45. Sitzung
Berlin, Dienstag, den 5. September 2006
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben.
Seit unserer letzten Plenarsitzung vor der Sommerpause hat uns die Nachricht vom Tod einiger früherer Kollegen erreicht, von denen ich drei langjährige Parlamentarier mit einigen Hinweisen würdigen möchte.
Am 26. August dieses Jahres verstarb nach schwerer Krankheit Bundestagspräsident a. D. Dr. Rainer Barzel im Alter von 82 Jahren. Heute Mittag wird er in Bonn zu Grabe getragen.
Rainer Barzel hat die Politik in der Bundesrepublik Deutschland in herausragenden Positionen über mehrere Jahrzehnte entscheidend mitgestaltet. Er war Bundestagspräsident, Bundesminister sowie Partei- und Fraktionsvorsitzender. Rainer Barzel gehörte zu jener Aufbaugeneration von Politikern, die mit ihrem politischen Engagement unser Land und seine Demokratie nachhaltig geprägt haben.
Rainer Barzel wurde am 20. Juni 1924 im ostpreußischen Braunsberg als fünftes von sieben Kindern geboren. Nach dem Abitur nahm er als Fliegerleutnant am Zweiten Weltkrieg teil. 1949 promovierte er nach dem Studium der Rechtswissenschaften und der Volkswirtschaft an der Uni Köln zum Doktor der Rechtswissenschaften. Seine ersten beruflichen Stationen absolvierte er in der Verwaltung des noch jungen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, unter anderem als Vertreter des Ministers für Bundesangelegenheiten.
In seinem politischen Grundverständnis stark von der katholischen Soziallehre beeinflusst, schloss sich Barzel im Jahre 1954 der CDU an. Schon 1956 wurde er geschäftsführendes Mitglied des CDU-Landespräsidiums in Nordrhein-Westfalen, 1960 Mitglied im CDU-Bundesvorstand und 1966 erster stellvertretender CDU-Vorsitzender. Von 1971 bis 1973 war Rainer Barzel Bundesvorsitzender der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands. Bei den Bundestagswahlen im November 1972 trat er als Kanzlerkandidat der Unionsparteien an.
Seine parlamentarische Tätigkeit begann Rainer Barzel im Jahr 1957 mit seinem Einzug in den Deutschen Bundestag als Direktkandidat für den Wahlkreis Paderborn-Wiedenbrück. Barzel gehörte unserem Haus ohne Unterbrechung 30 Jahre lang, bis zum Jahre 1987, an. Von 1964 bis 1973 bekleidete er den Fraktionsvorsitz von CDU/CSU.
Von Januar 1977 bis Februar 1979 war er Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses, von Dezember 1980 bis Oktober 1982 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages.
Am 29. März 1983 wurde Rainer Barzel zum Präsidenten des 10. Deutschen Bundestages gewählt. Dieses Amt hatte er bis zum 25. Oktober 1984 inne. In seiner Amtszeit war ihm die Fortentwicklung der Parlamentsarbeit im Rahmen einer Parlamentsreform ein besonderes Anliegen. Auf Anregung von Rainer Barzel fand am 20. September 1983 zum ersten Mal seit 1949 im Plenum eine Debatte über das Selbstverständnis des Deutschen Bundestages statt. Er selber hat sich als Bundestagspräsident in dieser Selbstverständnisdebatte mit kritischen und selbstkritischen Bemerkungen zu Wort gemeldet.
Von Dezember 1962 bis Oktober 1963 war Rainer Barzel in der letzten Regierung von Konrad Adenauer Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen.
Das Offenhalten der deutschen Frage und die Wiedererlangung der staatlichen Einheit in Frieden und Freiheit waren für ihn immer ein Ziel, das es in stetigen Schritten zu verwirklichen galt.
Von Oktober 1982 bis März 1983 war Rainer Barzel im ersten Kabinett von Bundeskanzler Helmut Kohl Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen. Im Jahr 1980 sowie von 1986 bis 1990 war der Verstorbene Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-französische Zusammenarbeit.
Rainer Barzel hat die Entwicklung der Bundesrepublik an vorderster Stelle entscheidend mitgestaltet. Er genoss über alle Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg großes Ansehen.
Der Herr Bundespräsident hat zu seinen Ehren einen Staatsakt angeordnet, der am 22. September im Plenarsaal des Bundestages stattfinden und Gelegenheit zu einer ausführlichen Würdigung geben wird.
Der Deutsche Bundestag trauert um sein ehemaliges Mitglied Holger Börner, der am 2. August 2006 in seiner Heimatstadt Kassel im Alter von 75 Jahren verstarb.
Holger Börner wirkte als Bundesratspräsident, Ministerpräsident, Parlamentarischer Staatssekretär, Bundesgeschäftsführer, Ausschussvorsitzender und Mitglied des Bundestages über mehrere Jahrzehnte für das Wohl der Bundesrepublik Deutschland.
Holger Börner wurde am 7. Februar 1931 in Kassel-Wolfsanger als erstes von insgesamt drei Geschwistern einer traditionsbewussten Arbeiterfamilie geboren, die sowohl im Kaiserreich als auch unter den Nationalsozialisten politisch verfolgt wurde. Sein Vater wie seine Mutter waren für die SPD aktiv.
Nach dem Besuch der Mittelschule schloss Holger Börner 1950 seine Lehre zum Betonfacharbeiter erfolgreich ab; anschließend wurde er Hilfspolier, später Betriebsratvorsitzender in einem Kasseler Bauunternehmen. Seinen eigentlichen Berufswunsch, Journalist zu werden, musste er fallen lassen, weil er in den ersten Nachkriegsjahren zum Lebensunterhalt seiner Familie beitragen musste; sein Vater war im Krieg gefallen.
Das politische Engagement Holger Börners begann im Jahr 1946, als er in die Vorläufergeneration der Falken eintrat. Mit 17 Jahren trat Holger Börner der SPD bei. 1956 wurde er zum zweiten Vorsitzenden der SPD Kassel gewählt. Fünf Jahre danach folgte der Sprung Börners auf die bundespolitische Ebene, als er von 1961 bis 1963 als Bundesvorsitzender der Jungsozialisten amtierte. Von 1972 bis 1976 bekleidete Holger Börner das Amt des SPD-Bundesgeschäftsführers. Vorstand und Präsidium der Bundes-SPD gehörte er von 1970 bis 1988 an; zudem war er von 1977 an zehn Jahre lang Landesvorsitzender der hessischen SPD.
Seine parlamentarische Tätigkeit begann Holger Börner im Jahr 1956 auf kommunaler Ebene, als er in die Stadtverordnetenversammlung von Kassel gewählt wurde. Ihr gehörte er bis zum Jahr 1972 an, davon viele Jahre als Fraktionsvorsitzender.
Bei den Bundestagswahlen zog Holger Börner erstmals als direkt gewählter Abgeordneter für den Wahlkreis Kassel in den Deutschen Bundestag ein, dem er ohne Unterbrechung bis zum Jahr 1976 angehörte. Im Hohen Haus war Holger Börner zunächst Mitglied des Petitionsausschusses und des Ausschusses für Sozialpolitik. Später war er Vorsitzender des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages. Von April 1967 bis Februar 1972 gehörte Holger Börner der Bundesregierung als Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr bzw. für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen an.
Holger Börner schied 1976 aus dem Deutschen Bundestag aus, um als Nachfolger von Albert Oswald hessischer Ministerpräsident zu werden. Dieses Amt, das er nach seinen eigenen Worten als die Krönung seines Lebens ansah, hatte er bis zum Jahr 1987 inne.
In der zweiten Hälfte seiner Regierungszeit kam es unter seiner Führung zur ersten Regierungsbeteiligung der Partei Die Grünen auf Länderebene mit der unvergesslichen Vereidigung des ersten turnschuhbewehrten grünen Ministers auf dem damals langen Marsch aus der außerparlamentarischen Opposition in Regierungsämter.
Von 1986 bis 1987 war Holger Börner Präsident des Bundesrates. Nach seinem Rückzug aus der aktiven Politik engagierte sich Holger Börner noch über 16 Jahre als Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung, deren Ehrenvorsitzender er im Jahr 2003 wurde.
Aus einfachen sozialen Verhältnissen stammend, hat er seine eigenen Wurzeln nie vergessen. Sie prägten sein Engagement. Er setzte sich zeitlebens insbesondere für den Auf- und Ausbau des Sozialstaates und für gleiche Bildungschancen für alle Kinder in unserer Gesellschaft ein. Durch sein Handeln hat er sich für Deutschland große Verdienste erworben.
Wir gedenken heute auch unseres ehemaligen Kollegen Dr. Herbert Hupka, der am 24. August dieses Jahres, kurz nach seinem 91. Geburtstag, verstorben ist.
Während des Ersten Weltkrieges, am 15. August 1915, als Sohn eines Physikprofessors in einem britischen Internierungslager auf Ceylon geboren, wurde der weitere Lebensweg dieses streitbaren Journalisten und Politikers maßgeblich von den leidvollen Erfahrungen des Krieges und der sich daran anschließenden Vertreibung von Deutschen aus deutschen Ostgebieten sowie von der deutschen Teilung geprägt.
Nach dem Ersten Weltkrieg wuchs er im oberschlesischen Ratibor auf. Nach Abitur, Studium und Promotion wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Wegen seiner jüdischen Abstammung 1943 zu einem Jahr Wehrmachtsgefängnis verurteilt, wurde Herbert Hupka 1944 aus der Wehrmacht entlassen und kriegsdienstverpflichtet.
Seine Mutter überlebte als rassisch Verfolgte bis zur Befreiung durch die Rote Armee im Jahr 1945 eine 18-monatige Internierung im Konzentrationslager Theresienstadt.
Nach der im Oktober 1945 erfolgten Vertreibung aus Schlesien ging Herbert Hupka zunächst nach München, wo er als Redakteur beim Bayerischen Rundfunk tätig war. Von 1957 bis 1958 wirkte er als Programmdirektor bei Radio Bremen. Von 1958 bis 1964 war er Pressereferent des Kuratoriums ?Unteilbares Deutschland“ in Bonn. Danach arbeitete er als freier Journalist und Autor.
Das alles überragende Leitmotiv Herbert Hupkas war, die Erinnerung an Flucht und Vertreibung am Ende des Zweiten Weltkrieges wachzuhalten und den Heimatvertriebenen gesellschaftliche und politische Anerkennung zu verschaffen.
Um diese Ziele zu erreichen, gründete er 1948 zusammen mit anderen Schicksalsgenossen die Landsmannschaft Schlesien, der er lange Jahre in verschiedenen Funktionen, seit 1968 als Bundesvorsitzender, diente. Später übernahm er auch die Vizepräsidentschaft des Bundes der Vertriebenen.
Auch Hupkas parlamentarische Tätigkeit war ganz von diesen seinen Erfahrungen als Vertriebener geprägt. Unermüdlich beharrte er darauf, dass sich die deutsche Politik mit Teilung, Vertreibung und Gebietsabtretung nicht abfinden dürfe und die deutsche Frage offenzuhalten sei.
Aus dieser Haltung heraus lehnte Hupka, der seit 1955 der SPD angehörte und 1969 in den Deutschen Bundestag einzog, die von der sozialliberalen Koalition abgeschlossenen Ostverträge strikt ab. Sein Wechsel zur CDU im Februar 1972 trug maßgeblich zur Gefährdung der parlamentarischen Mehrheit der Regierung Brandt/Scheel bei und war einer der Auslöser für das von der CDU/CSU-Fraktion im April desselben Jahres eingebrachte, schließlich erfolglose Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Willy Brandt, mit dem Rainer Barzels Kandidatur scheiterte.
In seiner bis 1986 währenden Abgeordnetenzeit war Herbert Hupka engagiertes Mitglied vor allem des Auswärtigen Ausschusses und des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen. Herbert Hupka hat mit seiner Arbeit wesentlich dazu beigetragen, das leidvolle Schicksal der Heimatvertriebenen im kollektiven Bewusstsein der Deutschen zu verankern.
Er war vielen, auch mir gelegentlich, lästig - Leuten, die diese schmerzliche Erfahrung in ihrer Biografie nicht machen mussten. Auch für Herbert Hupka gilt, dass seine Herkunft und seine Lebensgeschichte sein berufliches und politisches Wirken geprägt haben. Sein Engagement verdient Respekt, auch wenn es oft umstritten und Gegenstand heftiger politischer Auseinandersetzungen war. Aber er war ein aufrechter Demokrat.
Wir gedenken der verstorbenen Parlamentarier in Dankbarkeit und Anerkennung. Ihren Familien spreche ich im Namen des ganzen Hauses unsere Anteilnahme aus.
Sie haben sich zu Ehren der Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben; ich danke Ihnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, während der parlamentarischen Sommerpause gab es auch eine Reihe von runden Geburtstagen von Kolleginnen und Kollegen im Hause: Ihren 65. Geburtstag feierten die Kolleginnen und Kollegen Hans Raidel, Renate Blank, Uta Zapf und Dr. Lothar Bisky, ihren 60. Geburtstag feierten die Kollegen Hans-Michael Goldmann, Gerhard Wächter und Franz Obermeier. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich nachträglich auch auf diesem Wege noch einmal herzlich und wünsche alles Gute!
Schließlich begrüße ich als Nachfolger für den ausgeschiedenen Kollegen Joseph Fischer herzlich den Kollegen Omid Nouripour, der am 1. September die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben hat.
Alles Gute und gute Zusammenarbeit!
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2007
(Haushaltsgesetz 2007)
- Drucksache 16/2300 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2006 bis 2010
- Drucksache 16/2301 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die heutige Aussprache im Anschluss an die einstündige Einbringung des Haushaltes siebeneinhalb Stunden, für Mittwoch neun Stunden, für Donnerstag elf und für Freitag vier Stunden vorgesehen. Darf ich dazu Ihr Einvernehmen feststellen? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich erteile das Wort zur Einbringung des Haushaltes dem Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück.
Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen:
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor gut einem halben Jahr habe ich Ihnen mit dem Bundeshaushalt 2006 den ersten Haushalt der großen Koalition vorgestellt. Damals herrschte ein offener und öffentlicher Konkurrenzkampf zwischen notorischen Pessimisten und auch den unterschiedlichsten Experten darüber, wer am schwächsten sei: die deutsche Fußballnationalmannschaft oder die deutsche Wirtschaft.
Meine persönliche Schätzung lautet: So ähnlich, wie rund drei Viertel aller Journalisten damals, Wochen, ja Monate bevor Deutschland bei der Fußballweltmeisterschaft den dritten Platz erreichen sollte, unser Team ziemlich heruntergeschrieben haben, haben das viele auch mit den Aussichten der deutschen Konjunktur und den Aussichten der deutschen Wirtschaft getan. Es gibt viele Experten, für die die Konjunktur schon wieder zu Ende war, bevor sie eigentlich begonnen hatte.
Es ist anders gekommen, und darüber freue ich mich.
Die deutsche Wirtschaft wächst so stark wie seit fünf Jahren nicht mehr. Gleichzeitig hat der konjunkturelle Aufschwung an Breite und vor allen Dingen auch an Robustheit gewonnen. Während die Wachstumsimpulse der letzten Jahre bis zum Frühjahr vor allem aus dem Ausland kamen, erleben wir jetzt einen, wie wir glauben, eher klassischen Konjunkturaufschwung, bei dem sich die positiven außenwirtschaftlichen Impulse endlich auch durch eine gute Entwicklung der Baukonjunktur, durch eine gute Entwicklung der Ausrüstungsinvestitionen und durch ein langsames - langsames! - Anziehen auch der Binnenkonjunktur, der Binnennachfrage ergänzen.
In diesen Wochen bewahrheitet sich deshalb wieder einmal ein sehr kluger Satz von Winston Spencer Churchill, nämlich dass ein Experte ein Mann ist, der hinterher genau sagen kann, warum seine Prognose nicht gestimmt hat.
Ich will genauso deutlich sagen, dass umgekehrt kein Anlass für Euphorie, Entwarnungen und geradezu verklärte Augen aufgrund von Begehrlichkeiten besteht. Das Wachstum des Bruttosozialprodukts wird in diesem Jahr wahrscheinlich eine Zwei vor dem Komma haben. Dass wir über die Klippe des 1. Januar 2007 hinwegkommen müssen und dass wir noch nicht genau wissen, wie nachhaltig dieses Wachstum ist, steht aber ebenso auf dem Blatt.
Der Arbeitsmarkt hat sich erfreulich entwickelt. Wir wissen aber, dass wir in Bezug auf die großen Problemgruppen in diesem Arbeitsmarkt - Langzeitarbeitslose, jugendliche Arbeitslose, ältere Arbeitslose - nach wie vor erhebliche Schwierigkeiten haben.
Auch bei den Steuereinnahmen ist Nüchternheit angesagt. Lassen Sie sich - das gilt auch für die Öffentlichkeit - nicht davon verwirren, dass von 16 bis 18 Milliarden Euro Mehreinnahmen gesprochen wird. Man muss bedenken, dass mindestens 14 bis 15 Milliarden Euro davon bereits Gegenstand der Finanzplanungen des Bundes, der Länder und der Kommunen sind. Um Ihnen keine Antwort schuldig zu bleiben: Ich vermute, dass der Bund am Ende dieses Jahres gegenüber unseren bisherigen Veranschlagungen 3 bis 3,5 Milliarden Euro mehr haben wird. Mein Vorschlag wird sein, dass der Löwenanteil davon in die Absenkung der Nettokreditaufnahme gesteckt und nicht an anderer Stelle ausgegeben wird.
Wir haben es in der Bundesrepublik Deutschland - ich sage das auch vor dem Hintergrund der erfreulichen Entwicklung bei den Steuereinnahmen - nach wie vor mit Schulden in Höhe von 1 500 Milliarden Euro zu tun. Unbenommen der vielleicht möglichen Absenkung der Nettokreditaufnahme werden wir in diesem Jahr - zumindest im Soll - immer noch von 38 Milliarden Euro neuen Schulden reden. Im Vergleich dazu investieren wir nur 22 Milliarden Euro. Das alles sind Hinweise dafür, dass man nicht plötzlich in eine Euphorie verfallen und sich durch eine erfreuliche Entwicklung, welche durch die Zahlen deutlich wird, die öffentlich gehandelt werden, nicht plötzlich den Blick verstellen lassen soll.
Ich sage deshalb: Faszinierend und erschreckend zugleich ist die oft unausgewogene und gelegentlich auch schrille Tonlage, die bei uns in Deutschland in Bruchteilen von Sekunden einsetzt, wenn wir über die Gegenwart und auch über die Zukunft Deutschlands sprechen. Da geht es sehr schnell ins Extreme.
Einerseits wird uns bei jeder Eintrübung zum Beispiel des Geschäftsklimaindex im Promillebereich suggeriert, dass die ökonomische Apokalypse kurz vor der Haustür steht. Wöchentliche Wasserstandsmeldungen führen bei uns zu Atemlosigkeit. Nicht minder atemberaubend ist andererseits die Geschwindigkeit, mit der bis vor kurzem gültige Standpunkte und auch Erkenntnisse aufgegeben werden. Beliebigkeit statt Festigkeit beim Standpunkt ist für die Haushalts- und Finanzpolitik aber tödlich und sie führt dazu, dass die Signale, die wir geben wollen, die Empfänger nicht erreichen oder für sie verwirrend sind.
War nicht noch bis vor kurzem mit Blick auf den ungeheuren Schuldenberg, den wir haben, die Rede von der Generationengerechtigkeit? War nicht die Rede davon, dass die heute Jungen eines Tages den Kapitaldienst zu übernehmen haben? Sprachen wir nicht über die Zinsen in Höhe von 40 Milliarden Euro, die diesen Haushalt nach wie vor mit verkarsten? Sind wir nicht nach wie vor in einer Phase, in der es nur darum geht, das Tempo der Neuverschuldung zu reduzieren? Sind wir nicht weit entfernt von einer Entschuldung? Haben wir es nicht nach wie vor mit dem Problem zu tun, dass auf der Ausgabenseite zu viel konsumtiv und zu wenig investiv in Richtung der Zukunftsbereiche ist? Hat uns die Bundesbank nicht gerade in einer zutreffenden Analyse bestätigt, dass wir auf der Einnahmeseite ein strukturelles Defizit haben? Ist das alles vergessen? Sind dies deshalb Hoch-Zeiten für Karikaturisten, bei deren Karikaturen der Bundesfinanzminister als Einsammler von Sterntalern dargestellt wird, bei denen er unter dem Regenbogen Töpfe mit Gold findet oder bei denen er der taktisch aufgestellte Miesepeter ist, der sich und andere arm rechnet, um Begehrlichkeiten abzuwehren oder um an der Mehrwertsteuererhöhung festzuhalten?
Meine Damen und Herren, ich glaube, dieses politische Karussell sich drehender Bestandsaufnahmen und sich verändernder Signale ist der Grund dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger Vertrauen verlieren und sogar misstrauisch werden. Mehr als das werden sie vielleicht auch ihr Vertrauen in die Zukunft verlieren. Wenn Politik verlässlich und damit glaubwürdig sein will, dann darf sie sich nicht von jeder ungünstigen Prognose, von jeder momentanen Aufhellung der Stimmungslage, von populistischen Einwürfen und von Kampagnen irritieren lassen.
Die Politik darf sich ihre Themen übrigens auch nicht von medialer Seite mit entfachten Empörungswellen vorschreiben lassen. Gerade die Haushalts- und Finanzpolitik muss stetig und verlässlich sein. Sie darf die Lage oder die Verhältnisse nicht verzeichnen. Sie darf sie also weder rosarot noch tiefschwarz malen. Die Finanzpolitik muss von realistischen, eher vorsichtigen Annahmen ausgehen, wie wir das im Koalitionsvertrag festgelegt und als große Koalition bisher getan haben.
Ich will sagen: Diese Bundesregierung hat den Anspruch, eine verlässliche, nachvollziehbare und berechenbare Haushalts- und Finanzpolitik zu betreiben, eingelöst. Sie hat lupenrein das umgesetzt, was sie im Koalitionsvertrag verabredet und angekündigt hat: von einem Haushaltsbegleitgesetz 2006 über sieben bis acht Steuergesetze bis hin zu diesem Entwurf des Bundeshaushalts 2007. Sie wird diesen Kurs bei den noch offenen Vorhaben genauso verlässlich und berechenbar fortsetzen.
Wir sagen den Menschen, wohin die Reise geht. Wir sagen ihnen allerdings auch, dass wir ihnen Schmerzhaftes zumuten. Ja, es gibt Zumutungen. Wir versuchen, ihnen zu erklären - vielleicht nicht immer erfolgreich -, warum es nicht anders geht, um Zukunft zu gewinnen.
Diese Bundesregierung knickt nicht ein. Es mag viele Menschen geben, die mit uns nicht in allen Punkten übereinstimmen und die Teile unserer Politik für falsch halten. Aber diese Menschen sollen sagen können: Wir wissen ziemlich genau, woran wir mit dieser Bundesregierung sind; diese Bundesregierung lässt uns über ihr Handeln nicht im Unklaren.
Ich sage Ihnen: Viele Menschen stimmen sogar dort zu, wo es um Zumutungen geht, weil sie wissen, dass es uns ohne Anstrengungen und ohne Veränderungen nicht besser gehen wird, und weil sie wissen, dass die Addition von individuellen und auch Gruppeninteressen nicht mit dem Allgemeininteresse dieser Republik gleichzusetzen ist.
Die gegenwärtige robuste wirtschaftliche Erholung zeigt uns einen weiteren Punkt: Unsere soziale Marktwirtschaft - man kann auch sagen: das deutsche und das kontinentaleuropäische Wirtschafts- und Sozialmodell - gehört mitnichten auf den Scheiterhaufen der Geschichte. Diese soziale Marktwirtschaft vermag dynamisch zweierlei zu leisten, nämlich auf der einen Seite wirtschaftlich-technologischen Wandel zu bewältigen - wenn Sie so wollen: auf der Höhe der Zeit zu sein und die dafür notwendigen Veränderungen vorzunehmen - und dabei auf der anderen Seite den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Blick zu behalten, Fliehkräften entgegenzuwirken, Chancengerechtigkeit herzustellen, all das, was marktradikale Lösungen nicht zu leisten vermögen.
Mir ist sehr bewusst, dass das Wort ?Aufschwung“ mit äußerster Vorsicht zu gebrauchen ist. Gäbe es eine entsprechende Statistik, würde die sehr hohe Inflationsrate des Wortes ?Aufschwung“ deutlich. Aber es gibt eine sehr gute Entwicklung, nicht nur an den Börsen und in den Bilanzen, sondern endlich auch auf dem Arbeitsmarkt. Das ist die beste Nachricht seit langer Zeit, vor allem für die betroffenen Menschen, aber auch mit Blick auf die Finanzierungsgrundlagen unserer sozialen Sicherungssysteme und damit auch auf die öffentlichen Haushalte. Nicht nur, dass im Vergleich zum Vorjahr über 420 000 Menschen weniger ohne Arbeit sind. Besonders wichtig ist: Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse ist wieder gestiegen.
Wir wissen - das wollen wir nicht verschweigen und wir wollen auch nichts verharmlosen -, dass diese Entwicklung vornehmlich noch jenen zugute kommt, die erst sehr kurze Zeit erwerbslos und relativ gut qualifiziert sind, und erheblich weniger jenen zugute kommt, die über lange Zeit erwerbslos sind. Aber es ist ein Aufschwung. Wir werden in diesem günstigeren Klima weiter daran arbeiten müssen, dass die Arbeitslosigkeit in ihrer gesamten Breite abgebaut wird.
Ich weiß, es wäre sehr vermessen, das Verdienst für die deutlich besseren ökonomischen und beschäftigungspolitischen Aussichten vornehmlich für die Politik zu reklamieren oder namentlich für diese Bundesregierung in Anspruch zu nehmen. Aber die Politik sollte in falscher Bescheidenheit nicht so tun, als hätte sie in der vergangenen und in dieser Legislaturperiode nichts getan, um wirtschaftliches Wachstum und eine Erholung auf dem Arbeitsmarkt möglich zu machen.
Zweifellos hat die vorige Bundesregierung unter Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 großen Anteil an dieser positiven Entwicklung.
Sie hat mit Reformen auf dem Arbeitsmarkt und in den sozialen Sicherungssystemen, mit Steuerreformschritten erheblichen Ausmaßes und mit Reformen auf dem Finanzmarkt die Grundlagen für diese Entwicklung geschaffen.
Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Situation der Unternehmensteuerreform sollten wir auch nicht vergessen, dass die Steuerreform von 2000 und den Folgejahren, für die mein Vorgänger, Hans Eichel, maßgeblich verantwortlich war, die Bürger wie auch die Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland um sage und schreibe 60 Milliarden Euro pro Jahr entlastet hat. Das war die größte Steuersenkung, die es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland je gegeben hat.
Wir sollten über den Nachrichten, in denen es um die zugemuteten Belastungen geht, nicht vergessen, dass wir heute, am Ende dieser Steuerreform, insbesondere im Einkommensteuerbereich die Situation haben, dass ein Alleinverdiener - verheiratet, zwei Kinder - unter Anrechnung des Kindergeldes auf ein Einkommen in Höhe von bis zu 37 000 Euro keinen Cent Steuern bezahlen muss.
Auch und gerade die mittelständischen Unternehmen haben konsequent auf die Herausforderungen der globalisierten Wirtschaft reagiert, zum Beispiel in Form von Innovationen, Qualitätssteigerung, Kostensenkungen und einer ausgeklügelten Logistik. Auch dies trägt zur wirtschaftlichen Entwicklung bei. Richtig ist, dass große Unternehmen nach dem Platzen der New-Economy-Blase ihre Bilanzen weitgehend in Ordnung gebracht und damit den Spielraum für neue Investitionen geschaffen haben, die jetzt mehr und mehr auch in Deutschland zur wirtschaftlichen Erholung beitragen. Nicht zuletzt haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Gewerkschaften durch sehr moderate Tarifabschlüsse und auch durch Verzicht auf Lohnbestandteile, durch unbezahlte Mehrarbeit und flexible Arbeitszeitmodelle einen erheblichen Anteil an der international gewachsenen Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland.
Schließlich hat sich die alte Deutschland AG verändert. Beteiligungskapital spielt eine sehr viel größere Rolle als die klassische Kreditfinanzierung. Post, Telekommunikation, Transportmärkte und andere Bereiche wie die öffentlichen Personennahverkehre sind Märkten zugeführt worden. Das alles sind Erscheinungen, die es in den 90er-Jahren noch nicht in der Form gegeben hat.
All das macht deutlich: Wir sind weitaus mutiger und besser, als wir es uns selber zugetraut und andere uns eingeredet haben. - Die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung zeigt auch, dass die große Koalition mit ihrer Doppelstrategie für den Haushalt 2006 und 2007 richtig lag und liegt.
Wir wollten 2006 einen konjunkturstützenden Haushalt fahren und 2007 sehr viel stärkere Akzente auf die Konsolidierung setzen. Dies war und ist richtig, so umstritten es auch in manchen Debatten gewesen ist.
Wir haben im Haushalt 2006 auf der Einnahmen- und Ausgabenseite alles unterlassen, was die Konjunktur hätte eintrüben können. Das war im Hinblick darauf richtig, dass sich der Konjunkturhimmel aufhellen sollte, was er auch getan hat.
In einer sehr schwierigen wirtschaftlichen Ausgangslage haben wir mit dem Bundeshaushalt 2006 das ökonomisch Richtige getan. Wir haben klare Prioritäten für die Wachstumsförderung gesetzt. Hierzu stellen wir bis 2009 25 Milliarden Euro zur Verfügung, die insbesondere dem Bereich der Zukunftsinvestitionen zugute kommen werden. Wie Sie wissen, werden im nächsten Jahr rund 6 Milliarden Euro fällig. Bekannt ist auch, dass die Länder weitere 12 Milliarden Euro hinzufügen werden, und vor allen Dingen, dass private Investitionen auf breiter Ebene ausgelöst worden sind. Denken Sie an das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, bei dem wir dafür Sorge tragen werden, dass auch im vierten Quartal keine Anträge liegen bleiben, sondern durch eine entsprechende haushaltstechnische Vorsorge bedient werden können, damit dieses Programm auch im letzten Quartal mit Blick auf seine impulsgebende Funktion für die Konjunktur aufrechterhalten werden kann.
Mit der Einführung des Elterngeldes ab 2007 stärken wir gezielt die Familienförderung, nachdem wir im Bundeshaushalt 2006 mit zusätzlichen Impulsen in den Bereichen Haushalt als Arbeitgeber, Forschung und Innovation, Belebung der Wirtschaft und Verkehrsinvestitionen damit begonnen haben, die Doppelstrategie von Konsolidierung einerseits und Impulsen andererseits zu implementieren.
Die stärkere Förderung von Zukunftsbereichen wird mittel- und langfristig positiv auf den Haushalt zurückwirken. Deshalb ist auch der Pfad, auf dem wir die Nettokreditaufnahme des Bundes bis 2010 von 38,2 Milliarden Euro auf 20 Milliarden Euro zurückfahren, volkwirtschaftlich absolut richtig. Ich hätte sogar ein offenes Ohr für diejenigen, die fragen, ob dies nicht noch weiter gehen sollte.
Wir haben beim Haushalt 2006 nur sehr behutsam mit der Konsolidierung begonnen, wie ich dargelegt habe, um die positive Wirtschaftsentwicklung nicht zu gefährden; das war Vorsatz. Aber ab 2007 muss die Konsolidierung akzentuiert werden. Vor allem die bereits eingeleiteten Maßnahmen der Finanzpolitik tragen dazu bei. Ich nenne als Beispiele die in dieser Legislaturperiode vorgenommenen Kürzungen im Bundeshaushalt in Höhe von rund 32 Milliarden Euro - von manchen nicht so richtig zur Kenntnis genommen -, den Abbau von Subventionen in Höhe von rund 19 Milliarden Euro - abstrakt von vielen begrüßt, aber wehe, es wird konkret und betrifft die eigene Klientel - und Steuererhöhungen in Höhe von rund 28 Milliarden Euro. All diese Maßnahmen werden erst ab 2007 - nicht schon im Jahre 2006! - ihre volle Wirksamkeit entfalten können, das aber vor dem Hintergrund eines sehr viel robusteren wirtschaftlichen Umfelds und Wachstums.
Erste wichtige Fortschritte sind geschafft; das können wir schwarz auf weiß belegen. Erstens. Wir werden nach dem Übergangsjahr 2006 die Regelgrenze des Art. 115 unseres Grundgesetzes wieder dauerhaft einhalten. Zweitens. Wir werden aller Voraussicht nach bereits in diesem Jahr wieder die 3-Prozent-Maastrichtdefizitgrenze einhalten, das heißt unterschreiten.
Der kürzlich vom Statistischen Bundesamt veröffentlichte Maastrichtdefizitwert für das erste Halbjahr 2006 untermauert diese Annahme. Es sind 2,5 Prozent ausgewiesen. Das darf man zwar nicht - darauf möchte ich Sie aufmerksam machen - auf das Haushaltsergebnis des gesamten Jahres hochrechnen. Aber realistisch ist ein Defizit in der Größenordnung von 2,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für das Gesamtjahr 2006. Diesen Wert werden wir im Herbst der EU-Kommission melden.
Politisch weitaus wichtiger als diese formale Meldung ist: Mit unserer soliden Haushaltspolitik dokumentieren wir unser klares Bekenntnis zu Europa und einem stabilen Euro. Unsere stabilitätsorientierte und vorausschauende Finanzpolitik entlastet nicht zuletzt die Europäische Zentralbank bei ihrer geldpolitischen Steuerung und eröffnet ihr so zusätzliche Entscheidungsspielräume. Kurzum: Wir signalisieren Verlässlichkeit und Berechenbarkeit. Das wird im Übrigen auch von unseren europäischen Partnern und der EU-Kommission so gesehen und bewertet. Es geht nicht nur um unsere nationale Zukunft. Deutschland trägt in Europa vielmehr eine große ökonomische Mitverantwortung. Deutschland ist einer der Architekten des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und hätte deshalb in meinen Augen um keinen Preis diesen Pakt in seiner Bedeutung relativieren dürfen.
Wir tragen mit unserer wirtschaftlichen Leistungskraft eine besondere Verantwortung für den Erfolg dieses Paktes. Dieser Pakt ist eine wichtige Grundlage für den wirtschaftlichen Wohlstand in Europa und für die Stabilität des Euro, der sich - fast unbemerkt und nur selten gewürdigt - zur zweitwichtigsten Reservewährung der Welt entwickelt hat. Das ist eine Erfolgsgeschichte, wie sie in den letzten zehn Jahren in kaum einem anderen Bereich unserer europäischen Politik vorgekommen ist.
Das soll so bleiben. Umso wichtiger ist daher, dass Deutschland die Glaubwürdigkeit des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes stärkt, und zwar auf Dauer, und somit als Vorbild für andere fungiert, die - sehr vorsichtig formuliert - noch nicht so weit sind.
Zu den stereotypen Vorwürfen an die Adresse des Bundesfinanzministers gehört die Behauptung, ich sei in Sachen Maastrichtdefizitentwicklung ein notorischer Tiefstapler, der ausschließlich Begehrlichkeiten abwehren wolle. Ich werde aber - genauso wie Sie - am Ende einer Entwicklung lieber von positiven als von negativen Nachrichten überrascht. Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit der Politik ist es mir daher generell wichtig, mit Prognosen eher vorsichtig zu sein. Ich sage nur all denjenigen, die dies vielleicht zum Gegenstand der Haushaltsdebatte machen - schon drei-, viermal bin ich damit konfrontiert worden -: Wenn wir zu Beginn dieses Jahres im Zusammenhang mit unserem Haushaltsentwurf 2006 ein Maastrichtdefizitkriterium von weniger als 3 Prozent angemeldet hätten, dann hätte dies auch mit entsprechenden Maßnahmen auf der Einnahme- und Ausgabenseite korrespondieren müssen. Allein mit vollmundigen Ankündigungen in Richtung Brüssel wäre es nicht getan gewesen; das hätte nicht gereicht.
Dann allerdings hätten wir den Vorsatz verletzt, Frau Hajduk, auf der Einnahmeseite und auf der Ausgabenseite nichts tun zu wollen, was diese Entwicklung 2006 trübt. Das ist zwingende Logik. Ich glaube, dass es absolut richtig gewesen ist, dass die Bundesregierung dieser Logik gefolgt ist.
Genauso hartnäckig hält sich auf einer anderen Seite dieses Hohen Hauses die Unterstellung, wir würden zur Haushaltskonsolidierung vorwiegend Steuern erhöhen, statt Ausgaben und staatliche Sonderregelungen zu kürzen. Das Gegenteil ist der Fall.
- Schauen Sie sich den Haushalt an! Sie haben offenbar den Eindruck, hier stehe die Abteilung ?Agitation und Propaganda“.
Schauen Sie auf den Haushalt! Wenn ich Agitation und Propaganda betreibe, dann hört sich das ganz anders an. Dieses Pult diszipliniert. Insofern bin ich vorsichtig.
- Die Propaganda, die Sie in Kiel betrieben haben, hat man bis hierhin hören können.
Rund 13 Milliarden Euro bzw. 60 Prozent des Konsolidierungsvolumens im Haushaltsplanentwurf 2007 werden durch Kürzungen auf der Ausgabenseite oder durch die Kürzung von Steuersubventionen bzw. direkten Finanzsubventionen erbracht. Wir tragen mit 40 Prozent über Steuererhöhungen zur Konsolidierung bei. Das gilt nicht nur für 2007. Wir konsolidieren stärker durch Ausgabenkürzungen und durch die Streichung von Steuersubventionen - von vielen beklagt, von vielen aber vorher gefordert - über diese Legislaturperiode, und zwar in dem von mir genannten Verhältnis von 60 : 40. Das heißt, die Bundesausgaben werden in den kommenden Jahren kaum steigen. Bereinigt um die haushaltsneutrale Zuweisung der Einnahmen von einem Prozentpunkt aus der Mehrwertsteuererhöhung an die Bundesagentur für Arbeit soll der Bundeshaushalt 2007 gegenüber 2006 sogar um 500 Millionen Euro sinken. Wir werden in diesem Jahr weniger als im nächsten Jahr ausgeben, bereinigt um die Einnahme eines Prozentpunktes aus der Mehrwertsteuererhöhung, der an die Bundesagentur geht. Über den gesamten Finanzplanungszeitraum 2006 bis 2010 wird es eine jahresdurchschnittliche nominale Steigerung von bloß 0,7 Prozent geben. Wenn Sie die Inflationsrate mit einrechnen, dann wird der Bundeshaushalt über diesen Finanzplanungszeitraum real sinken. Das hat es in dieser Republik in diesem Ausmaß noch nicht gegeben.
Damit bestärken wir eine Entwicklung, die in den letzten Jahren eingeleitet wurde. Die Staatsquote sinkt weiter. Das dürfte auch von der FDP zur Kenntnis genommen werden. Schon im Jahre 2005 haben wir mit 46,8 Prozent den niedrigsten Stand der Staatsquote seit 1991 gehabt. Wenn ich mich richtig erinnere, war die FDP 1991 und in den Folgejahren Teil der Bundesregierung. Bald werden wir die Staatsquote von 46 Prozent unterschreiten. Vor zehn Jahren lag die Staatsquote bei 49,3 Prozent. Ich wäre dankbar, wenn dies in einem Ihrer Beiträge ganz vorsichtig gewürdigt werden könnte.
Ohne dass ich jetzt Zahlensalat vortragen und in das typische Ritual verfallen will - es bleibt unter dem Strich, dass die Opposition keine tragfähigen Beiträge zur weiteren Begrenzung der Bundesausgaben unterbreitet hat. Wer wie die FDP bei den Eingliederungsleistungen für Langzeitarbeitslose 3 Milliarden Euro und bei den Verwaltungs- und Betreuungskosten 1 Milliarde Euro sparen will, der unterschätzt schlicht und einfach den sozialpolitischen Sprengstoff, der damit verbunden ist.
Wer Vorschläge über abrupte Kürzungen in Milliardenhöhe bei der Steinkohlesubvention macht, der suggeriert, man könne sich über rechtskräftige Verträge hinwegsetzen.
- Selbstverständlich tun Sie das, wenn Sie so tun, als ob man während der Laufzeit gültiger Bewilligungsbescheide Milliardenbeträge einsparen könne. Darüber habe ich mir schon einige Male den Mund fusselig geredet, aber ich werde bei Ihnen leider keinen Erkenntnisfortschritt auslösen können. Ich verzweifle an dieser Stelle.
Das ist genauso realitätsfern und illusorisch wie die Vorschläge der Linken und der Grünen, ungeachtet unserer internationalen Verpflichtungen massiv bei den Verteidigungsausgaben einzusparen.
Ich sage an dieser Stelle, ohne mich in dem Fahrwasser weiter bewegen zu wollen: Selbstverständlich gibt es Risiken für den Haushalt.
- Ich weiß doch, dass das im Mittelpunkt Ihrer Ausführungen stehen wird. - Die Beschreibung von Risiken sagt aber noch nichts über die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser Risiken aus.
Der Bundeshaushalt ist wie in all den vergangenen Jahren selbstverständlich von Risiken umzingelt. Das gilt übrigens auch für den Haushalt 2006. Der Punkt ist, dass diese Risiken in dem von Ihnen beschriebenen Ausmaß nicht eingetreten sind.
Im Übrigen gilt für den Bundesgesetzgeber, also für Sie genauso wie für die Bundesregierung, was Otmar Issing gesagt hat: Der Zwang, zu entscheiden, läuft der besseren Einsicht in sich verändernde Zusammenhänge zwangsläufig immer voraus.
Das heißt, die Bundesregierung muss einen Bundeshaushalt aufstellen in Kenntnis von Unsicherheiten. Politik ist nichts anderes als das verantwortliche Handeln unter Unsicherheiten. Das gilt selbstverständlich auch für die Aufstellung eines Bundeshaushalts. Sie können mich also gerne darauf hinweisen, dass die Verhandlungen in Sachen Kosten der Unterkunft noch ausstehen. Sie können mich gerne darauf hinweisen, dass wir nicht so genau wissen, wie die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank ist. Auch können wir im Augenblick einige Währungen, insbesondere die Entwicklung des Verhältnisses von Euro und Dollar zum Yen, nicht richtig einschätzen. Selbstverständlich gibt es Risiken auf dem Arbeitsmarkt. Das alles ist mir sehr bewusst. Wir müssen allerdings in Kenntnis und in Abwägung dieser Unsicherheit handeln.
So wichtig sie auch ist: Konsolidierung ist kein Selbstzweck. Wir müssen konsolidieren, um in den Haushalten wieder klare Prioritäten für Zukunftsaufgaben und Zukunftsinvestitionen zu setzen. Nur so bringen wir unsere Volkswirtschaft auf einen dauerhaft festeren Wachstumspfad, nur so können wir die Arbeitslosigkeit dauerhaft reduzieren und nur so können wir Politik machen, die auch über den Tag hinaus trägt und die auch im Interesse unserer Kinder und unserer Enkelkinder liegt.
Wir schulden unseren Kindern und Enkeln jede Anstrengung für tragfähige, solide und verlässliche öffentliche Finanzen. Wir wissen, was auf unsere Kinder und Enkelkinder zukommt. Auch in dieser Hinsicht wäre es im Augenblick falsch, die Tatsache zu ignorieren, dass wir 1 500 Milliarden Euro Schulden mit uns herumschleppen. Wie sollten wir unseren Kindern in zehn oder 20 Jahren erklären, dass wir dies alles im Jahre 2006 zwar wussten, dass es uns aber egal war und dass wir noch nicht einmal unter den günstigeren Bedingungen eines Aufschwungs die Kraft hatten, die Wünsche der gegenwärtig in der Verantwortung stehenden Generation gegen die berechtigten Zukunftsinteressen unserer Kinder und Enkelkinder gegebenenfalls zurückzuweisen?
Deshalb frage ich an dieser Stelle sehr bewusst ganz generell: Wann, wenn nicht jetzt, ist der Zeitpunkt, auf mehr Vorsorge für die Zukunft zu drängen, auch unter Berücksichtigung unseres augenblicklichen Gegenwartkonsums? Dies ist und bleibt die Kernfrage.
Genau jetzt, in einem Klima des wirtschaftlichen Aufschwungs, ist der richtige Zeitpunkt, die Haushaltskonsolidierung entschlossen anzugehen und das im Zusammenspiel mit gezielten Wachstumsimpulsen zu tun. Ich habe hier, an gleicher Stelle, im März bei der Einbringungsrede für den Haushalt 2006 etwas gesagt, wovon ich glaube, dass ich damit ziemlich richtig lag - ich zitiere mit Billigung der Präsidentin -:
Ich kann keinerlei Hoffnung ... machen ... Wir haben die Anhebung der Umsatz- und der Versicherungsteuer zum 1. Januar 2007 beschlossen. Dabei bleibt es,
- Einschub: ja, dabei bleibt es -
auch wenn ich genau weiß, wie die Debatte in diesem Jahr verlaufen wird, und zwar aus zwei unterschiedlichen Richtungen mit demselben Ergebnis.
Ich habe im März gesagt, dass die eine Debatte in etwa so verlaufen wird: Das Wirtschaftswachstum ist besser, als Sie, die Bundesregierung, prognostiziert haben, und deshalb können Sie die Mehrwertsteuer senken. - Die andere Debatte könnte so verlaufen: Oh, die Konjunktur läuft schlechter, als Sie, die Bundesregierung, gedacht haben, und deshalb müssen Sie die Mehrwertsteuer senken.
Das erste Szenario ist eingetreten. Die für Deutschland günstigere Variante ist jetzt da; die Fakten sind allerdings geblieben. Es ist unverändert: Es sind dieselben Fakten, mit denen wir es bei den Beratungen im März zu tun gehabt haben.
Das ändert nichts daran, dass es nicht nur der Bundeshaushalt, sondern auch die Länderhaushalte und die kommunalen Haushalte mit strukturellen Einnahmedefiziten zu tun haben. Man kann unterschiedlicher Auffassung über die Höhe sein - ich streite nicht um Zahlen -; aber uns liegt auch die Bestätigung vor, dass die konjunkturunabhängige Finanzlücke in Höhe von wahrscheinlich 15 bis 20 Prozent sich nicht durch konjunkturabhängige, temporäre Mehreinnahmen schließen lässt. Davon auszugehen, das ist der Fehler, den Sie machen.
Dass manche inzwischen so tun, als schwimme die Bundesregierung in Geld und müsse sich nur überlegen, wie sie den neuen Reichtum ausgeben könnte, das ist mir sehr bewusst. Aber das ist gerade so, als würden Sie einer Familie sagen: In den letzten Jahren haben Sie ja mehr Schulden gemacht als geplant und in diesem Jahr machen Sie weniger Schulden als geplant.
Was machen Sie denn jetzt mit dem Geld? - So ähnlich ist das, was Sie uns abverlangen.
Mir ist sehr klar, dass eine Partei, die in 13 von 16 Ländern keine Regierungsverantwortung trägt, leichter - vielleicht sollte ich sagen: leichtfertiger - einen Verzicht auf die Mehrwertsteuererhöhung fordern kann als solche Parteien, die in diesen Ländern politische Verantwortung tragen.
Das ist zweifellos populär. Aber besonders verantwortungsbewusst ist es nicht.
Im Übrigen halte ich an einem Verdacht fest: Wenn die FDP in die Verlegenheit gekommen wäre, Partner einer Koalition im Bund zu sein, dann hätte sie angesichts der Lage diese Mehrwertsteuererhöhung natürlich mit beschlossen.
- Aber selbstverständlich! Doch! Soll ich Ihnen etwas erzählen? Die FDP hat zwischen 1983 und 1998 zwanzig Steuererhöhungen mit einer Gesamtbelastung für die Bevölkerung von 143 Milliarden DM, gut 70 Milliarden Euro also, mit beschlossen.
Der Verdacht ist schon deshalb begründet, weil Sie von der FDP in der Zeit drei Mehrwertsteuererhöhungen mit beschlossen haben.
Herr Solms - bei aller gebotenen Vorsicht und Höflichkeit: Sie waren an diesen drei Mehrwertsteuererhöhungen beteiligt -, vielleicht erklären Sie nachher, was Ihre Motive damals gewesen sind oder inwieweit sich Ihre Begründungen von unseren Begründungen heute unterscheiden.
In der Opposition sind Sie gegen Steuererhöhungen. Wo Sie in der Regierung waren, haben Sie alle Erhöhungen mitgetragen. Das ist eine klare Linie, aber keine sehr mutige.
Damit ich nicht nur in eine Richtung rede, will ich mit Blick auf eine andere positive Entwicklung, nämlich die Überschüsse bei der Bundesagentur für Arbeit, meiner Skepsis Ausdruck verleihen; das gehört nun mal zur Rolle eines Bundesfinanzministers. Ja, wir wollen den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 4,5 Prozent senken. Aber wir alle wissen, dass ein erheblicher Teil der Überschüsse, wahrscheinlich ein Drittel, Folge eines einmaligen Effektes ist; die Arbeitgeber zahlen ihre Beiträge zur Sozialversicherung in diesem Jahr einmal öfter als üblich. In diesem Jahr fließen 13 Monatsbeiträge in die Kassen der Sozialversicherung, aber eben nur in diesem Jahr. Selbst mit Unterstützung des Deutschen Bundestages werden wir im kommenden Jahr nicht von zwölf auf 13 Monate gehen können.
Es wäre in meinen Augen sträflich, wegen eines Einmaleffekts zu einem dauerhaften Einnahmeverlust zu kommen. Zieht man diesen Einmaleffekt vom Überschuss der Bundesagentur für 2006 ab, bleiben - dann auch als Puffer für die kommenden Jahre - bestenfalls 6, vielleicht 7 Milliarden Euro übrig.
- Ja. Es sieht aber ganz danach aus, als wenn die Bundesagentur diesen Puffer in den nächsten Jahren auch brauchen könnte. Ich möchte nicht erleben, dass dann plötzlich wieder ein Griff in die Bundeskasse notwendig wird.
Ihre Hinweise darauf - das geht quer durch das ganze Haus -, es handele sich um Arbeitslosenversicherungsbeiträge, die nicht in die Bundeskasse gehörten, ist richtig. Ich würde Ihren rechtlichen Sachverstand infrage stellen, wenn ich das nicht anerkennen würde. Aber was ist denn mit den ungefähr 40 Milliarden Euro, die in den letzten zehn Jahren als Zuschuss an die Bundesagentur bzw. an die Bundesanstalt geflossen sind?
Bekommen wir die jetzt zurück?
Wenn die Bundesagentur wieder klamm wird, wollen wir nicht mehr die Debatte haben, wie sie in den letzten Jahren durchgängig geführt worden ist. Da hieß es nämlich immer: Nun gebt uns mal einen Zuschuss von 4 Milliarden Euro - vielleicht ein bisschen weniger -; nun gebt uns mal einen Kredit! - Das ist der Grund dafür, dass der Bundesfinanzminister ein großes Interesse daran hat, sich gerade in dieser guten Zeit wie ein Hamster etwas zurückzulegen, also einen Puffer zu bilden. Man soll Hilfe nicht mehr vom Bundeshaushalt erwarten.
Ich glaube, dass es eine Rückkehr zu den alten Zeiten, wo mit Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt im Zweifelsfall verhindert worden ist, dass der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung erhöht werden musste, nicht geben sollte.
- Jetzt gibt es keinen mehr; richtig.
Kurzum: Bevor wir die Sektkorken knallen lassen, sollten wir schauen, ob überhaupt etwas in der Flasche ist.
Lassen Sie mich zu dem wichtigen Thema Unternehmensteuerreform Stellung nehmen, das auch unter Haushaltsgesichtspunkten diskutiert wird, wenn auch noch nicht mit Relevanz für den Haushaltsplanentwurf 2007, aber mit Blick auf die mittelfristige Finanzplanung.
Wie ist die Ausgangslage?
Deutschland liegt, auch dank der Steuerreform in den Jahren 2000 folgende, bei der steuerlichen Belastung von Personengesellschaften seit Jahren in einem sehr guten europäischen Mittelfeld und wird dort noch lange bleiben. Auch das darf gelegentlich anerkennende Worte finden.
Die Steuerbelastung der Personengesellschaften war unter der Regierung mit der FDP extrem hoch. Sie haben damals 53 Prozent Spitzensteuersatz gezahlt; jetzt haben sie einen Spitzensteuersatz von 42 Prozent. Der Eingangsteuersatz betrug damals 25,9 Prozent; jetzt haben sie einen von 15 Prozent. Auch die Regelung bezüglich der Anrechenbarkeit der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer ist nun sehr viel günstiger. Das haben Sie alles nicht gemacht, sondern daran hat jemand mitgewirkt, der dort hinten sitzt, und viele andere auch.
Das heißt, inzwischen haben ungefähr 90 Prozent der deutschen Personengesellschaften eine effektive Besteuerung von unter 20 Prozent. Das ist eine gute Nachricht. Ich weiß, dass 10 Prozent darüber liegen, einige sogar in der Größenordnung der Besteuerung von Kapitalgesellschaften. Ich weiß, dass große Familienunternehmen dadurch erhebliche Probleme haben. Aber zunächst einmal haben 90 Prozent der deutschen Personengesellschaften in den letzten Jahren eine ausgesprochen positive Steuerpolitik erlebt,
die sich übrigens inzwischen auch auf die Gewerbesteuereinnahmen der Kommunen ausgewirkt hat, wo wir zum dritten Mal in Folge ein Rekordjahr erleben. Das ist die zweite gute Nachricht.
Nun ein Wort zu den Kapitalgesellschaften. Das soll nicht heißen, dass ich nachher nicht auf die Fragestellung zurückkommen will, was wir weiterhin für den Mittelstand tun müssen. Ich will aber nicht als Generalkritik vorgehalten bekommen, wir täten nichts für den Mittelstand; selbstverständlich tun wir etwas für den Mittelstand. Vor allen Dingen haben wir für den Mittelstand schon etwas getan und fangen nicht erst heute damit an.
Wir haben ein Problem bei den Kapitalgesellschaften; da sieht es nämlich anders aus. Die Kapitalgesellschaften haben einen Definitivsteuersatz von 38,65 Prozent. Mit dieser Steuerbelastung liegen wir in Europa an der Spitze. Das heißt, die Kapitalgesellschaften sind nicht wettbewerbsfähig. Die Folgen sind sichtbar: Potenzielle Investoren werden eher abgeschreckt; deutsche Unternehmen werden von niedrigeren Steuersätzen, vor allem in direkt angrenzenden Nachbarländern, magisch angezogen und verlagern Betriebe und Arbeitsplätze ins Ausland. Gleichzeitig führt diese Situation zu Steuerausfällen. Vor allem international operierende Unternehmen sorgen durch legale - ich betone: legale - steuerliche Gestaltung dafür, dass ein erheblicher Teil der in Deutschland erwirtschafteten Gewinne nicht in Deutschland besteuert wird. Das will diese Regierung ändern.
Über die aus diesen Verschiebebahnhöfen resultierende Summe kann man streiten; das weiß ich. Aber sie macht einen höheren zweistelligen Milliardenbetrag aus. Konsequenz ist eine immer größere Entkoppelung der in Deutschland versteuerten Gewinne von der in Deutschland erarbeiteten Wertschöpfung. Deshalb müssen wir, nicht zuletzt auch im Sinne eines handlungsfähigen Staates, jetzt handeln, um die Steuerbasis in Deutschland zu sichern.
Die Steuerreform verfolgt fünf zentrale Ziele:
Erstens sollen die Steuereinnahmen langfristig gesichert werden.
Zweitens soll die internationale steuerliche Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und der interessierten Investoren in Deutschland verbessert werden.
Drittens sollen Unternehmen, die ihre Gewinne in Deutschland versteuern, entlastet werden und Unternehmen, die Gewinne ins Ausland verschieben, sollen mehr bezahlen.
Viertens soll bei der steuerlichen Belastung von Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften eine größtmögliche Gleichbehandlung erfolgen. Wir wollen im Ergebnis, technokratisch gesprochen, Rechtsformneutralität.
Fünftens wollen wir die Investitionskraft der Kommunen sichern, die immerhin 60 Prozent aller öffentlichen Investitionen in der Bundesrepublik Deutschland vornehmen.
Dies alles wollen wir über die Absenkung der nominalen Steuersätze erreichen, und zwar - das ist die Konditionierung - bei einer gleichzeitigen Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Mit dieser Strategie folgen wir den Steuerreformansätzen unserer europäischen Nachbarn; die machen es nicht anders. Im Übrigen hat der Sachverständigenrat ebenso wie sehr viele andere Wissenschaftler die Bundesregierung früher und bis heute immer wieder aufgefordert, Steuersatzsenkungen vorzunehmen und diese mit einer Erweiterung der Beitragsbemessungsgrundlage zu verbinden. Diese Strategie ist nicht falsch.
Naturgemäß entzündet sich die Debatte mit den Wirtschaftsverbänden an einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Wie sieht eine solche Verbreiterung genau aus? Wir haben in der von Herrn Koch und mir geleiteten politischen Arbeitsgruppe eine intensive Debatte über die im Raume stehenden Maßnahmen geführt. Wenn Sie die Eckpunktebeschlüsse des Koalitionsausschusses und der Bundesregierung lesen, sehen Sie, dass wir uns dabei in Korridoren bewegen, dass da nichts in Stein gemeißelt ist. Wir reden über die Beschränkung des Finanzierungskostenabzuges, über eine Zinsschrankenregelung, über eine Grundsteuer C, über verschiedene Varianten, die, auch mit Blick auf ihre Auswirkungen, konkret berechnet werden müssen.
Diese Vorschläge sind, wie aus dem Eckpunktepapier hervorgeht, nicht in Beton gegossen. Sie stehen allerdings auch nicht beliebig zur Disposition. Das sage ich genauso freimütig; denn ich bekomme zunehmend von Wirtschaftsverbänden und auch von einigen einzelnen Vorständen den Eindruck vermittelt, wir würden nur auf dem Bein der Steuerentlastung, der Senkung der nominalen Steuersätze hüpfen. Nein, wir laufen auf zwei Beinen: Wir reden auch über die Erweiterung der Bemessungsgrundlage.
Welcher Unfug dabei teilweise betrieben wird und zu welchen Missverständnissen es kommt, will ich an einem Beispiel, an dem mir gelegen ist, einmal deutlich machen. Alle haben plötzlich den Eindruck, wir wollten Pachten, Leasingraten, Lizenzen in die Bemessungsgrundlage hineinnehmen - große Aufregung! Die konkrete Formulierung in dem Eckpunktepapier ist, dass die Finanzierungsanteile in Rede stehen, hinzugerechnet zu werden. Da sieht die Lage schon ganz anders aus und die Empörung und Aufregung ist etwas anders zu bewerten. Nehmen wir einmal an, der pauschale Finanzierungsanteil beim Leasing läge bei 25 Prozent und es gäbe eine Verminderung des Steuerabzuges darauf in einer Größenordnung von 25 Prozent. Rechnen wir 25 Prozent von 25, dann kommen wir auf 6,25. Bei einem Steuersatz von 30 Prozent - ich runde ab - reden wir dann über eine Mehrbelastung von 2,08 Prozent, aber nicht über den Untergang des Abendlandes und auch nicht über den 9. November 1918.
Wir sind mit den Ländern, mit den Kommunen und auch mit Wirtschaftsverbänden im Gespräch über eine Unternehmensteuerreform. Ich bitte um Verständnis, wenn ich jetzt nicht unseren gemeinsamen Beratungen vorauseile. Viele sind daran beteiligt: Herr Poß, Herr Meister, Herr Bernhardt, Herr Spiller - ohne jetzt andere zurücksetzen zu wollen. Ich vermute einmal, dass wir bis Mitte Oktober in der Lage sind, uns spezifisch festzulegen, und dass dann die Parteien, die Fraktionen und das Parlament Gelegenheit haben, sich vorzubereiten. Ich kündige einen Referentenentwurf für die Monatswende Dezember/Januar an - bitte, ohne dass Sie mich auf den Vorlagetermin 24.12. festnageln. Ich vermute, dass die Bundesregierung einen Regierungsentwurf bis zum Februar verhandeln wird, sodass die hiesigen parlamentarischen Beratungen bis Anfang Juli abgeschlossen werden können und die deutsche Wirtschaft dann ein halbes Jahr Zeit hat - andere Interessierte auch -, sich auf diese Unternehmensteuerreform einzulassen.
Wir streben - lassen Sie mich das abschließend dazu sagen - einen nachhaltigen europäischen Mittelfeldplatz bei der Steuerbelastung an. Wir haben gute Chancen, einen solchen Platz mit unserer Reform auch dauerhaft zu erreichen. Es gibt übrigens deutliche Hinweise, dass der internationale Steuersenkungswettbewerb in Europa an ein Ende kommt. Dafür sorgt nicht zuletzt auch der Stabilitäts- und Wachstumspakt, der disziplinierend wirkt. Ich weise auch darauf hin, dass einige unserer neuen osteuropäischen Partner inzwischen erhebliche - teilweise zweistellige, also weit über das Maastrichtkriterium hinausgehende - Haushaltsdefizite aufweisen, was dort zunehmend zu einer Debatte führt, die auf eine Erhöhung von Körperschaftsteuern in der Größenordnung von 20 Prozent - teilweise auch mehr - hinausläuft. All dies findet statt. Man kann daran sehen: Auch unsere östlichen Nachbarn können ohne stabile Einnahmen des Staates ihre öffentlichen Aufgaben nicht finanzieren.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss kommen. Wir werden unseren Weg in der Steuer- und Finanzpolitik fortsetzen. Er lautet, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verbessern, das Vertrauen in die Finanzpolitik durch solide Haushaltspolitik zu stärken und so den uns nachfolgenden Generationen finanzielle Luft zum Atmen zu verschaffen, die sie zum Beispiel im globalen Wettbewerb auch um die klügsten Köpfe dringend brauchen. Ich stehe für diese und ich stehe zu dieser gestaltenden Finanzpolitik, die die Perspektive auf die langfristigen Bedürfnisse einer immer stärker von Globalisierung und Demografie bestimmten Gesellschaft erweitern soll. Wir wissen, dass es das Erfolgsrezept, den Urknall, die große Lösung nicht gibt; aber wir jagen auch nicht irgendwelchen Rezepten hinterher.
Lassen Sie es mich mit dem amerikanischen Schauspieler Jack Lemmon sagen:
Ein Erfolgsrezept gibt es nicht, wohl aber ein Misserfolgsrezept: Versuche, allen zu gefallen.
Mit Blick auf dieses Zitat von Jack Lemmon war diese Bundesregierung bisher ziemlich erfolgreich.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat der Kollege Jürgen Koppelin, FDP-Fraktion.
Jürgen Koppelin (FDP):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Soeben hat der Bundesfinanzminister den Haushalt 2007 eingebracht. Das ist der zweite Haushalt, den er uns in diesem Jahr vorlegt. Man kann an diesem Haushalt 2007 - Herr Bundesfinanzminister, das muss ich Ihnen deutlich sagen - weder den Kurs der Bundesregierung für die kommende Zeit noch Ihre Handschrift erkennen. Das Einzige, was man erkennen kann, ist: Sie haben sich als Buchhalter, aber nicht als Bundesfinanzminister betätigt; darauf werde ich gleich eingehen.
Im Rahmen des Bundeshaushaltes 2007 will der Bundesfinanzminister noch einmal Schulden in Höhe von 22 Milliarden Euro aufnehmen. Das heißt, Peer Steinbrück hat in diesem Jahr eine Neuverschuldung des Bundes in Höhe von mehr als 60 Milliarden Euro zu verantworten. Vor allem darauf hätte er in seiner Rede eingehen sollen und nicht auf die Politik der FDP in den Jahren 1991 und 1992.
Das wäre viel interessanter gewesen.
Herr Bundesfinanzminister, da Sie so gerne auf andere zeigen: Sie sind einige Jahre lang Mitglied im Bundesrat gewesen. Ich erinnere mich, dass Sie dort jeweils den Bundeshaushalten zugestimmt haben. Das waren Haushaltspläne, von denen heute die Bundeskanzlerin sagt, sie hätten dazu geführt, dass die Finanzen des Bundes ein Sanierungsfall seien. Sie haben all dem zugestimmt; das will ich Ihnen einmal ins Stammbuch schreiben.
Der vorgelegte Bundeshaushalt 2007 ist ein Haushalt der Ideenlosigkeit. Es gibt keine Ideen dazu, wo man zum Beispiel bei den Ausgaben kürzen kann. Das wäre doch das Entscheidende. Der Bundesfinanzminister ist zusammen mit der Koalition nur im Hinblick auf steigende Steuereinnahmen tätig geworden, indem er bei den Bürgern massiv abkassiert, zum Beispiel ab 2007 in Form einer Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte. Sie ziehen den Bürgern das Geld aus der Tasche, wo immer Sie können.
Auf der Ausgabenseite sind Sie völlig ideenlos und planlos.
Herr Bundesfinanzminister, es ist keine erfolgreiche und solide Haushaltspolitik - das sage ich auch der Koalition -, heute für 2007 einen Haushalt mit einer Neuverschuldung von 22 Milliarden Euro vorzulegen, wenn man bedenkt, dass Hans Eichel in den Jahren 2000 und 2001 eine ähnlich hohe Neuverschuldung vorgenommen hat. Heute landen Sie da, wo Hans Eichel schon in den Jahren 2000 und 2001 war. Das kann keine erfolgreiche Politik sein.
Der Union will ich übrigens ersparen, das zu zitieren, was sie seinerzeit zu den Haushalten von Hans Eichel und der damaligen Neuverschuldung gesagt hat. Heute sind Sie da ebenfalls gelandet.
Ich finde, ein Bundesfinanzminister hätte die Kraft haben müssen - selbstverständlich unterstützt von der Bundeskanzlerin -, Einsparungen auf der Ausgabenseite vorzunehmen. So, Herr Bundesfinanzminister, hätten Sie vielleicht wieder ein Stück mehr Glaubwürdigkeit gewinnen können. Durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer haben Sie ja erheblich an Glaubwürdigkeit verloren. Denn gerade die Sozialdemokraten und Sie haben den Bürgern im Wahlkampf etwas anderes gesagt. Damit haben Sie Stimmen gewonnen. Bei der SPD säßen mindestens 50 Abgeordnete weniger, wenn Sie im Wahlkampf nicht so gelogen hätten.
Sparen, wie wir es fordern, ist für den Bundesfinanzminister eigentlich kein Fremdwort. Anstatt aber selbst zu sparen, empfiehlt er den Bürgern, zu sparen und im Zweifel auf eine Urlaubsreise zu verzichten.
Der Bundesfinanzminister hat noch gar nicht begriffen, dass sich mancher in unserem Lande aufgrund der Politik der Bundesregierung, zum Beispiel der Mehrwertsteuererhöhung, bald gar keine Urlaubsreise mehr leisten kann. Wo soll denn da der Bürger überhaupt noch sparen?
Es ist schon ein Witz - das sage ich Ihnen allerdings auch -, die Bürger zum Sparen aufzufordern und gleichzeitig ab 2007 den Sparerfreibetrag fast zu halbieren. Es ist ein Witz - Herr Bundesfinanzminister, lassen Sie mich das so süffisant sagen -, die Bürger zum Sparen aufzufordern und dazu, auf eine Urlaubsreise zu verzichten, und gleichzeitig hält die Bundeskanzlerin in Mecklenburg-Vorpommern das teuerste Grillfest der Nation mit Kosten von mehr als 15 Millionen Euro ab. Das ist allerdings eine starke Nummer.
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben den Freien Demokraten ein bestimmtes Verhalten in den Regierungskoalitionen der Vergangenheit vorgehalten; darauf will ich zurückkommen. Ich finde, es ist schon ein starkes Stück - das kann man natürlich machen; wir stehen zu unserer Verantwortung; wir waren in der Regierungsverantwortung -, dass Sozialdemokraten wie Sie und andere der FDP Vorwürfe machen und Sie selber vor der Bundestagswahl versprochen hatten, keine Mehrwertsteuererhöhung vorzunehmen. Das ist ein starkes Stück; das muss noch einmal deutlich gesagt werden. Ich sage dies auch deswegen, weil das Allerstärkste ist - deswegen erwähne ich das überhaupt -, dass jemand wie der Vizekanzler Müntefering in einer Pressekonferenz dann noch sagt: Es ist unfair, uns an unsere Wahlversprechen zu erinnern. - Das ist doch inzwischen Ihre Linie.
Nun kommen wir - das haben Sie angesprochen - zu den Überschüssen bei der Bundesagentur. Der Kollege Kauder, der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, erklärt, diese Überschüsse seien ein Erfolg der Bundeskanzlerin. Das kann ich nun überhaupt nicht erkennen. Diese Überschüsse verdanken sich den Beitragszahlern und beruhen unter anderem - daran darf man wohl noch erinnern - auf der zwangsweise erhobenen zusätzlichen, dreizehnten, Zahlung der Versicherungsbeiträge. Es handelt sich um Beiträge, die die Beitragszahler aufbringen. Ich finde, wenn in der Kasse zu viel Geld ist, dann gehört dieses Geld zurück in die Hand der Beitragszahler.
Kommen Sie mir in diesem Zusammenhang nicht mit dem Zuschuss des Bundes für die Bundesagentur! Wissen Sie eigentlich gar nicht, was wir beschlossen haben? Es soll ja keinen Bundeszuschuss für die Bundesagentur mehr geben. Sie könnten sich jetzt nur hinstellen und sagen: Jetzt machen wir doch etwas anderes. - Den Bundeszuschuss gibt es gar nicht mehr. Also reden Sie auch nicht mehr davon! Im Übrigen kommen diese Bundeszuschüsse, die einmal gezahlt worden sind, von den gleichen Leuten. Diejenigen, die Beiträge nach Nürnberg zahlen, und diejenigen, die Steuern für die Bundeskasse zahlen, sind die gleichen Leute. Es handelt sich also um das Geld der Bürger. Daran sollten Sie denken! Aber leider denken Sie ja viel zu wenig daran.
Herr Bundesfinanzminister, man kann hinsichtlich der Ausgabenseite nicht die Hände in den Schoß legen. Auch darauf muss ich jetzt noch zurückkommen. Sie haben uns ja, was die Ausgaben angeht, etwas vorgegaukelt. Die Ausgaben steigen in 2007 um 2,3 Prozent.
An dieser Erkenntnis führt kein Weg vorbei. Schauen Sie einmal in Ihren Haushalt hinein! Es ist doch nicht wahr, was Sie uns hier erzählt haben.
Wir freuen uns ja alle darüber, dass die Konjunktur jetzt anläuft. Das bringt ja auch etwas; das sehen wir nicht nur bei den Einnahmen der Bundesagentur, sondern auch an den erheblich zugenommenen Steuereinnahmen. Wenn wir uns dieses zarte Pflänzchen anschauen und sehen, wie dieses Pflänzchen Konjunktur endlich ein bisschen blüht, müssen wir uns fragen, wieso Sie dann mit einer Mehrwertsteuererhöhung kommen. Das fördert ja doch nicht die Konjunktur; das torpediert die Konjunktur. Dafür tragen Sie die Verantwortung.
Sie haben von den Risiken gesprochen. Es ist wahr: Es gibt Risiken im Haushalt. Wir sind uns darüber einig, Herr Bundesfinanzminister, wo die Risiken liegen. Nur finde ich: Dann muss man bei den Ausgaben noch einmal kürzen und streichen und alles auf den Prüfstand stellen, damit man mit Blick auf die Risiken einen Spielraum hat. Diese Prüfung haben Sie unterlassen.
Nun haben Sie in Ihrer Rede der FDP mehrfach Vorhaltungen gemacht und haben gerade auf den Bereich der Einsparungen hingewiesen. Herr Finanzminister, Sie haben ja das Talent, unglaublich viele der uns zur Verfügung stehenden Informationen zu unterdrücken oder hier nicht vorzutragen. Ich nenne Ihnen eine Information. Wenn Sie die hören - ich denke aber, Sie kennen sie bereits -, dann werden Sie feststellen, dass sich die Freien Demokraten mit ihrer Politik in bester Gesellschaft befinden. Der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, Peter Struck, der selbst einmal Mitglied im Haushaltsausschuss war, erklärte nach der Verabschiedung des Bundeshaushalts 2006 in der ?Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ - Herr Bundesfinanzminister, hören Sie zu! -, man hätte auch auf die Mehrwertsteuererhöhung verzichten und den Haushalt über knallharte Einsparungen in jedem Ressort sanieren können. So Peter Struck Ende Juni!
Ja, Recht hat der Mann. Dazu haben Sie nichts gesagt. Da wir Peter Struck seit vielen Jahren gerade als einen Mann kennen, der sehr peinlich darauf achtet, was er sagt und warum er es sagt, denke ich, dass das auch eine herbe Kritik am Bundesfinanzminister und seiner Politik gewesen ist. Wir teilen die Auffassung von Peter Struck. Das heißt, auf die Mehrwertsteuererhöhung kann man verzichten, wenn man knallharte Einsparungen bei den Ausgaben vornimmt.
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben am Anfang gesagt - da war ich schon etwas erstaunt -: Wir als Bundesregierung sind nicht besonders beliebt; wir wollen aber die Bürger darüber nicht im Unklaren lassen, was die Politik der Bundesregierung ist. Dazu von mir eine kleine Kostprobe, Herr Bundesfinanzminister. Vielleicht haben Sie bei all den Aktivitäten im Bundesfinanzministerium kaum Zeit gehabt, die Meldungen der letzten Tage zu lesen.
Da haben wir erstens den Bundeswirtschaftsminister, von dem nicht allzu viel kommt, außer dass er jetzt vielleicht die Rüstungsexporte nach Indien erhöhen will. Das hält er wahrscheinlich für eine Riesenidee.
Zweitens. Der baden-württembergische Ministerpräsident Oettinger und der CSU-Landesgruppenchef Ramsauer bezeichnen die Gesundheitsministerin Schmidt als Belastung für die Koalition. Wichtige CDU-Politiker fordern den Rücktritt der Ministerin.
Drittens. Bundesverkehrsminister Tiefensee, der bisher auch nicht durch Aktivitäten aufgefallen ist, plädiert - das ist das Tollste; vielleicht haben Sie die Meldung nicht gelesen - dafür, Hartz-IV-Empfänger als unbewaffnete Patrouillen im öffentlichen Nahverkehr einzusetzen. Ich sage dazu: Das ist populistischer Quatsch.
Viertens. Die SPD wirft dem Verteidigungsminister Jung Alleingänge zulasten der Koalition vor; für das Klima der Koalition sei das alles nicht gut, was der Mann mache. Der gleiche Verteidigungsminister fordert übrigens für die nächsten Jahre 6 Milliarden Euro mehr für seinen Etat, die er für Rüstungsprojekte ausgeben will.
Fünftens. Peer Steinbrück - das habe ich schon erwähnt - fordert, auf Urlaub zu verzichten.
Daneben schlägt Herr Riester vor, die Leute sollten auf das Auto verzichten. Und das, was der Sprecher des Seeheimer Kreises der SPD über die Kanzlerin gesagt hat, hätte ich nicht einmal als Oppositionspolitiker über sie zu sagen gewagt.
Das ist das Spiegelbild der Koalition. Dieses Drunter und Drüber innerhalb der Koalition erleben die Bürger, es gibt keinen klaren Kurs. Die Bundesregierung ist völlig konzeptlos, folglich führungslos und das erkennen die Bürger, was die Umfragewerte deutlich unterstreichen.
Herr Bundesfinanzminister, die Forderungen der Freien Demokraten lauten: Verzichten Sie auf die Mehrwertsteuererhöhung! Sparen Sie, sparen Sie auch bei den Ausgaben! Das ist machbar. Wir haben anlässlich des letzten Haushalts ein Sparpaket mit einem Volumen von 8 Milliarden Euro vorgelegt. Solche Einsparungen sind machbar. Wir haben Ihnen unser Sparpaket übergeben und Sie haben unsere Vorschläge überprüfen können. Wenn Sie unsere Forderungen erfüllen würden, würden Sie einen wichtigen Beitrag für unsere Konjunktur leisten. So kämen wir zu weiteren Einnahmen für den Bundesfinanzminister.
Mir wäre es mit Blick auf den Haushalt lieber gewesen, die Bundeskanzlerin, der Bundeswirtschaftsminister und der Bundesfinanzminister hätten sich zusammengesetzt und gemeinsam überlegt, welche Reformen auf dem Arbeitsmarkt nötig sind. Wir brauchen schließlich Reformen auf dem Arbeitsmarkt, sie würden zu weiteren Einnahmen für den Bundesfinanzminister führen.
Der Bundeshaushalt 2007, Herr Bundesfinanzminister, den Sie uns vorgelegt haben, ist nicht der Haushalt eines Bundesfinanzministers, der politisch agiert und Ziele verfolgt. Es ist der Haushalt eines Finanzbuchhalters, der die Bilanz durch viel Haushaltskosmetik schönrechnet. Ihre Haushaltstricksereien, Herr Bundesfinanzminister, machen den Haushalt 2007 nicht solider. Der Haushalt ist auf keinen Fall solide.
Ich hoffe - ich appelliere in diesem Sinne an die Koalitionsfraktionen -, dass wir es in den Beratungen im Haushaltsausschuss schaffen werden, einen soliden Haushalt aufzustellen. Dieser Haushalt wird sicher nicht so aussehen wie derjenige, den uns der Bundesfinanzminister heute vorgelegt hat.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Meister, CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Michael Meister (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zum Auftakt der Haushaltsberatungen für das Jahr 2007 als Erstes folgende Bemerkung machen: Mit diesem Haushaltsentwurf kehrt die Haushaltspolitik in Deutschland in die Regelkreise zurück, die von Recht und Gesetz vorgegeben sind.
Lieber Herr Koppelin, die große Koalition ist in der Haushaltspolitik mit der Zielsetzung angetreten, die Neuverschuldung zurückzuführen, den Bundeshaushalt nachhaltig zu sanieren und die Staatsfinanzen wieder dauerhaft auf ein tragfähiges Fundament zu stellen. Der heute eingebrachte Entwurf des Haushalts 2007 und der Finanzplan bis 2010 zeigen das klare Konzept und die Handschrift dieser Koalition, um diese Zielsetzung im vorgegebenen Zeitraum erreichen zu können.
Ich will auf etwas hinweisen, was in den vergangenen fünf Jahren als Unmöglichkeit erschien, sich heute jedoch als Selbstverständlichkeit im Entwurf darstellt. Wir werden mit diesem Haushalt zum ersten Mal wieder den Regelkreis des Art. 115 des Grundgesetzes, der vorsieht, dass das Investitionsvolumen größer sein muss als die Nettoneuverschuldung, erreichen.
Das ist eine Selbstverständlichkeit, die leider in den letzten Jahren in unserem Land keine Selbstverständlichkeit war.
Darüber hinaus werden wir dank der guten konjunkturellen Entwicklung bereits in diesem Jahr das 3-Prozent-Defizitkriterium des Maastrichtvertrags einhalten. Die deutsche Finanzpolitik gewinnt damit auch international wieder an Glaubwürdigkeit. Denken wir beispielsweise an die EU-Staaten Mittelosteuropas, die kurz vor der Einführung des Euros in ihrem Land stehen: Auch ihnen verlangen wir die Einhaltung dieser Kriterien ab. Deshalb müssen wir mit gutem Beispiel vorangehen und diese Koalition tut das.
Wir tun damit aber auch langfristig etwas für die Stabilität unserer Währung. Erinnern wir uns an die Bedingungen zur Einführung des Euros. Das waren einerseits der Vertrag von Maastricht, andererseits die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank. Ich möchte seitens meiner Fraktion erklären, dass wir bereit sind und die Anstrengungen unternehmen wollen, unseren Beitrag dazu zu leisten, den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt im Jahr 2007 und in den Folgejahren dauerhaft einzuhalten.
Wir sollten aber auch hinsichtlich der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank den notwendigen Respekt
wahren und nicht in die Aufgaben einer unabhängigen Notenbank eingreifen.
Dieser Haushalt zeigt, dass die große Koalition hält, was sie verspricht. Das ist das Kennzeichen einer neuen Politik. Ich möchte Herrn Steinbrück, unserem Bundesfinanzminister, ausdrücklich dafür danken, dass er sich diesen Konsolidierungsauftrag zu Eigen gemacht hat. Herr Steinbrück, ich darf Ihnen versprechen, dass meine Fraktion und auch ich persönlich Sie bei der Umsetzung dieser schwierigen Aufgabe nach besten Kräften unterstützen werden. Das gilt auch für die Haushaltsverhandlungen, die mit dem heutigen Tage beginnen.
- Lieber Herr Koppelin, da Sie sich hier mit Zwischenrufen hervortun, möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Es ist mit Sicherheit berechtigt, als Opposition Kritik am Haushaltsentwurf der Regierungskoalition zu üben. Kritik ist angesichts der Probleme, vor denen wir in der Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik stehen, aber zu wenig.
Sie müssten nicht nur sagen, was Sie an unseren Vorschlägen kritisieren, sondern auch, wie Sie das strukturelle Defizit des Bundeshaushalts mit einem Volumen von über 60 Milliarden Euro schließen wollen. Ihre bisherigen Vorschläge zielen auf nicht einmal 10 Prozent dieser Summe und greifen deshalb wesentlich zu kurz. Ich hätte erwartet, dass Sie heute früh einen konkreten Vorschlag dazu auf den Tisch legen, über den wir uns in den nächsten Wochen unterhalten können. Herr Koppelin, das haben Sie leider nicht geleistet.
Populismus ist eine angenehme Sache, da man unheimlich viel Beifall erntet. Er ersetzt aber keine seriöse und solide Finanzpolitik für eine der größten Volkswirtschaften dieser Welt. Wir stehen in der Verantwortung und wir nehmen sie auch wahr.
Am Anfang dieses Jahres haben wir - Herr Steinbrück hat darauf hingewiesen - das Wachstumsimpulsprogramm beschlossen. Damals gab es viele Schwarzseher, die gesagt haben, dass das Programm in die falsche Richtung zielt. Jetzt liegt uns der Haushaltsentwurf vor und wieder wird darüber geredet, welche negativen Wirtschaftsentwicklungen mit diesem Haushaltsentwurf und den begleitenden Gesetzen eingeleitet werden könnten. Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die negativen Botschaften, die am Jahresanfang verkündet wurden, nicht eingetreten sind.
Es ist hervorragend, dass sie nicht eingetreten sind. All die Schwarzmaler haben nicht Recht gehabt.
Es wäre ein schönes Zeichen gewesen, wenn Sie heute gesagt hätten: Gott sei Dank, unsere Befürchtungen sind nicht eingetreten. Wir haben uns geirrt.
Deshalb sage ich ermunternd: Der Stillstand in Deutschland ist durch diese Koalition überwunden worden. Die Ampeln wurden auf Grün geschaltet.
In Deutschland geht es aufwärts. Wir haben vorsichtig geschätzt und werden auch zukünftig Vorsicht walten lassen.
Herr Kuhn, wenn Sie sich Ihre Leistungsbilanz anschauen - fünfmal Maastricht gerissen, fünfmal Art. 115 gerissen, Stagnation in Deutschland herbeigeführt, Nullwachstum -, dann ist klar, dass Sie überhaupt kein Recht haben, solche Zwischenrufe zu machen. Sie sollten sagen: Respekt vor dieser neuen Bundesregierung! Zum Glück sitzen wir Grünen endlich in der Opposition!
Im Frühjahr dieses Jahres haben wir prognostiziert, dass die Wirtschaft - vorsichtig gerechnet - um etwa 1,6 Prozent wachsen wird. Diese Prognose wird vom Ergebnis übertroffen werden. Das soll auch so bleiben: Wir wollen erstens weiterhin vorsichtige Prognosen erstellen und zweitens weiter daran arbeiten, dass wir unsere Prognosen auch in den Folgejahren übertreffen. Das ist die Philosophie dieser Regierung.
Die Arbeitslosenzahl sinkt auf breiter Front. Auch das ist ein positives Signal für die Menschen in diesem Land. Die Arbeitslosigkeit belastet die Menschen in Deutschland nämlich am stärksten; sie ist das Hauptproblem. Wir haben es geschafft, dass wir in diesem Land knapp 500 000 Arbeitsplätze mehr haben als vor einem Jahr. Wenn wir das vor der letzten Bundestagswahl angekündigt hätten, dann wäre das als rosa Wolke bezeichnet worden, aber nicht als realistische Perspektive. Mittlerweile sind wir auf diesem Feld gewaltig vorangekommen. Durch nachhaltige Strukturreformen müssen wir jetzt dafür sorgen, dass diese Entwicklung anhält und nicht wieder abbricht.
- Frau Hajduk, Kassandrarufe sind bei Ihnen immer dabei. Sie haben doch in der Arbeitsmarktpolitik versagt, weil Sie den Konjunkturaufschwung in den Jahren 2000/2001 nicht genutzt haben, um strukturelle Reformen umzusetzen. Sie haben die Chance, die Sie damals hatten, vertan. Wir wollen unsere Chance im Sinne der Menschen in Deutschland nutzen.
Meine Damen und Herren, ich will noch einmal betonen: Wir sind erst am Beginn der Haushaltssanierung. Unsere Konsolidierungsbemühungen beruhen - Herr Steinbrück hat es erwähnt - zu 60 Prozent auf der Ausgabenseite, dem Abbau von Steuervergünstigungen, steuerlichen Sonderregelungen und Finanzhilfen, und zu etwa 40 Prozent auf dem Anheben von Steuersätzen. Das ist natürlich keine angenehme Botschaft. Aber wer sich zu den finanzpolitischen Zielsetzungen bekennt und eine nachhaltige, den zukünftigen Generationen verpflichtete Finanzpolitik machen möchte, der kam um diese Entscheidung leider Gottes nicht herum. Deshalb möchte ich ausdrücklich noch einmal unterstreichen, dass sie notwendig war und in dieser Lage leider auch richtig.
Daraus muss erwachsen, dass sich die Haushaltssanierung in den kommenden Jahren - beginnend mit den Haushaltsberatungen, vor denen wir stehen - noch stärker auf die Ausgabenseite fokussieren muss. Wir müssen uns anstrengen, damit wir in den folgenden Jahren verstärkt auf der Ausgabenseite zur Konsolidierung beitragen können.
Jetzt könnte man sagen: Wenn die 3-Prozent-Grenze erreicht ist, dann bedarf es gar keiner weiteren Anstrengungen. Ich möchte darauf hinweisen, dass im Vertrag von Maastricht nicht steht, dass man jedes Jahr mindestens 3 Prozent neue Schulden machen muss. Im Vertrag steht, dass man über den Konjunkturzyklus hinweg einen ausgeglichenen Haushalt haben muss. Deshalb werden wir auch nach Erreichen der 3-Prozent-Grenze jedes Jahr einen Konsolidierungsbeitrag in Höhe von 0,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts leisten müssen. Allein für den Bund sind das etwa 7 Milliarden Euro pro Jahr. Deshalb stehen wir mit diesem Haushalt nicht am Ende der Konsolidierung, sondern am Anfang.
Wir werden weiter ernsthaft alle Möglichkeiten nutzen müssen, den Haushalt zu konsolidieren, bis wir bei einem ausgeglichenen Bundeshaushalt angelangt sind.
Mit Beginn dieser Haushaltsberatungen stellt sich die Situation so dar, dass die Steuereinnahmen etwa 3 Milliarden Euro über der Summe liegen, die im Haushaltsplan 2006 veranschlagt wurde. Diesen Spielraum sollten wir - insofern unterstütze ich Herrn Steinbrück ausdrücklich - für eine weitere Absenkung der Nettoneuverschuldung nutzen, anstatt an dieser Stelle neue Verteilungsdebatten zu beginnen.
Wir stehen nicht am Ende der Konsolidierung, sondern am Anfang. Deshalb gibt es nichts zu verteilen.
Ich greife ernsthaft den Hinweis auf die Risiken, die Herr Koppelin genannt hat, auf. Es ist richtig, dass wir Risiken haben. Ich glaube, die Koalition und auch der Finanzminister sind sich der Risiken, die existieren, bewusst. Aber man muss doch überlegen, welche Konsequenzen man aus diesen Risiken zieht. Die Konsequenz kann doch nicht die sein, die in der Rede aufgezeigt wurde: Weil Risiken existieren, nehme ich Teile der Konsolidierungsanstrengungen weg.
Damit stellen Sie ja die Mehrwertsteuererhöhung infrage. Viel eher müsste man doch sagen: Weil Risiken bestehen, müssen die Konsolidierungsanstrengungen verstärkt werden.
Deshalb ist Ihr Hinweis auf die Risiken richtig, aber Ihre Schlussfolgerung geht leider an der Sache vorbei.
Ich möchte auch das Thema ?Mehreinnahmen bei der Bundesagentur für Arbeit“ aufgreifen. Aus Sicht meiner Fraktion sollten Beitragsmehreinnahmen bei der Bundesagentur für Arbeit zur Sanierung des Bundeshaushaltes nicht zur Verfügung stehen. Wir sind sehr froh und dankbar darüber, dass wir jetzt und in den Folgejahren hoffentlich keine Überweisungen aus dem Bundeshaushalt an die Bundesagentur leisten müssen, sondern die Bundesagentur in der Lage ist, sich selbst zu finanzieren. Wenn es bei der Bundesagentur für Arbeit Spielräume gibt, die über die bereits beschlossene Senkung der Beiträgssätze hinausgehen und dauerhaft vorhanden sind, sodass eine nachhaltige weitere Beitragssenkung möglich ist, dann sollten wir diese Spielräume in diesem Sinne nutzen und keine anderen Verwendungen ins Auge fassen.
Denn natürlich hängt die Haushaltssanierung auch von der nachhaltigen Verbesserung des Arbeitsmarktes und der wirtschaftspolitischen Lage in unserem Lande ab: Die Arbeitskosten, insbesondere die Lohnnebenkosten sind wichtig für den Beschäftigungsstand und damit für die Ausgabenseite unseres Bundeshaushaltes. Wenn die Zahl der Beschäftigten ansteigt, haben wir weniger Ausgaben und gleichzeitig mehr Einnahmen, ohne Steuern oder Beiträge erhöhen zu müssen.
Insofern ist es natürlich sehr positiv, dass die Lage auf dem Arbeitsmarkt - und damit die Lage bei Steuern und Beiträgen - besser ist als vor einem Jahr.
Wir müssen dafür sorgen, dass die gegenwärtige wirtschaftliche Entwicklung über den 1. Januar nächsten Jahres hinaus anhält. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt hat sich nämlich verbessert. Die Menschen erwirtschaften mehr Geld und mehr Menschen sind in Beschäftigung. Ich bin zuversichtlich, dass diese seit vielen Jahren erstmals wieder positive Entwicklung der Binnenkonjunktur trotz der von uns beschlossenen Maßnahmen über den 1. Januar nächsten Jahres hinaus anhalten wird. Das wäre ungeheuer wichtig. Das Fundament für diese Hoffnung wurde gelegt.
Ein weiterer Punkt. Ich glaube, wir müssen dringend über das Impulsprogramm hinaus investieren und im Rahmen der Haushaltssanierung Strukturreformen durchführen. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben zu Recht das Thema Unternehmensteuer angesprochen. Ich denke, die Unternehmensteuer ist ein Mosaikstein des gesamten Pakets von Strukturreformen, die wir brauchen, um nicht nur für konjunkturelles Wachstum, sondern auch für eine strukturelle Verbesserung der Wachstumskräfte in unserem Land zu sorgen.
Zwar kann man sehr viel darüber diskutieren, was frühere Steuerreformen gebracht haben bzw. was sie nicht gebracht haben. Aber wir sollten schlicht und ergreifend die Situation, wie sie sich zum jetzigen Zeitpunkt darstellt, zur Kenntnis nehmen.
Betrachtet man den Umfang der Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften in Deutschland und in vergleichbaren Ländern, stellt man fest, dass Deutschland bei diesem Vergleich leider am oberen Ende liegt. In dieser Hinsicht sind wir gegenwärtig nicht hinreichend attraktiv. Deshalb müssen wir an dieser Stellschraube arbeiten.
Herr Kollege Poß, Herr Steinbrück, Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fraktion, ich bin sehr froh, dass wir uns bei diesem Thema auf einen Lösungskorridor hin zubewegen und die Steuerbelastung für Unternehmen in Deutschland zum 1. Januar 2008 gemeinsam auf unter 30 Prozent senken wollen.
Das ist, was die zeitliche Planbarkeit und Verlässlichkeit betrifft, ein richtiges Signal. Wichtig ist auch die klare Ansage, in welcher Höhe Unternehmensgewinne in Deutschland in Zukunft belastet werden.
Ich will ausdrücklich sagen: Für uns ist ungeheuer wichtig, dass wir in diesem Zusammenhang nicht nur über die etwa 20 Prozent Kapitalgesellschaften, sondern auch über die 80 Prozent Personengesellschaften in diesem Land sprechen. Wir müssen einen Mechanismus entwickeln, der die Personenunternehmen bei dieser Entlastung in gleicher Weise berücksichtigt und sie nicht allein lässt. Ich glaube, auch an dieser Stelle sind wir auf einem vernünftigen Weg.
Ich bin allerdings nicht davon überzeugt, dass wir diese Veränderungen im Hinblick auf Steuersatz und -strukturen werden durchführen können, wenn wir sagen, dass diese Reform haushaltsneutral erfolgen muss. Denn dies würde letztlich Mehrbelastungen für die Unternehmen bedeuten. Dadurch würden wir Investitionen verhindern und weitere Arbeitsplätze aus dem Lande treiben. Das wäre eine Politik gegen und nicht für die Menschen in Deutschland.
Außerdem warne ich davor, sich ständig in solchen staatlichen Betrachtungen zu ergehen. Wir wollen keine staatliche Wirtschaftspolitik, sondern wir wollen die Rahmenbedingungen so setzen, dass die Akteure ihr Verhalten ändern, dass Unternehmensgewinne, die hier erwirtschaftet werden, in Zukunft auch hier versteuert werden,
dass mehr investiert und mehr gearbeitet wird, dass mehr Wachstum entsteht und der Fiskus dadurch auch mehr Steuereinnahmen hat.
Die staatliche Betrachtung, die in dieser Diskussion angestellt wird, wird der Dynamik, die wir anstreben, nicht gerecht. Deshalb geht diese Debatte an der Sache vorbei.
Wir sollten zum eigentlichen Kern, dem Ziel der Schaffung von mehr Wachstum und Beschäftigung, zurückkehren.
Die Frage, wie wir es schaffen, dass die Unternehmensgewinne, die hierzulande anfallen, auch am Standort Deutschland versteuert werden, betrifft eine hoch komplexe Materie. Wir müssen ungeheuer aufpassen, dass wir dieses Problem sachgerecht lösen, ohne eine weitere Substanzbesteuerung der Unternehmen am Standort Deutschland in die Wege zu leiten.
Meine Fraktion steht für Vorschläge, die bei der Körperschaftsteuer oder auf anderen Gebieten, wie etwa bei den Ertragsteuern, weitere Substanzbelastungen mit sich bringen würden, nicht zur Verfügung.
Ich will klar und deutlich festhalten: Solchen Vorschlägen werden wir nicht zustimmen.
- Das liegt daran, Herr Koppelin, dass wir die gegenwärtige wirtschaftliche Dynamik anregen und sie nicht zerstören wollen.
Dem, was der Herr Bundesfinanzminister formuliert hat, stehen wir allerdings sehr offen gegenüber. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir für die Unternehmen eine Motivation schaffen können, ihre Gewinne in unserem Lande zu versteuern, und wie wir den Abzug von Fremdfinanzierungsaufwendungen begrenzen können. Wir sind gerne bereit, zu überlegen, ob wir über diesen Weg eine Lösung dieses Problems finden können, ohne wirtschaftspolitisch kontraproduktiv zu handeln.
Ich hoffe, dass wir rechtzeitig im Jahre 2006 auch ein wichtiges Signal an die Familienunternehmen auf den Weg bringen, um ihnen deutlich zu machen, dass sich die Lage verändert.
Wir diskutieren ungeheuer viel über Existenzgründungen, wir diskutieren ungeheuer viel darüber, wie wir zu mehr Beschäftigung kommen können. Pro Jahr stehen knapp 50 000 Unternehmen vor einem Generationenübergang. Immer wieder stellt sich die Frage, ob bei dem Generationenübergang die Arbeitsplätze im Unternehmen erhalten bleiben. Wir haben uns schon beim Jobgipfel und auch im Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass wir eine Lösung für die Erbschaftsteuer und für die Schenkungsteuer finden müssen, die es den Unternehmen erlaubt, bei Weiterführung und Erhalt der Arbeitsplätze die Erbschaftsteuerschuld nach und nach zu begleichen. Wir stehen als Koalition in der Pflicht, dieses Problem zeitgerecht und sachgerecht zu lösen, auch um die Verlässlichkeit dieser Koalition wieder deutlich zu machen.
Ich will zum Abschluss auf zwei weitere Strukturpunkte eingehen. Ich glaube, der Bürokratieabbau ist mit dem ersten Mittelstandsentlastungsgesetz und der Errichtung des Normenkontrollrats auf ein vollkommen neues Gleis gesetzt worden: ohne dass das den Staat etwas kostet, können Bürger und Unternehmen, aber auch der Staat Geld sparen. So können wir neue Handlungsspielräume gewinnen. Es ist notwendig, dass der Normenkontrollrat jetzt seine Arbeit in dem von uns gewünschten Sinne aufnimmt und dass wir gleichzeitig zeitnah und gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsminister ein zweites Mittelstandsentlastungsgesetz auf den Weg bringen, um den Bürokratieabbau fortzusetzen. Dabei müssen wir natürlich ein Stück weit an die Menschen in diesem Lande appellieren. Wir müssen ihnen deutlich machen, dass wir Vertrauen zu ihnen haben, dass wir ihnen etwas zutrauen. Deswegen sind wir bereit, ihnen mehr Freiheit zu übertragen. Ich glaube, das ist ein wichtiger Baustein, um zu mehr wirtschaftlicher Dynamik in diesem Lande zu kommen.
Lieber Herr Koppelin, ich will zum Abschluss einen Punkt von Ihnen aufgreifen: Ich teile Ihre Einschätzung, dass wir uns dringend der Regulierungsdichte des Arbeitsmarktes in Deutschland zuwenden müssen. Wir haben mit der bestehenden Gesetzeslage dazu beigetragen, dass rund 5 Millionen Menschen in die Arbeitslosigkeit geraten sind. Diese Zahl darf in Zukunft nicht noch weiter steigen. Vielmehr müssen wir mit Blick auf die Regulierungsdichte überlegen, wie wir es schaffen, dass diese Zahl reduziert wird. Wir müssen uns in der Koalition über all die Vorschläge, die im Koalitionsvertrag stehen, in den nächsten Wochen und Monaten unterhalten und auch hier zu sachgerechten und hilfreichen Lösungen kommen. Ich habe vorhin schon erwähnt, dass dies zwar nicht direkt mit dem Haushalt zu tun hat, sich aber maßgeblich auf die Haushaltslage unseres Landes auswirkt. Deshalb ist es wichtig, dieses Thema in den Haushaltsberatungen mit anzusprechen und aufzugreifen.
Der vorgelegte Bundeshaushalt 2007 ist ein wichtiger Schritt zur Gesundung der Staatsfinanzen in unserem Land. Ich habe erwähnt, dass wir bei diesem Thema am Anfang stehen, nicht am Ende. Ich möchte mit meinen Kollegen aus der Unionsfraktion meinen Beitrag dazu leisten, dass wir diesen Weg erfolgreich weitergehen - damit die Menschen in diesem Land ihren Wohlstand erhalten und mehren können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke.
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Finanzminister hat sich von den SPD- und den CDU/CSU-Abgeordneten 320 000 Euro für einen persönlichen Imageberater genehmigen lassen.
Im Sommerloch präsentierten Sie nun Ihr neues Image: Sie forderten von den Bürgern den Verzicht auf eine Urlaubsreise zur Finanzierung der Rente. Sie waren übrigens gerade selber aus dem Urlaub gekommen. Vielleicht war Ihr Urlaub nicht so schön, aber das muss ja nicht für andere gelten.
Augenscheinlich haben Sie bei Ihrem Vorschlag übersehen, dass zum Beispiel in einem Land wie Mecklenburg-Vorpommern der Tourismus der wichtigste Wirtschaftsfaktor ist. Ich frage mich: Braucht man wirklich eine Imageberatung für 320 000 Euro, um so arrogant und anmaßend zu sein?
Das Image des Finanzministers könnte uns eigentlich egal sein, wenn die Folgen nicht so katastrophal wären! Es ist nicht gut für unser Land, dass die Koalition es sich zur Aufgabe gemacht hat, permanent Angst zu verbreiten. Die Bürger werden von der Bundesregierung ständig in Unsicherheit und Ungewissheit gehalten. Jeden Tag wird von einem Minister der Untergang der Sozialsysteme und des Abendlandes verkündet. Ich frage mich wirklich, wie es die Bundesregierung so schnell geschafft hat, die gute Stimmung, die während der Fußballweltmeisterschaft in unserem Land herrschte, wieder gründlich zu vertreiben.
Einen muss ich allerdings ausnehmen: Der Innenminister hat schon während der Fußballweltmeisterschaft versucht, eine schlechte Stimmung zu verbreiten, indem er immer wieder den Einsatz der Bundeswehr forderte. Ich habe den Eindruck, dass es Herrn Schäuble völlig egal ist, was gerade passiert. Ob in China ein Reissack umfällt oder die Gletscher schmelzen: Er fordert immer den Einsatz der Bundeswehr.
Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung für das nächste Jahr ist eine Kampfansage an alle Kinder, Jugendlichen, Studierenden, Familien und Rentner. Die steuerliche Entlastung der Spitzenverdiener und der Unternehmen unter Rot-Grün - mit Unterstützung der CDU/CSU - hat große Löcher in die Haushalte des Bundes, der Länder und der Gemeinden gerissen. Jährlich gehen durch die rot-grün-schwarze Steuerreform Einnahmen in Höhe von über 60 Milliarden Euro verloren, die dringend gebraucht werden. Allein meine Heimatstadt Berlin hat durch diese Steuerreform Ausfälle in Höhe von 800 Millionen Euro pro Jahr.
Das wissen übrigens auch der Herr Pflüger und die Kandidaten der Grünen, die den Berlinerinnen und Berlinern im Wahlkampf Versprechungen machen, obwohl sie wissen, dass sie an der dramatischen Haushaltsnotlage des Landes mitschuldig sind. Die Berliner Wähler sollen wissen, dass hier schwarz-grüne Populisten unterwegs sind, denen wir das nicht durchgehen lassen.
SPD, CDU/CSU und Grüne haben großzügig Steuergeschenke an Unternehmen und Besserverdienende verteilt und jetzt will die Koalition Haushaltslöcher stopfen, indem sie den Leuten in die Tasche greift, die am wenigsten haben. Das ist wirklich dreist.
Die Kanzlerin erklärt, dass die Mehrwertsteuererhöhung zur Entlastung der Arbeitskosten und zur Schließung von Haushaltslöchern genutzt werden soll. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Die Bürger sollen auch deshalb mehr Steuern zahlen, damit die Bundesregierung die Unternehmen auch in den nächsten Jahren weiter steuerlich entlasten kann.
Übrigens: Zur Eröffnung der Internationalen Funkausstellung hier in Berlin hat die Kanzlerin den Finanzminister etwas - ich würde einmal sagen - demontiert. Sie hat angekündigt, gerade die Teile der Unternehmensteuerreform zu streichen, die zur Gegenfinanzierung gedacht waren.
Die Unternehmensteuerreform wird die Kosten für den Steuerzahler also noch erhöhen.
Meine Damen und Herren, lediglich Herr Rüttgers von der CDU hat inzwischen endlich verstanden, was wir als Linkspartei seit Jahren sagen.
- Vorher als PDS natürlich. Wenn Sie das gerne hören wollen, dann korrigiere ich das, Herr Kollege. - Es ist eine Lebenslüge, zu glauben, dass die permanente Senkung der Unternehmensteuer zu mehr Arbeitsplätzen führt.
Leider ist das nicht die einzige Lebenslüge der CDU, von der sie sich nicht trennen will.
Die Bundesregierung glaubt wirklich daran, dass die Privatisierung von öffentlichen Unternehmen der Königsweg ist. Es ist eine Lebenslüge, zu glauben, dass kommerzielle Unternehmen von vornherein besser als öffentliche Unternehmen sind. Das beste Beispiel ist die Bahn. Wenn man an all die Bahnunfälle der letzten Jahre in Großbritannien denkt, dann weiß man, dass eine privatisierte Bahn unpünktlich, teuer und sogar lebensgefährlich sein kann.
Diese Regierung lässt sich durch die Realitäten aber nicht schrecken. Die Deutsche Bahn soll auf Biegen und Brechen verkauft werden und der Steuerzahler soll die Zeche bzw. die Dividende zahlen. Das ist das zweitgrößte Enteignungsprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg.
Die Bundesregierung hat einen Haushaltsentwurf vorgelegt, der in sich so widersprüchlich wie die große Koalition selbst ist. Es wird ein bisschen saniert, ein bisschen reformiert und ein bisschen investiert. Ich finde, das ist mehr als ein bisschen konzeptionslos.
Es gibt für unser Land eigentlich nur zwei denkbare Modelle, nämlich das US-amerikanische und das skandinavische. CDU/CSU, SPD und leider auch Teile der Grünen versuchen seit über zehn Jahren, unserem Land das für uns untaugliche amerikanische Modell überzustülpen. Dieses Modell besteht aus Steuergeschenken für Unternehmen, der Privatisierung öffentlicher Aufgaben, dem Abbau der Sozialsysteme, der Kommerzialisierung des Gesundheitswesens, Lohndumping, rücksichtslosem Wettbewerb, dem Abbau von Bürgerrechten und einer aggressiven Außenpolitik. Ich bin davon überzeugt - das wissen wir aus vielen Umfragen und Gesprächen -: Die Menschen in unserem Land sagen Ja zu Reformen und Ja zu einer solidarischen Gesellschaft. Aber sie sagen Nein zu einer Ellbogengesellschaft.
Daran kann zum Glück auch die große Koalition nichts ändern. Selbst die konservative ?Wirtschaftswoche“ muss zugeben, dass das skandinavische Modell sehr erfolgreich ist: Im Vergleich der gesamtwirtschaftlichen Wachstumspotenziale stehen Finnland auf Platz eins, Schweden und Dänemark auf den Plätzen drei und vier, Deutschland aber auf Platz 15. Die Arbeitslosigkeit ist in den skandinavischen Ländern niedriger als bei uns. Die Schere zwischen Arm und Reich geht nicht so dramatisch auseinander, wie wir das hier in Deutschland unter der CDU/CSU- und SPD-Regierung erleben.
Die Bundesregierung kann sich offensichtlich nicht von ihren Lebenslügen trennen und setzt ihre erfolglose Politik fort.
In den gemeinsamen Leitlinien der Haushälter der Koalition steht an erster Stelle nicht der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, wie Sie es den Wählerinnen und Wählern versprochen haben, sondern die Einhaltung der Maastrichter Kriterien.
Nun soll man sie nicht ignorieren. Aber ich weiß nicht, ob das jeder Arbeitslose verstehen wird.
Interessant ist aber auch, was nicht in den Leitlinien steht, zum Beispiel dass CDU/CSU und SPD einen Haushalt aufgestellt haben, in dem die Ausgaben für den Verteidigungshaushalt am zweithöchsten sind.
Was vielleicht auch einmal hervorgehoben werden sollte: Die Bundesregierung will mehr für die Verteidigung - rund 28 Milliarden Euro - als für zivile Investitionen ausgeben. Gerade an Investitionen fehlt es jedoch in unserem Land.
Ich komme noch einmal zum Verteidigungshaushalt zurück. Schaut man sich die Ausgaben an, können einem - sofern vorhanden - die Haare zu Berge stehen.
Die Bundesregierung versucht, die hohen Ausgaben mit der Terrorgefahr zu begründen. Aber die großen Beschaffungsprojekte stammen noch aus der Zeit des Kalten Krieges. Kann mir jemand in diesem Hause erklären, warum wir ein neues Mittelstreckenraketensystem brauchen? Wollen Sie damit auf deutschen Bahnhöfen Bombenleger jagen? Oder wie stellen Sie sich das vor?
In einer Frage möchte ich die Kollegen Haushälter, die sich dazu öffentlich geäußert haben, unterstützen. Auch ich bin dafür, dass die kostenintensive Teilung der Bundesregierung auf die Standorte Bonn und Berlin in absehbarer Zeit ein Ende findet.
Es kann doch wirklich nicht sein, dass die Bundesregierung von allen Bürgern Mobilität und Flexibilität verlangt, aber selber nicht in der Lage ist, ihre Ministerialbeamten von Bonn nach Berlin zu holen. Diesen Luxus an ministerialem Beharrungsvermögen können wir uns wirklich nicht leisten.
Wir als Linksfraktion haben den Antrag eingebracht, die Erhöhung der Mehrwertsteuer zurückzunehmen. Diese Erhöhung ist unsozial und Gift für die Konjunktur. Wir wollen steuerlich da ansetzen, wo Menschen ohne eigenes Zutun Extragewinne in die eigene Tasche stecken. Wir fordern unter anderem eine Steuer auf Sondergewinne der Stromversorger aus dem Emissionshandel. Es ist nicht einzusehen, dass die Stromriesen Extragewinne einfach einstreichen, ohne dafür einen Finger krumm gemacht zu haben.
Wir werden in den Haushaltsberatungen alle Vorschläge im Einzelnen durchgehen. Unsere Vorschläge lassen sich auf einen Nenner bringen: In einer solidarischen und gerechteren Gesellschaft lassen sich die Probleme unseres Landes lösen, sei es die Arbeitslosigkeit, die die Verarmung ganzer Regionen bedeutet, sei es die Umgestaltung unserer Sozialsysteme. Lassen Sie uns die vor uns liegenden Haushaltsberatungen nutzen, um den Haushalt vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat der Kollege Joachim Poß, SPD-Fraktion.
Joachim Poß (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Peer Steinbrück hat die wirtschaftliche Lage und Entwicklung zutreffend beschrieben. Nach meinem Eindruck ist die Opposition durch die wirtschaftliche Entwicklung regelrecht entwaffnet worden.
- Lesen Sie bitte Ihre Reden vom Frühjahr dieses Jahres! Dann werden Sie feststellen, inwiefern Sie durch die wirtschaftliche Entwicklung entwaffnet wurden.
Zu Ihren Ausführungen, Frau Lötzsch: Ich glaube, dass wir mit Schwarz-Weiß-Rezepten
- meinetwegen auch Schwarz-Rot - nach dem Motto ?Kupfern wir doch etwas von Finnland ab!“ nicht weiterkommen. Wir haben in Deutschland unsere eigene Lage, die insbesondere von der Überwindung der deutschen Teilung geprägt ist. Dieser Lage müssen wir uns stellen. Wir gehen nicht den amerikanischen Weg. Wir gehen auch nicht den skandinavischen Weg. Wir müssen vielmehr unseren Weg finden und wir sind auf einem guten Weg, wenn man das an den Ergebnissen misst.
Betrachten Sie einmal die skandinavische Arbeitsmarktpolitik, ob in Dänemark oder in Finnland! Dann werden Sie sehen, was den Menschen dort abverlangt wird. Wenn Sie auf Skandinavien verweisen, dann dürfen Sie sich nicht nur auf die Seite beschränken, die Ihnen gefällt; Sie müssen vielmehr das Ganze in den Blick nehmen. Ob man Deutschland mit einem Land wie Finnland mit 5 Millionen Einwohnern vergleichen kann, wage ich ebenfalls zu bezweifeln. Wenn Sie das Ausmaß der Jugendarbeitslosigkeit vergleichen, dann kommen Sie zu dem Ergebnis, dass die Jugendarbeitslosigkeit im hoch gelobten Finnland weit höher ist als in Deutschland. So gemischt ist das Bild.
Man sollte zwar über den Grenzzaun schauen, aber es gibt nirgendwo Vorbilder, die man einfach abkupfern kann. Wir stehen im deutschen Parlament in der Verantwortung, unseren Weg zu finden und zu formulieren, und wir sind auf einem guten Weg.
Wir haben eine bemerkenswerte wirtschaftliche Entwicklung zu verzeichnen, die uns Recht gibt. Die wirtschafts- und finanzpolitische Strategie der Regierungskoalition geht voll auf. Wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir zugeben, dass auf dem Arbeitsmarkt mehr Bewegung entstanden ist, als wir alle es uns eigentlich haben vorstellen können. Auch das ist die Wirklichkeit. Wir haben nicht mit einer so schnellen Bewegung gerechnet. Das geht zwar in der Tat auf das Wachstum, aber auch auf die Weichenstellung im Zusammenhang mit den heftig kritisierten Hartz-Reformen und anderen Reformen der Regierung Schröder zurück. Beides gehört zur Wirklichkeit.
Was Ihren Vorwurf betreffend die Buchhalterei angeht, Herr Koppelin: Ein Buchhalter hätte in der Tat nur konsolidiert und verkündet, wir müssten sparen, sparen, sparen.
Diese Sparforderungen und -vorschläge kamen von verschiedenen - auch prominenten - Seiten. Wir sind diesen, Ihren Vorschlägen aber zu Recht nicht gefolgt.
Der Verzicht auf zusätzliche Konsolidierungsmaßnahmen im laufenden Jahr über das hinaus, was wir bereits tun, hat sich als zielführende konjunkturpolitische Maßnahme im Interesse der Binnenkonjunktur erwiesen.
Die Binnennachfrage belebt sich deutlich. Es war also richtig, diesen Forderungen nach einem forcierten Sparkurs schon im Jahr 2006, die auch aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Umfeld erhoben wurden, nicht zu folgen. Die Koalition hat gegen alle Experten, die anders geraten haben, richtig gehandelt.
Zur Konjunkturbelebung trägt auch das 25-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm bei, das alles zusammengenommen sogar ein Volumen von 37 Milliarden Euro erreichen wird. Wenn Sie sich nicht nur in Berlin umhören, sondern auch mit den Handwerkern vor Ort in Ihren Wahlkreisen reden, dann wird Ihnen das tagtäglich bestätigt.
Noch wichtiger als die derzeitige Lage ist, dass auch die ökonomische Perspektive so positiv ist wie seit langem nicht mehr. Die Voraussetzungen für einen auch länger andauernden Aufschwung sind gegeben. Es ist bereits erwähnt worden, dass Gerhard Schröder und die Regierungskoalition aus SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen mit ihrer Politik die richtigen Weichen gestellt haben. Frau Merkel hat kürzlich darauf hingewiesen. Die Wirkungen werden sichtbar.
Ich erwähne das bewusst, weil im Sommer an manchen Orten - nicht nur in der politischen Opposition - schon wieder Miesmacher und Schwarzmaler unterwegs waren, deren Verlautbarungen einem einfachen Erklärungsmuster folgen. Ein wirtschaftlicher Aufschwung ist offensichtlich etwas, was es in Deutschland nicht geben darf, jedenfalls nicht, solange die Sozialdemokratie an der Regierung beteiligt ist. Das ist das Muster mancher Verlautbarungen.
Natürlich gibt es Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung. Peer Steinbrück hat auf diese Risiken hingewiesen. Die gibt es aber in jedem Jahr. Sie sind einmal groß und ein anderes Mal klein. Ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist sehr unterschiedlich. Risiken können auf eine robuste oder auf eine weniger robuste Ökonomie treffen. Es bedarf deshalb einer differenzierten und differenzierenden Analyse und Argumentation, um abzuschätzen, was im nächsten Jahr auf die Wirtschaft in Deutschland zukommt. Es muss auf jeden Fall etwas mehr sein als die erschreckende Oberflächlichkeit der FDP und interessegeleitete Äußerungen von Verbänden.
Ein relevantes Risiko ist sicherlich die weitere Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten. Aber es ist noch nicht ausgemacht, dass der Ölpreis im Zuge des Konflikts in Israel und dem Libanon oder im Zuge des Atomstreits mit dem Iran noch einmal stark steigen wird, wenn es auch nicht unwahrscheinlich ist. Allerdings kann es - unter anderem spekulationsbedingt - auf dem Öl- und Benzinmarkt zeitweise zu hohen Ausschlägen kommen. Das ist ein Risiko, das wir sehen müssen. Weil ich gerade die Robustheit einer Ökonomie angesprochen habe: Wir müssen uns klar machen, dass der vorhandene Aufschwung auf der Grundlage eines bereits heute enorm hohen Ölpreises stattfindet. Vor fünf oder zehn Jahren hätte niemand vorhergesagt, dass auf der Grundlage eines so hohen Ölpreises ein solcher Aufschwung möglich ist. Offensichtlich besitzt unsere Ökonomie das Vermögen, sehr hohe Energie- und Ölpreise zu verkraften. Aber natürlich gibt es Grenzen der Verträglichkeit von weltwirtschaftlichen Verwerfungen.
Ein weiteres Risiko für den wirtschaftlichen Aufschwung ist die zukünftige Zinspolitik der Europäischen Zentralbank. Die kundigen Thebaner erwarten, dass den bereits seit dem letzten Jahr erfolgten Leitzinsanhebungen in den nächsten Monaten weitere folgen werden. Ich sage dazu nur - möglicherweise in der Akzentsetzung etwas anders als mein Kollege Meister und bei allem Respekt vor der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank -: Die Europäische Zentralbank sollte sich noch einmal genau überlegen, ob das die richtige Strategie ist.
Sie sollte mit ihrer Zinspolitik nicht die Verantwortung dafür übernehmen, dass die wirtschaftliche Aufwärtsbewegung in Europa und insbesondere in Deutschland wieder nieder gedrückt wird.
Auch hier muss die Zeit der Dogmatiker und Ideologen vorbei sein.
Die Europäische Zentralbank hat noch jede Chance, zukünftig eine vernünftige und angemessene Politik zu betreiben. Ich hoffe, dass sie diese Chance nutzt.
Wenn die politische Opposition von Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung spricht, dann geht es ständig nur um die Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar nächsten Jahres. Aber das viel relevantere Risiko einer falschen EZB-Leitzinspolitik haben meines Wissens weder Herr Westerwelle noch Herr Koppelin noch Herr Brüderle in ihren vielen Statements zum Thema gemacht.
So wie sich die Dinge entwickeln - das gehört zur Wahrheit; das kann man jeden Tag von verschiedenen Seiten deutlich vernehmen, ob vom Internationalen Währungsfonds oder von anderen kompetenten Stellen -, ist festzustellen, dass die Mehrwertsteuererhöhung nicht das Risiko für die Konjunktur sein wird, wie es von vielen vorhergesagt wurde
- richtig -, wie es auch von uns gesehen wurde. Es entwickelt sich Gott sei Dank in eine andere Richtung. Wir werden sehr wahrscheinlich im nächsten Jahr einen geringeren Dämpfer erleiden, als wir vielfach erwartet haben. Für die Menschen im Land und insbesondere für die Arbeitslosen ist das auch gut so. Daran sollten Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, egal ob von rechts oder von links, nicht rühren.
Das ?Handelsblatt“ und andere Publikationen weisen zu Recht darauf hin, dass die Mehrwertsteuererhöhung besser verkraftet wird als angenommen und dass die Konjunktur dieser Erhöhung trotzen wird. Umfragen unter Führungskräften machen deutlich, dass im nächsten Jahr nicht weniger, sondern mehr investiert wird und dass die Belegschaften aufgestockt werden sollen. Das sind gute Botschaften für das Land.
Als Fazit bleibt damit festzuhalten: Es gibt Risiken für die Wirtschaftsentwicklung. Aber die geplante Mehrwertsteuererhöhung spielt dabei keine dominierende Rolle.
Deswegen, mit Blick auf die Westerwelle-FDP: Wenn man die eigene Politik-Agenda auf den einen Satz reduziert, dass, wenn es immer weniger Steuern, immer weniger Abgaben, immer weniger Arbeitnehmerrechte und immer weniger Gewerkschaften gibt, Wachstum und Wohlstand explodieren, dann kann ich nur sagen, dass Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP, die gegenwärtige Entwicklung nicht Recht gibt. Ihre Einschätzung hat mit der Realität nichts zu tun.
Andere sprechen in diesem Zusammenhang von ?Lebenslügen“ und treffen mit ihren kritischen Aussagen schon eher die Tatsachen.
Mich betrübt im Übrigen, dass sich das Bündnis 90/Die Grünen, mit dem wir in gemeinsamer Regierungsverantwortung gute Politik für Deutschland gemacht haben
- ja, so ist das, meine Damen und Herren -, schon jetzt, nach weniger als einem Jahr, bemüht, in der Wirtschafts- und Finanzpolitik den Debattenstil der Westerwelle-FDP zu kopieren.
Ich halte die Mehrwertsteuererhöhung für nicht so konjunkturgefährdend, wie ich es noch vor einigen Monaten gedacht habe. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Mehrwertsteuererhöhung zur nachhaltigen Stabilisierung nicht nur des Bundeshaushaltes, sondern auch der Länderhaushalte zwingend erforderlich ist. Es geht um einen Wirtschafts- und Finanzpakt für ganz Deutschland. Das dürfen wir bei unseren Debatten nicht vergessen.
Peer Steinbrück hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die sonstigen zusätzlichen Steuereinnahmen, die sich für 2007 ankündigen, nicht ausreichen, um die Wundertüte aufzumachen. Deswegen kann eine verantwortungsbewusste und vorsichtige Finanzpolitik ihm in dieser Frage nur folgen.
So wie der Bundeshaushalt 2006 im Zeichen der Stabilisierung und Vertiefung des wirtschaftlichen Aufschwungs steht, so steht im Zentrum des Bundeshaushalts 2007 die unabdingbare Zurückführung der Nettokreditaufnahme des Bundes. Kollege Meister und andere haben darauf hingewiesen. Auch das erreichen wir entgegen allen Unkenrufen. Wir müssen aber denjenigen, die nicht jeden Tag mit solchen Dingen zu tun haben, sagen, dass es auch da Risiken gibt und wir noch nicht ganz auf der sicheren Seite sind.
Weil wir das Niveau der Investitionen nicht absenken wollen, weil sich nach den Zumutungen und Veränderungen der letzten Jahre weitere umfangreiche Eingriffe in Sozialleistungen verbieten - auch das sage ich für meine Fraktion ganz eindeutig, nämlich dass wir keine weiteren Eingriffe in Sozialleistungen wollen -, kann die Rückführung der Nettokreditaufnahme des Bundes nur mithilfe der Einnahmen aus dem einen Prozentpunkt der Mehrwertsteuererhöhung, der dem Bund zusteht, gelingen. Wir werden außerdem natürlich keine Abstriche an dem 25-Milliarden-Euro-Impulsprogramm machen. Durch die Verklammerung der Haushalte von 2006 und 2007 wird unsere Doppelstrategie aufgehen.
Wenn man selbstkritisch ist, muss man sagen, dass sie noch nicht ausreichend kommuniziert ist,
auch weil das Thema relativ kompliziert ist. Außerdem wird diese Doppelstrategie systematisch von den Kritikern in der Darstellung verfälscht. Ich sage: Die Strategie für 2007 wird ebenso aufgehen, wie die für 2006 in diesem Jahr aufgegangen ist.
Wir schaffen eine stabile, positive Wirtschaftsentwicklung in Deutschland und konsolidieren ohne Konjunktureinbrüche. Das werden Sie sehen, wenn wir uns im November treffen und über diese Fragen sprechen. Dann kann man das noch besser absehen als heute.
Kollege Meister und Peer Steinbrück haben etwas zur Reform der Unternehmensbesteuerung gesagt. Es ist selbstverständlich, dass wir gemeinsam verpflichtet sind, so wie es im Koalitionsvertrag und in den Eckpunkten der Bundesregierung vereinbart ist, zu einer guten Lösung zu kommen. Es geht hier nicht um ?Steuergeschenke“ oder Steuerentlastungen für Unternehmen in Milliardenhöhe, wie öfter zu lesen ist, es geht vielmehr um die Verbesserung einer völlig unzulänglichen Besteuerung in Deutschland und Europa. Es gibt einen Handlungszwang, auch im Interesse derjenigen, die treu und brav jeden Monat ihre Steuern abliefern. Diese Reform ist notwendig, weil der internationale steuerliche Wettbewerb Maßnahmen zur nachhaltigen Sicherung der deutschen Steuerbasis erfordert. Denn wir wissen, dass international operierende Unternehmen ihre Steuerstrategie zunehmend optimiert haben. Es gibt Berichte in seriösen Zeitungen über Seminare zur Optimierung der Steuerstrategie, die von sehr bekannten Adressen angeboten werden. Das können wir nicht länger hinnehmen. Deshalb müssen wir handeln und die Unternehmensbesteuerung entsprechend modifizieren.
Das heißt, durch die Senkung der nominalen Steuerbelastung und durch eine Beschränkung des Abzugs von Finanzierungsaufwendungen sollen die durch bestimmte Finanzierungskonstruktionen ins Ausland verlagerten Gewinne wieder für die Besteuerung in Deutschland zurückgewonnen werden. Das ist die Aufgabe.
Die Unternehmen, die ihre Gewinne schon jetzt in Deutschland versteuern, werden durch die Reform entlastet. Der Steuer- und Investitionsstandort Deutschland wird attraktiver. Wir wissen: Wir müssen die hohen nominalen Steuersätze für Kapitalgesellschaften senken, weil ansonsten bei uns Risiken der weiteren Verlagerung ins Ausland bestehen. Diese Verlagerungsrisiken wollen wir beseitigen, da sie auch negative Effekte für den öffentlichen Haushalt haben.
Nach den Berechnungen des Bundesfinanzministeriums, die von Professor Wiegard vom Sachverständigenrat als plausibel bestätigt wurden, werden in Deutschland erwirtschaftete Gewinne bereits heute in einer Größenordnung von rund 60 Milliarden Euro der inländischen Besteuerung entzogen. Deswegen sage ich: Das ist noch ein hartes Stück Arbeit. Ich verweise in diesem Zusammenhang auch auf das, was Herr Meister hier ausgeführt hat. Wir haben die Eckpunkte vereinbart; aber wir können sie nur umsetzen, wenn man offen ist für die Vorschläge des Bundesfinanzministeriums oder auch für Vorschläge aus den Ländern, die auf die Sicherung der Steuerbasis zielen.
Es kann nicht angehen, dass wir unter dem anwachsenden Druck der Lobby denen sozusagen noch nach dem Mund reden.
Diese Lobby, Wirtschaftswissenschaftler und Wirtschaftsjournalisten haben über Jahre gefordert: Runter mit den nominalen Steuersätzen. Immer haben sie hinzugefügt: Die Steuerbasis muss natürlich verbreitert werden. Mittlerweile haben wir ein solches Konzept entwickelt, das übrigens kommunalfreundlich ist und die kommunale Finanzierungsbasis im Interesse der Investitionen in den Kommunen stärkt. Wir haben also alle Elemente miteinander verbunden. Dennoch kommt die gleiche Lobby - warum denn wohl? - und sagt: Das geht so nicht an. - Herr Börner vom Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels sagte gestern: Lieber keine Reform als diese Reform. Was stimmt denn nun bei der Unternehmensbesteuerung?
Wir werden kritisiert. Auch in der SPD gibt es eine kritische Diskussion über Steuergeschenke. Bei der Linkspartei und bei den Gewerkschaften findet eine solche Diskussion sowieso statt. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite melden sich die betroffenen Wirtschaftsverbände und die Unternehmen protestieren lautstark, dass wir durch dieses Konzept die Wertschöpfungsgrundlagen in der Bundesrepublik Deutschland erschüttern. Was stimmt denn nun? Es kann ja nur eines stimmen; beides geht nicht zusammen. Deswegen fordere ich beide Seiten auf, ihre Vorwürfe und ihre Feststellungen zu überprüfen.
Ich glaube, wir haben dank des vorgelegten Konzepts, das Peer Steinbrück und sein Haus entwickelt haben, alle Möglichkeiten, beide Ziele zu erreichen: die nominalen Steuersätze zu senken und die Besteuerungsgrundlagen für die Bundesrepublik Deutschland im Interesse der Steuerzahler zu sichern. Wir haben diese Chance. Wir sollten sie unter dem Druck der Lobby in den nächsten Tagen und Wochen nicht verspielen.
Deswegen bitte ich unseren Koalitionspartner ausdrücklich, auch im Interesse des Erfolges dieser Koalition, zu versuchen, die Widerstände, von denen man jeden Tag lesen kann, zu überwinden. Wenn das geschieht, dann können wir, glaube ich, so gut und so optimistisch weitermachen, wie das bisher der Fall war.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Poß, es hat schon fast Tradition, dass ich eingangs auf Sie eingehe, wenn Sie vor mir geredet haben. Wenn Sie auf den wirtschaftlichen Aufschwung verweisen - wir stellen ihn nicht infrage - und behaupten, damit seien der Opposition schon die Zähne gezogen, dann kann ich Ihnen nur sagen: So billig kommt die Regierung nicht davon.
Das wollen wir einmal festhalten. Ein wirtschaftlicher Aufschwung und die jetzt in Deutschland existierende Situation verpflichten zu wirklichen und konsequenten Reformen bei der Konsolidierung und zu Reformen bei der sozialen Sicherung. Da ist das, was Sie nach zehn Monaten hingelegt haben, viel zu wenig. Sie hätten etwas ganz anderes leisten müssen.
Ich komme darauf noch zurück.
Ich möchte noch eine andere Vorbemerkung machen, und zwar zum Finanzminister Steinbrück. Ich finde, dass die Tonlage, die Sie bei Ihrer Rede gewählt haben, Herr Steinbrück - sie hatte für mich den Anschein von Arroganz -,
wirklich in einem seltsamen Gegensatz - ich könnte es auch scharf sagen: in einem lächerlichen Gegensatz - zur Widersprüchlichkeit Ihrer Politik steht; auch darauf komme ich noch zurück.
Angesichts dessen, was Sie schon an Niederlagen haben einstecken müssen, etwa bei der Steuerfinanzierung im Gesundheitsbereich, was Sie für ein chaotisches Verhältnis zur Beitrags- oder Steuerfinanzierung bei den Lohnnebenkosten anrichten, könnten Sie ein bisschen bescheidener auftreten oder dem parlamentarischen Streit auch ein bisschen demütiger folgen.
Sie brauchen nicht meiner Meinung zu sein, aber kommen Sie vom Sockel herunter! Das steht Ihnen nicht gut zu Gesicht. Ihren Humor finde ich in Ordnung, aber nicht diese Überheblichkeit.
Ich komme zum Haushalt 2007. Ich möchte in meiner Rede auf fünf Punkte eingehen. Beginnen wir mit dem Haushalt 2007 selbst. Auf den ersten Blick hat er zumindest eine bessere Kennzahl als der Haushalt 2006; denn man will mit einer Neuverschuldung von 22 statt 38 Milliarden Euro auskommen. Auf den zweiten Blick stellt man fest: Das zeugt noch nicht davon, dass jetzt wirklich eine ausreichende Konsolidierung begonnen wird. Einer Absenkung um 16 Milliarden Euro bei der Nettokreditaufnahme stehen 20 Milliarden Euro an Steuermehreinnahmen gegenüber. Das ist nun wirklich kein Konsolidierungskunststück.
Was Sie machen, ist einnahmefixiert. Herr Poß, gerade in Zeiten guter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen muss man mehr für den Haushalt tun; da darf man nicht nur einnahmeseitig konsolidieren.
Jetzt ist die Gelegenheit, wirklich weitere Reformmaßnahmen zu ergreifen.
Ich sage das vor dem Hintergrund, dass wir beide doch wissen, wovon wir reden. Rot-Grün - das hat Herr Meister zu Recht gesagt - hat im Jahr 2000 in einem Zeitfenster mit günstiger wirtschaftlicher Entwicklung in der Tat nicht mit den notwendigen arbeitsmarktpolitischen Reformen begonnen.
Rot-Grün hat erst später mit den notwendigen arbeitsmarktpolitischen Reformen begonnen, aus denen jetzt eine gewisse Reformdividende zu verzeichnen ist.
Die Blockade in der großen Koalition nun ist aber wirklich ein Problem für das Land. Sie tun weitaus zu wenig.
Ich möchte das am Haushalt 2007 belegen. Da gibt es zum einen eine Neuverschuldung von 22 Milliarden Euro. Da gibt es zum anderen Risiken von 8 Milliarden Euro im Arbeitsmarktbereich. Da werden nämlich die Kosten für das Arbeitslosengeld II mal hoppla hopp um 5 Milliarden Euro niedriger angesetzt. Da wird unterstellt, dass die Kommunen nur 2 Milliarden Euro als Ausgleich für die Übernahme der Unterkunftskosten erhalten. In dieser Sache hat Herr Müntefering schon im letzten Jahr sehr schnell klein beigeben müssen und das Doppelte bezahlt. Eine weitere Milliarde Euro kalkulieren Sie als eine höhere Strafzahlung der Bundesagentur für Arbeit ein, obwohl diese im Moment im ersten Arbeitsmarkt nachweislich enorme Vermittlungserfolge hat. Das sind zusammen Risiken von 8 Milliarden Euro.
Die passen nicht zu der vom Finanzminister eigentlich proklamierten neuen Ehrlichkeit und Seriosität in der Haushaltsplanung.
Neben der Nettokreditaufnahme von 22 Milliarden Euro gibt es also Risiken von 8 Milliarden Euro und - von Ihnen selbst zugestanden - Einmaleffekte von 16 Milliarden Euro. Addieren Sie das doch einmal! Trotz einer massiven Steuererhöhung von über 20 Milliarden Euro haben Sie weiterhin ein strukturelles Defizit von ungefähr 46 Milliarden Euro. Das zeugt wirklich nicht von einer soliden Haushaltspolitik und einem Aufbruch hin zur Konsolidierung. Das ist haushaltspolitischer Stillstand bei - zugegeben - günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Ich möchte in einem zweiten Punkt auf die Finanzplanung eingehen. Die Finanzplanung vermittelt vielleicht auch einen ehrlicheren Eindruck von der Qualität der Haushaltspolitik. Zugegebenermaßen kann man Haushalte nicht jährlich brutal umsteuern.
Da muss man ganz nüchtern Folgendes sehen: Es gibt, wie gesagt, erhebliche Steuermehreinnahmen. Nach der Finanzplanung bis zum Jahr 2010 steigen die Zahlen bei der Alterssicherung von 96 auf 103 Milliarden Euro und die Zinsen von 37,6 auf 44,8 Milliarden Euro. Wenn man auf die andere Seite blickt, einmal nicht auf die alten Verpflichtungen, sondern in die Zukunft schaut, stellt man fest: Die Investitionen stagnieren bei 23,3 Milliarden Euro. Bei Bildung und Forschung gibt es von 2006 auf 2007 einen Schub, aber ab 2007 stagnieren die Ausgaben dafür bei 13,1 Milliarden Euro.
Daran kann man sehen: Die notwendige Umsteuerung zu einer stärkeren Ausrichtung auf Zukunftsfähigkeit, auf Zukunftsinvestitionen ist der großen Koalition bislang nicht gelungen; eine solche Umsteuerung ist aus diesem Finanztableau schlicht und ergreifend nicht abzulesen.
Herr Poß, Sie haben darauf hingewiesen, dass die Nettokreditaufnahme stark abgesenkt werde. Haben Sie auch einmal in die Finanzplanung gesehen? Die Nettokreditaufnahme bleibt fast stetig auf dem Niveau - ich will das gerne noch einmal nachschauen und vorlesen - von 20 Milliarden Euro.
Als Rot-Grün regiert hat, haben wir Finanzplanungen aufgelegt, in denen die Nettokreditaufnahme gesenkt wurde. Damals haben wir versucht, in den 10-Milliarden-Euro-Korridor zu kommen.
In unserer Situation, in der in ungefähr zehn, zwölf, 13 Jahren die demografische Spitzenbelastung in den öffentlichen Finanzen erreicht wird, sollte eine seriöse, langfristige Politik einen Haushaltsausgleich suchen; von mir aus ruhig über eine Strecke von sechs Jahren. Bei Ihnen sieht man keine Bewegung in diese Richtung. - Jetzt muss Herr Schneider richtig die Zähne aufeinander beißen, weil er mir an dieser Stelle am liebsten Applaus geben würde.
Ich möchte neben der Finanzplanung aber noch auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen, der die Haushaltssituation, in der wir uns befinden, in Zukunft sehr negativ belasten wird: Das ist schlicht und ergreifend die große Koalition selbst.
Sie sind bei den großen Reformthemen zutiefst gespalten. Ole von Beust,
der Bürgermeister meiner Heimatstadt, hat unlängst in einem Interview gesagt, Unternehmensteuer, Arbeitsmarktpolitik und Gesundheit, das seien die Reformthemen, die jetzt anstünden.
Man musste nur die heutige Debatte zur Unternehmensteuer verfolgen, um zu sehen, was hier eigentlich los ist. Herr Poß, zu wem haben Sie eigentlich gesprochen, als Sie dafür geworben haben, die Bemessungsgrundlage zu erweitern? Ich hatte den Eindruck, Sie haben zur Union gesprochen.
Denn Herr Meister hat, wie man feststellen konnte, wenn man gut zugehört hat, deutlich gemacht, dass die CDU/CSU im Grunde weiterhin ihr Ziel verfolgt, die Gewerbesteuer auszuhöhlen. Er hat hier deutlich gesagt, dass die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage nicht machbar sei, nicht etwa nur mit Blick auf die Körperschaftsteuer,
sondern auch darüber hinaus von der CDU/CSU als Ziel nicht verfolgt werde.
- Sie sagen ?sehr gut“; da haben wir den Beweis. - Das steht diametral dem entgegen, was Herr Steinbrück gesagt hat, nämlich dass er sich eine deutliche Tarifsenkung bei der Unternehmensteuer zutraue.
Das wollen wir Grünen erst einmal gar nicht infrage stellen.
Wir wollen aber dann den Nachweis haben, dass die Verschiebung von Gewinnen und damit auch von Arbeitsplätzen ins Ausland nicht weiter subventioniert wird, weil wir nicht die Kraft haben, die Privilegierung der Kreditfinanzierung in Deutschland wirklich einzugrenzen. Da sind Sie zutiefst gespalten.
Das hat Folgen für die Haushaltsplanung ab 2008. Wenn Sie nämlich erneut einen faulen Kompromiss machen, werden wir in der Finanzplanung wieder Haushaltslöcher haben, die diese wirklich nicht mehr verträgt.
Ich komme zu einem weiteren Thema: Arbeitsmarktpolitik. Tiefer gespalten ging es am Ende der Haushaltsberatungen auch bei diesem Thema kaum. Die CDU/CSU hat eine Haushaltssperre bei den Fördermitteln für den schwierigen Bereich der Langzeitarbeitslosen, beim Arbeitslosengeld II, erzwungen. Diese Sperre hat die CDU/CSU durchgesetzt.
Heute Morgen wurden dann 200 Millionen Euro wieder entsperrt. Das ist zu wenig, aber schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung. Die SPD hat, obwohl sie eine andere Arbeitsmarktpolitik gewollt hätte, bei der das Fördern, gerade bei den Langzeitarbeitslosen, von vornherein nicht infrage gestellt wird, die Pille einer Haushaltssperre schlucken müssen, damit die CDU/CSU ihr Gesicht wahren kann.
Das, was ich hier schildere, ist nicht irgendein haushaltstechnisches Problem. Diese Haushaltssperre seit Ende Juni hat in den Arbeitsgemeinschaften, zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern jenseits von Rostock, zu einem totalen Einstellen der Vermittlungstätigkeit geführt.
Das ist ein absoluter Widerspruch zu dem Konzept vom Fördern und Fordern. Das war nicht nur eine haushaltstechnische Sperre, die der Gesichtswahrung der Union diente, sondern ein Tritt gegenüber den Leuten, die in den Arbeitsgemeinschaften Vermittlungserfolge erzielen wollen, und gegenüber den Arbeitslosen, die davon betroffen sind. Da sieht man: Diese Spaltung der Koalition ist nicht gut fürs Land.
Jetzt komme ich zu dem ganz schweren Thema der großen Koalition:
Das ist die Gesundheitsreform.
Sie bildet sich in einem sagenhaften Widerspruch in diesem Haushalt ab. Da hat der Herr Steinbrück mich noch kritisiert, ich solle doch nicht so positiv über die zukünftige Steuerfinanzierung in der Gesundheit reden; sie würde - das steht auch in den Unterlagen, die wir zu den Haushaltsberatungen bekommen haben - ab 2008 endgültig abgeschafft und in 2007 gäbe es nur noch 1,5 Milliarden Euro. Und was ist dann? Nachdem Sie diese Kritik geübt haben, ist eine knappe Woche später von der großen Koalition beschlossen worden: Ab 2008 gibt es wieder Steuergeld in Höhe von 1,5 Milliarden Euro
und ab 2009 in Höhe von 3 Milliarden Euro - nur mit dem Unterschied, dass das in der Finanzplanung nicht berücksichtigt ist und dass Herr Steinbrück immer noch mit den alten Einsparzielen, die Ausgaben in der Gesundheit zurückzuführen, herumläuft. Das ist ein kompletter Widerspruch. Was soll denn die Öffentlichkeit davon halten, dass Sie innerhalb einer Woche bei so einem grundlegenden Reformthema - mehr oder weniger Steuerfinanzierung in den sozialen Sicherungssystemen - völlig richtungslos auseinander laufen? Man sieht es also auch bei der Gesundheitsreform: Die große Koalition ist tief zerstritten. Es ist bis heute noch nicht absehbar, was am 1. Januar 2007 gelten soll.
Auf den 1. Januar 2007 muss ich als Nächstes kommen. Ich habe das vielleicht nicht ganz richtig ausgedrückt: Was ab dem 1. Januar 2007 gelten wird, das ist ziemlich klar und entfaltet schon jetzt seine fatale wirtschaftspolitische Wirkung. Ab dem 1. Januar 2007 werden wir eine Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte haben. Dazu kommt für die Menschen eine Beitragssatzsteigerung um 0,4 Prozentpunkte bei der Rente. Dann kommt bei den Krankenkassenbeiträgen eine Steigerung um nicht nur 0,5 Prozentpunkte, wie ich im Frühjahr noch bescheiden gedacht habe. Nein, keiner stellt mehr in Abrede, dass im Januar 2007 die Krankenkassenbeiträge um mehr als 1 Prozentpunkt steigen müssen. Außerdem besteht auch das Risiko - das habe ich noch gar nicht erwähnt - einer Beitragssatzsteigerung in der Pflegeversicherung.
Ich kann Ihnen nur sagen: Auf die Menschen kommt am 1. Januar 2007 eine ganze Menge zu.
Das Bild, das Sie hier abgeben, dass die große Koalition wegen des wirtschaftlichen Aufschwungs vielleicht noch nicht die Sektkorken knallen lassen möchte, sich aber schon in diesem Erfolg sonnt, steht in einem krassen Missverhältnis zu der Belastung, die am 1. Januar die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber treffen wird.
Mit den Steigerungen, die ich genannt habe, kommt man auf einen Rentenversicherungsbeitrag von 19,9 Prozent und auf einen Krankenversicherungsbeitrag von über 14 Prozent - sagen wir einmal 14,5 Prozent; das ist noch konservativ geschätzt. Wenn man diese Zahlen einmal ganz einfach zusammenrechnet und sieht, dass Sie die Arbeitslosenversicherung zwar auf 4,5 Prozent absenken, aber die Pflegeversicherung bei 1,7 Prozent plus x steht, dann wird jedem Menschen, der der Addition fähig ist, klar: Das Ziel, die Lohnnebenkosten unter 40 Prozent zu drücken, ist komplett aufgegeben.
Ich frage mich: Wo ist eigentlich der Wirtschaftsminister?
Das Ziel von unter 40 Prozent Lohnnebenkosten ist aufgegeben. Das kann man, wie gesagt, leicht nachweisen. Dazu ist in dieser Debatte von Ihnen gar nichts gesagt worden.
Das spricht nicht für Selbstkritik und Ehrlichkeit, die Sie gebrauchen könnten.
Ich komme zu grünen Alternativen und Vorschlägen. Ich will hier nur einen Punkt nennen; alles andere wird noch im Prozess der Haushaltsberatung dazukommen. Der Vorschlag, den wir machen - das sage ich ganz deutlich an die Vorredner aus der SPD gerichtet -, ist folgender: Wenn man auf die Mehrwertsteuererhöhung nicht verzichten will, dann sollte man zumindest darauf verzichten - das halten wir für unablässig -, sie mit einem abrupten Schlag um 3 Prozentpunkte zu erhöhen. Das ist keine stetige Politik, das ist eine abrupte Politik, die zu Verwerfungen führt. Wenn man es anders machte, etwa indem man die Erhöhung über drei Jahre streckt somit die Mehrwertsteuer jahresweise um 1 Prozentpunkt anhebt und diese Erhöhung verlässlich und nachweisbar komplett in die Senkung der Lohnnebenkosten steckt, dann hielte ich das langfristig für eine viel erfolgreichere und bessere Strategie - nicht nur für den Arbeitsmarkt, sondern auch für den Haushalt.
Da geben uns viele Wirtschaftsinstitute und Experten Recht.
Wir schlagen ganz konkret eine Priorität für mehr Beschäftigung, Herr Poß, und nicht für die Sanierung der Haushaltslöcher bei Bund und Ländern vor. So ist es richtig.
Wir wollen die Einnahmen aus dem ersten Mehrwertsteuerpunkt zusammen mit den strukturellen Überschüssen der BA konsequent für die Absenkung der Lohnnebenkosten im Niedriglohnbereich vorsehen. Wir haben ein Progressivmodell entwickelt, mit dem die Lohnnebenkosten im Niedriglohnbereich bis 1 800 Euro stark gesenkt werden können. Dieses Geld fließt also an die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber zurück. Das wäre eine intelligente Politik.
Wir bemühen uns, Ihnen diese Alternative schmackhaft zu machen. Sie können uns nicht unterstellen, dass wir rigoros und stur gegen Ihre Politik sind. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich mit solchen Vorschlägen konstruktiv auseinander setzen. Sie selber haben ja schon ein bisschen Sorge, was am 1. Januar 2007 sonst passieren wird.
Ich komme zum Schluss. Es wurde hier viel davon gesprochen, dass das Vertrauen der Bevölkerung nötig ist, dieses Vertrauen gerechtfertigt werden muss und Sie als große Koalition dieses Vertrauen angeblich schaffen könnten. Ich muss Ihnen sagen: Ihr selbst gesetzter Anspruch der Stetigkeit in Ihrer Politik ist mit Blick auf die abrupte Mehrwertsteuererhöhung nicht zu rechtfertigen. Die versprochene Verlässlichkeit und Berechenbarkeit Ihrer Politik ist mit dem Chaos bei der Gesundheitsreform überhaupt nicht in Einklang zu bringen. Auch finden sich im Haushalt keine realistischen und vorsichtigen Annahmen im Hinblick auf die Kosten beim Arbeitsmarkt wieder. Nach zehn Monaten haben die Menschen deswegen das Vertrauen in die große Koalition verloren.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Kollegin!
Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich komme gleich zum Schluss, Frau Präsidentin. - Der Sommer hat gezeigt: Die Politik ist zwar von der Profilsuche der Partner der großen Koalition geprägt, aber nicht von der Suche nach Lösungen für Reformen. Das hat das Land wahrlich nicht verdient.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat der Kollege Steffen Kampeter, CDU/CSU-Fraktion.
Steffen Kampeter (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin durch die Rede meiner Vorrednerin etwas irritiert.
Noch vor weniger als einem Jahr waren die Grünen als Regierungspartei für all das, was in diesem Haus beschlossen worden ist, mitverantwortlich. Innerhalb weniger Wochen halten Sie Reden, bei denen man den Eindruck haben kann, dass Sie an keinen Entscheidungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Bundestag oder in den Landtagen getroffen worden sind, in irgendeiner Form beteiligt waren. Ich muss ganz ehrlich sagen: Einen so hemmungslosen Populismus, eine so verantwortungslose Art und Weise der politischen Auseinandersetzung verschlägt selbst mir die Sprache.
Frau Hajduk, wo waren Sie eigentlich, als vor einem Jahr beispielsweise der Etatentwurf der damaligen Regierung nicht mehr beschlossen, sondern im damaligen Kabinett lediglich zur Kenntnis genommen worden ist? Sie fordern hier, der Bundesfinanzminister möge uns keine oberlehrerhaften Ratschläge geben.
Aber Sie waren vor einem Jahr in der Regierung. Heute tun Sie so, als ob Sie alles besser wissen. Wo waren Sie eigentlich vor einem Jahr?
Und da blasen Sie sich hier so kräftig auf!
Ich gewinne langsam den Eindruck, dass die Verbesserung der Situation in Deutschland im Wesentlichen damit zusammenhängt, dass die Grünen keine Regierungsverantwortung mehr tragen. Das scheint mir im Vergleich zur Situation vor einem Jahr eine qualitativ wirklich positive Veränderung zu sein.
Die Herangehensweise unseres Koalitionspartners, der Sozialdemokraten, die gemeinsam mit uns einen Kassensturz gemacht, in schonungsloser Offenheit gesagt haben, was notwendig ist, und unangenehme Entscheidungen getroffen haben, ist der ehrlichere Weg als der opportunistische der Grünen. Die Erfolge dieses Richtungswechsels in der Haushaltspolitik lassen sich bereits am laufenden Etat ablesen.
Während in der Zeit, als die Grünen Verantwortung getragen haben, alle Prognosen nach unten gewiesen haben, werden wir aller Voraussicht nach im Etat des laufenden Jahres bei den Einnahmen nicht nur im Vergleich zur Steuerschätzung, sondern auch im Vergleich zu den Ansätzen im Etat um 3 bis 4 Milliarden Euro besser abschneiden. Wir haben erste Konsolidierungsmaßnahmen eingeleitet und ein Haushaltsbegleitgesetz der ?doppelten Tonlage“ verabschiedet und schon stellen sich gute Nachrichten ein. Das zeigt doch, dass sich diese Haushaltspolitik wesentlich von der Haushaltspolitik unterscheidet, für die Sie, Frau Hajduk, mit die Verantwortung übernommen haben.
Diese verbesserte finanzpolitische Lage des Jahres 2006 ist auch Ursache dafür, dass wir heute Morgen bei der Arbeitsmarktpolitik in einer Größenordnung von 230 Millionen Euro nachsteuern konnten. Wir haben erst fleißig konsolidiert, damit wir das Geld, über das wir verfügen, dafür verwenden, was nötig ist. Deswegen glaube ich, dass nicht nur der Haushalt 2006, sondern auch der Haushaltsentwurf für 2007 - das ist der erste Haushalt, den die Koalition vollständig zu verantworten hat - uns auf dem Weg der Konsolidierung voranbringen.
Erstens. Erstmals wird die in der Verfassung vorgesehene Regelgrenze bei der Neuverschuldung im Entwurf eingehalten; die Nettokreditaufnahme geht um 16 Milliarden auf 22 Milliarden Euro zurück und liegt damit um 1,5 Milliarden Euro unter dem Investitionsvolumen.
Zweitens. Erstmals seit vier Jahren wird das Maastrichtkriterium wieder sicher erreicht werden. Das wird aller Voraussicht nach schon in diesem Jahr der Fall sein.
Das stellt einen Unterschied zu den vergangenen Jahren dar. Es mag vielleicht auch eine kleine Bürde sein, weil wir in den nächsten Schritten - der Kollege Meister hat es deutlich gesagt - in Richtung ausgeglichener Etat marschieren. Dies ist das Ziel der großen Koalition.
Schließlich drittens. Die Staatsquote sinkt; die Inanspruchnahme des Bürgers durch den Staat wird erheblich weiter zurückgeführt. Wir werden am Ende dieser Legislaturperiode eine Staatsquote haben, die wir zuletzt vor der Wiedervereinigung hatten.
Bei diesem Konsolidierungskurs helfen uns - es ist wichtig, das festzustellen - gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Die konjunkturelle Aufwärtsbewegung der deutschen Wirtschaft hat im laufenden Jahr deutlich an Kraft gewonnen; der konjunkturelle Knoten ist geplatzt. Wir verzeichnen das stärkste Wachstum seit fünf Jahren. Michael Glos hat geradezu prophetisch schon Anfang des Jahres die Werte bei etwa 2 Prozent gesehen; jetzt sprechen alle wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute von einem Wachstum von mehr als 2 Prozent. Damit gibt es zum ersten Mal seit vielen Jahren ein Wachstum auch der deutschen Wirtschaft. 426 000 Arbeitslose weniger und 129 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr sprechen eine sehr konkrete Sprache. Dies sind die Anzeichen einer soliden wirtschaftlichen Entwicklung in diesem Land.
Die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland hat sich verbessert. Ich will ausdrücklich festhalten, dass die Tarifvertragsparteien durch moderate Abschlüsse einen wesentlichen Anteil daran haben. Es ist erfreulich, dass wir erstmals seit langem einen Aufschwung haben, der auch von der Binnennachfrage, das heißt von der Zuversicht der Menschen in diesem Land - nicht nur in den Unternehmen, sondern auch in den Privathaushalten -, getragen wird. Diesen Schwung wollen wir in das Jahr 2007 mitnehmen. Alle diejenigen, die noch vor wenigen Monaten in Pessimismus gemacht haben, was die Steuerpolitik angeht, und einen Konjunktureinbruch für das Jahr 2007 prognostiziert haben, schweigen jetzt. Nationale wie auch internationale Experten sagen, dass sich dieser Aufschwung im nächsten Jahr fortsetzen wird. Wir haben ein solides wirtschaftliches Wachstum.
Wir verschweigen den konjunkturdämpfenden Effekt der Mehrwertsteuererhöhung nicht. Sie bleibt aber notwendig und ist ohne Alternative. Sie ist mit dem Aufschwung kompatibel. Das halte ich für eine gute Botschaft.
Ich habe gesagt: Der Kurs stimmt. Die Aufgabe ist aber noch nicht erledigt. Deswegen gehört zu dem Bild, das wir heute, am Beginn der Haushaltsdebatte, zeichnen müssen, auch, dass der Bundeshaushalt selbstverständlich ein Sanierungsfall bleibt.
Wenn ein Unternehmen jedes Jahr einen Verlust in Höhe von ungefähr einem Viertel seines Umsatzes macht, wird jeder dort Beschäftigte, auch ein Mitglied der Geschäftsführung oder des Betriebsrates, sagen: Unser Unternehmen befindet sich in einer schwierigen Lage, es ist ein Sanierungsfall. Seit Mitte der 90er-Jahre, mit wechselnden politischen Mehrheiten, weist der Bundeshaushalt ein strukturelles Defizit auf, weil große Teile unserer Ausgaben nicht durch dauerhafte Einnahmen gedeckt sind.
Wir in der Union sind der Auffassung, dass wir mit dem Haushalt, solange er nicht ausgeglichen ist, nicht zufrieden sein können. Die Sanierungsaufgabe bleibt also bestehen.
Der Bundeshaushalt ist eine Sanierungsaufgabe für uns alle.
Dieser Aufgabe werden wir uns in dieser Legislaturperiode engagiert stellen. Für Entwarnung gibt es - weiß Gott! - keinen Grund. Wir müssen den Sparkurs fortführen.
Ziel der Union ist in diesem Zusammenhang, die Kreditaufnahme des Bundes im Laufe der Legislaturperiode unter die 20-Milliarden-Euro-Grenze zu senken. Dazu bedarf es zusätzlicher Anstrengungen, insbesondere auf der Ausgabeseite. Wir wollen eines zurückgewinnen: das Vertrauen der Menschen in die Finanz- und Haushaltspolitik dieses Landes. Die ersten Signale gibt es schon: steigendes Verbrauchervertrauen und steigendes Investorenvertrauen. Es muss jedoch deutlich werden: Das sind keine Eintagsfliegen, vielmehr muss die Konsolidierung nachhaltig und generationengerecht sein. Deswegen werden wir auf diesem Kurs gemeinsam mit unserem Koalitionspartner weiter voranschreiten.
Wir wollen keine Wunschlisten anlegen und keine voreiligen Schlüsse ziehen. Eine Schwalbe macht noch keinen Frühling.
Die Konsequenz und Beharrlichkeit bei den beschlossenen Maßnahmen zeigen die entsprechende nachhaltige Stärkung der Auftriebskräfte.
Ich begrüße ausdrücklich, Herr Finanzminister, dass Sie festgestellt haben, dass der Löwenanteil an den Mehreinnahmen 2006 zur Senkung der Nettokreditaufnahme verwendet wird. Die Union ist der Auffassung, dass der Löwe ebenso wie der Löwenanteil ziemlich groß sein muss. Die Formulierung lässt ein kleines Hintertürchen. Die Löwen der Union, insbesondere die bayerischen, sind ausgesprochen groß. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.
Ich will noch ein Wort zur Situation der Bundesagentur für Arbeit sagen. Wir haben in der Debatte deutlich herausgearbeitet, dass der Überschuss nachhaltig und solide ist. Das war die Voraussetzung dafür, dass man über Beitragsabsenkungen nachdenken kann. Wir von der Union sind der Auffassung: Der nachhaltige Anteil des Überschusses sollte frühestmöglich zur weiteren Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge verwandt werden. Hier sehen wir noch Spielräume. Ich denke, wir befinden uns darüber seit einigen Tagen in einem guten Gespräch. Ich hoffe, dass wir relativ rasch zum Abschluss der Gespräche kommen werden. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund wichtig, dass wir in niedrigen Sozialversicherungsbeiträgen, mehr Wachstum und mehr Haushaltseinnahmen einen sinnvollen Beitrag zur Konsolidierung sehen. Die Union ist für weitere Gespräche ausgesprochen offen.
Folge des Klimawechsels in diesem Hause ist, dass auch über Haushaltsrisiken nicht nur von der Opposition, sondern sogar noch intensiver von der Regierungskoalition gesprochen wird. Für Entwarnung ist aber noch nicht die richtige Zeit, das will ich deutlich machen. Natürlich sehen wir uns Haushaltsrisiken gegenüber. Ich bin der Auffassung, dass man eine Regierung auch dadurch unterstützen kann, dass man die Haushaltsrisiken offen anspricht, um die Begehrlichkeiten bezüglich des Etats gering zu halten.
Die Vorgaben des Art. 115 des Grundgesetzes halten wir ein - um anderthalb Milliarden Euro -; das habe ich bereits ausgeführt. Das ist nicht die Welt und zeigt, dass wir hier noch nachbessern und Vorsorge treffen können.
Es ist offen angesprochen worden, dass es erhebliche Meinungsunterschiede im Haus hinsichtlich der Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt gibt. Wir teilen nicht die pessimistische Sicht der Dinge, aber wir sind der Meinung, dass wir uns in den Haushaltsberatungen sehr intensiv mit allen Titeln der Arbeitsmarktpolitik - sowohl auf der Einnahme- als auch auf der Ausgabenseite - auseinander setzen müssen.
Zweifelsohne ist das falsch, was Bündnis 90/Die Grünen hier vorgetragen haben. Sie sprachen davon, dass es um 8 Milliarden Euro Mehrbedarf geht.
Zweifelsohne richtig bleibt aber, dass wir uns diese Titel sehr genau anschauen müssen. Das ist insbesondere vor dem Hintergrund nötig, dass die Unionsfraktion gemeinsam mit der SPD beabsichtigt, noch in diesem Jahr Vorschläge dazu zu machen, wie wir die Gerechtigkeitslücke in der Arbeitsmarktpolitik weiter schließen können. Die Gerechtigkeitslücke in der Arbeitsmarktpolitik entsteht, wenn wir Geld nicht für das ausgeben, wofür die Steuerzahler es einsetzen wollen. Es ist aber gleichermaßen ungerecht, arbeitsmarktpolitische Mittel mit der Gießkanne zu verteilen. Arbeitsmarktpolitische Mittel müssen diejenigen erreichen, die tatsächlich bedürftig sind, die die Hilfe des Staates in Anspruch nehmen müssen. Nach unserer Auffassung besteht auf diesem Gebiet eine erhebliche Gerechtigkeitslücke.
Diese Gerechtigkeitslücke wollen wir beispielsweise durch die Effektivierung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente schließen. Im steuer-, wie im beitragsfinanzierten Bereich gibt es 70 bis 80 arbeitsmarktpolitische Instrumente. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Arbeitsmarktpolitik gerecht sein kann, wenn sie mit einer solchen Vielzahl bürokratischer und wenig effektiver Instrumente vollzogen wird.
Ich glaube, wir sollten insbesondere auf diesem Gebiet Einsparpotenziale suchen, und zwar ohne die Betroffenen - Herr Poß, Sie haben das angesprochen - mit Leistungskürzungen zu konfrontieren. Die Notwendigkeit von Leistungskürzungen kann man leicht in Abrede stellen. Ich glaube, die Effektivierung arbeitsmarktpolitischer Instrumente kann in diesem Zusammenhang einiges bringen.
Ein weiteres Haushaltsrisiko besteht im Bereich der Zinsen. Wir haben in den vergangenen Jahren - darüber will ich offen reden - von der Niedrigzinspolitik profitiert und sie stillschweigend zur Kenntnis genommen. Jetzt gibt es eine muntere Debatte über Zinserhöhungen. Die Unabhängigkeit der Notenbanken stellen wir nicht infrage. Im Koalitionsvertrag kann ich keine Stelle entdecken, aus der das abgeleitet werden könnte.
Ich will all denjenigen, die sich zu der Fragestellung, wie sich die Zinsen zukünftig entwickeln, äußern, raten: Dieses Thema kann man in das Nachtgebet einbeziehen; bei öffentlichen Verlautbarungen wäre ich zurückhaltend.
Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens. Wir stehen zur Aufgabenteilung zwischen der Politik, die die strukturellen Anpassungen vornehmen soll, und der Notenbank, die für die Geldpolitik zuständig ist.
Zweitens habe ich nicht den Eindruck, dass Mäßigungsappelle an die Zentralbank produktiv sind. Um es konkret zu sagen: Ich vermute, dass öffentliche Appelle eher kontraproduktiv sind.
Das heißt: Wenn man niedrige Zinsen haben möchte, dann sollte man zu diesem Thema besser schweigen.
Wir haben klare Ziele für die Haushaltsberatungen im Jahre 2007. Die Union steht gemeinsam mit ihrem Partner für seriöse Finanzen. Nachdem in den vergangenen vier Jahren gegen die Maastrichtkriterien verstoßen wurde, wollen wir sie nicht nur 2006, sondern auch in den Folgejahren - bis wir einen ausgeglichenen Haushalt haben und darüber hinaus - einhalten. Wir wollen einen verfassungskonformen Bundeshaushalt. Das heißt, die Höhe der Investitionen muss deutlich über der Höhe der Nettokreditaufnahme liegen. Mehr Forderungen an den Etat können vor diesem Hintergrund nicht realisiert werden.
Am Ende dieser Legislaturperiode - so die Forderung der Union - sollte die Neuverschuldung wieder deutlich unter 20 Milliarden Euro liegen. Wir dürfen aufgrund unserer Verantwortung gegenüber den nachfolgenden Generationen bei der Nettokreditaufnahme nicht aasen, sondern müssen sparsam sein. Die Grenze muss deutlich unterschritten werden.
Wir wollen die Staatsquote auf das Niveau von 1989 absenken, nämlich auf unter 44 Prozent. Wir glauben, dass die Entscheidung, wofür Geld ausgegeben wird, eher beim Bürger als beim Staat liegen sollte. Wir glauben, dass dieser Grundsatz vor allem für die Ausgabenseite gelten sollte. Wenn ich mir die mittelfristige Finanzplanung anschaue, dann stelle ich fest, dass wir kein Einnahmeproblem haben.
Wir werden an allen konstruktiven Beiträgen zur Ausgabensenkung, die von der Opposition und innerhalb der Koalition vorgelegt werden, gerne mitarbeiten. Wir wollen die Risiken - ich habe einen Teil davon benannt; Kollege Poß sprach die auswärtige Politik an -, beherrschen. Wir wollen einen soliden Etat beraten. Ende November wollen wir mit gutem Gewissen sagen können: Das ist das, was möglich ist. Das ist solide. Das ist unser Beitrag für eine gute Zukunft dieses Landes.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Dr. Hermann Otto Solms für die FDP-Fraktion.
Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will eines vorausschicken: Die FDP freut sich genauso wie die Bundesregierung über die leichte konjunkturelle Erholung, die wir gegenwärtig erleben können.
Das ist eine Freude für uns alle. Es ist aber nicht so, dass das auf das Handeln dieser Bundesregierung zurückzuführen wäre. Das wäre ein gewaltiger Trugschluss.
Man kann geradezu sagen: Die konjunkturelle Erholung findet trotz dieser Bundesregierung statt.
Denn sie ist auf eine Politik der Verbesserung der Angebotsbedingungen in den letzten Jahren zurückzuführen.
Die wesentlichen Punkte dabei waren: die zurückhaltende Politik der Tarifvertragsparteien,
die maßvolle Zinspolitik der Europäischen Zentralbank,
aber auch die Politik der Steuersenkung der Vorgängerregierung insbesondere bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer.
In diesem Zusammenhang, Herr Finanzminister Steinbrück, möchte ich in Erinnerung rufen: Als die alte bürgerliche Koalition eine grundsätzliche Steuerreform auf den Weg gebracht hat - Stichwort: Petersberger Beschlüsse -, hat die SPD-Opposition unter dem damaligen Parteivorsitzenden Lafontaine ihre Blockademöglichkeiten im Bundesrat genutzt. Die Steuerreform ist nicht zustande gekommen, obwohl sie im Bundestag eine Mehrheit gefunden hatte. Damit ist viel Zeit verschwendet worden. Denn wir hätten schon einige Jahre früher eine angebotsorientierte Politik betreiben können.
Als die rot-grüne Regierung diese Steuerreform auf den Weg gebracht hat, hätten wir sie im Bundesrat blockieren können. Wir haben es aber nicht getan. Durch das Mitwirken von Rainer Brüderle und Kurt Beck, Ihrem neuen Parteivorsitzenden, in Rheinland-Pfalz haben wir durchgesetzt, dass die Steuerreform tatsächlich ins Gesetzbuch gekommen ist
und dass der Spitzensteuersatz von 45 auf 42 Prozent gesenkt worden ist.
Deswegen fühle ich mich - mit der FDP - mitverantwortlich für die positiven Entwicklungen, die wir gegenwärtig erleben.
Diese Politik der Entlastung und der Verbesserung der Angebotsbedingungen müsste jetzt fortgesetzt werden. Diese Bundesregierung tut aber genau das Gegenteil.
Sie erhöht die Kosten, sie erhöht die Steuern, sie erhöht die Beiträge und baut die immense Bürokratie nicht ab. Ich möchte einige Beispiel in Erinnerung rufen: Das wichtigste ist natürlich die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Das ist ökonomisch gesehen ein grundsätzlicher Fehler.
Weitere Beispiele sind die Erhöhung der Versicherungssteuer, die Erhöhung der Einkommenssteuer unter dem Stichwort Reichensteuer - man findet immer schöne Begründungen für Steuererhöhungen -,
die Verschlechterung bei der Pendlerpauschale, keine Abzugsfähigkeit der Kosten für das Arbeitszimmer, Streichung der Abzugsfähigkeit der Steuerberatungskosten und die Halbierung des Sparerfreibetrags. Das wird jetzt in das Jahressteuergesetz gemogelt, damit es möglichst nicht auffällt. Allein diese Steuererhöhungen werden die Bürger und Unternehmen im nächsten Jahr um 27 Milliarden Euro zusätzlich belasten. Wie soll das die Konjunktur fördern?
Wie soll das den Menschen die Möglichkeit geben, mehr zu konsumieren, mehr zu investieren oder mehr Eigenvorsorge für das Alter und für die Risiken des Lebens vorzunehmen? Sie fordern das immer, aber Sie nehmen ihnen die finanziellen Möglichkeiten, dies zu tun.
Dazu kommen die Erhöhungen der Beiträge zur Rentenversicherung, zur Krankenversicherung und vermutlich auch zur Pflegeversicherung, sodass die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gleich wieder kompensiert wird. Eine Entlastung bei den Sozialkosten findet nicht statt. Das ist die falsche Politik; von Entlastung keine Spur. Die Ausgaben für soziale Sicherung machen unverändert die Hälfte des Budgets aus. An einer Flexibilisierung der Kernbereiche des Arbeitsmarktes traut sich die Regierung nicht heran. Betriebliche Bündnisse für Arbeit sind vergessen. Die Liberalisierung des Kündigungsschutzes ist passé. Eine langfristige Absenkung der Lohnzusatzkosten ist Schnee von gestern. Gibt es eine tragfähige Gesundheitsreform? Fehlanzeige. Ganz im Gegenteil: Die gesundheitspolitische Diskussion ist das reinste Chaos und der Bürger wendet sich mit Schrecken ab. Die Bürger werden zur Kasse gebeten. Das ist die Quintessenz dieser Politik; die ist schlicht falsch.
Die Koalition wird damit scheitern. Deshalb fordern wir, die FDP, die Angebotsbedingungen für Investitionen und Konsum konsequent zu verbessern. Nur so können wieder Arbeitsplätze entstehen. Ganz konkret - wir haben gestern einen Antrag dazu eingebracht -: Nehmen Sie die Erhöhung der Mehrwertsteuer zurück. Die Erhöhung ist falsch und nicht notwendig. Denn die Steuereinnahmen, die aufgrund der konjunkturellen Entwicklungen in diesem Jahr stärker sprudeln, kompensieren das erwartete Mehraufkommen bereits.
Zweitens. Legen Sie ein durchdachtes Konzept für eine Unternehmensteuerreform vor, in dem die Unternehmen, egal in welcher Rechtsform sie agieren, gleich behandelt und gleich belastet werden,
bei dem das Besteuerungsniveau auf das durchschnittliche europäische Niveau gesenkt wird und das nicht durch die Einbeziehung von Kostentatbeständen in die Besteuerung gegenfinanziert wird. Wie Sie das technisch machen, ist völlig egal. Aber das ist ein grundsätzlicher Fehler. Das ruiniert den deutschen Mittelstand,
der ja in aller Regel mit nur 10 bis 20 Prozent Eigenkapital leben und sich zu 80, 90 Prozent fremdfinanzieren muss. Hier geht es um die Existenz des Mittelstandes.
Drittens. Beginnen Sie endlich mit der Vereinfachung des Steuersystems. Das haben alle Parteien in ihren Wahlkampfparolen gefordert. Nichts ist bis jetzt geschehen.
Viertens. Überprüfen Sie Ihr Jahressteuergesetz 2007, in dem auf 127 Seiten herumgeregelt wird.
Fünftens. Führen Sie die Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge ein. Schaffen Sie endlich eine Bundesfinanzverwaltung, die auch Sie, Herr Bundesfinanzminister, immer gefordert haben; dabei unterstützen wir Sie.
Sechstens. Senken Sie die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um mindestens 2,5 Prozentpunkte.
Siebtens. Stoppen Sie die Diskussion über die Gesundheitsreform.
Achtens. Beginnen Sie endlich zu sparen, und zwar beim Staat und nicht beim Bürger.
Die ökonomische Wirkungskette gilt auch heute noch: Nur weniger Steuern und Abgaben bringen mehr Arbeitsplätze. Nur mit mehr Beschäftigten hat der Staat mehr Steuer- und Beitragseinnahmen. Nur so erreichen Sie eine nachhaltige Konsolidierung des Bundeshaushaltes und der anderen Haushalte.
Entweder fehlt Ihnen der Mut zu dieser Politik oder die Einsicht. Beides ist verhängnisvoll. Wir brauchen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger Fortschritt in Deutschland.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Carsten Schneider für die SPD-Fraktion.
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe während der heutigen Debatte, die ich aufmerksam verfolgt habe, neue und alte Freunde kennen gelernt bzw. wiedergefunden. Ich hatte den Eindruck, Frau Hajduk, dass nach Ansicht der alten Freunde von den Grünen alles, was in der rot-grünen Regierungszeit geschehen ist, super war. Dieser Auffassung bin auch ich. Bei den neuen Freunden von der Union hatte ich den Eindruck, dass sie alles, was in dieser Zeit auf den Weg gebracht wurde, schlecht fanden, dass aber, seitdem die Union mitregiert, alles super ist. Ich glaube, die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte: Es liegt an der Kontinuität der Regierungsbeteiligung der SPD.
- Glauben Sie mir: Ich kann das von beiden Seiten ganz gut beurteilen, insbesondere weil das Bundesfinanzministerium seit nunmehr acht Jahren in sozialdemokratischer Hand ist.
Kolleginnen und Kollegen, die Haushaltsdebatte 2007 und die Finanzplanung bis 2010, die bereits Gegenstand der heutigen Debatte war, sind von einem Gesetzentwurf gekennzeichnet, der mutig ist und in den die Erfahrungen aus der Vergangenheit eingeflossen sind. Im Hinblick auf die konjunkturellen Rahmendaten und die Höhe der Steuereinnahmen wurden vorsichtige, konservative Schätzungen zugrunde gelegt. Dieser Gesetzentwurf verdeutlicht die Entschlossenheit der Koalition, die Ziele, die sie sich in der Haushalts- und Finanzpolitik gesetzt und im Koalitionsvertrag festgehalten hat, umzusetzen.
Mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2007 haben wir sowohl auf der Einnahme- als auch auf der Ausgabenseite strukturelle Veränderungen vorgenommen. Ich persönlich bin der Auffassung - das mag eine kleine Reminiszenz an die vergangenen Jahre sein -, dass das schon früher hätte geschehen können, hätte der Bundesrat, insbesondere was die Einnahmeseite betrifft, an der einen oder anderen Stelle Einsicht gezeigt.
Dass er das nicht getan hat, hat uns in den vergangenen Jahren immer wieder, gerade beim Steuervergünstigungsabbau, geschadet und zu geringeren Steuereinnahmen geführt. Das haben wir jetzt korrigiert. Auch an dieser Stelle sei auf den maßgeblichen Einfluss der SPD auf die Kollegen von der Union hingewiesen.
Auf der Ausgabenseite haben wir deutliche Einsparungen vorgenommen. Nicht, wie die FDP das fordert - um Gottes willen; wir wollen keinen Staat, den sich nur Reiche leisten können -, aber so, dass sich die normalen Bürgerinnen und Bürger sicher sein können, dass der Deutsche Bundestag solide mit dem ihm anvertrauten Geld umgeht. Die Ausgabensteigerung liegt für 2007 bei 0,2 Prozent, im gesamten Finanzplanungszeitraum bis 2010 bei gerade einmal 0,7 Prozent. Bei einer unterstellten Inflationsrate von über 1 Prozent - was wahrscheinlich ist; hoffentlich liegt sie unter 2 Prozent - entspricht dies einer Ausgabensenkung, und dies trotz der Mehrausgaben, die wir in den vergangenen Jahren im Bereich des Arbeitsmarktes und der sozialen Sicherungssysteme hatten.
Der eingeschlagene Kurs, nämlich 2006 den Anschub zu geben, die Konjunktur auf Fahrt zu bringen, war innerhalb der SPD - das muss ich auch für mich persönlich sagen - nicht unumstritten. Nun stimulieren wir die Wirtschaft mit einem 25-Milliarden-Euro-Wachstumspaket, wir erhöhen damit die Mittel für Forschung um 6 Prozent und setzen Akzente bei den Infrastrukturinvestitionen. Ich glaube, das ist richtig, insbesondere weil sich die Bevölkerung und die Wirtschaftsakteure darauf verlassen können, dass die Maßnahmen, die wir angekündigt haben, auch umgesetzt werden.
Dieses Vertrauen in eine stetige Finanzpolitik ist für den sich jetzt deutlich abzeichnenden Konjunkturaufschwung entscheidend, entscheidender als kurzfristiges Hoch und Runter von Steuersätzen oder auch - um die aktuelle Debatte aufzugreifen - des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung. Wichtiger ist langfristige Stabilität, dass sich die Bürgerinnen und Bürger darauf verlassen können, dass diese Bundesregierung und dieses Parlament langfristig im Blick haben, einen Haushalt vorzulegen, der nicht nur dem Art. 115 des Grundgesetzes entspricht, sondern auch - in der nächsten Legislaturperiode - ausgeglichen ist.
Die Konjunkturdaten für die Bundesrepublik Deutschland, insbesondere die Wachstumsraten im ersten und zweiten Quartal, zeigen, dass das Wachstum robust ist. Im zweiten Quartal hatten wir real ein Wachstum von 0,9 Prozent; das ist mehr, als die Vereinigten Staaten in diesem Quartal hatten. Viel wird jetzt davon abhängen, wie sich die Rohstoffpreise, insbesondere der Ölpreis, entwickeln. Es kommt aber auch darauf an, wie sich die konjunkturelle Situation in den USA entwickelt, die ja immer Wachstumsmotor für uns waren und die ein sehr stark exportgetriebenes Wachstum hatten. Ich sehe da mehr Licht als Schatten am Horizont. Dementsprechend bin ich, was die Steuereinnahmen betrifft, auch eher zuversichtlich.
Ich will aber auch klar unterstreichen, was der Bundesfinanzminister ausgeführt hat: Wenn wir in Zeiten guter Konjunktur zusätzliche Steuereinnahmen erzielen sollten, müssen wir diese zur Senkung der Neuverschuldung verwenden.
In den vergangenen Jahren haben wir eine antizyklische Politik betrieben. Ich halte es für richtig, dass man in einem Abschwung nicht hinterherspart; das funktioniert nicht. Da sollte sich der eine oder andere Ökonom einmal an die eigene Nase fassen und bei seinen Modellen nicht so tun, als gäbe es den Faktor Staat nicht. Jetzt ist jedoch der entscheidende Zeitpunkt, um für die zukünftige Finanzentwicklung noch Maßstäbe zu setzen und die Neuverschuldung oder die Privatisierungserlöse zurückzufahren.
Werfen wir noch einen Blick auf die konjunkturelle Situation: Auffällig ist nicht nur der deutliche Anstieg der Ausrüstungsinvestitionen, sondern auch dass die Baukonjunktur, die in den letzten Jahren geschwächelt hat, Zuwächse zu verzeichnen hat - 2,5 Prozent - und erstmals auch der private Konsum, mit 0,5 Prozent. Wir sind insgesamt auf einem guten Weg. Von daher muss die Finanzpolitik jetzt die unterstützenden Maßnahmen, die angekündigt und auch beschlossen worden sind, durchsetzen.
Durchsetzen heißt letztendlich auch Verlässlichkeit und kein ständiges Hin und Her.
Alle Anträge der FDP zur Aushebelung der Mehrwertsteuererhöhung und zu allen anderen Punkten, die ich so sicher erwartet habe wie die Tatsache, dass es im Winter schneit, sind meines Erachtens ziemlich kurzsichtig. Wenn Sie sagen, dass Sie die Erhöhung nicht wollen, dann müssen Sie an dieser Stelle auch sagen, wo Sie die Mehreinnahmen durch die Mehrwertsteuererhöhung, die wir im Bundeshaushalt mit 7 Milliarden Euro verbuchen - dieser Anteil ist allein für den Bund vorgesehen -, stattdessen erzielen wollen. Wenn Sie den Bundeshaushalt zur Grundlage nehmen und berücksichtigen, dass wir im Bereich der öffentlichen Sicherheit nicht sparen wollen, dann wissen Sie, dass Sie die Mittel letztendlich nur noch im Sozialbereich kürzen können. Wir als SPD wollen dies nicht.
Schauen Sie sich den Sozialhaushalt an! Der Gesamthaushalt hat ein Volumen von 267 Milliarden Euro. Der Sozialetat macht 120 Milliarden Euro aus. Danach folgt die Zinsbelastung mit 38 Milliarden Euro. Der Verteidigungshaushalt hat einen Umfang von 22 bis 24 Milliarden Euro, je nachdem worauf wir uns während der Beratungen einigen. Danach kommt der Verkehrshaushalt. In diesen Bereichen wollen Sie auch nicht sparen. Wenn Sie die Steuermehreinnahmen wirklich nicht wollen, sondern den Staat zurückschneiden wollen, wie Sie das ankündigen, dann müssen Sie auch sagen, dass Sie bei den Renten nicht nur keine Steigerungen, sondern tatsächlich Kürzungen wollen. Um das klar und deutlich zu sagen: Dies findet nicht unsere Zustimmung.
Es trifft auch nicht auf unsere Zustimmung, wenn Sie das bei den Empfängern von Arbeitslosengeld II versuchen. Um das klar zu sagen: Wir haben dort ein haushalterisches Risiko. Für das Jahr 2007 haben wir 21,4 Milliarden Euro veranschlagt. Ich hoffe, dass dies realistisch ist. Wir werden das im Laufe der Beratungen noch sehen. Ich denke, das ist insbesondere dann realistisch, wenn sich der abzeichnete Konjunkturaufschwung nicht nur für die Empfänger von Arbeitslosengeld I, sondern auch für die Empfänger von Arbeitslosengeld II auswirkt. Dafür ist aber notwendig, dass wir, wie es bei den Hartz-Reformen angedacht war, nicht nur das Fordern, sondern auch das Fördern betonen.
Aus diesem Grund haben wir als Koalition heute Morgen die Sperre beim Eingliederungstitel in Höhe von 230 Millionen Euro aufgehoben, damit die Arbeitsagenturen vor Ort Planungssicherheit bis zum Ende des Jahres haben, um entsprechende Maßnahmen zu bezahlen und Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen.
Das geht nur mit beiden Seiten. Ihre Forderung, um 3,5 Milliarden Euro zu kürzen - das wäre eine Halbierung dieses Betrages -, würde dazu führen, dass die Leute überhaupt keine Chancen mehr hätten. Von daher findet das absolut nicht unsere Zustimmung, sondern das stößt auf unsere entschiedene Ablehnung.
Ich komme zu einem weiteren Punkt, der sich in den Beratungen zu diesem Haushaltsplan niederschlagen wird. Wir müssen uns die Steuerentwicklung natürlich sehr genau anschauen. Ich möchte aber klar sagen, dass ich für zusätzliche Ausgabewünsche keinerlei Spielraum sehe.
Ich sage das ganz gezielt auch an die Kabinettskollegen von Finanzminister Steinbrück. Es kann nicht sein, dass der eine oder andere immer fordert, er müsse mehr sparen, mehr tun und dieses oder jenes finanzieren, während er den Finanzminister auf der anderen Seite durch die Hintertür mit Forderungen konfrontiert, was dazu führt, dass es immer mehr Wünsche nach Mehrausgaben gibt. Wir kennen das als Haushälter natürlich. Ich weise dies entschieden zurück.
Bevor tatsächlich Mehrausgaben gefordert werden, muss klar sein, dass diese sachgerecht sind und sich in den tatsächlichen Begebenheiten widerspiegeln. Ich glaube nicht, dass man die Situation nutzen sollte, die einem die derzeitige politische Diskussion eröffnet. Es geht nicht, die Zahlen immer gleich zu lassen und nur die Begründung ab und zu zu ändern. Ich denke, den Eingeweihten ist bekannt, worum es geht.
Ich möchte noch zu einem weiteren Punkt kommen, nämlich dem Bund-Länder-Verhältnis. Wir haben nicht nur die Föderalismusreform durch den Bundestag gebracht, sondern wir haben in den nächsten Monaten auch die Föderalismusreform II vor uns. Ich lege Hoffnung in dieses Projekt, auch wenn ich weiß, dass es viele Widerstände geben wird, wenn es hart auf hart kommen und vor allem ums Geld gehen wird. Ich glaube aber, dass es bezüglich der Gesamtrahmenbedingungen, unter denen wir haushaltswirtschaftlich arbeiten - insbesondere bezogen auf die Verschuldungsgrenzen und die Abstimmung im Finanzplanungsrat -, Optimierungsmöglichkeiten gibt. So wie ich die eine oder andere Debatte auch auf der Länderseite sehe, hoffe ich, dass es dort zu einer Einigung kommt.
Diese Einigung darf nicht daran scheitern, dass wir uns über solche Sachfragen zerstreiten. Wir müssen insbesondere zu einer stärkeren Koordinierung in der Ausgabenpolitik zwischen dem Bund und den Ländern kommen. Darüber hinaus brauchen wir eine Umsetzung des europäischen Stabilitätspaktes in nationales Recht, wie wir das in einem ersten Schritt bei der Aufteilung der Sanktionszahlungen zwischen Bund und Ländern im Rahmen der Föderalismusreform I bereits getan haben. Ich bin aber ausdrücklich dagegen, dies mit Fragen der Finanz- und Steuerverteilung zu verknüpfen. Eine sachfremde Debatte nach dem Motto ?Was bleibt mir am Ende übrig?“ halte ich an dieser Stelle für schädlich, weil sie zu einem Wettbewerbsföderalismus führen würde.
Ich möchte noch kurz auf die bereits vom Kollegen Poß und vom Kollegen Meister angesprochene Unternehmensteuerreform eingehen. Ich unterstütze die Bundeskanzlerin ausdrücklich und nachhaltig in ihrer Position. Der Auffassung, dass die vorgesehene Reform die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen erhält und die Steuersätze angepasst werden müssen, habe ich nichts hinzuzufügen.
Der Maximalbetrag von 5 Milliarden Euro Entlastung, den sie genannt hat, sollte aber nur ein Mittelwert sein. Ich unterstütze dies nachdrücklich, weil ich der Meinung bin, dass wir es uns nicht leisten können, auf der einen Seite die Vorgaben des Grundgesetzes und des Maastrichtvertrages einzuhalten und die Ausgaben zu deckeln - das unterstütze ich -, aber dann auf der anderen Seite die Einnahmen zu vernachlässigen. Ich finde, es ist eine Verpflichtung der Unternehmen, dass sie hier ihre Steuern zahlen. Jeder Art und Weise - Sie haben die Zinsgeschäfte angesprochen -, die dazu führt, dass hier erwirtschaftetes Geld nicht hier versteuert wird, muss Einhalt geboten werden.
Ich möchte, an die FDP gerichtet, mit einem Zitat von Bertolt Brecht
aus der gerade hier in Berlin aufgeführten ?Dreigroschenoper“ enden, die ziemlich kritisiert wurde. Ich finde die Inszenierung gut; aber darüber lässt sich streiten. Ich beziehe mich auf die erste Verfilmung der ?Dreigroschenoper“ von 1930, in der es heißt:
Denn die einen sind im Dunklen
und die anderen sind im Licht.
Und man siehet die im Lichte,
die im Dunklen sieht man nicht.
Was meine ich wohl damit?
Ich meine damit Folgendes: Machen Sie wirklich klar, was Ihre Vorschläge zu den Kürzungen im Sozialbereich bedeuten. Es kann nicht sein, dass Sie sich hier hinstellen und immer wieder den Steuer- und Abgabenstaat geißeln. Auf der anderen Seite tun Sie so, als würden Sie die Menschen mit sozialen Wohltaten beglücken. Das Gegenteil ist der Fall. Sie sind diejenigen, die zur Erosion der Gesellschaft beitragen. Das würde letztendlich dem Wirtschaftsstandort Deutschland schaden.
Danke sehr.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege Dr. Dietmar Bartsch.
Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Rede des Finanzministers und diese Debatte haben ebenso wie die Worte von Herrn Schneider eindeutig gezeigt, dass der Haushalt 2007 die Agenda 2010 plus Angela Merkel ist. Sie als große Koalition haben einige Monate von der Hoffnung gelebt, dass jenseits machtpolitischer Blockaden die Lösung der großen Probleme des Landes angegangen werden kann. Im Haushalt ist davon nichts, aber auch gar nichts zu spüren. Die Blockaden sind deutlich sichtbar.
In der Regierungserklärung hat die Bundeskanzlerin erklärt:
Wir müssen uns in jeder Generation neu besinnen, was gerecht und was ungerecht ist.
Das haben Sie völlig richtig gesagt. Ich will ausnahmsweise noch einmal die Kanzlerin zitieren:
Gerecht ist, wenn den Schwachen geholfen wird. Ungerecht ist, wenn sich Starke als Schwache verkleiden und damit die Gemeinschaft ausnutzen.
Da haben Sie etwas völlig Richtiges gesagt. Aber Sie handeln ganz anders.
Ihre Maßnahmen gehen zulasten der sozial Schwächeren und der wenig Vermögenden. Gerechtigkeit sieht anders aus. Wen treffen Sie denn mit der Kürzung des Sparerfreibetrages? Sie treffen eben diejenigen, denen das Sparen wirklich schwer fällt. Sie nehmen den 15 Millionen Pendlern durch die Kürzung der Pauschale richtig Geld weg. Das ist insbesondere für Ostdeutschland eine katastrophale Entscheidung.
Sie nehmen 450 000 jungen Erwachsenen durch die Beschränkung des Kindergeldes bis zum 25. Lebensjahr die finanziellen Mittel für ihren Lebensunterhalt. Im Kern finanzieren Sie Ihre Steuermehreinnahmen aus Einnahmen der einfachen Bürgerinnen und Bürger. Sie nehmen den sozial Schwächeren. Wenn man dazu noch die Erhöhung der Beiträge bei den Krankenkassen und zur Rentenversicherung rechnet, kann man nur sagen: Das sind katastrophale Entscheidungen.
In besonderer Weise trifft das aber auf die fatalste Entscheidung zu, die Sie getroffen haben: die Erhöhung der Mehrwertsteuer.
Sie weigern sich vor allen Dingen, Herr Steinbrück, neue Erkenntnisse, die nach dieser Entscheidung sichtbar geworden sind, zur Kenntnis zu nehmen. Ich will Sie alle daran erinnern, dass es noch kein Jahr her ist - es war im Wahlkampf im vorigen Jahr -, als Sie, Herr Steinbrück, und die Kolleginnen und Kollegen der SPD die Mehrwertsteuererhöhung gegeißelt haben. ?Merkelsteuer, das wird teuer!“ lautete Ihr Slogan. Er war völlig richtig.
Ich frage mich, ob Ihre heutigen Reden ähnlich glaubwürdig sind. Ist das so oder haben wir jetzt eine andere Situation?
Sie begründen die Mehrwertsteuererhöhung immer wieder mit den EU-Stabilitätskriterien und dem Haushaltsdefizit. Wir alle wissen aber - Herr Meister hat es vorhin festgestellt -, dass die EU-Stabilitätskriterien in diesem Jahr eingehalten werden. Das hat - das ist völlig richtig - mit dem wirtschaftlichen Aufschwung zu tun. Den bringt aber niemand ernsthaft mit Ihrer Politik in Verbindung. Das ist die Realität.
Von Ihrer Regierung geht vielmehr Gefahr für den Aufschwung in Deutschland aus.
Sie haben die Mehrwertsteuererhöhung damit begründet, dass ein Prozentpunkt davon der Absenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zugute kommen soll. Sie weigern sich aber, zur Kenntnis zu nehmen, dass der Überschuss der Bundesagentur für Arbeit in diesem Jahr 9 Milliarden Euro beträgt. Ich stimme mit Ihnen überein, dass die Einnahme aus dem 13. Monatsbeitrag nicht angetastet werden sollte. Wie finden Sie aber die Idee, das Vorhaben aus dem erzielten Überschuss statt aus den Einnahmen der Mehrwertsteuererhöhung um einen Prozentpunkt zu finanzieren? Es ist vielleicht nicht völlig abwegig, darüber zu diskutieren.
Beweisen Sie Ihre Lernfähigkeit! Tragen Sie der veränderten Realität Rechnung! Sie wissen doch, dass durch die Mehrwertsteuererhöhung die Binnenkaufkraft abgeschöpft und der wirtschaftliche Aufschwung gefährdet wird. Sie haben feststellen müssen, dass die Politik nach dem Motto ?Steuersenkung bei Unternehmen schafft Arbeitsplätze“ gescheitert ist, und zwar seit Jahren.
Kehren Sie um! Steigern Sie die Binnenkaufkraft und verzichten Sie auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer! Verfahren Sie nicht nach dem untauglichen Motto ? Wir setzen den einmal als richtig erkannten Weg bis zum Ende fort“!
Hinzu kommt, dass Sie zur gleichen Zeit über eine Unternehmensteuerreform diskutieren, mit der auf Steuereinnahmen von bis zu 22 Milliarden Euro verzichtet werden soll. Natürlich handelt es sich dabei um Steuergeschenke, Herr Poß. Um was denn sonst? Die Idee stammt von einem SPD-Minister. Da würde sich mancher Sozialdemokrat im Grabe umdrehen.
Den Unternehmen, den Vermögenden, den Banken und Konzernen geben Sie Steuergeschenke und den Menschen, die ihre Euros mit schwerer Arbeit verdienen müssen, greifen Sie in die Tasche.
Sie wissen doch, dass Rot-Grün mit der Steuerreform Mindereinnahmen von über 60 Milliarden Euro verursacht hat. Das hat sich für die Konzerne und ihre Shareholder gelohnt. Nicht gelohnt hat es sich für die Menschen; denn gleichzeitig sind viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlassen worden. Das kann nicht der Weg sein. Es geht auch anders. Richten Sie den Blick auf andere Länder,
in denen das Wirtschaftswachstum höher ist und die öffentlichen Haushalte besser dastehen!
Warum unternehmen Sie keinen ernsthaften Versuch, die Erbschaftsteuer grundlegend zu reformieren? In den nächsten Jahren werden Billionen vererbt. Warum brauchen wir in Deutschland neue Dynastien, die nichts mit Leistung zu tun haben? Warum sollen die sozialen Unterschiede in unserem Land weiter vererbt werden? Das ist ein großer Fehler.
Sie haben von Kindern und Enkeln gesprochen, Herr Steinbrück. Auch das gehört dazu. Warum werden einige so privilegiert? Sie verweisen darauf, dass zunächst die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten ist. Es gibt immer Begründungen, abzuwarten. Sie hätten aber schon lange einen Gesetzentwurf vorlegen können, der auch für alle Haushalte 2007 haushaltsrelevant geworden wäre.
Warum weigern Sie sich, wieder eine Vermögensteuer einzuführen oder wenigstens darüber zu diskutieren? Es gibt Ministerpräsidenten, die das auch weiterhin für vernünftig halten. Sie haben nicht im Entferntesten den Ansatz beherzigt, dass starke Schultern mehr tragen müssen.
Über viele Jahre hinweg gab es eine Umverteilung von unten nach oben. Was wir nun brauchen, ist eine Umverteilung von oben nach unten.
Wir brauchen eine andere Politik. Denn Sie betreiben eine falsche Politik.
Lassen Sie mich - weil Sie immer wieder von Haushaltsrisiken und Ähnlichem sprechen - einen Bereich erwähnen, auf den schon eingegangen worden ist, und zwar den Einzelplan 14, Verteidigung. In diesem Etat spiegeln sich sehr deutlich die Veränderungen in der Außenpolitik wider. Frau Merkel hat gleich nach ihrem Amtsantritt deutlich gemacht, dass sie anders als ihr Vorgänger eine unkritische Verbündete von Präsident Bush sein will. Es gibt keine Distanz zu den Vereinigten Staaten, auch nicht dann, wenn diese auf imperiale Gesten und militärische Abenteuer setzen.
Für eine soziale und gerechte Politik ist angeblich nie Geld vorhanden. Aber Ihre Vorgängerregierungen haben in den Jahren 1992 bis 2005 für Zusatzaufgaben aufgrund internationaler Einsätze insgesamt 8,8 Milliarden Euro ausgegeben. Wenn es, wie heute früh, um Ausländseinsätze wie im Kongo geht, dann wird sofort ?Hier!“ gerufen. Das sind reale Haushaltsrisiken. Wir alle wissen, dass uns jeder Auslandseinsatz enorm viel Geld kostet.
Die Bundesregierung hat sich inzwischen angewöhnt, schon ?Hier!“ zu rufen, wenn noch niemand gefragt hat. Das ist eine ganz neue Qualität in Deutschland.
Der Mut verlässt sie aber immer dann, wenn es um die Hinterfragung bestimmter vertraglicher Regelungen geht. Nehmen wir als Beispiel das Raketensystem zur Panzerabwehr, das über 17 Jahre zu einem Preis von einer halben Milliarde Euro entwickelt wurde. Obwohl sich der Preis pro Rakete um das 15fache erhöht hat, erfüllt das System, von dem die Bundeswehr nach Kritik des Bundesrechnungshofes nicht mehr 30 000, sondern nur noch 1 000 bestellt hat, längst nicht mehr die Anforderungen. Aber den Steuerzahler kostet nun jeder einzelne Schuss 1 Million Euro. Bei 1 000 Schuss sind das 1 Milliarde Euro. Das ist absurd.
Ich rate Ihnen, mehr für Konversion auszugeben. Das ist eine richtige Entscheidung. Hier müssen wir mehr tun, gerade dort, wo Standorte geschlossen werden. Das trifft sowohl auf den Osten als auch auf den Westen Deutschlands zu. Entsprechende strukturpolitische Maßnahmen sind notwendig. Deswegen werden wir in den Etatberatungen vorschlagen, im Rahmen des Einzelplans 14 2 Milliarden Euro zu kürzen, aber 600 Millionen Euro für die Konversion einzusetzen. Davon soll auch einiges für zivilen Friedensdienst und Minenräumung aufgewendet werden.
Wir werden als Linke im Zuge der Haushaltsberatungen konkrete Einsparungen vorschlagen sowie Vorschläge machen, die einen Richtungswechsel in der Politik beinhalten. Nehmen Sie unsere Vorschläge ernst! Meine Damen und Herren von der SPD, lassen Sie insbesondere nicht nur die Vorschläge, die auf weniger Ausgaben abzielen, an sich heran, sondern auch diejenigen, die zu Mehreinnahmen führen! Mehr soziale Gerechtigkeit ist möglich. Der vorliegende Haushaltsentwurf zeigt, dass Deutschland seine Möglichkeiten nicht ausschöpft. Einer Regierung, die große Unternehmen, Banken und Konzerne entlastet und es dafür bei den kleinen Leuten nimmt, fehlt der Mut, für die Mehrzahl der Menschen in diesem Lande zu entscheiden,
genauso wie die Menschlichkeit, zugunsten der Schwächeren in diesem Land bessere Lösungen zu finden.
Wir haben über viele Jahre Erfahrungen mit großen Koalitionen und ihrer Haushaltspolitik gemacht. Schauen Sie nach Berlin! Ich nenne nur den Bankenskandal als Beispiel. Heute muss eine rot-rote Regierung das beiseite räumen, was dort angerichtet wurde. In Mecklenburg-Vorpommern hat die große Koalition, die bis 1998 regierte, das Land in eine völlig inakzeptable Verschuldung gebracht. Auch dort muss nun eine rot-rote Regierung aufräumen. Sorgen Sie dafür, dass das auf Bundesebene nicht passiert!
Danke schön.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat die Kollegin Anna Lührmann für die Fraktion der Grünen.
Anna Lührmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Kampeter - schade, er ist gar nicht da; dann müssen Sie ihm ausrichten, was ich ihm zu sagen habe - und lieber Herr Steinbrück, ich fand, die Diskussion und die offensichtlichen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Koalition über die Frage, was man nun mit den wegen der besseren Konjunktur sprudelnden Steuereinnahmen machen soll, waren sehr interessant zu beobachten. Sie sprachen verniedlichend von einem zu verwendenden Löwenanteil. Ich möchte Sie noch einmal an den Ernst der Lage erinnern. Herr Steinbrück, im Haushaltsjahr 2006 haben Sie eine Nettokreditaufnahme in Höhe von 38,5 Milliarden Euro vorgesehen und dies mit einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts begründet. Deshalb sollte es selbstverständlich sein, dass jetzt, wo die Konjunktur einigermaßen gut läuft und das Wachstum in diesem Jahr sehr wahrscheinlich bei 2 Prozent liegt, die Steuermehreinnahmen komplett zur Reduzierung der Nettokreditaufnahme verwendet werden. Alles andere wäre unverantwortlich.
Wir reden nicht über einen einigermaßen ausgeglichenen Haushalt und sprudelnde Quellen oder Manna, das vom Himmel fällt, sondern über einen Haushalt, der unter dem Vorzeichen einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts aufgestellt wurde. Herr Steinbrück, bei einem Wirtschaftswachstum in Höhe von 2 Prozent können Sie nicht mehr von einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts sprechen. Ich finde, Ihre Verantwortung gegenüber künftigen Generationen besteht darin, nun dafür zu sorgen, dass die Steuermehreinnahmen komplett für die Sanierung des Haushalts und die Senkung der Nettokreditaufnahme verwendet werden.
Ich möchte Sie fragen: Wann ist es denn an der Zeit, wenn nicht jetzt in diesem konjunkturellen Umfeld, zu sparen und mit der Konsolidierung zu beginnen? Ich kann mich gut an die Debatten der letzten Jahre erinnern, als immer wieder gesagt worden ist, die wirtschaftliche Lage sei so schlecht und deshalb könne nicht gespart werden. Jetzt aber ist der Zeitpunkt gekommen, wo man auf die Konjunktur hoffen kann und wo man mit Blick auf 2007 mehr Einsparanstrengungen unternehmen sollte, als Sie tatsächlich machen.
Wenn man sich den Haushalt 2007 anschaut, dann sieht er auf dem Papier auf den ersten Blick schön aus. Wenn man ihn aber genau anschaut, dann stellt man fest, dass Sie eine Senkung der Nettokreditaufnahme von 16 Milliarden Euro für 2007 vorschlagen.
Dem stehen über 20 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen gegenüber. Hinzu kommen Privatisierungserlöse von 2,64 Milliarden Euro. Das heißt, dass Sie die Einnahmeseite in viel stärkerem Maße verbessern, als Sie die Nettokreditaufnahme senken.
Das heißt unter dem Strich, dass Sie keine Konsolidierungsanstrengungen unternehmen und keine Ausgaben kürzen, obwohl wir uns in einer wirtschaftlichen Lage befinden, angesichts der selbst Keynes gesagt hätte, dass man jetzt den Schuldenberg abbauen muss.Das fordere ich von Ihnen im Rahmen der Haushaltsberatungen ein. Wir Grüne werden dazu konkrete Anträge stellen. Wir sind gespannt, ob Sie am Ende der Haushaltsberatungen immer noch sagen, Sie hätten für all diejenigen offene Ohren, die Konsolidierungsanstrengungen unternehmen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Georg Fahrenschon für die Unionsfraktion.
Georg Fahrenschon (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eines steht fest: Mit diesem Haushalt, der angesichts der Übergabeprobleme des Jahres 2005/2006 quasi der erste Haushalt ist, den die unionsgeführte Bundesregierung in eigener Verantwortung auflegt, erreichen wir etwas, was Rot-Grün in den gesamten letzten Jahren nicht geschafft hat.
Wir erreichen die Umkehr von stetig steigenden Schulden hin zu einer verantwortungsvollen europa- und verfassungskonformen Haushaltspolitik.
Bei allen unterschiedlichen Einschätzungen ist doch eines unstrittig: Die zwei wesentlichen Eckpfeiler der Finanzpolitik, die Regelgrenze des Art. 115 des Grundgesetzes und das Maastrichtkriterium, werden erstmals seit dem Jahr 2001 mit diesem Haushalt eingehalten. Daran können Sie nichts ändern.
Das ist nicht nur ein wichtiges Signal an Brüssel für die europäische Stabilitätskultur, es ist auch ein wichtiges Signal an die Bürgerinnen und Bürger im Land;
denn binnen Jahresfrist nach Amtsantritt einer unionsgeführten Bundesregierung erfüllen wir wieder das, was Rot-Grün in mehreren Jahren nicht gelungen ist. Es gilt also: Wenn die Union in der Verantwortung steht, werden die Regeln nicht gebrochen, sondern sie werden wieder eingehalten.
Dass diese Erfolge keine Eintagsfliegen sind, sondern im Verlauf der Legislaturperiode konsequent fortgesetzt werden, zeigt auch der Finanzplan auf. In den Folgejahren ist ein stetiger Abbau des Staatsdefizits in Schritten von einem halben Prozent vorgesehen. Damit rückt die CDU/CSU wieder das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts in den Mittelpunkt. Wir werden daran weiter arbeiten. An der Erreichung dieses Ziels lassen wir uns nach Abschluss dieser Legislaturperiode messen.
Vor allem im Hinblick auf die wichtige Frage der Generationengerechtigkeit werden wir sparen, reformieren und investieren; denn mittelfristig eröffnet nur ein ausgeglichener Haushalt ohne neue Schulden den kommenden Generationen die Möglichkeiten, in ihrer Zeit Politik zu gestalten und nicht nur Zins und Tilgung der Vorgängerregierung abzuzahlen.
Doch diese positive Entwicklung darf den Blick nicht dafür verstellen, dass wir beim aktuellen Bundeshaushalt nach wie vor vor schwierigen Herausforderungen stehen. Auch wenn das Konsolidierungspaket der großen Koalition im Bundeshaushalt 2007 bereits seine ersten Wirkungen zeigt, ist und bleibt der Bundeshaushalt ein Sanierungsfall,
in dem für politische Gestaltung weiterhin zu wenig finanzieller Spielraum besteht. Wir dürfen nicht vergessen: Allein mit den vier Ausgabepositionen Rentenzuschuss, Zins und Tilgung, Personal und Arbeitsmarktpolitik sind bereits knapp drei Viertel des gesamten Volumens des Bundeshaushalts fest gebunden. Vor diesem Hintergrund muss einem klar werden: Die Sanierung der Staatsfinanzen ist nach wie vor Topthema auf der Agenda der Finanz- und Haushaltspolitik.
An dieser Stelle muss man ausdrücklich auch all denen widersprechen, die in diversen Interviews und Reden immer wieder betonen, der Bund habe zu wenig Einnahmen. Das ist unserer Auffassung nach nicht der Fall.
Bei einer Einnahmesteigerung bis zum Jahr 2009 von satten 15 Prozent haben wir kein Einnahmeproblem. Wir haben ein Ausgabeproblem und daran müssen wir uns messen lassen. An dieser Stelle müssen wir etwas ändern.
Deshalb werden wir im Zuge der Haushaltsberatungen alle Ausgabenpositionen kritisch prüfen.
Insbesondere im Bereich der Personalausgaben werden wir weiterhin genau hinschauen
und vor allem nach Effizienzsteigerungen suchen. Ich nenne beispielhaft: Bei 52 nachgeordneten Bundesoberbehörden und 24 Bundesanstalten muss etwas zu finden sein, sodass wir die Situation des Bundeshaushalts auch auf der Ausgabeposition noch einmal verbessern.
Die große Koalition setzt in der laufenden Sanierung allerdings auch weiterhin erkennbar politische Akzente. Die doppelte Tonlage von Konsolidierung einerseits und Wachstum andererseits wird uns auch im Hinblick auf den Bundeshaushalt 2007 beschäftigen und leiten; denn Konsolidierung und Wachstum bedingen einander. Zu sagen, wir würden dem Wachstum durch Einsparungen entgegenwirken, ist eine Mär. Wir legen mit soliden Staatsfinanzen die Grundlage für Wachstum und Zukunft.
Wir sollten uns auch davor hüten, die Grenzen zwischen der Haushaltspolitik und der Finanzpolitik einerseits und der Kompetenz für die Geldpolitik andererseits überspringen zu wollen. Wir sollten unsere Aufgabe lösen. Wir sollten die Notenbanker sowohl in der Bundesbank als auch in der Europäischen Zentralbank ihren Aufgaben nachgehen lassen.
Neben dem Sparen ist es allerdings auch wichtig, dass wir politische Impulse geben.
Deshalb müssen wir die positive wirtschaftliche Entwicklung auch über konkrete Maßnahmen mit den richtigen Impulsen unterstützen. Ich möchte zwei Impulsprojekte nennen. Erstens. Für den deutschen Mittelstand brauchen wir eine rasche Neuregelung der betrieblichen Erbschaftsteuer. Allein in Bayern stehen in den nächsten fünf Jahren mehr als 60 000 Unternehmen zur Übergabe an. Deshalb ist es dringend notwendig, dass das Stundungsmodell, auf das wir uns im Koalitionsvertrag geeinigt haben, auch wirklich zum 1. Januar 2007 in Kraft tritt. Nur das schafft Sicherheit für Investitionen und für Arbeitsplätze. Nur dieses Datum zeigt auch, dass die Sicherheit bezogen auf Grundgesetzkonformität und den Europäischen Stabilitätspakt in konkreter Politik fortbesteht.
Die Menschen müssen darauf vertrauen können, dass wir zu unserem Wort und zu unserer Programmatik stehen.
Zweitens. Ein ganz anderer, aber für den Finanzmarkt Deutschland ebenso wichtiger Bereich ist die Einführung von REITs. Das ist ein zentraler Punkt, den wir abarbeiten müssen.
Weltweit gibt es mittlerweile in rund 20 Staaten solche Konstruktionen, darunter in den Beneluxstaaten und in Frankreich. Die Einführung britischer REITs wird noch in diesem Jahr erfolgen. Damit müssen wir zur Kenntnis nehmen: Dieses Finanzmarktinstrument hat sich zu einem internationalen Standardprodukt für die indirekte Immobilienanlage entwickelt. Der Finanzplatz Deutschland kann es sich einfach nicht leisten, auf dieses Instrument zu verzichten.
Lieber Herr Finanzminister, es kann daher nicht sein, dass der Gesetzentwurf quasi fertig in den Schubladen des Finanzministeriums liegt und Staub ansetzt, nur weil wir weiterhin auf eine kleine Gruppe ständiger Bedenkenträger Rücksicht nehmen.
Ich will schon die Gelegenheit nutzen, Folgendes zu sagen: Ich glaube, dass die Einführung von REITs die Nagelprobe für die Finanzmarktpolitik der großen Koalition ist. Ich fordere Sie auf: Bringen Sie diesen Gesetzentwurf ein! Lassen Sie uns die parlamentarische Diskussion über dieses Instrument starten und verzögern Sie die Debatte nicht!
Bezogen auf den Haushalt treibt die Union eine politische Überzeugung und, wenn Sie so wollen, auch eine moralische Verantwortung an.
Insbesondere unter Berücksichtigung des Gebots der Nachhaltigkeit darf die heutige Generation nicht dauerhaft mehr verbrauchen, als sie leistet. Gegenwartskonsum oder Zukunftsinvestitionen, das ist die entscheidende Frage. Für uns, für die CDU/CSU, ist die Antwort klar: Wir wollen die Gegenwartsinteressen nicht länger höher bewerten als die Zukunftsinteressen.
Wir haben im ersten Jahr der Regierungsverantwortung die Aufgabe angepackt und einen beachtlichen Teil erreicht. Die Nettokreditaufnahme wird dauerhaft unter die Regelgrenze der Verfassung gedrückt. Das Maastrichtkriterium wird deutlich und im Zeitablauf zunehmend unterschritten.
Die gute Nachricht lautet deshalb: Mit dem Haushalt 2007 schaffen wir die Abkehr von einer Politik der überbordenden Verschuldung. Die Spielräume bleiben jedoch weiterhin äußerst eng, sodass der Konsolidierungsdruck hoch bleibt. Für die CDU/CSU ist allerdings auch klar: Für einen echten Schuldenabbau müssen neue Schulden ganz vermieden werden.
Das heißt, wir brauchen ausgeglichene Haushalte bzw. wir müssen in den Haushalten Überschüsse erzielen, um die Staatsverschuldung abzubauen.
Dieser Schritt ist weitaus schwieriger. Doch die CDU/CSU wird ihn gehen. Wir lassen uns an dieser Herausforderung messen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die FDP-Fraktion hat die Kollegin Ulrike Flach das Wort.
Ulrike Flach (FDP):
Ja. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer dem Finanzminister oder auch dem Kollegen Kampeter zugehört hat, hat den Eindruck gewonnen: Wir haben es hier mit einem Haushalt zu tun, mit dem man auf dem richtigen Weg ist, der solide und konzis durchorganisiert ist.
Es wird Sie nicht weiter erstaunen, dass die FDP genau an dieser Stelle diametral anderer Meinung ist als Sie.
Uns liegt hiermit eine Kopie früherer verfassungswidriger Haushalt von Rot-Grün vor; der einzige Unterschied ist, dass Sie an der Stelle, wo Sie sagen, der Haushalt sei jetzt plötzlich verfassungsgemäß, schonungslos beim Bürger abkassieren, und zwar in einem Maße, wie wir es in der Vergangenheit noch nie erlebt haben.
Herr Poß, für jemanden, der die Diskussionen vor ein paar Jahren miterlebt hat, ist es schon ein bisschen merkwürdig, festzustellen, mit welcher Leidenschaft Sie sonst eigentlich immer das Gegenteil von dem erzählt haben, was Sie gerade gesagt haben.
Offensichtlich - um an das anzuknüpfen, was wir eben schon hatten - prägt das Sein das Dasein.
Herr Poß, Sie haben heute genau das Gegenteil von dem geäußert, was Sie vor einem Jahr gesagt haben. Damals haben Sie entschieden dagegen gesprochen, einen Haushalt über die Einnahmeseite zu sanieren. Heute sind Sie auf der Seite der CDU/CSU. Das erstaunt uns. Ich denke nicht, dass die Bürger Ihnen das positiv quittieren.
Dieser Haushalt atmet die Mutlosigkeit einer großen Koalition. Sie konsolidieren über die Einnahmeseite. Herr Steinbrück, schon zum zweiten Mal - Sie sind nun zum zweiten Mal dabei - machen Sie den Fehler, die Ausgabenseite bei der Konsolidierung zum größten Teil außen vor zu lassen.
Meine Damen und Herren, Sie haben obendrein Risiken im Haushalt. Ich bin froh darüber, dass Herr Fahrenschon das eben so deutlich gesagt hat. Diese Risiken betreffen nicht nur den Zinsbereich, den Sie, Herr Poß, eben angeführt haben, sondern natürlich vor allem den Arbeitsmarktbereich. Das bleibt trotz der Belebung so.
Im letzten Jahr musste der Bund 3,6 Milliarden Euro für Unterkunft und Heizung von Hartz-IV-Empfängern an die Kommunen zahlen. Für 2007 setzen Sie nur 2 Milliarden Euro an, Herr Steinbrück. Die Kommunen selbst rechnen mit 5,5 Milliarden Euro. Da frage ich mich wirklich, inwiefern hier eine solide Haushaltsführung erfolgt, wie Sie sie uns eigentlich in jedem Satz vorzumachen versuchen.
Sie selbst haben gesagt: Konsolidierung kann man nur in Zeiten betreiben, in denen sich die Konjunktur verbessert, nicht in der Krise. Konsolidierung - das ist die Meinung der FDP - darf aber nicht nur auf der Einnahmeseite, sondern muss auch auf der Ausgabenseite stattfinden.
Ich sage noch einmal das, was Kollege Koppelin eben dargelegt hat. Die Ausgaben in Ihrem Haushalt steigen von 261,6 auf 267,6 Milliarden Euro. Das ist ein Plus von 2,3 Prozent.
Das ist genau das Gegenteil von dem, was Sie in Ihrer Rede darzulegen versucht haben.
In der mittelfristigen Finanzplanung setzt sich diese finanzielle Fehlentwicklung noch fort. Es besteht ein eklatantes Missverhältnis zwischen Schuldenrückgang und Steuereinnahmen. Frau Kollegin Hajduk hat eben zu Recht darauf hingewiesen. Im Zeitraum von 2007 bis 2010 soll die Neuverschuldung nur um 1,5 Milliarden Euro sinken, nämlich von 22 auf 20,5 Milliarden Euro, aber nicht darunter, wie Sie, Herr Kampeter, uns das eben weiszumachen versucht haben.
Die Steuereinnahmen steigen aber um 16,6 Milliarden Euro. Das ist doch ein Ungleichgewicht!
Das Ziel eines ausgeglichenen Haushaltes hat die Bundesregierung vollends aus den Augen verloren. Die Schuldenlast, die unsere Kinder und Enkel zu tragen haben, steigt weiter an.
Der Investitionsverfall findet in der mittelfristigen Finanzplanung seine Fortsetzung. Die Investitionsquote sinkt, Herr Steinbrück, und zwar von 8,8 Prozent auf 8,4 Prozent im Jahre 2010. Sie haben eben nicht die Chance genutzt, drastische Einsparungen vorzunehmen, wie Herr Kampeter sie eigentlich jeden Tag über die Medien von Ihnen fordert. Ich bin erstaunt, Herr Kampeter, wie wenig Sie sich in den Klausurtagungen der letzten Tage durchgesetzt haben. Er hat doch eben erklärt, er sei offen für positive Vorschläge. Aber Sie fordern gestern wiederum Einsparungen von rund 7 Milliarden Euro.
Sie können sicher sein: Die Haushälter der FDP werden Sie in den nächsten Wochen jeden Tag daran erinnern.
Herr Schneider hält die Rückführung der Nettokreditaufnahme für nicht ambitioniert genug. Jetzt ist er gerade nicht mehr da; deswegen können wir ihn nicht noch einmal fragen.
Er hat uns aber gesagt, wenn die Wirtschaft wächst und die Steuereinnahmen steigen, dann muss der Staat bei seinen Ausgaben sparen und weniger Kredite aufnehmen. Der Präsident des Bundes der Steuerzahler hat Ihnen vorgerechnet,
dass es bei der von Ihnen geplanten Rückführung der Nettokreditaufnahme von 500 Millionen Euro per annum erst im Jahre 2050 einen Bundeshaushalt ohne Neuverschuldung gäbe. Liebe Damen und Herren, selbst Frau Lührmann wird dann nicht mehr in diesem Bundestag sitzen.
Ich denke, das ist weder konzis noch solide, Herr Steinbrück. Wir fordern von Ihnen, dass Sie an dieser Stelle nachsteuern, wie Sie es uns noch vor Jahren mit Herrn Koch vorgemacht haben. Wo ist denn das wirklich ambitionierte Subventionssparprogramm, das Sie uns damals vorgelegt haben? Das erkennen wir weder im Haushalt 2006 noch im Haushalt 2007.
Die Höhe der Subventionen beträgt laut Bericht des Kieler Institutes 145 Milliarden Euro und genau um die geht es. Genau um die werden wir in den nächsten Tagen kämpfen.
- Wir sind die Schutzengel derjenigen, die diese Subventionen nicht wollen, Herr Poß.
Sie werden es jeden Tag erleben: Wir werden Ihnen, angefangen bei Kollegen Glos bis hin zu Kollegen Gabriel, vorrechnen, an welcher Stelle diese Subventionen zu kürzen sind, und damit sicherlich auch die Frage beantworten, wo die Milliarden herkommen, die die FDP zur Sanierung des Haushaltes braucht.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Bernhard Brinkmann für die SPD-Fraktion.
Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man nach der Einbringung des Bundeshaushalts 2007 ziemlich zum Schluss der Debatte an die Reihe kommt, dann hat man es einerseits etwas leichter, andererseits aber auch etwas schwerer, weil die Zeit vielleicht nicht ausreicht, um das richtigzustellen, was an der einen oder anderen Ecke ganz einfach falsch oder auch etwas nebulös dargestellt worden ist.
Meine Damen und Herren, der Dreiklang Konsolidierung, strukturelle Reformen und
Investitionen wird unverändert fortgeführt, Herr Kollege Koppelin. Wir setzen damit auch unsere Bemühungen fort, den Staatshaushalt zu konsolidieren.
Ich will etwas zu den Anmerkungen und Hinweisen zum Schuldenmachen sagen. Da sollten wir uns alle ein wenig zurücknehmen. Wir waren alle dabei, als es darum ging, Ausgaben, die nicht durch Einnahmen gedeckt werden konnten, durch entsprechende Nettokreditaufnahmen auszugleichen. Die Freien Demokraten waren, glaube ich, am längsten dabei, wenn es darum ging, auf diese Weise zum Ausgleich des Haushaltes beizutragen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Rahmenbedingungen sind in den letzten Monaten besser geworden. Das scheint dem einen oder anderen nicht zu gefallen. Wer sich an die Ausführungen bei der Verabschiedung des Haushaltes 2006 erinnert, weiß, dass damals an der einen oder anderen Stelle von der Opposition etwas geäußert worden ist, was Gott sei Dank nicht eingetreten ist.
Ich will aber auch nicht verhehlen, dass trotz dieser verbesserten Rahmenbedingungen die Haushaltslage nach wie vor sehr ernst ist. Wir können gegenüber dem Jahr 2006 zwar eine Reduzierung der Nettokreditaufnahme vorweisen; sie beträgt aber immer noch 22 Milliarden Euro. Mit dieser Nettokreditaufnahme werden allerdings die Ziele erreicht, die sich der Finanzminister schon im Haushalt 2006 vorgenommen hat. Wir werden also bei den Investitionen erstmals wieder oberhalb der Nettokreditaufnahme liegen und werden auch die Maastrichtkriterien einhalten.
Wenn die FDP immer davon spricht - manchmal vielleicht auch wider besseres Wissen -, auf der Ausgabenseite alles auf den Prüfstand zu stellen, dann, glaube ich, weiß sie auch, dass es dort nur sehr eingegrenzte Möglichkeiten gibt. Selbst wenn Ihre Sparvorschläge in der Größenordnung von 8 Milliarden Euro, für die ja dann auch in bestehende Verträge und rechtskräftige Bescheide eingegriffen werden müsste, im Haushalt 2007 berücksichtigt werden könnten, läge das Defizit immer noch in einer Größenordnung, die uns letztendlich dazu veranlassen würde, weitere Schritte zu unternehmen, die sich auf der Einnahmeseite in 2006 und 2007 positiv auswirken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es sollte eine gemeinsame Aufgabe dieses Hauses sein, in den nächsten Jahren darauf hinzuwirken, dass die Nettokreditaufnahme sinkt und dass wir zu einem ausgeglichenen Haushalt kommen. Das ist natürlich nicht von uns allein zu schaffen. Vielmehr ist das auch von vielen Einwirkungen, die von außen auf uns zukommen können, abhängig. Ich will an die Steigerung bei den Energiepreisen und auch an die unsichere Lage im Nahen Osten, die letztendlich Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben könnte, erinnern. Das schlägt dann auch auf uns zurück.
Ich möchte einen Vorschlag machen, dessen wir uns in den nächsten Wochen und Monaten im Rechnungsprüfungsausschuss durchaus ohne Vorurteile annehmen sollten. Es gibt in der Schweiz ein Modell, das über eine Regelung, die mit dem Art. 115 in unserer Verfassung vergleichbar ist, die Neuverschuldung und die weitere Aufnahme von Krediten eingrenzt. Man kann das natürlich nicht eins zu eins umsetzen, weil wir ja nicht die Schweiz sind und weil von der Schweiz bestimmte Sonderlasten - etwa wenn es um die Kosten der deutschen Einheit geht - nicht zu tragen sind.
Am Donnerstag soll ohne Debatte die Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2004 beschlossen werden. Der Rechnungsprüfungsausschuss hat in acht Sitzungen ausführlich über den Haushaltsvollzug 2004 und die dazu ergangenen Bemerkungen 2005 des Bundesrechnungshofes beraten. Wie die Berichte in den Vorjahren zeigen auch die Bemerkungen 2005, dass betriebswirtschaftliches Denken und Handeln immer noch nicht flächendeckend das exekutive Handeln bestimmt. Nach den Berechnungen des Bundesrechnungshofes belaufen sich die einmaligen Ausgabeminderungen und Einnahmesteigerungen, die in den 87 Bemerkungen beschrieben werden, auf mehrere Milliarden Euro. Wegen der nur ausschnittsweisen Prüfung des Haushaltes müssen wir davon ausgehen, dass die tatsächlichen Spar- und Einnahmemöglichkeiten im Bund und sicherlich auch in den Ländern noch um einiges höher sein dürften.
Ein fachlicher Schwerpunkt des Bundesrechnungshofes in den Bemerkungen 2005 war mit Blick auf die Verhandlungen in der gemeinsamen Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung die Aufgaben- und Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern. Der Hof kritisierte die Vielzahl von Verantwortlichkeiten, die unklaren Aufgabenverteilungen, die komplizierten Entscheidungen und den Ressourcenverbrauch. Mit der von Bundestag und Bundesrat beschlossenen, letzte Woche in Kraft getretenen Föderalismusreform ist die dringend notwendige Entflechtung der Bund-Länder-Beziehungen in Angriff genommen worden. Es muss jetzt auch die zweite Stufe, die Reform der Finanzbeziehungen, zügig folgen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Prüfungen des Bundesrechnungshofes zeigen, dass es zu Fehlern quer durch alle Ministerien gekommen ist, es aber keine Konzentration von Defiziten, Nachlässigkeiten und fehlender Personalaufsicht und -führung in einzelnen Häusern gibt. Wichtig ist mir auch, festzuhalten, dass die Fehlerbeschreibungen des Hofes nicht verallgemeinert und auf die gesamte Verwaltung übertragen werden dürfen.
Die Bundesverwaltung arbeitet insgesamt, im internationalen Vergleich und nach Einschätzung des Bundesrechnungshofes durchaus gut.
Wie in der Vergangenheit konnten über weite Bereiche einvernehmliche Beschlüsse gefasst werden - dafür bin ich sehr dankbar -, denen immer ausgiebige und durchaus sehr kritische Beratungen der jeweiligen Berichterstatter mit den Ministerien und dem Bundesrechnungshof vorausgingen. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit Ihnen sachgerechte Antworten gefunden haben. Ich würde mich daher sehr freuen, wenn die Entlastung am Donnerstag hier in diesem Hause einstimmig erfolgte.
Lassen Sie mich zum Schluss zum Bundeshaushalt 2007 Folgendes sagen: Wie bei der Beratung des Bundeshaushaltes 2006 erwarten wir natürlich in den kommenden Wochen und Monaten Vorschläge, die sich auf den Bundeshaushalt 2007 auswirken, allerdings keine Vorschläge, die dann vielleicht wieder in einem dicken Buch der Freien Demokraten als nicht darstellbare Einsparvorschläge landen werden.
In diesem Sinne herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Wir beraten den Haushalt in den nächsten Wochen und Monaten, wie ich es hier dargestellt habe.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Fromme das Wort.
Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten über einen Haushalt, der auch anders aussehen könnte; das würden wir uns wünschen. Aber er ist den Realitäten angepasst.
Lieber Kollege Koppelin, wenn Sie keine Linie erkennen können, dann sollten Sie sich einmal eine neue Brille zulegen. Dann werden Sie vielleicht eher erkennen, was wir wollen.
Sie trommeln immer wieder auf der Mehrwertsteuerfrage herum.
Wahr ist doch, dass Sie vor der Wahl, als Sie noch glaubten, mit uns eine Regierung bilden zu können, gesagt haben, an der Mehrwertsteuererhöhung, die wir angekündigt hatten, würde eine Koalition nicht scheitern.
- Sie sollten die Wahrheit zur Kenntnis nehmen.
Die Wirkung der Mehrwertsteuererhöhung ist in der Wissenschaft sehr unterschiedlich beurteilt worden. Wir sehen doch heute, wie die Realitäten sind. Es geht um die Stimmung. Wirtschaft, wirtschaftliche Entwicklung hat etwas mit Stimmung zu tun. Der private Konsum - das ist das, woran es in unserer Volkswirtschaft jahrelang gemangelt hat - steigt.
Entgegen allen Unkenrufen steigt er. Wir haben es geschafft - das ist doch klar -, die Abwärtsspirale umzudrehen. Der Trend zu immer weniger Arbeitsplätzen, immer weniger sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, immer mehr Arbeitslosen, immer weniger Einnahmen aus Steuern und Sozialabgaben und immer höheren Ausgaben für die Sozialsysteme ist umgedreht worden. Es geht aufwärts.
Wir wissen: Nichts ist so gut, dass es nicht besser sein kann. Aber man muss doch erst einmal über das reden, was man erreicht hat. Wir haben fünf Jahre lang wie das Kaninchen auf die Schlange gestarrt, wenn die Arbeitsmarktdaten veröffentlicht wurden. Jetzt sind sie positiv - plus 130 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, fast 500 000 weniger Arbeitslose - und kein Mensch redet darüber. Wenn wir über das Gute nicht auch reden, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn sich die Stimmung nicht verbessert. Das ist doch das Geheimnis.
Deswegen müssen wir hier vorwärts gehen.
Frau Kollegin Hajduk, Sie haben sich in Polemik gegen den Finanzminister erschöpft. Das heißt, Sie haben keine Vorschläge; sonst hätten Sie etwas Inhaltliches gesagt, statt nur über Personen zu reden. Sie sollten einmal anerkennen, dass es bei der Bundesagentur Erfolge gibt. Natürlich ist ein Drittel der Überschüsse auf die 13. Zahlung der Sozialbeiträge zurückzuführen. Aber ein Drittel der Ersparnisse beruhen darauf, dass uns Effizienzsteigerungen gelungen sind.
Ein Drittel beruht darauf, dass wir den Maßnahmenkatalog verändert haben.
Ich sage Ihnen: Wenn es eine dauerhafte Entlastung gibt, dann werden wir dafür sorgen, dass diese dauerhafte Entlastung zu Beitragssenkungen führt. Das ist das Geld der Beitragszahler. Deswegen muss es in einem geschlossenen Kreislauf bleiben. All das, was da möglich ist, werden wir tun. Wir müssen uns natürlich nur anschauen, ob die Entlastung auch wirklich dauerhaft ist.
Wenn es nach dem gegangen wäre, was Sie während Ihrer Regierungsverantwortung geplant haben, wären wir schon längst bei einer Nettoneuverschuldung von null. Nur, solche Ansagen auf Papier nützen uns nichts. Wir betrachten die Dinge realistisch und versuchen, in kleinen Schritten zumindest das zu erreichen, dem Sie immer hinterhergerannt sind.
Dass die PDS unsere Leitlinien nicht versteht, dass sie überhaupt nicht begriffen hat, dass all das, was wir machen, dazu dient, das Hauptproblem zu lösen, nämlich für mehr Arbeitsplätze zu sorgen, ist klar.
Es tut mir Leid: Sie haben offensichtlich aus den Erfahrungen mit der Staatswirtschaft überhaupt nichts gelernt. Da Sie sich gegen alles wenden und sagen: ?Nichts darf privatisiert, nichts darf verändert werden“, frage ich mich schon, welche Erfahrungen uns nach dem Krieg die ersten 40 Jahre im östlichen Teil unseres Vaterlandes beschert haben.
Das wollen wir einmal wirklich deutlich machen.
Wir haben einen Paradigmenwechsel in der Haushaltspolitik herbeigeführt. Ich nenne nur ein einziges Beispiel, den Primärsaldo. Kein Mensch nimmt davon Kenntnis, dass wir erstmals seit Jahren weniger ausgeben, als wir einnehmen. Das ist nicht das Ziel, das wir erreichen möchten, aber es ist ein wichtiger Zwischenschritt.
- Das liegt daran, dass wir das Klima für das Wirtschaften verbessert haben.
- Ich komme auf das Sparen gleich noch zurück; keine Angst.
Primärsaldo heißt ja, dass man unter Absehen von der Vergangenheit schaut: Gebe ich in diesem Jahr mehr aus oder gebe ich weniger aus? Auch für den Staat gilt der alte Grundsatz: Niemand kann auf Dauer mehr ausgeben, als er einnimmt. Also muss man dieses Ziel erreichen. In diesem Jahr haben wir erstmals seit Jahren, wie gesagt, einen positiven Primärsaldo. Diesen Saldo haben wir in diesem Haushalt im Vergleich zum letzten um 15 Milliarden Euro verbessert.
Im zweiten Schritt muss man dazu kommen, dass man den Primärüberschuss so weit erhöht, dass man die aus der Vergangenheit stammenden Zinslasten tragen kann, und im dritten Schritt muss man den Primärüberschuss so weit entwickeln, dass man die Schulden zurückzahlen kann. Auf diesem Weg haben wir die Wende geschafft und einen ersten Schritt getan. Darauf kommt es an.
Ferner kommt es darauf an, dass wir zwei Dinge gleichzeitig tun: den Haushalt sanieren, weil nur geordnete öffentliche Finanzen den Hintergrund für eine vernünftige wirtschaftliche Entwicklung abgeben, und die Konsumkraft fördern. Wenn die ?Financial Times“ von ?Merkels Aufschwung“ spricht, dann zeigt das ganz eindeutig: Es ist auch eine Frage der Politik und der Stimmung. Wir lassen uns von unserer Ansicht nicht abbringen, dass in dieser Hinsicht etwas geschehen ist.
Natürlich dürfen wir in unseren Anstrengungen überhaupt nicht nachlassen. Dies sage ich insbesondere auch an die Adresse der Fachkollegen, denen ja immer viel einfällt, wenn die Haushaltslage etwas besser wird. Wir müssen weiter sparen. In dieser Frage haben wir - das will ich gar nicht verhehlen - in der Koalition unterschiedliche Grundauffassungen. Der Finanzminister redet ständig davon, dass wir ein Einnahmeproblem haben; ich dagegen sage: Wir haben ein Ausgabeproblem.
Da müssen wir ansetzen und da wollen wir auch ansetzen. Im Zeitraum der Finanzplanung werden die Steuereinnahmen um 19 Prozent steigen; deswegen kann man überhaupt nicht davon reden, dass wir nur ein Einnahmeproblem hätten.
Nichts darf außen vor bleiben. Als Erstes müssen wir da sparen, wo es dem Bürger am wenigsten weh tut, bei den Verwaltungskosten. Ich bekenne mich dazu, dass ich in der Arbeitsgruppe vorgetragen habe, dass wir das Thema Bonn/Berlin noch einmal auf den Prüfstand stellen.
Wenn uns das Finanzministerium in einer sehr vorsichtigen Schätzung mitteilt, dass sich im letzten Haushaltsjahr Mehrkosten in Höhe von 350 000 Euro aufgrund der Teilung des Regierungssitzes zwischen Bonn und Berlin ergeben haben, müssen wir hinschauen. Wir werden uns die Entwicklung für jedes Haus angucken. Es ist doch ein Unding, dass der Pendelverkehr 16 000 Flüge im Jahr ausmacht. Deshalb werden wir uns dieses anschauen.
Ich weiß natürlich, dass es ein Bonn/Berlin-Gesetz gibt. Aber wir ändern jeden Tag Gesetze, um sie der Entwicklung anzupassen. Der Stadt Bonn ist es ja - wie die Oberbürgermeisterin selber erklärt hat - nach dem Regierungsumzug nicht schlecht ergangen. Die Prognosen, die man seinerzeit hören konnte, sind nicht eingetreten. Weil das so ist, können wir das überprüfen. Ich bin dafür, dass wir dies auch tun.
Wir werden ebenfalls in der Frage des Personalabbaus hart bleiben. Wir streiten uns innerhalb der Koalition ja nicht darüber, dass wir Verwaltung abbauen wollen; es geht nur um den richtigen Weg. Ich sage: Da, wo Personal ist, finden sich auch Aufgaben. Deswegen muss man den Umkehrschluss ziehen und Personal abbauen. Dann muss gegebenenfalls auch ein Vorschlag gemacht werden, welche Aufgaben nicht mehr erledigt werden können. Natürlich wird die Bürokratie alles für wichtig halten.
Wir von der Politik müssen eine Rangfolge der Aufgaben aufstellen. Solange ein Ministerium eine neue Abteilung für Fragen einrichten kann, für die es gar nicht zuständig ist,
so lange gibt es noch zu viel Personal, und deswegen werden wir in dieser Beziehung nicht nachlassen.
Die Arbeitszeitverlängerung haben wir relativ schnell umgesetzt, aber nicht alle strukturpolitischen Aufgaben kann man in einem Jahr lösen. Das heißt aber nicht, dass wir diesbezüglich nachlassen; vielmehr müssen wir solche Fragen über einen längeren Zeitraum angehen, aber auf jeden Fall werden sie gelöst.
Ich bin auf die Haushaltsberatungen 2007 sehr gespannt; denn bei dieser Debatte hat sich eines gezeigt: Es ist wie beim Streit über den Haushalt 2006, jeder findet alles falsch, aber wenn es um konstruktive Vorschläge geht, kommt nichts. Auch die Sparbücher der FDP waren keine wirklichen Sparbücher, weil sie nichts auf die hohe Kante gelegt hat. Etwas auf die hohe Kante legen, das verstehe ich unter Sparen. Sie haben dicke Papiere vorgelegt, aber leider konnten wir damit nichts anfangen.
Ich freue mich auf eine muntere Beratung und hoffe, dass uns viele gute Vorschläge gemacht werden, die wir vielleicht übernehmen können.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege Jörg-Otto Spiller für die SPD-Fraktion das Wort.
Jörg-Otto Spiller (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir führen diese Haushaltsdebatte vor dem Hintergrund sehr erfreulicher ökonomischer Rahmenbedingungen. Die Bundesbank schreibt in ihrem jüngsten Monatsbericht:
Die konjunkturelle Aufwärtsbewegung der deutschen Wirtschaft hat im bisherigen Jahresverlauf erheblich an Kraft gewonnen.
Auf Jahresrate hochgerechnet beträgt das reale Wachstum des Sozialprodukts im ersten Halbjahr rund zweieinhalb Prozent. Die meisten wirtschaftswissenschaftlichen Institute kommen zu einer ähnlichen Einschätzung. Es ist eine deutliche Belebung der Wirtschaftstätigkeit in Deutschland zustande gekommen.
Wir haben nicht ausschließlich Wachstumsimpulse durch die Auslandsnachfrage erhalten, sondern auch eine sehr kräftige Belebung der Investitionstätigkeit, insbesondere bei Ausrüstungsinvestitionen, und eine Zunahme der Bautätigkeit erfahren. Erfreulich ist, dass es bei den Ausrüstungsinvestitionen nicht nur um Ersatzinvestitionen geht, sondern angesichts guter Kapazitätsauslastungen in wachsendem Maße auch um Erweiterungsinvestitionen in den Unternehmen.
Die günstige gesamtwirtschaftliche Entwicklung hat inzwischen auch den Arbeitsmarkt erreicht. Es gibt eine deutliche Minderung der Arbeitslosigkeit und einen - wenn auch noch bescheidenen - Zuwachs bei der Beschäftigtenzahl. Darüber hinaus gibt es einen erfreulichen Zuwachs der Steuereinnahmen bei Bund, Ländern und Gemeinden.
Wenn ich mir die Situation von vor einigen Monaten vor Augen führe, so haben wir damals ganz andere Debatten geführt. Natürlich stellt sich die Frage: Worauf lässt sich diese positive Entwicklung zurückführen? Die Antwort, die beispielsweise Herr Professor Rürup, der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, gibt, lautet, dass mehreres zusammenkommt. Es waren die strukturellen Reformen der Regierung Schröder, es hat aber auch die Umstrukturierung im Unternehmensbereich zu einer erhöhten Wettbewerbsfähigkeit beigetragen. Beide Faktoren zusammen führen zu dieser Entwicklung.
Ich glaube aber, wir können selbstbewusst sagen, dass die Finanz- und Haushaltspolitik der großen Koalition ebenfalls einen Beitrag dazu geleistet hat;
denn wir haben mit dem Haushalt 2006, dessen Kernaussagen schon im Frühjahr feststanden, den Mut gehabt, einen aufkeimenden Aufschwung trotz der Konsolidierungsnotwendigkeiten nicht mit einer restriktiven Haushaltspolitik zu bremsen. Im Gegenteil: Wir haben durch Anreize für private Investitionstätigkeiten - beispielsweise für Aufträge an Handwerksbetriebe durch private Haushalte - und durch ein Programm zur energetischen Gebäudesanierung kräftige Impulse für die Konjunkturbelebung gegeben. Ich komme, auch wenn es altmodisch klingt, zu dem Ergebnis: Die gute alte Makroökonomie hat noch immer Bedeutung für den Haushalt und umgekehrt hat der Haushalt Bedeutung für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung.
Wir haben einen guten Weg beschritten und das Ziel erreicht.
Es gibt keinen anderen Bereich, bei dem der Zusammenhang zwischen Haushalt, Steuern und wirtschaftlicher Entwicklung so deutlich ist wie bei der Unternehmensbesteuerung. Dieses Thema hat in der heutigen Debatte schon mehrfach eine Rolle gespielt. Ich will in Erinnerung rufen - der Bundesfinanzminister hat es selbst erwähnt -, dass wir nicht bei null anfangen. In der vorvergangenen Wahlperiode, in der Regierung Schröder, haben wir zum einen eine deutliche Entlastung der Personenunternehmen durchgesetzt. Zum anderen haben wir eine moderne und wirksame Körperschaftsteuerreform durchgeführt.
Gleichwohl muss man zugestehen, dass es im Bereich der Unternehmensbesteuerung Handlungsbedarf gibt. Die große Koalition hat verabredet - das haben mehrere Kollegen gesagt -, das Gesetzgebungsverfahren rechtzeitig zur Sommerpause 2007 abzuschließen, damit die veränderten Bedingungen nach einer Vorbereitungszeit zum 1. Januar 2008 in Kraft gesetzt werden können.
Lassen Sie mich ein paar Bemerkungen dazu machen, warum es aus meiner Sicht überhaupt notwendig ist, die Unternehmensbesteuerung zu reformieren. Fast alle großen deutschen Unternehmen sind inzwischen multinational. Das bedeutet nicht nur, dass der Standortwettbewerb zwischen Deutschland und den anderen Ländern Europas bzw. den außereuropäischen Ländern eine steuerliche Seite hat, sondern das heißt auch, dass es innerhalb einer Unternehmensgruppe Gestaltungsspielräume hinsichtlich der Frage gibt, wo man Kosten anfallen lässt und wo man Erträge anfallen lässt. Dafür gibt es Spielräume.
Es ist nicht selbstverständlich, dass der Mutterkonzern und das Tochter- oder Schwesterunternehmen über ein Patent verfügen, das durch Lizenzgebühren bedient werden muss. Es gibt Entscheidungsspielräume, wie man größere Investitionen finanziert. Wenn beispielsweise ein großes deutsches Unternehmen eine Finanzierungstochter in Dublin hat, dann ist es sehr wohl möglich, dass ein größeres Investitionsvorhaben, beispielsweise in Höhe von 100 Millionen Euro, durch einen Kredit finanziert wird - die Konditionen müssen nicht unbedingt günstig sein -, den die Tochter in Dublin der Mutter in Stuttgart oder wo auch immer gewährt.
Die Zinsen werden bei dem deutschen Mutterkonzern als Betriebskosten und die Zinsspanne wird beim Tochterunternehmen in Dublin - es wird günstiger refinanzieren - als Gewinn verbucht. Der Gewinn wird in Dublin minimal besteuert und kann dann zu 95 Prozent steuerfrei an den deutschen Mutterkonzern ausgeschüttet werden.
Herr Kollege Solms, ich finde nicht, dass das der marktwirtschaftlichen Ordnung entspricht.
Nach der marktwirtschaftlichen Ordnung soll es im Belieben des einzelnen Unternehmens liegen, wie es eine Investition finanziert. In diesem Zusammenhang können zwar viele Gesichtspunkte eine Rolle spielen, steuerliche Gesichtspunkte sollen aber keine Rolle spielen; denn der Staat soll die Unternehmen, unabhängig davon, wie sie sich aufgestellt haben, für welche Finanzierungsform sie sich entschieden haben, fair und gleich behandeln. Deswegen entspricht es einer strengen marktwirtschaftlichen Ordnung, dass man die Gestaltungsmöglichkeiten, die entstanden sind, einschränkt.
Ich finde es sehr angenehm, dass in der politischen Arbeitsgruppe der Koalition, die sich mit solchen Fragen befasst, ein sehr konstruktives und sachliches Klima herrscht.
Es geht ja nicht darum - in der öffentlichen Diskussion wird immer mit dem Holzhammer gearbeitet -, dem Mittelständler, der vielleicht schwach auf der Brust ist, den Weg zum Leasing oder zur Kreditfinanzierung einer Maschine, die 1 Million Euro kostet, zu versperren. Natürlich wird es Freibeträge geben.
Aber das kann doch nicht heißen, dass wir aufgrund der Situation des Mittelständlers auch dem großen internationalen Konzern gestatten, durch diese Form der Finanzierung seine Steuerschuld in Deutschland so weit zu reduzieren, dass ein weltweit operierendes, ertragsstarkes Unternehmen in Deutschland weniger Steuern zahlt als der mittelständische Familienbetrieb, der vielleicht in der vierten Generation als Maschinenbaubetrieb im deutschen Südwesten erfolgreich arbeitet, treu und brav seine Steuern zahlt und dessen Familie die Tradition des Unternehmensgründers wach hält: Der Gewinn gehört zunächst einmal der Firma und wird nicht voll entnommen.
Die Benachteiligung von Eigenkapital kann kein Ziel unserer Wirtschaftspolitik sein. Ich glaube, wir werden hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der Regelung zu einem sehr ordentlichen Kompromiss kommen. Mittelständler werden eine Benachteiligung von Eigenkapital nicht zu befürchten haben. Im Gegenteil: Sie müssen sich eigentlich freuen, dass eine zu ihren Lasten unfaire Steuerregelung eingeschränkt und nach Möglichkeit unterbunden wird.
Ich sage auch: Das Ziel ist nicht, dass wir die Unternehmen insgesamt mehr belasten. Ich möchte nur, dass das Steueraufkommen in Deutschland steigt. Es mag ja sein, dass wir durch eine Steuersatzsenkung erreichen, dass für eine große Zahl von Unternehmen, die in Deutschland und anderswo tätig sind, die Steuerlast sinkt. Aber die sozialdemokratische Fraktion im Deutschen Bundestag möchte erreichen, dass das Steueraufkommen in Deutschland steigt.
Das wird möglich sein. Lassen Sie uns gemeinsam an diesem Ziel arbeiten. Es wird noch ein paar Debatten dazu geben; da bin ich mir ganz sicher. Es kann ja nicht schaden, wenn noch die eine oder andere intelligente Lösung eingebracht wird. Aber fairer Wettbewerb verlangt, dass wir die Steuerbasis in Deutschland sichern und dass wir durchsetzen, dass sich Unternehmen wie Bürger an der Finanzierung der öffentlichen Aufgaben beteiligen. Denn sonst können wir die Qualität des Wirtschaftsstandortes Deutschland nicht sichern.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Weitere Wortmeldungen zur allgemeinen Finanzdebatte liegen mir nicht vor.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Einzelplan 10.
Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 45. Sitzung - wird morgen,
Mittwoch, den 6. September 2006,
an dieser Stelle veröffentlicht.]