Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 09 / 23.02.2004
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Volker Müller

Nur wenig mehr Luft zum Atmen

Von der Gemeindefinanzreform blieb nur ein Reförmchen

Als der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat Ende vergangenen Jahres sein Paket zu den Agenda-2010-Gesetzen geschnürt hatte, da befand sich, eingewoben in dieses Reformknäuel, auch die Gemeindefinanzreform darunter. Von der seit Jahren angekündigten und von einer eigens dafür eingerichteten Kommission vorbereiteten Neukonzeption kann man rückblickend sagen, dass sie als Tiger sprang und als Bettvorleger landete. Aus der Reform wurde ein Reförmchen, statt einer Umgestaltung wurde wieder einmal nur an den Stellschrauben gedreht.

Immerhin: Die an ihrer Finanzknappheit erstickenden Städte und Gemeinden haben wieder etwas Luft zum Atmen bekommen. Jedenfalls erhalten die Kommunen die dringend benötigte Entlastung um 2,5 Milliarden Euro, die ihnen der Bund zugesagt hatte. Vom kommenden Jahr an steigt diese Entlastung auf rund 3 Milliarden Euro mit leicht steigender Tendenz. Sie ist vor allem auf die vom Bundestag beschlossene Senkung der Gewerbesteuerumlage zurückzuführen.

Die rot-grüne Koalition hatte die Umlage mit ihrem Steuersenkungsgesetz im Jahr 2000 stufenweise von 20 auf 28 Prozent angehoben. Diese Erhöhung wieder rückgängig zu machen, war eine alte Forderung der kommunalen Gebietskörperschaften. In ihr wurde eine wesentliche Ursache für die dramatische Verschlechterung der eigenen Kassenlage gesehen. Die Unionsfraktion im Bundestag hatte sich die Forderung zu eigen gemacht.

Die Gewerbesteuerumlage wird aus dem Gewerbesteueraufkommen errechnet, das den Kommunen zufließt. Sie muss je zur Hälfte an Bund und Land gezahlt werden. Bundesfinanzminister Hans Eichel hat die stufenweise Erhöhung der Umlage vor gut drei Jahren durchgesetzt, weil er die Städte und Gemeinden an der Finanzierung seiner Steuerreform beteiligen wollte. Allerdings sollte die Erhöhung nach dem Willen der Regierung nicht dazu führen, dass sich die finanzielle Situation der Kommunen verschlechtert. Der Bund wollte lediglich die Gewerbesteuermehreinnahmen der Kommunen abschöpfen, die aufgrund der damals gestopften Steuerschlupflöcher im Unternehmensbereich erwartet wurden.

Diese Erwartungen sind jedoch nicht eingetreten. Im zweiten Quartal des Jahres 2001 kam es zu einem massiven Einbruch bei den Gewerbesteuerzuflüssen. In jenem Jahr sank das Nettoaufkommen um gut 11,5 Prozent. Zu allem Unglück ging damals auch der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer um 4,2 Prozent zurück, und die Länder kürzten ihre Investitionszuweisungen an die Kommunen um 3,7 Prozent. Hinzu kam, dass ein wesentliches Element zur Gegenfinanzierung der Steuerreform, nämlich die Neufassung der branchenbezogenen Abschreibungstabellen, verschoben wurde. Aus Sicht des Deutschen Städte- und Gemeindebundes war damit die "Geschäftsgrundlage" für die Anhebung der Umlage entfallen. Der Ruf, sie zurückzunehmen, wurde lauter.

Die Bundesregierung kam dem Drängen jedoch nicht nach und versprach, das Problem grundsätzlich anzugehen. Eine umfassende Gemeindefinanzreform wurde angekündigt und eine Kommission eingesetzt, die über ein Jahr lang, vom 23. Mai 2002 bis zum 3. Juli 2003, tagte. Sie sollte nicht nur die Gewerbesteuer und die kommunalen Einnahmen ins Visier nehmen, sondern sich auch um das Projekt einer Verzahnung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe kümmern. Während die Kommission ihrer Arbeit nachging, formierten sich in der Öffentlichkeit zwei Lager: Die Vorstellungen der Vertreter der Kommunen konkurrierten mit denen der Wirtschaft.

Modell des Städtetags

Im März vergangenen Jahres gingen die kommunalen Spitzenverbände mit einem eigenen Modell ("Städtetagsmodell") an die Öffentlichkeit. Sie hielten an der Gewerbesteuer und dem damit verbundenen Hebesatz für die Gemeinden fest und verlangten darüber hinaus eine breitere Bemessungsgrundlage für die Erhebung der Steuer. So sollten alle Zinsen zum Gewerbeertrag voll hinzugerechnet werden, ebenso die Finanzierungsanteile aller Mieten, Pachten, Leasingraten und Veräußerungsgewinne, wobei allerdings Freibeträge eingeräumt wurden. Wesentliche Forderung aber war, alle Selbstständigen in die Steuerpflicht einzubeziehen, der bis dahin nur die Gewerbetreibenden unterlagen. Nun sollten auch die Freiberufler wie Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater oder Architekten zur Kasse gebeten werden, nicht jedoch die Bauern.

Die Wirtschaft, vornehmlich der Bundesverband der Deutschen Industrie und der Verband der Chemischen Industrie, konterte mit Gegenvorstellungen ("BDI/VCI-Modell"). Im Mittelpunkt stand die Abschaffung der Gewerbesteuer, die 28 Milliarden Euro gekostet hätte. Auch die Gewerbesteuerumlage wollten die Unternehmer streichen und den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer auf Bund und Länder verteilen, was die Kommunen weitere 25 Milliarden Euro gekostet hätte. Im Gegenzug sollte ein Kommunalzuschlag von durchschnittlich 22,76 Prozent auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer erhoben werden. Den sollten aber nicht nur Gewerbebetriebe und Freiberufler zahlen, sondern alle Einkommensteuer- und Körperschaftsteuerzahler einer Gemeinde.

Gesetzesvorlage Eichels

In der Gemeindefinanzreform-Kommission hatten nur die Vertreter der Wirtschaft das BDI/VCI-Modell bevorzugt. Gegen die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zur Arbeitslosenhilfe II in der Trägerschaft der Bundesanstalt für Arbeit votierte lediglich der Deutsche Landkreistag. Die Länderfinanzminister opponierten nicht gegen das Städtetagsmodell. Der Bundesfinanzminister kündigte daraufhin einen Gesetzentwurf an, der das Ziel haben sollte, die Einnahmen der Kommunen zu verstetigen und zu stabilisieren.

Eichels Vorlage zielte darauf ab, die bestehende Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftssteuer weiterzuentwickeln und die Freiberufler ab 2004 ebenfalls zur Kasse zu bitten. Zugleich sollte die Bemessungsgrundlage für die Steuererhebung durch eine Reihe von Detailregelungen verbreitert und eine weitere Verstetigung durch die Beschränkung der Verlustverrechnung erzielt werden. Gerade bei größeren Verlustvorträgen würde dies dazu führen, hieß es aus dem Bundesfinanzministerium (BMF), dass jeweils zurmindest die Hälfte des jährlichen Gewinns der Gemeindewirtschaftssteuer unterliegt. Die Möglichkeit, die gezahlte Gemeindewirtschaftssteuer auf die Einkommensteuerschuld anrechnen zu können, sollte die Belastung von Freiberuflern, Einzel- und Personenunternehmen mindern.

Gegen das Städtetagsmodell argumentierte das BMF damit, dass die Kapitalgesellschaften zu Konstruktionen greifen könnten, bei denen Personengesellschaften zwischengeschaltet werden, um in den Genuss einer günstigeren Besteuerung zu kommen. Da sich solche Konstruktionen nicht umgehen ließen, könnte das Steueraufkommen gefährdet sein. Beanstandet wurde auch die volle Hinzurechnung sämtlicher Zinsen zum Gewinn sowie die Hinzurechnung des Finanzierungsanteils von Mieten, Pachten und Leasingraten im Modell der Kommunen. Dies würde die Steuerbelastung bei Kapitalgesellschaft teilweise um über zwölf Prozent erhöhen.

Beim BDI/VCI-Modell befürchtete das BMF eine Verschärfung der Stadt-Umland-Problematik mit der Folge, dass sich die Finanzsituation der Kernstädte weiter verschlechtern könnte und Wanderungsbewegungen in das Umland begünstigt würden. Auch der mit diesem Modell verbundene Verwaltungsaufwand schreckte Eichels Beamten ab. Der Regierungsentwurf sah zudem einen Anstieg des Gemeindeanteils am Aufkommen der Umsatzsteuer von 2,2 auf 3,6 Prozent vor, was den Gemeinden bereits im Jahr 2004 ein Mehraufkommen von 1,9 Milliarden Euro bescheren würde. Von der Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe (Hartz-IV-Gesetz) würden der Bund und die Kommunen profitieren, vor allem aber die strukturschwachen Gemeinden mit relativ hohen Sozialhilfeaufwendungen. Insgesamt, so das BMF, würde die Gewerbesteuerreform zusammen mit Hartz IV die Kommunen ab 2004 um rund 4,5 Milliarden Euro und ab 2005 um mehr als 5 Milliarden Euro entlasten.

Initiative des Bundesrates

Der Bundesrat lehnte die Regierungsvorlage ab und favorisierte statt dessen seine eigene Initiative eines Soforthilfegesetzes für die Gemeinden. Darin verlangten die Länder, den Vervielfältiger für die Berechnung der Gewerbesteuerumlage rückwirkend ab 2003 zu senken. Die Regierung zerstreute in ihrer Gegenäußerung die verfassungsrechtlichen Bedenken, die der Bundesrat wegen der Einbeziehung der Freiberufler in die Steuerpflicht geäußert hatte. Die Berufsbilder der Gewerbetreibenden und der übrigen Selbstständigen hätten sich in den letzten Jahren so angenähert, hieß es, dass eine Abgrenzung immer schwieriger werde. Große Arzt- und Anwaltspraxen beschäftigten viele, auch akademisch gebildete Angestellte. Kleine Handwerks- und kaufmännnische Betriebe würden dagegen häufig vom Betriebsinhaber allein und ohne Personal betrieben. Daher sollten beide Gruppen steuerlich gleich behandelt werden.

Die Kontroverse hielt auch im Finanzausschuss des Bundestages an. Dort setzte die Koalition eine Reihe von Änderungen am Regierungsentwurf durch. Beispielsweise wurde darauf verzichtet, die Hinzurechnungen zum Gewerbeertrag auszuweiten, wie dies die Kommunen verlangt hatten. Gleichzeitig sollten aber auch steuermindernde Gestaltungen zwischen verbundenen Unternehmen noch gezielter verhindert werden. Die Steuermesszahl wurde auf einheitlich 3,2 für alle Steuerpflichtigen festgelegt. Lediglich für die Eingangszone eines Gewerbeertrags zwischen 25.000 Euro und 35.000 Euro sollte die Messzahl auf 1,6 halbiert werden. Die Steuermesszahl gibt den prozentualen Anteil des Gewerbeertrags an, der zur Bemessungsgrundlage für die Erhebung der Gewerbesteuer wird. Darüber hinaus verzichtete die Koalition darauf, den allgemeinen Freibetrag von 25.000 Euro abzuschmelzen, um kleinere Personenunternehmen und Freiberufler zu schonen. Schließlich setzten die Abgeordneten auch die Senkung der Gewerbesteuerumlage durch, damit die finanzielle Entlastung der Kommunen bereits 2004 kassenwirksam werden kann. Am 17. Oktober kam es zur Mehrheitsentscheidung im Bundestag über den so revidierten Gesetzentwurf.

Zur Gewerbesteuernovelle degradiert

Erst zwei Monate später stand die Reform dann in der Fassung, in der sie am 1. Januar in Kraft getreten ist. Im Vermittlungsverfahren konnten die unionsregierten Länder ihre Vorstellungen in wesentlichen Punkten durchsetzen. Wichtigstes Ergebnis war zweifellos, dass es die angepeilte Gemeindewirtschaftssteuer nun noch nicht gibt, weil die rund 800.000 Freiberufler wieder aus dem Kreis der Steuerpflichtigen entlassen wurden. Die Wirtschaft musste den Ausschluss der Freiberufler mit Einschränkungen bei der Verlustverrechnung und der Gesellschafter-Fremdfinanzierung erkaufen. Damit wurde die groß angelegte Gemeindefinanzreform zu einer bloßen Gewerbesteuernovelle degradiert. Dies bedeutet, dass der Umbau der Kommunalfinanzierung nach wie vor auf der Agenda steht. Vielleicht kann die seit November 2003 tagende Föderalismuskommission neue Impulse geben.

Volker Müller ist Redakteur der Wochenzeitung "Das Parlament" in Berlin.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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