"Nachhaltigkeit" ist der am meisten strapazierte Begriff in der Umweltdiskussion und zugleich derjenige, von dem wir im Tun am weitesten entfernt sind. Nur etwa ein Drittel der Deutschen weiß mit ihm etwas anzufangen. Doch auf die lebendige Natur bezogen, ist er nicht schwer zu verstehen: Nur so viele Bäume einschlagen, nur so viele Fische fangen, wie zur gleichen Zeit nachwachsen! Unseren Kindern keine schlechteren Lebensumstände hinterlassen, als sie von unseren Eltern vererbt! So hatte 1987 die "Brundlandt-Kommission" der UNO das Ziel der Nachhaltigkeit beschrieben.
Kaum einer wird bestreiten, dass wir beim Verbrauch von Bodenschätzen wie Kohle, Öl oder Gas dieser Vorgabe am wenigsten Beachtung schenken. Und diese Entwicklung spiegelt sich in der vom Menschen verursachten Klimaerwärmung wider, die viele für die größte ökologische Bedrohung im 21. Jahrhundert halten.
Seit der Erdgipfel von Rio 1992 die "nachhaltige Entwicklung" - "sustainable development" im Englischen - zur Richtschnur allen Fortschritts erhob, arbeiten wir uns an diesem Begriff ab und an ihn heran. In ihrer Studie "Zukunftsfähiges Deutschland" zeigten Mitarbeiter des Wuppertal-Institutes 1996 erstmals umfassend auf, wie die Deutschen auf vielen Gebieten annähernd umweltverträglich wirtschaften könnten, ohne dabei schlechter zu leben.
Die in dieser Analyse enthaltenen Leitbilder wie "Anders, Besser, Weniger" seien freilich gegenwärtig kaum gefragt, konstatiert Mitautor Reinhard Loske, heute grüner Bundestagsabgeordneter: Es hätten sich stattdessen einseitig technikzentrierte Überlegungen in den Vordergrund gedrängt, soweit die Sorge um wirtschaftliches Wachstum und Wohlergehen nicht alles überwuchere.
Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags "Schutz des Menschen und der Umwelt" lieferte mit ihrem Abschlussbericht 1998 Nachhaltigkeitsbausteineinsbesondere für das große Problemfeld Boden, Bauen und Wohnen. Doch die Empfehlung, die uferlose Überbauung der Landschaft zu bremsen und schließlich ganz zum Stillstand zu bringen, scheint bis zum heutigen Tag niemand beherzigen zu wollen. Über 100 Hektar freie Landschaft werden gegenwärtig täglich für Bauzwecke neu in Anspruch genommen.
Dauerhaft und intensiv hat sich das Umweltbundesamt um das Thema gekümmert: Dem Bericht "Nachhaltiges Deutschland" von 1997 folgte 2002 die breit angelegte Studie "Nachhaltige Entwicklung in Deutschland". In der letzteren Schrift heißt es zwar: "Nach wie vor weisen viele grundlegende Trends in eine falsche Richtung." Aber es wird auch gesagt, es habe "in den vergangenen Jahren eine Reihe von Weichenstellungen in der Umweltpolitik in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung gegeben".
Zu diesen zählt die Behörde unter anderem die in Aussicht genommenen Straßenbenutzungsgebühren für LKW. Doch während sich Politik und Wirtschaft äußerst schwer tun, eine LKW-Maut von 12,5 Cent pro Kilometer einzuführen, macht das Amt deutlich, dass erst ein mittlerer Mautsatz von rund einem Euro den massenhaften LKW-Verkehr auf den Autobahnen tatsächlich eindämmen könnte - eine Gebühr in dieser Höhe ist in der Schweiz für das Jahr 2010 vorgesehen.
Vergleicht man "sustainable development", also die Anpassung unserer Wirtschaftsweise an die Tragfähigkeit der Natur, mit einem in den Wolken liegenden Berggipfel, so befinden wir uns heute immer noch im Basislager der Kletterer. Es werden zwar viele angeblich gangbare Aufstiegswege diskutiert - aber kaum einer wagt es, auch nur bis zur nächsten Etage aufzubrechen, bestenfalls einige wagemutige Privatpersonen tun dies, aber kein Staat und schon gar nicht die Weltstaatengemeinschaft.
Professor Udo Simonis, wissenschaftlicher Vorkämpfer der Nachhaltigkeit auf internationaler Ebene, stellt fest, die rasch fortschreitende Globalisierung des Wirtschaftslebens und der hinterherhinkende Schutz der Umwelt seien immer noch "Welten voneinander entfernt". Aber immerhin: Die neue Leitlinie der Nachhaltigkeit behaupte in allen UN-Organisationen, zumindest in den Verlautbarungen derselben, ihren Platz und sei auch nicht mehr wegzukriegen.
Ein neuer Wissenschaftszweig "Nachhaltigkeit" hat sich auch zehn Jahre nach Rio nicht etabliert, eine solche Fachrichtung im engeren Sinne existiere nicht, sagt bedauernd Stefan Summerer, zuständiger Referent im Umweltbundesamt. Eine solche Forschung, die er "Koevolutionswissenschaft" nennt, müsse es aber geben, fordert Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Die Biosphäre, die natürlichen Stoffkreisläufe seien durch menschliche Einflüsse bereits derart überfremdet, dass sie aus dem Ruder zu laufen drohten, wenn man nicht die Entwicklungen in der Natur und der menschlichen Zivilisation in ihrer Verknüpfung genauestens unter die Lupe nehme. Nur so könne man kastastrophalen Entgleisungen vorbeugen.
Simonis bedauert, dass es nicht gelungen sei, ein Max-Planck-Institut für Nachhaltigkeit zu etablieren. Es gibt zwar einzelne Wissenschaftler, Räte, Institute, Ämter und Stiftungen, die dem Thema nahe oder sogar durch ihre Aufgabenstellung verpflichtet sind. Das Umweltbundesamt, die Deutsche Bundesstiftung Umwelt, das Öko-Institut, das Wuppertal-Institut, der Sachverständigenrat für Umweltfragen, der wissenschaftliche Beirat für globale Umweltveränderungen, der nationale Nachhaltigkeitsrat oder Forscher wie Simonis und Schellnhuber zählen gewiss dazu.
Die Genannten sind durch ihr gemeinsames Engagement für die Umwelt sowie durch kommunizierende Röhren gegenseitiger Information miteinander verbunden. Aber wieviel Geld in dieses Wissensfeld fließt, ist kaum genau zu ermitteln. Immerhin hat sich das Bundesministerium für Bildung und Forschung mit der Namensgebung einer ganzen Abteilung "Gesundheit, Biowissenschaften, Nachhaltigkeit" und eines Referates "Nachhaltigkeitskonzepte für Produktion und Konsum" dem Thema verpflichtet.
Das Ministerium wendet nach eigenen Angaben stattliche 250 Millionen Euro für einzelne Forschungsprojekte auf, die unter dem wohl sehr weitherzig aufgefassten Begriff der Nachhaltigkeit eingeordnet werden. Weitere 330 Millionen Euro kommen über Institutionen wie die Helmholtz-Gemeinschaft einem mit "Erde und Umwelt" umschriebenen Forschungsfeld zugute.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft besitzt kein eigenes Raster, nach dem Projekte mit dem Schwerpunkt "Nachhaltigkeit" einsortiert werden. Die Bundesumweltstiftung erläutert, dass etwa ein Drittel ihrer jährlichen Zuwendungssumme von 45 Millionen Euro in die ökologische Forschung geht, die per se eine nachhaltige zu sein hat. Auch das Umweltbundesamt schätzt, dass etwa ein Drittel seines jährlichen Auftragsetats von 60 Millionen Euro in Studien fließt, die der ökologischen Nachhaltigkeit dienen.
Keine großen Sprünge bei kleinem Etat
Der Bedarf an großen Visionen, an Zukunftsentwürfen scheint dabei erst einmal gedeckt zu sein. Der Präsident des Umweltbundesamts, Andreas Troge, hat entschieden, der Expertise "Nachhaltige Entwicklung in Deutschland" aus dem Jahre 2002 für längere Zeit keine visionäre Gesamtschau mehr folgen zu lassen. In ähnlicher Weise will sich der von Bundeskanzler Gerhard Schröder berufene Nationale Nachhaltigkeitsrat damit begnügen, die Regierung zu beraten, wie sie auf dem Weg zu den selbst gestellten Zielen ihrer "Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie" vom April 2002 schneller vorankommen kann. Große Sprünge vermag das Sekretariat dieser Einrichtung mit einem Jahresetat von rund einer Million Euro auch kaum zu machen. Aber selbst die kleinen Schriften - so zum Weltagrarhandel, zur CO2-freien Kohlenutzung oder zum "Nachhaltigen Warenkorb" - haben Sekretär Günther Bachmann zufolge einen beachtlichen Widerhall gefunden.
Der Rat hält es sich vor allem zugute, dass sich die Regierung auf seine Einflussnahme hin Zeit- und Mengenziele für ihre Nachhaltigkeitsstrategie gesetzt habe. Die 18 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die in dem Gremium sitzen, könnten vor allem dazu beitragen, die Diskussion um die Nachhaltigkeitsstrategie der Regierung in die Bevölkerung zu tragen, bei der dieses Bestreben noch nicht angekommen ist.
Engagierte Bundestagsabgeordnete wie Reinhard Loske und Michael Müller (SPD) wollen jetzt einen "Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung" etablieren. Auch diese Kommission soll der Sache einen Extra-Schub verleihen. Wenn das Kabinett, wie vorgesehen, im Herbst 2004 einen ersten Fortschrittsbericht zur Nachhaltigkeitsstrategie beschließt, wird das Parlament schon vorher im Bilde sein, wie gut oder wie schlecht man vorangekommen ist.
Das Thema ist eine Überlebensfrage und zu ernst, um es allein dem Belieben und der Bequemlichkeit politischer Gruppierungen zu überlassen. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat ein Urteil über die Nachhaltigkeit der deutschen Umweltpolitik zuletzt in seinem Jahresgutachten 2002 abgegeben. Das Gremium versteht unter "sustainable development" eine "dauerhaft umweltgerechte" Entwicklung, die auf eine möglichst weitgehende Bewahrung des Naturkapitals abzielt.
Der Rat, insbesondere sein Mitglied Konrad Ott, ist kein Freund des von der Politik bevorzugten "Dreisäulenmodells", wenn in diesem Konzept Wirtschaft und Soziales wie gewohnt dominieren, während der Umwelt als dem dritten Bein nur je nach Lage und Belieben Genüge getan wird. Er konzediert, dass die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Anwälte der Nachhaltigkeit neuerdings in der deutschen Politik Resonanz finden. "Wir wissen genug, so dass es keine Entschuldigung dafür gibt, eine Politik für Nachhaltigkeit auf die lange Bank zu schieben."
Die Nachhaltigkeitsforschung schaut mit einem Auge auf die Natur und mit dem anderen auf die Gesellschaft. Diese Wissenschaft gewinnt laut Ott praktischen Nutzen aber erst, wenn sie sich von moralischen Verpflichtungen leiten lässt. Unter dieser Voraussetzung lassen sich dann Ziele, Grenzen oder Schwellen setzen, die von allen zu beachten sind - im Einzelfall die Erhaltung der Artenvielfalt oder ein bestimmter zulässiger Grad der Versauerung der Atmosphäre. Für Theoretiker wie Praktiker aber gilt in diesen Tagen, was Reinhard Loske sagt : "Man braucht einen langen Atem und darf sich von widrigen Umständen nicht unterkriegen lassen."
Dietrich Jörn Weder arbeitet als freier Umweltjournalist in Frankfurt am Main.