Lesen bildet. Lesen macht Spaß. Das sagen zumindest die, die es tun. Doch immer weniger Kinder und Jugendliche lesen gern - vor allem nicht die Tageszeitung. Was sind die Gründe? Und wie können junge Menschen doch als Leser gewonnen werden? Ein wichtiges Thema, denn was für Kinder und Jugendliche zum Problem werden kann, ist für die Zeitungen längst zu einer Existenzfrage geworden.
Kaum mehr als die Hälfte der heute zwölf- bis 19-Jährigen schlägt mehrmals in der Woche die Tageszeitung auf. Was sie dort finden, ist grau in der Optik und erscheint langweilig, was die Themen angeht: Politik, Wirtschaft, Feuilleton. Viele Jugendliche verstehen nicht einmal, was dort überhaupt geschrieben steht. Zu kompliziert die Zusammenhänge - und zu kompliziert die Sprache. Außerdem empfinden Jugendliche die Zeitung als ein Medium, mit dem sich nur Erwachsene beschäftigen. Ein psychologischer Grund, der aber nicht zu unterschätzen sei, sagte Ingo Barlovic vom Münchner Marktforschungs- und Beratungsinstitut iconkids & youth, der sich seit Jahren mit Kindern und Jugendlichen als Zielgruppe für Werbung beschäftigt. Er kam, genauso wie andere Marketingfachleute, Kommunikationswissenschaftler und Journalisten zum Forum Lokaljournalismus, das von der Bundeszentrale für politische Bildung veranstaltet wurde, um gemeinsam über Wege zu diskutieren, junge Menschen für Tageszeitungen zu gewinnen.
Wer heute eine Tageszeitung abonniert hat, ist in der Regel älter als 40 Jahre. Das Medium Zeitung - ursprünglich alterslos - kommt in die Jahre, denn die jungen Leser gehen sukzessive verloren. Doch wo liegen die Gründe?
Professor Michael Haller, Journalistikdozent an der Universität Leipzig sieht die Ursachen in einem veränderten Mediennutzungsverhalten: "Als ich jung war, da lasen wir die Zeitung, weil wir wissen wollten, was los ist. Lesen war die Eintrittskarte in die Welt und nicht lästig." Heute, so Haller, werden Kinder und Jugendliche in eine andere Kultur mit neuen Medien hineingeboren. Internet, Radio und natürlich das Fernsehen - die heutigen Jugendlichen hätten "crossmedia schon im Kopf". "So gibt es zunächst keinen ersichtlichen Grund für sie, gerade die Zeitung zu lesen", formulierte Haller provokant. Zumal häufig mit Jugendseiten eine Zielgruppe im Alter von zehn bis 19 Jahren angesprochen werden solle. Für Haller schlicht unsinnig. Den größten Fehler, den Zeitungen machten, sagte er, sei es, nicht genau über ihre Zielgruppe und deren Interessen Bescheid zu wissen.
In der Marktforschung wird dagegen genauer differenziert: Ingo Barlovic betonte die Notwendigkeit, die Bedürfnisse von Kindern und Jugendliche vor, in und nach der Pubertät stärker zu unterscheiden. Ihre Interessen änderten sich in diesen Jahren grundsätzlich. Barlovic sieht den Grund hierfür in der verkürzten Kindheit. "Körperliche und geistige Prozesse beginnen heute früher als noch vor zehn, 20 Jahren". Die eigentliche Kindheit schrumpfe zusammen, die Phase der Jugend hingegen verlängere sich. "Gerade deshalb sollten Medienmacher wissen, wen sie ansprechen wollen und welche Interessen ihre Zielgruppe habe. "Lesen sie die ‚Bravo', behalten sie auch die Charts im Auge", riet Barlovic den Redakteuren, die die Veranstaltung in Leipzig besuchten, "aber versuchen sie nicht, Zeitschriften zu kopieren. Sie werden verlieren."
Er kritisierte Jugendseiten als Gettoseiten, die außer Platten- und Konzertkritiken häufig nicht viel zu bieten hätten. Besser sollten sich Zeitungsmacher auf ihre Kernkompetenz besinnen. "Seriosität ist Ihr Benefit", sagte Barlovic. Es müssten jedoch mehr Leseanreize geschaffen werden: "Schreiben Sie verständlicher, setzen Sie Farben ein und bringen Sie mehr Meinung ins Blatt." In einer Welt, in der vieles nicht zu klappen scheine, suchten Jugendliche nach Orientierung. Zeitungen müssten mehr erklären, nur so könnten sie für Jugendliche sinnvoll sein. "Die Jugend ist pragmatisch, und wenn die Zeitung keinen klar erkennbaren Nutzwert hat, wird sie auch nicht gelesen." Er riet dazu, Themen aus der Erlebniswelt von Jugendlichen wie Mode, Trends und Stars auch für den Wirtschaftsteil zu nutzen. "Warum nicht über den bekannten Modekonzern XY im Wirtschaftsteil berichten?" Außerdem helfe es, Themen zu emotionalisieren.
Emotionalisierung als Konzept
Auf Emotionalisierung hat das Redaktionsteam von "Neon" schon bei der Konzeption gesetzt. "Wir wollten eine Zeitschrift für Männer und Frauen im Alter zwischen 25 und 35 machen", sagte "Neon"-Redaktionsleiter Michael Ebert. Ein Magazin für eine heterogene Zielgruppe, die nur über den emotionalisierenden Satz auf dem Cover "Eigentlich sollten wir erwachsen werden" zusammenzufassen sei. Dieses Motto biete genügend Identifikation, so Ebert.
Emotionalisierung ist auch ein Konzept, das für Bild am Sonntag mit seiner Jugendbeilage "VIVA BamS", die in Kooperation mit dem Musiksender VIVA entsteht, aufzugehen scheint. Hier stehen Stars, Mode und Trends im Vordergrund, optisch bunt verpackt mit viel Bild und schrägen Schnitten, die sich an den "Sehgewohnheiten von Jugendlichen orientieren", erklärte BamS-Chefredakteur Claus Strunz. Trotzdem sei auch in ihrer Redaktion viel Geduld erforderlich gewesen, bis sich erste Erfolge eingestellt hätten.
Wer Jugendliche zu gewinnen versuche, der müsse es ernsthaft wollen und einen langen Atem haben, sagte Strunz. "Es dauert rund zwei Jahre, bis ein Projekt bei den Adressaten ankommt." Wichtig sei aber neben den Jugendseiten vor allem die Verzahnung mit dem Hauptblatt, sagte Strunz. "Jugendseiten sind ein Lasso zum Heranziehen, aber allein reichen sie nicht." "Bild am Sonntag" sei dazu übergegangen, auch in anderen Zeitungsteilen regelmäßig "Themen-Inseln" für Jugendliche zu schaffen. "Es muss für Jugendliche einen verlässlichen Grund geben, zu lesen." Dies sei bei lokalen Zeitungen noch nicht genügend zur Entfaltung gekommen.