Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 10 / 01.03.2004
Zur Druckversion .
Volker Riehl und Christiane Averbeck

Von allen guten Geistern verlassen

Das afrikanische Armageddon in Uganda

Während selbst der Sudan und die Demokratische Republik Kongo Friedenskurs steuern, wird im Norden Ugandas seit 18 Jahren weiterhin ein Krieg geführt, der bisher rund 100.000 Menschenleben forderte. Von den Rebellen wurden etwa 20.000 Kinder entführt. 80 Prozent der Acholi, das sind fast 800.000 Menschen, wurden in so genannte Schutzlager umgesiedelt. Die Bauern können ihre Äcker nicht mehr bestellen. Fast 90 Prozent von ihnen werden durch die Welternährungsorganisation mit Nahrung versorgt. Das Elend in Uganda ist unermesslich. Mit der Ausdehnung des Krieges wird die Zahl der Binnenflüchtlinge im Februar 2004 auf 1,4 Millionen geschätzt. "Norduganda ist die größte vergessene Krisenregion der Welt", meinte Jan Egeland, Koordinator der Vereinten Nationen für Nothilfe, schon im vergangenen November.

Der international viel gelobte Präsident Ugandas, Yoweri Museveni, der seinem Land eine weitgehende Demokratie, steigendes Wirtschaftswachstum und eine erfolgreiche AIDS-Bekämpfung bescherte, scheitert seit fast zwei Jahrzehnten militärisch im Norden des Landes an einer Rebellengruppe, deren Selbstverständnis sich einem Gemisch aus traditioneller Religion und vermeintlich christlicher Lehre bedient. Der Konflikt mit der Lord's Resistance Army (LRA), die sich vor allem aus Mitgliedern der Ethnie der Acholi rekrutiert, ist militärisch nicht zu lösen. Gleichzeitig torpediert die Regierung bewusst Friedenskontakte der Kirchen zu den Rebellen. Aus dieser überraschenden Konzeptlosigkeit und fatalen Anomie des Präsidenten schließen Beobachter, dass die ugandische Regierung kein Interesse hat, diesen Konflikt friedlich oder militärisch beenden zu wollen. Der Krieg im Norden hat das Potential, eine auf Ausgleich und Friedensentwicklung orientierte Region zu destabilisieren. Bezeichnete Madeleine Albright die Auseinandersetzungen in der Demokratischen Republik Kongo als "Ersten Afrikanischen Weltkrieg", so gleicht der im Norden Ugandas einem Afrikanischen Armageddon, in dem alle Seiten langfristig nur verlieren können.

Abkehr von der "reinen Lehre"

Die Gründerin der Rebellengruppe, Alice Lakwena, verkörperte noch die "reine Lehre" aus christlicher und traditioneller Religion. Joseph Kony stutzte die spirituelle Energie zu Gunsten einer effektiveren militärischen Doktrin zurecht. So gab es unter seiner Führerschaft keine Steine mehr, die sich in Handgranaten verwandelten. Auch Alice Lakwenas biologisch-spirituelle Komponente änderte sich unter dem "Hohepriester" Kony zu einer mehr zweckgerichteten, propheti-schen Geheimlehre. Der Hauptfeind von Alice waren die Soldaten der ugandischen Armee. Kony schuf 1994 zehn neue Gebote. Die Haltung von Schweinen und weißen Hühnern war ebenso verboten, wie die Fortbewegung auf Rädern. Häuser mussten mindestens 100 Meter von Straßen entfernt stehen, Schulbesuch war untersagt. Damit schuf Kony sich die ideologische Legitimation für eine konsequent terroristische Verfolgung der Bevölkerung. Jeder Mensch, der gegen diese Regeln verstieß, musste bestraft, getötet oder zur Umerziehung entführt werden. Kony wurde zum Schlächter seines eigenen Volkes.

Er verfügt über eine 3.000 bis 5.000 Soldaten starke, fanatisch gedrillte Rebellentruppe, die überwie-gend aus entführten und zwangsrekrutierten Kindern besteht. Im Südsudan befinden sich große Trainingslager der LRA. Erst ab Mitte 2003 hat Kony den Krieg erheblich über das Acholigebiet in die Regionen der Ethnien der Langi und Teso hinausgetragen.

Die Mehrheit der Acholi ist gezwungen, in Schutzdörfern zu leben. Wer das Lagerleben verweigert, gilt als Kollaborateur der Rebellen. Die Menschen sind von Hilfslieferungen des Ernährungsprogramms der UN abhängig, die AIDS-Rate schnellt in die Höhe, und Analphabetismus grassiert. Währenddessen akquiriert der Halbbruder des Präsidenten, Salim Saleh, unter dem Deckmantel eines Sicherheits- und Entwicklungsprogramms die zwangsvakanten Äcker und lässt die Notleidenden Getreide auf ihrem vormals eigenen Land anbauen. Dieses System der Unterdrückung, Ausbeutung und verkappten Neo-Kolonisierung funktioniert nur, solange der Krieg weitergeführt wird und die Armee faktisch die neue Landnahme sichert, anstatt eine friedliche Beendigung anzustreben.

Für die Lösung des Konflikts ist unerheblich, ob die ugandischen Machthaber den Krieg nicht beenden wollen oder können. Für die Fortsetzung des Krieges spielt es keine Rolle, dass die LRA von einer spirituell verwirrten jedoch militärisch versierten und enigmatischen Erscheinung geführt wird. Das von der Regierung weiterhin gültige Amnestieangebot für die LRA-Kämpfer würde nur bei einer geschwächten Rebellenarmee Wirkung zeigen. Entscheidend ist, dass die LRA seit 18 Jahren stärker ist als je zuvor. Mit ihrem Terror metzelt sie die Menschen und verwüstet das Land.

Die sudanesische Regierung unterstützt die LRA und nutzt sie für die Realisierung eigener Ziele aus. Dies tut auch die ugandische Regierung. Durch den seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt sichert sich die ugandische Armee eine fortlaufende Aufrüstung und einen wachsenden Anteil am ugandischen Haushalt - die Berechtigung der eigenen Existenz. Durch den Konflikt bereicherte Offiziere können dem Präsidenten nicht gefährlich werden. Für Aufsehen sorgten kürz-lich so genannte "Geisterdivisionen" in der ugandischen Armee, deren Sold in die Taschen hoher Militärs abfloss.

Einige Hundert Millionen US-Dollar gehen jährlich in den ugandischen Wehretat - mit steigender Tendenz. Mehr als die Hälfte des Haushalts bezahlt die Official Development Assistance (ODA), auch Deutschland. Rein rechnerisch finanziert die internationale Gemeinschaft den Krieg im Norden. Damit trägt auch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit zur Verlängerung des Krieges bei, indem sie freiwerdende Budgetkapazitäten im ugandischen Haushalt schafft.

Das Acholi-Volk aber wird zwischen LRA und Regierung aufgerieben. "Die beinharte Haltung der ugandischen Regierung lässt keine Hoffnung auf einen Friedensschluss zu. Das Resultat von brutalem Rebellenterror und militärischer Regierungsantwort ist ein ostafrikanischer Völkermord!" So umschreibt der katholische Erzbischof der Diözese Gulu, John Baptist Odama, im Februar 2004 die Situation. Bei Entwick-lungshilfeministerin Wieczorek-Zeul, im Auswärtigen Amt, im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie im Ausschuss für Menschenrechte warb er für eine stärkere Einbindung und Einflussnahme von EU und UN für eine friedliche Lösung.

Moralisches Dilemma

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit steht vor einem moralischen Dilemma und hat doch eine echte Chance, es zu lösen. Es gilt, eine demokratische Regierungsführung und die wirtschaftliche Weiterentwicklung zu fördern. Wenn jedoch ein Entwicklungsprozess im Süden des Landes gleichzeitig mit der Verelendung des Nordens einhergeht, darf die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit nicht länger bedingungslos weiter fließen. Zudem sollte in Übereinstimmung mit den europäischen Partnern ein von allen Seiten akzeptierter neutraler Vermittler Verhandlungen über einen Waffenstillstand aufnehmen. Die Bereitschaft der ugandischen Regierung, einen Waffenstillstand in Friedensverhandlungen weiterzuführen, sollte mit nachhaltigen Entwicklungsanstrengungen für den Norden verbunden sein. Vermittlung, Überwachung und Friedensimplementierung sollten nach einer road map von afrikanischen Institutionen und Regionalvertretungen durchgeführt werden. Wenn die u-gandische Regierung nicht ernsthaft an Vermittlung und Verhandlungen interessiert ist, sollte dieses Verhalten nicht länger von der internationalen Gebergemeinschaft honoriert werden.

Dr. Volker Riehl ist entwicklungspolitischer Beauftragter des Hilfswerks MISEREOR und Dr. Christiane Averbeck Referentin des Rats für Nachhaltige Entwicklung.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.