Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 42 / 17.10.2005
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Hans-Jochen Luhmann

Verschlusssache Ökologie

Umweltpolitik nach 1945 in Ost und West

Das Buch vereint Beiträge eines Symposiums, zu dem Franz Brüggemeier, Wirtschafts- und Sozialhistoriker an der Universität Freiburg, eingeladen hatte. Inhaltlich geht es um einzelne Vorgänge aus der Umweltpolitik in der Nachkriegszeit, auch und zuerst in (West-)Deutschland. Enthalten sind zudem Fallstudien, die auf die DDR sowie auf England, Frankreich, die Schweiz und auf die EU bezogen sind. Die Themen der Beiträge sind divers. Sie ergeben sich zumeist aus den laufenden Qualifizierungsarbeiten der in der Regel jungen Autoren.

Der Band erlaubt einen Einblick in die Arena, in der um das Selbstverständnis historischer "Umweltforschung" gekämpft wird. Kraftzentrum ist dabei die Einsicht, dass das Umweltproblem als ein Handlungsproblem "konstruiert" (und nicht einfach gegeben) ist, wenn es im politischen Raum auftritt, und dass diese Konstruktion auf die Bedürfnisse des politischen Raumes hin zugeschnitten sein muss, soll eine Aussicht auf Erfolg bestehen. Es muss also Freiheit geben gegenüber dem Anspruch der Naturwissenschaft auf ein Monopol in der Stilisierung eines Problems.

Die Schwierigkeit besteht darin, dass die (jungen) Fachhistoriker bei diesem fächerübergreifenden Thema unter sich bleiben. Sie sind aus Karrieregründen zur Anwendung der Einsichten des "Konstruktivismus", der Modeströmung ihrer Zunft, quasi genötigt, in aller Regel fehlt ihnen jedoch der Kontakt zu Naturwissenschaftlern. Ohne solide Naturwissenschaft im Rücken aber kann ihr Anspruch nicht genügend eingelöst werden.

Letztlich dämmert es auch der jungen Generation, dass mit zunehmender Einsicht in die Größenordnung des Umweltproblems und die Verschleppung angemessener Reaktionen gilt, was Kai F. Hünemörder, Umwelthistoriker in Göttingen, in die Worte fasst: "... der Raum für die Imagination von konkurrierenden plausiblen Zukunftsvorstellungen, in denen menschliche Gesellschaften als souverän planende und gestaltende Akteure auftreten" habe sich innerhalb der letzten drei Dekaden deutlich verengt.

Hervorzuheben ist der Beitrag von Hans-Peter Gensichen, langjähriger Leiter des Kirchlichen Forschungsheims Wittenberg. Diese Institution war eines der Zentren der kritischen Umweltbewegung in der DDR. Das Besondere an seinem Beitrag liegt darin, dass er völlig unerwartete Paralleleinsichten zwischen Ost und West zu eröffnen vermag.

Üblicherweise denken viele Westdeutsche, das Scheitern der DDR im Umgang mit ihren Umweltproblemen sei Folge des intransparenten Systems. In der Tat herrschte Geheimhaltung. Gensichen zitiert den Titel des geheimen Geheimhaltungsbeschlusses vom 16. 11. 1982 mit seinem fast absurd klingenden Wortlaut: "Beschluss … zum Schutz von Informationen über den Zustand der natürlichen Umwelt der DDR."

Allerdings ist eine solche Politik zum Schutz von Umweltinformationen nicht spezifisch für den Sozialismus. In der Gesellschaft des Westens unterliegen die meisten Umweltinformationen schon deswegen der Geheimhaltung, weil sie anlagenspezifisch und deshalb Teil des privaten Eigentums sind.

Kaum bekannt ist zudem, dass die Geheimhaltungspolitik in der DDR bereits das Ende eines umweltpolitischen "Frühstarts" bezeichnete. Der zeigte sich darin, dass es seit Frühjahr 1970 ein Umweltgesetzbuch gab und bald darauf ein Umweltministerium. Seit 1973 bereits wurden Umweltprogramme erarbeitet. Doch ab 1975 folgte der "frühen Blüte ein rascher Herbst". Hintergrund dieses abrupten Endes war die Ölkrise von 1973. Seitdem verlangte die Sowjetunion von den "Bruderländern" Verrechnungspreise für ihr Öl, die an das westliche Niveau gekoppelt waren. Für die DDR wurde das zum Problem: Bald war klar, dass sie die Energieimporte zu kürzen und den heimischen Braunkohlebergbau massiv auszubauen hatte.

Das frühe Ende der DDR-Umweltpolitik ist somit nicht Ausdruck eines systembedingten, also unfreiwilligen Scheiterns, sie ist vielmehr Ausdruck eines bewussten Zur-Seite-Schiebens des Problems. Die Geheimhaltung war rational, denn der zu schulternde Vermögensschaden war zu hoch, als dass man ihn offen in die "Bilanz" einstellen konnte.


Hans-Jochen Luhmann Franz-Josef Brüggemeier, Jens Ivo Engels (Hrsg.)

Natur- und Umweltschutz nach 1945. Konzepte, Konflikte, Kompetenzen.

Campus Verlag, Frankfurt/M 2005; 379 S., 34,90 Euro


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