Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 30 - 31 / 25.07.2005
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Cornelia Alban

Welt des Wissens

Die Google-Gesellschaft

Der Name der Suchmaschine Google leitet sich vom Wort Googol ab, einer Zahl mit 100 Nullen. Dies dimensioniert die Aufgabe des Suchriesens, die schier unglaubliche Menge an Informationen im Web und auf der "ganzen Welt zu bündeln und zugänglich zu machen", so das Google-Selbstverständnis. Das Zahlenwerk ist beeindruckend, auch wenn die 100 Nullen noch längst nicht erreicht sind. 36 Millionen Bundesbürger verfügen über einen Internetanschluss; 90 Prozent der Gymnasiasten und 74 Prozent aller Hauptschüler versorgen sich mit Informationen aus dem Internet. Der Anteil der Google-Sucher liegt bundesweit über 80 Prozent.

Seit Sergey Brin und Larry Page die Firma 1998 gründeten, wurden mehr als acht Milliarden Webseiten und 1,3 Milliarden Bilder katalogisiert. Der Aktienwert des Unternehmens hat sich seit dem Börsengang im vergangenen Jahr mehr als verdreifacht, 3.000 Googlianer zählt die Belegschaft. Ist die Erfolgsgeschichte rasant, scheint die Mission langfristig: "Nach derzeitigen Schätzungen wird es 300 Jahre dauern, alle Informationen der Welt zu organisieren", meint Google-Chef Eric Schmidt.

Und Google ist dabei. Mit dem qualitativen Wandel des digitalen Wissens beschäftigen sich die meisten der rund 50 Beiträge des Sammelbandes. Es wird hinterfragt, ob wir auf ein Wissensparadies hinsteuern oder uns eher in einer informationellen Sackgasse bewegen. Patchwork- oder Weltwissen, Monopolisierung des Wissens oder Informationsfreiheit, Anarchie oder Demokratie, Fiktion oder Fakten, Chaos oder Ordnung, - zwischen diesen Polen suchen die Autoren nach einer Antwort. Zwei Entwicklungslinien sind markant, "die Trennung von privat und öffentlich entfällt weitgehend", und es entsteht eine "Netzöffentlichkeit, in der die Grenze zwischen Rezipient und Produzent völlig aufgehoben wird".

Offenes Wissenslexikon

Als Modell für diese Veränderung gilt die Online-Enzyklopädie "Wikipedia.org". Es handelt sich um ein selbst organisiertes und für Mitarbeit offenes Wissenslexikon. Die deutschsprachige Wikipedia-Version verfügte Ende 2004 über 186.000 Artikel und 2.500 aktive Mitarbeiter. Der Unterschied zu traditionellen Lexika besteht im Fehlen einer Redaktion. Stattdessen entscheiden die Nutzer, welche Artikel sie schreiben oder einstellen wollen. "Dass diese neue kollektive Wissensarbeit nicht zu Lasten der Qualität gehen muss, zeigen die Analysen, die die Computerzeitschrift ,c?t' und die Wochenzeitung ,Die Zeit' Ende 2004 unabhängig voneinander vornahmen: Wikipedia-Artikel stehen denen von Brockhaus und Encarta qualitativ in nichts nach."

Ein weitere Chance, vom Nachfrager zum Anbieter zu werden, eröffnet die Plattform "Indymedia.org". Das Nachrichtenportal entstand 1999 im Rahmen der Proteste gegen das WTO-Treffen in Seattle. "Zum ersten Mal vernetzten sich politische Aktivisten, um über ein zentrales Ereignis zu berichten." Die deutschsprachige Seite wird täglich zwischen 10.000 und 15.000 Mal besucht. Medienkonsumenten sollen hier zu Medienproduzenten werden. Die Berichterstattung von unten ist basisdemokratisch organisiert, weist auf Lücken in der offiziellen Berichterstattung hin und bildet so ein Terrain für Gegenöffentlichkeit.

Neben einer Fülle von Informationen und Wissenswertem, etwa wie Google blitzschnell zu Treffern kommt, dem Rankingverfahren, zieht der Band einen Querschnitt durch fast alle Bereiche des Online-Lebens. Von Online-Forschung, Online-Beratung, Lern- und Lebenswelten im Internet, Chats und Weblogs, Herstellen von Gegenöffentlichkeit, dem Schwund von Wissen und Chancen der Archivierung, Kunst und Kommerz ist fast alles dabei, was auch unerfahrene Googler nicht überfordert.

Allerdings: "Je nach Mentalität wird der Neuling tage- und Wochenlang von einem Link zum anderen springen, diesem oder jenem Menschen über E-Mail begegnen und manches Neue in dieser Welt finden, in der alles im Unterschied zur wirklichen Welt erstaunlicherweise gleich weit entfernt ist."

Das ist die Stärke des Buches: statt 13.900 Treffern in 0,15 Sekunden - diese Quote erntet der Titel bei Google - setzt es auf Beschränkung. Es vermittelt zu bewältigendes Wissen, öffnet digitale Welten. Die Beiträge sind pointiert, gut recherchiert, die digitalen Verweise knapp gehalten. Und die Autoren bleiben auf der Suche mit und ohne Google.


Kai Lehmann, Michael Schetsche (Hrsg.)

Die Google-Gesellschaft.

Vom digitalen Wandel des Wissens.

transcript Verlag, Bielefeld 2005; 410 S., 26,80 Euro


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.