Das Schulmassaker von Erfurt mit 17 Toten im April 2002 ist Gegenstand dieses Buches. Der von seiner Schule geschasste 19-jährige Robert Steinhäuser hatte damals in einem Amoklauf 16 Menschen im Erfurter Gutenberg-Gymnasium erschossen. Vor allem die von ihm gehassten Lehrer, aber auch zwei Schüler und einen Polizisten. Unmittelbar darauf beging er Selbstmord. Die entsetzliche Tat, die bundesweit Aufsehen erregt hatte, war inzwischen weitgehend in Vergessenheit geraten.
Mit der Ankündigung einer rückhaltlosen Aufklärung des Tathergangs und seiner Hintergründe wird jetzt die Diskussion um die Erfurter Geschehnisse neu entfacht. Mit der Protagonistin Elsa, einer ehemaligen Schülerin, wird der Leser auf eine Reise nach Erfurt geschickt. Er begegnet Lehrern und Schülern, Freunden und Angehörigen sowohl der Opfer als auch des Täters. Man erfährt, wie die erste Polizeistreife an jenem schwarzen Freitag auf dem Schulgelände eintraf. Der Ablauf der Geschehnisse wird rekonstruiert und der Versuch unternommen, sich in den Kopf des Amokläufers Robert Steinhäuser hineinzuversetzen.
15 Kapitel lang lässt Ines Geipel die junge Frau durch die Heimatstadt irren, Fragen stellend, Antworten suchend, verwirrt von dem unglaublichen Geschehen, enttäuscht von Bemühungen, zur Normalität zurückzufinden, um schließlich mit Schülern des Gutenberg-Gymnasiums gegen das Etablissement aus Politik und Erwachsenenwelt zu solidarisieren.
Neben dem marktschreierischen Hinweis, dass es sich um die "größte Mordserie" handele, die Deutschland nach 1945 erlebt hat, ist im Klappentext des Buches von einer Spurensuche die Rede, die das Geschehen in ganz neue Zusammenhänge stelle. Aus der sich ein Bild zusammensetze, - ein Bild aus Kleinbürgermoral, Vertuschungspolitik, Sprachlosigkeit und wachsender Brutalität. Doch "Für heute reicht's" gleicht einem Rundumschlag: Zweifel an der offiziellen Schilderung des Tathergangs und Kritik am Einsatz der Polizei gehen Hand in Hand mit denen an der Schulpolitik des Landes Thüringen, an der des Gutenberg-Gymnasiums, an Aufarbeitung und Umgang mit den Angehörigen der Opfer.
Fakten und Fiktion mischen sich dabei allzu unbekümmert. Sorgen hinsichtlich dokumentarischer Genauigkeit muss sich die Autorin offenbar nicht machen, legt sie doch ihre Thesen einer literarischen Figur in den Mund. Ines Geipel macht es ihrer Elsa damit nicht leicht, dem Leser allerdings auch nicht. Auf über 200 Seiten kreist sie um eine verschwörungstheoretische Kernidee, die da lautet; die Verhältnisse sind schuld, die Schulpolitik, vor allem aber die kleinbürgerliche ostdeutsche Nachwendewelt, in der der Amokläufer Robert Steinhäuser aufgewachsen ist.
Und dabei belässt sie es nicht, denn es geht ihr auch und vor allem um deutsche Geschichte. Um unheilvolle Geschichte der Verdrängung und Verfälschung und um deren Aufklärung. Dies führt sie vom Erfurter Gymnasium weit in die Vergangenheit zurück. In der Gedenkstätte Konzentrationslager Buchenwald erfährt sie schockiert, dass die kommunistischen Häftlinge, in deren Händen sich die Selbstverwaltung des Lagers befand, nicht nur Opfer, sondern auch Täter waren, in Jena, dass ein in der DDR angesehener Arzt einstmals an Euthanasieverbrechen der Nazis beteiligt war.
Jena, Weimar und Erfurt haben nun durchaus etwas gemeinsam, alle drei Orte liegen in Thüringen. Ines Geipel reicht die geographische Gemeinsamkeit allerdings nicht, sie lässt ihre Elsa über weitere sinnieren. Und so heißt es dann auf Seite 245: "Was die drei Fälle bei aller historischen Unterschiedlichkeit verbindet, ist die Tatsache massenhaften Sterbens: drei große Akte serieller Tötung und wie damit umgegangen wird."
Im Vorwort des Buches werden bereits die terroristischen Akte der RAF erwähnt. Hier auch nur im Entferntesten, nämlich hinsichtlich ihrer Auswirkungen, hinsichtlich einer "Debatte über das eigene politische Selbstverständnis", wie Ines Geipel formuliert, einen Zusammenhang zu suchen, hinterlässt einen befremdlichen Eindruck, handelte es sich doch um politisch motivierte Attentate, die an den bestehenden Verhältnissen rütteln sollten und als solche auch wahrgenommen wurden. Die Motive des Einzeltäters Robert Steinhäuser sind im Gegensatz zu jenen der RAF-Aktivisten mit allergrößter Wahrscheinlichkeit ausschließlich persönliche gewesen.
Als völlig unangemessen muss der Versuch bezeichnet werden, die Irrsinnstat eines Einzelnen in kausalen Zusammenhang mit NS-Verbrechen zu stellen oder in dem möglicherweise zu Recht kritikwürdigen Erfurter Polizeieinsatz und der späteren Behandlung des Schulmordes generalisierende Rückschlüsse auf die politische Kultur des Landes Thüringen zu ziehen.
So bleibt der Eindruck, dass hier Zusammenhänge konstruiert werden, dass "Auf-Teufel-komm-raus" etwas aufgedeckt werden soll, was man sowieso schon immer ahnte. Die Schlüsse, die Ines Geipel ihre Protagonistin Elsa ziehen lässt, sind nicht nachvollziehbar. Denn Tat und Schuld des Robert Steinhäuser sind - und dies bleiben sie, auch wenn es Ines Geipel nicht ins Konzept passt - individuelle Tat und individuelle Schuld.
Ines Geipel
Für heute reichts.
Rowohlt Berlin, Berlin 2003; 252 S.,16,90 Euro