Die Frage nach dem gesellschaftlichen Nutzen von Wissenschaft ist eigentlich unzulässig, denn Wissenschaft ist eine der kulturellen Grundtätigkeiten des Menschen, also Teil seines Humanums, die keiner Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen werden dürfte. Wer will eigentlich nach dem Nutzen von Tschaikowskis Schwanensee-Ballett oder einem Liebesgedicht Gottfried Benns fragen? Da aber Wissenschaft, außer für ihre Produzenten, erhebliche Folgen für ihre Konsumenten zeitigen kann, ist das Interesse daran, was die Gesellschaft mit Forschungsergebnissen anstellen kann und soll, allemal berechtigt.
Dies gilt insbesondere für die Friedens-und Konfliktforschung (FuK), die sich ausdrücklich als Element der Steuerung gegen eine nicht mehr kalkulierbare, undurchschaubare Kriegsforschung etabliert hat.
Eine Gesellschaft, die sich Wissenschaft und Forschung nicht in einem hinreichenden und notwendigen Maße leistet, amputiert sich selbst. Der immer wieder zu hörende Hinweis auf riesige Haushaltslöcher, die es jetzt erst mal zu stopfen gelte, auch von Wissenschaft, Lehre und Forschung, hat nur Desorientierung der Öffentlichkeit zur Folge. Niemand käme auf die Idee, wegen finanzieller Defizite in den Budgets den täglichen Wasserverbrauch administrativ zu drosseln.
Es muss einfach allen Beteiligten klar gemacht werden, dass die Lebensqualität einer hoch entwickelten Gesellschaft mittel- und langfristig von der Qualität ihrer Forschungsleistungen abhängt - genauso wie von ihrem Wasserverbrauch. Man mag darüber streiten, ob das in gleichem Maß für die Numismatik oder die Theologie gilt. Unstrittig ist jedoch, dass jene Wissenschaften, die sich der Errichtung einer humanen Weltordnung in pragmatischer Absicht widmen, keinen gravierenden finanziellen Einschränkungen unterworfen werden dürfen - um unserer Zukunft willen.
Dies gilt insbesondere für die FuK. Ihre Lage ist insofern noch erschwert, weil es sich überwiegend um außeruniversitäre Forschung handelt, deren jährliche Mittel in keinem Universitätshaushalt eingebettet sind und die von Zuwendungen aus den Landeshaushalten und immer wieder neu zu bewilligenden Bundesmitteln abhängen (hauptsächlich als Sonderforschungsmittel im Etat der Deutschen Forschungsgemeinschaft). Ein Teil muss durch Drittmittel, also durch Spenden, Gutachtertätigkeit und zeitlich begrenzte Projektförderung über andere Institutionen und Unternehmen hereingeholt werden. Das wiederum erschwert langfristige Programmarbeit, erhöht personelle Diskontinuität und bedeutet, jedenfalls teilweise, Forschung je nach jährlicher Kassenlage.
Angesichts der ständig wachsenden Themen und Arbeitsfelder der FuK, die alle nur in längerfristigen Zeiträumen zu bewältigen sind, stellt eine nachhaltige staatliche Förderung der FuK fast schon eine conditio sine qua non ihrer Leistungsfähigkeit dar. Ist diese Einsicht auf politischer Seite vorhanden? Man kann das leider nicht mit einem eindeutigen Ja beantworten. In der Phase trügerischer Euphorie am Ende des Kalten Krieges 1989/90, in der aller Orten vom "Ein-fahren der Friedensdividende" und vom Beginn einer friedlichen Periode auf dem Globus die Rede war, schien auch eine Neukonzeptualisierung der FuK unvermeidlich. Waren im Kalten Krieg Rüstungskontrolle, Abrüstung und Entspannung die Hauptarbeitsgebiete der FuK, so weiteten sich die Arbeitsschwerpunkte danach erheblich aus, weil neue Konfliktfelder aufbrachen, die zuvor von der Blockkonfrontation und den Bemühungen zur Abwendung eines Nuklearkrieges zugedeckt wurden.
Jetzt musste es verstärkt um Regional- und Territori-alkriege (Balkan, Nah-Ost, Afghanistan), um den neu aufbrechenden Nationalismus, die mit Sprengstoff aller Art angereicherten Transformationsprozesse in Osteuropa, die Erweiterung der EU, um die Weiterverbreitung der ABC-Waffen, um neue Konflikte in einer global zu vernetzenden Umweltpolitik, um die zunehmende Verelendung der Dritten Welt und nicht zuletzt um den international agierenden Terrorismus gehen.
Mehr denn je geht es heute zudem der FuK darum, prognostisch strukturierte Modelle einer präventiven Konfliktregelung zu entwickeln, die es ermöglichen, die Ursachen von Konflikten zu kalmieren und ihrem Ausbruch vorzubeugen, ihre gewaltsame Austragung zu verhindern oder wenigstens zu minimieren. Diese Aufgaben erzwingen sowohl eine hohes Maß an Interdisziplinarität der FuK, nicht nur zwischen den Human-, sondern auch zwischen diesen und den naturwissenschaftlichen und Technik-Disziplinen, als auch internationale Kooperation.
Als Antwort auf eine kleine Anfrage der SPD im April 1992 im Deutschen Bundestag erklärte die Regierung Kohl zwar die FuK weiterhin für "unverzichtbar" und versprach ihre weitere Förderung. Doch insgesamt klang die Aussage mehr nach weiterer Abwicklung denn nach unveränderter Wertschätzung. Die mittelfristige Finanzplanung sah gleichbleibende Mittel für die Militärforschung, aber eine Schrumpfung der FuK-Fördergelder bis 1995 gegen Null vor. Schon 1983 musste die auf Initiative Gustav Heinemanns gegründete "Deutsche Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung" (DGFK) ihre Arbeit einstellen, weil ihr Bundesregierung und CDU-geführte Länder die finanziellen Grundlagen entzogen hatten.
In einem vor mehr als zwölf Jahren von der Bonner Informationsstelle Wissenschaft und Frieden verbreiteten Memorandum des Hamburger Instituts für Friedens- und Sicherheitspolitik, und seitdem in vielen ähnlichen Papieren immer wieder, wird gefordert, die FuK aus der aufgezwungenen Nischenexistenz wieder herauszuführen und ihr neue staatliche "Denkaufträge" zu erteilen, die auf die systematische Analyse der Zusammenhänge von "Frieden, Sicherheit, Politik, Völkerrecht, Militär, Technologie, Ökonomie, Ökologie, Kultur und Gesellschaft" zielen.
Anfang 2000 hat der Bund für seinen Teil eine Revitalisierung der FuK in Angriff genommen. Der Deutsche Bundestag stimmte einem Antrag der Koalitionsfraktionen zur weiteren Förderung der FuK zu. Gegen die Stimmen der Opposition wurde die Gründung einer "Deutschen Stiftung Friedensforschung", ausgestattet mit einem Stiftungsvermögen von 50 Millionen Mark, beschlossen. Sie soll nicht selbst forschen, sondern Forschungsprojekte finanzieren, Tagungen organisieren und Aufbaustudiengänge an den Hochschulen helfen einzurichten. Der FuK sollte ermöglicht werden, "weitgehend unabhängig von politischen Interessen" ihre Aufgaben wahrzunehmen. Diese Stiftung arbeitet inzwischen erfolgreich. Darüber hinaus hat der Bund seit 1998 die Zuweisungen an die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die für die finanzielle Förderung der FuK durch den Bund zuständig ist, trotz der allgemein schwierigen Haushaltslage sogar leicht erhöht. Einer Konzentration der hochschulfreien FuK dient jedenfalls auch die inzwischen abgeschlossene Zusammenlegung der Ebenhausener Stiftung Wissenschaft und Politik mit dem Kölner Institut für ostwissenschaftliche und internationale Studien und deren Umzug nach Berlin.
In jeder Wissenschaft gibt es Leerlauf, fehlgeschlagene, fehlgeleitete und abgebrochene Projekte, damit Geldverschwendung, Reibungsverluste durch Doppelforschung und genug kontroverse Forschungsergebnisse, die Streit auslösen, Geheimniskrämerei fördern und unfruchtbares Konkurrenzdenken gedeihen lassen. So auch in der FuK. Doch dieser Querschnitts-Forschungszweig hat heute schon, allein durch seine hohe internationale Verflechtung, eine Transparenz und damit öffentliche Wahrnehmung und Kontrolle erreicht, die anderen Disziplinen zu wünschen wäre.
Neben der partiellen Konzentration ist allerdings auch Innovationsbereitschaft mit Blick auf strukturelle Fragen erforderlich. Neben den tradierten Formen internationaler Kooperation der FuK (Kongresse, zeitlich begrenzte Einzelprojekte mit Personal aus verschiedenen Ländern, gemeinsame Publikationen) geht es jetzt auch um institutionalisierte, längerfristige Kooperationen angesichts neuer globaler Herausforderungen. Als im November 2003 der Berliner Informatiker Thomas Risse, Leiter des Centers "Transatlantische Außen- und Sicherheitspolitik" am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin, den mit 125.000 Euro dotierten Max-Planck-Forschungspreis erhielt, ging es nicht nur um die Würdigung von Spitzenforschung eines herausragenden Wissenschaftlers. Mit Geld soll eine - von Risse angeregte - Kooperation mit dem kalifornischen "Center on Democracy, Development, and the Rule of Law" der Stanford University ermöglicht werden.
Das Forschungsthema dieses Großprojektes besitzt alle nur denkbare, grenzüberschreitende Brisanz: Es wird um "Formen und Möglichkeiten des Regierens in Räumen begrenzter Staatlichkeit" gehen. Das sind Länder, in denen es heute keinen oder jedenfalls in großen Landesteilen keinen Staat mehr gibt, zum Beispiel Somalia, Liberia, Irak, die Philippinen, Afghanistan. Untersucht werden sollen die Kooperationsmöglichkeiten von Staaten, internationalen staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen, um die Lösung politischer Probleme zu ermöglichen und das Abgleiten in eine Warlord-Herrschaft zu verhindern.
Eine strukturelle Innovation bedeutet auch die Tatsache, dass die Otto-von-Guericke Universität Magdeburg und die Freie Universität Berlin Ende 2003 einen Studiengang für FuK eingerichtet haben, womit eine stärkere akademische Anbindung der zumeist außeruniversitär organisierten FuK erreicht werden soll.
Ein letzter Hinweis gilt beispielhaft einem großen Projekt der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, das in zweifacher Hinsicht verdeutlicht, warum eine nur noch interdisziplinär zu betreibende Wissenschaft vom Frieden und seinen Voraussetzungen heute noch wichtiger als im Kalten Krieg geworden ist, und warum das nicht dem vielfach erstarrten, überlasteten Universitätsbetrieb überlassen werden kann. Das Forschungsprojekt beschäftigt sich in acht Fallstudien mit den "Kriegen demokratischer Staaten seit 1990", um "in den öffentlichen Diskursen vor einem potenziellen Militäreinsatz bestimmte Argumentationsfiguren aufzuspüren (...), die erklären, warum die Bürger dieser Staaten von der Notwendigkeit eines Militäreinsatzes überzeugt werden konnten."
Meldungen über drastische Kürzungen der Mittel für das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) durch den Senat um 66 Prozent im Haushalt 2005, die Hessische Landesregierung für die Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung um 20 Prozent und die Regierung in NRW für die Landesarbeitsgemeinschaft Friedenswissenschaft in Nordrhein-Westfalen (LAG NRW) um 33 Prozent geben zu Sorge Anlass.
Friedenswissenschaftliche Forschung ist kein Luxus in guten Zeiten. Sie besitzt gerade in der spannungsgeladenen Gegenwart unmittelbare Produktivkraft. Daran müssen Entscheidungsträger erinnert werden.
Johannes L. Kuppe war bis Ende 2000 Leitender Redakteur dieser Zeitung und lebt als freier Autor in Bad Honnef.