynastie des Alten Reiches schlechthin gewesen waren - bereits Jahrzehnte vor dem Ende der Monarchie in Deutschland aus der "kleindeutschen" Politik aus und wurden auf ihre österreichisch-ungarischen Länder beschränkt. Seit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 trugen nun zwar die Hohenzollernkönige Preußens den Titel "Deutscher Kaiser", aber dies nur in ihrer Eigenschaft als Präsidenten des "ewigen Bundes" von deutschen Fürsten und freien Städten, der die Grundlage der Reichsverfassung bildete. Im Gegensatz zu den britischen oder französischen Souveränen war also der Deutsche Kaiser nicht Monarch des Reiches. Träger der Staatsgewalt waren vielmehr die 26 Bundesstaaten, deren Verfassungsspektrum von parlamentarisch kontrollierter konstitutioneller Monarchie bis hin zu ständischem Autoritarismus reichte.

Damit gab es im Deutschen Reich bis zur Revolution von 1918 neben den Hohenzollern etwa ein Dutzend regierender Häuser, die meist schon seit dem Mittelalter und häufig durch Erbteilungen in mehrere Linien geteilt über ihre Territorien herrschten. Die Länder der bayerischen und pfälzischen Wittelsbacher, der Welfen sowie der Häuser Württemberg, Hessen, Baden, Oldenburg, Anhalt und Waldeck wurden dabei bis Ende des 19. Jahrhunderts durch Aussterben von Nebenlinien, Erbverträge oder Annexionen unter jeweils einer Linie vereinigt, und die fürstlichen Häuser Lippe, Schwarzburg und Reuß führten die Zahl ihrer Linien immerhin auf zwei zurück. Allein das in die Albertinische und die thüringische Ernestinische Linie aufgespaltene Haus Wettin verteilte sich weiterhin auf fünf Staaten, von denen das Königreich Sachsen freilich der mit Abstand größte war. Diese monarchische Tradition des deutschen Föderalismus wird auch heute noch in der Pluralität der "ehemals regierenden Häuser" deutlich.

Die Zahl der regierenden Häuser war jedoch bereits während des 19. Jahrhunderts reduziert worden: Zunächst verloren mit den "Mediatisierungen" am Ende des Heiligen Römischen Reiches 1803/1806 Hunderte von geistlichen und weltlichen Herrschern die Landeshoheit, die sie als reichsunmittelbare Fürsten innegehabt hatten, und wurden Untertanen und Angehörige eines anderen Staates. Sechs Jahrzehnte nach dem Untergang des Alten Reiches vergrößerte Bismarcks Expansionspolitik die Zahl der "Ehemaligen" weiter: Preußen annektierte im Zuge des deutsch-deutschen Krieges das Königreich Hannover, Hessen-Nassau und die Herzogtümer Schleswig und Holstein. Besonders in Hannover wurde die abgesetzte Welfendynastie in der Folge zu einem Kristallisationspunkt der anti-preußischen Opposition, die mit der "Welfenpartei" bedeutende Wahlerfolge erzielen konnte.

Dennoch waren viele Dynastien die längste Zeit über weder an "Deutschland" noch auch nur an "ihre" Länder gebunden. Die Kategorie des Nationalen, mit der das Bürgertum seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert seine Ansprüche auf politische Partizipation verband, war für die jenseits sprachlicher und kultureller Grenzen agierenden Dynastien nicht ungefährlich. Viele deutsche Fürsten suchten dem deutschen Nationalismus durch die Förderung regionaler Identitätsbildungsprozesse entgegenzuwirken.

Weniger Identität als Kalkül

Zumeist waren die regionalen Bindungen eines Geschlechts lediglich Resultat politischer Konjunkturen und ökonomischer Konzentration. So hatten die Wittelsbacher, deren Haus seit dem "Märchenkönig" Ludwig II. zu einem Inbegriff bayerischer Identität geworden ist, bis Ende des 18. Jahrhunderts immer wieder Pläne geschmiedet, aus dem vergleichsweise armen Bayern auszubrechen und die Krone Spaniens oder das heutige Belgien zu erwerben. Konkrete Planungen zum Wegtausch Bayerns scheiterten zuletzt ausgerechnet am Widerstand Preußens. Erst im Gefolge der Revolution von 1848 entdeckte die Dynastie mit König Maximilian II. die Pflege bayerischen Brauchtums als Bollwerk gegen demokratische wie deutschnationale Umtriebe.

Auch die Hohenzollern verfolgten mit der Reichsgründung von 1871 keine "nationale" Politik. Vielmehr bedienten sie sich, die noch 1848 die vom Paulskirchenparlament angetragene Kaiserkrone abgelehnt hatten, nationaler Argumente, um in einer günstigen außenpolitischen Großwetterlage die Vorherrschaft über die anderen deutschen Staaten zu erringen sowie ihre Stellung im Kampf gegen neue innenpolitische Kräfte wie den Sozialismus zu befestigen. Die erfolgreichsten Dynastien wurden dabei professionell als geographisch wie konfessionell diversifizierte Familienbetriebe geführt. Das Haus Sachsen-Coburg-Gotha etwa schaffte von seiner schmalen thüringischen Basis aus innerhalb weniger Jahrzehnte den Aufstieg in die europäische Spitzenliga, indem es seine exzellenten dynastischen Verbindungen und seine machtpolitische Harmlosigkeit zu einem für Heirats- oder Thronkandidaten suchende "head hunters" attraktiven Paket schnürte: So gelangte dieser Zweig der Wettiner auf die Throne Belgiens, Portugals, Bulgariens und schließlich Großbritanniens, wo es mit den hannoverschen Welfen eine andere deutschstämmige Dynastie ablöste. Die nationale Massenmobilisierung während des Ersten Weltkrieges machte die deutsche Herkunft allerdings plötzlich zum Problem, und das Haus suchte durch Annahme des urbritisch klingenden Markennamens "House of Windsor" den Verdacht allzu enger Verbindungen zum Gegner abzuweisen.

Der Exportschlager deutscher Hochadel ist in den letzten Jahrzehnten jedoch in die Krise geraten. Wie die königlichen Hochzeiten in den Niederlanden, Dänemark und Spanien in jüngster Zeit zeigen, wählen die Mitglieder der verbliebenen europäischen Königshäuser ihre Partner heute verstärkt entlang anderer Kriterien aus. Fragen nach standesgemäßer Verbindung spielen eine geringere Rolle denn je. Ob es sich dabei um eine vorübergehende Schwäche handelt oder um einen endgültigen "crash" des bereits seit längerem schrumpfenden dynastischen Heiratsmarktes, lässt sich noch nicht sagen. Jedenfalls hat mit der aus Argentinien stammenden Máxima von Oranien und der Australierin Mary von Dänemark die Globalisierung Einzug in die Königshäuser Europas gehalten und das Kartell der europäischen Dynastien, von dem die deutschen Adelshäuser so lange profitiert haben, aufgebrochen.

Dr. Thomas Biskup arbeitet als Junior Research Fellow am Somerville College der Universität in Oxford.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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