Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 07-08 / 16.02.2004
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Matthias Brüggmann

Russlands Parlament als gut geölte Geldmaschine

Gesetze nimmt die Duma zwar auch an - doch sie gleicht eher einer Firma

Ein großer Samowar sorgt für Russland-Ambiente, während die Wände mit Schiffsmodellen im Marine-Stil gehalten sind. Seit September hat die russische Duma, das Unterhaus, nun auch das, was die 450 Abgeordneten bis dahin nur bei ihren zahlreichen Auslandsreisen in anderen Parlamenten neidvoll erblickten: Eine eigene Bar. In dem mit 20 Stühlen bestellten Etablissement im ersten Stock können Duma-Deputierte hier unter Seemannsknoten Seemannsgarn spinnen bei einem Bier für nur 88 Cent oder einem Kaffe für sogar nur 23 Cent. Einigen Volksvertretern ist die Bar aber "zu klein und zu ordinär" oder "viel zu schlicht und ohne Goldverzierung", ergab eine Umfrage der "Moscow Times" unter Abgeordneten.

Denn Russlands Duma-Abgeordnete sind trotz ihrer offiziell umgerechnet 473 Euro betragenden Grund-Bezüge anderes gewohnt - die meisten sind längst Millionäre. Da brauchen sie nicht einmal den preisermäßigten Service im Duma-eigenen Fitness-Klub oder in der Sauna. Das Geld für ihre Eskapaden bekommen sie dank reichlicher Nebenverdienst-Möglichkeiten, die ihr Mandat bietet: Laut dem unabhängigen liberalen Abgeordneten Wladimir Ryschkow sind 44 Prozent der 450 Mandatsträger "Vertreter des Big Business. Es gibt keine große Firma, die so nicht in der Duma vertreten ist. Etwa 200 Abgeordnete vertreten eigene Unternehmen oder stehen direkt in Diensten einer Firma."

Dmitrij Orlow vom Center für Politische Technologien kommt zu dem Schluss, dass die am 7. Dezember 2003 gewählte neue Duma "weniger politisch, dafür mehr ein Lobby-Organ" ist. Bei dem von internationalen Wahlbeobachtern als "nicht fair" beurteilten Urnengang hatte die Kreml-Partei "Einheitliches Russland" durch 37,57 Prozent der Stimmen den Großteil der 225 Direktmandate und Überläufer mit 305 Abgeordneten eine Zweidrittelmehrheit im Unterhaus geholt. Seither stellt sie alle Vorsitzenden der 28 Ausschüsse, den Duma-Präsidenten und eine absolute Mehrheit im Duma-Präsidium - so können Präsident Wladimir Putin unliebsame Gesetzentwürfe nicht einmal auf die Tagesordnung gelangen.

Die Kommunisten waren auf 12,61 Prozent abgestürzt, und zwei dem Kreml nahe stehenden Parteien eingezogen - die rechtsradikalen Liberaldemokraten um den Politclown Wladimir Schirinowskij mit 11,45 Prozent und die neuen Nationalisten von "Heimat" mit 9,02 Prozent. Zuvor im Unterhaus vertretene liberale Reformparteien waren an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert.

Viele Unternehmer gingen vor allem deshalb ins Parlament, weil sie sich dort einen Namen machen wollten oder um die Interessen ihrer Firmen etwa auf Steuerprivilegien durch das Hohe Haus zu bugsieren, meint der Parlamentskorrespondent Kirill Jakimez. Drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts verliere der Staat durch die Steuerprivilegien der Rohstoff-Riesen, hat die Weltbank ausgerechnet.

Russlands Oligarchen machen kaum ein Hehl daraus, dass sie Abgeordnete finanzieren. Yukos sei "Vorsitzender eines informellen Klubs von Ölmännern, die Industrieinteressen in der Duma lobbyieren", lächelte Michail Chodorkowskij - bevor Russlands Rockefeller im Zuge der Ermittlungen gegen seinen Ölkonzern Ende Oktober in Haft kam. "Teil davon, ein großes Unternehmen in Russland zu sein, ist es, wirtschaftlichen und politischen Einfluss zu haben. Das kann man mögen oder nicht - aber so ist es."

Auch deshalb ist in Russland die Meinung des Volks über seine Vertreter verheerend. So wunderte sich die Moderatorin des Moskauer Fernsehkanals TWZ über das Umfrageergebnis ihres Senders: "Mit 171 Anrufern, die der Meinung waren, die Duma verträte das Volk, lag die Zahl ja unter der Anzahl der Mandatsträger." 2.525 Teilnehmer meinten hingegen, die Duma diene nur dem Kreml, und 16.522 antworteten: "Die Abgeordneten arbeiten nur im eigenen Interesse."

Nach Beobachtungen des früheren liberalen Jaboloko-Fraktionschefs Grigorij Jawlinskij "reichen oft schon 1.500 Dollar Schmiergeld, um einen Abgeordneten dazu zu bringen, dass der einen wirtschaftlichen Konkurrenten seines Auftragsgebers mit einer Anfrage bei der Staatsanwaltschaft oder bei einem Ministerium anschwärzt". Wie erfolgreich derartige Anfragen sein können, belegt das Beispiel des nachgerückten Hinterbänklers Wladimir Judin, dessen Aufforderung an die Generalstaatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen den Ölkonzern Yukos ins Rollen gebracht haben.

Ob und wie viel Geld in diesem konkreten Fall gezahlt wurde, ist unbekannt. Im Gegensatz zu allgemeinen "Tarifen" für zweifelhafte Abgeordneten-Tätigkeiten: Das Einbringen eines Gesetzes im Interesse eines konkreten Auftraggebers kostet zwischen 40.000 und 80.000 Dollar, Änderungen bestehender Gesetze zwischen 50.000 und 300.000 Dollar. Auch Abgeordneten-Mitarbeiter-Ausweise werden für 2.000 Dollar verkauft, da sie gegenüber Behörden Rechte verleihen. So haben die 450 Deputierten 20.000 Mitarbeiter.

Sogar der offizielle Vertreter des Staatspräsidenten in der Duma, Alexander Kotenkow, der wie im nahegelegenen Bolschoi Theater in einer Seitenloge residiert und sich nur bei wichtigen Streitfragen mit der Meinung des Kremlherrn im Munde zu seinem Mikrofon erhebt, gibt zu, dass für das Durchwinken eines Gesetzes über die Einfuhr abgebrannter Nuklearbrennstäbe nach Russland von der Atomlobby "wahnsinnige Gelder" gezahlt worden seien.

Doch nicht nur Firmen zahlen - auch der Kreml für besonders umstrittene Abstimmungen: So wurden Abgeordnete 1999 mit je 60.000 bis 80.000 Dollar Handgeld umgestimmt, die eigentlich für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Jelzin stimmen wollten. Insgesamt 35 Millionen Dollar seien aufgewendet worden, um die heftigst umkämpfte Reform der maroden Elektrizitätswirtschaft durch die Duma zu hieven, verrät ein enger Mitarbeiter von Präsident Wladimir Putin. Diese Summe sei unter "unwilligen Abgeordneten" aufgeteilt worden. Unabhängigen Abgeordneten wurden 50.000 Dollar plus ein "Monats-Gehalt" von 5.000 Dollar geboten, damit sie sich einer der Pro-Kreml-Fraktionen anschließen.

"Kormuschka" - Futtertrog - nennen die Russen solche Posten. Doch wer seine Zusagen gegenüber Auftraggebern nicht einhält, riskiert viel: Seit Konstituierung der ersten post-sowjetischen Duma im Jahre 1994 sind bislang zehn Abgeordnete ermordet worden. Gegen 216 der 450 Duma-Vertreter müsste zudem ermittelt werden, wären sie nicht durch ihre Abgeordneten-Immunität geschützt.

Offiziell werden für das Unterhaus aus dem Staatsbudget gut 91 Millionen Euro und für das Oberhaus weitere 33 Millionen Euro bereitgestellt. Um Abgeordnete gefügig zu machen, werden Diäten, Dienstwohnung, Dienstwagen, Dienstdatscha und andere Vergünstigungen direkt von der Präsidial-Administration zugeteilt.

Seit Putins Einziehen einer "Machtvertikalen" in seine "gelenkte Demokratie" ist das Verhältnis zwischen Kreml und Parlament zwar entspannter als unter Vorgänger Boris Jelzin, der 1993 den widerspenstigen Obersten Sowjet mit Panzersalven ausräucherte. Aber inzwischen ist die Duma so hörig, dass das Politmagazin "Wlast" sie nur noch die "Kreml-Kammer" nennt.

"Die ganze Duma ist doch nur damit beschäftigt, soviel wie möglich Geld zu machen", meint der von der Kommunistischen Partei ausgeschlossene Ex-Abgeordnete und Bankier Wladimir Semago: Statt der vorgeschriebenen neun Ausschüsse gebe es inzwischen 28 plus ständige Komitees - jeder mit Vorsitzendem und diversen Vizes, die wie das Duma-Präsidium "kolossale Lobbymöglichkeiten haben". Semago, der früher eine Korruptions-Untersuchungskommission leitete, ist überzeugt: "Für Geld gibt es alles." Aber es gehe auch anders: Der Kreml könne gewünschte Entscheidungen erzwingen, da "die Strafverfolgungsbehörden Belastungsmaterial gegen jeden Abgeordneten haben".

Das Handaufhalten der Volksvertreter dient auch der Refinanzierung des mindestens 500.000 Dollar teuren Erringens von einem der roten Sessel im Sitzungssaal, der von einer überdimensional über dem Präsidiumsthron hängenden Russland-Trikolore dominiert wird: "In Russland interessiert Politiker nicht, eine ?Spur in der Geschichte' zu hinterlassen", beschreibt das Magazin "Übernahmen und Fusionen" den russischen Polit-Betrieb. "Sie wollen aufsteigen und noch mehr Geld verdienen. Dieses Geld wird dann zur weiteren Erhöhung des Status' eingesetzt, um noch mehr Geld zu machen."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.