Eine schöne Sache. Von einem "völlig neuen Instrument der Klimapolitik" schwärmt Jürgen Trittin. Merkwürdigerweise will aber keine rechte Freude über den Aufbruch in die verheißungsvolle Ära des Emissionshandels aufkommen. Ganz im Gegenteil: Ein handfester Krach beherrscht die Berliner Bühne, und der grüne Umweltminister steht in diesem Konflikt mittendrin.
Vor einer "neuen Bürokratisierung und monströsen Regulierung" warnt Michael Rogowski, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI): Trittins Vorschläge ließen "befürchten, dass unserer wirtschaftlichen Entwicklung schwerer Schaden zugefügt wird". Der Energieversorger Vattenfall malt den Abbau tausender Arbeitsplätze in Braunkohlekraftwerken besonders in den neuen Ländern an die Wand: "Das ist nicht Aufbau Ost, sondern Abbau Ost", so Vorstandschef Klaus Rauscher. Dieter Ameling, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, droht mit einer "Kette von juristischen Auseinandersetzungen". Kritik kommt auch von Harald Schartau, dem nordrhein-westfälischen SPD-Vorsitzenden: Was Trittin wolle, sei "nicht akzeptabel", die "Wettbewerbsfähigkeit" dürfe nicht beeinträchtigt werden. Die
"Blockade der Wirtschaftslobbyisten" geißelt im Gegenzug Regine Günther, Klimareferentin beim Umweltverband WWF: "Die Empörung der Industrie ist gespielt." Um die Zukunft der Klimapolitik sorgt sich der Sachverständigenrat für Umweltfragen: Dessen Generalsekretär Christian Hey wirft der Industrie "irreführende Informationen" vor.
Der Kampf zweier Linien setzt sich im Kabinett fort, so sich Trittin und SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement gegenüberstehen. Schon mehrfach haben die beiden Politiker nach einer Einigung gesucht, bislang vergeblich. Die Kommuniqués nach solchen Treffen klingen nicht wie Verlautbarungen von Koalitionspartnern, sondern wie verklausulierte Stellungnahmen im Verlauf diplomatischer Friedensverhandlungen zwischen gegnerischen Lagern: Von "produktiven Arbeitsgesprächen" redet Trittins Sprecher Michael Schroeren, es bestehe der "feste Wille, eine einvernehmliche Lösung zu finden". Die Zeit drängt: Bis Ende dieses Monats muss alles unter Dach und Fach sein.
Heißer Zoff um heiße Luft: In Berlin tobt momentan ein Polit-Krieg um den Emissionshandel, um das Geschäft mit Verschmutzungsrechten, das die Industrie zur einer Verminderung des Kohlendioxid-Ausstoßes veranlassen und so einen Beitrag zum Kampf gegen Treibhauseffekt und Klimakatastrophe leisten soll. So hehr das Ziel, so knallhart die widerstreitenden Interessen: Gekämpft wird darum, mit wieviel Kohlendioxid-Lizenzen rund 2.300 Kraftwerke und Industriebetriebe zum Start des Emissionshandels im Januar 2005 ausgestattet werden - wieviel Schadstoffe also jedes einzelne Unternehmen dann in die Umwelt abgeben darf. Da ist viel Geld im Spiel, schließlich dreht es sich beim Emissionshandel um einen milliardenschweren Markt, der in der EU international angelegt ist.
So verwirrend der vielstimmige Chor der Streithähne auch ist, so reduziert sich das Gerangel im Kern doch auf ein simples Grundmuster: Das hinter Trittin versammelte Öko-Lager dringt auf eine spürbare Reduzierung der insgesamt erlaubten Menge an Kohlendioxid, in deren Rahmen das "Ablassgeschäft" stattfinden soll - und die Industrie, die auf Clement setzt, will strenge Auflagen verhindern. Konkret gefeilscht wird um 20 bis 30 Millionen Tonnen Kohlendioxid mehr oder weniger. Verkompliziert wird die Lage, weil die einzelnen Wirtschaftsbranchen ihrerseits unterschiedliche, ja teils gegensätzliche Ziele verfolgen. Ein klassischer Interessenkonflikt also.
Eigentlich ist das Ganze recht einfach, vor allem aus mathematischer Sicht. Gemäß den Richtlinien des Kyoto-Protokolls will die EU den Ausstoß aller Treibhausgase im Vergleich zum Stand von 1990 um acht Prozent verringern. Auf die einzelnen Mitgliedsstaaten entfallen dabei unterschiedliche Quoten. Deutschland hat für diese Zeitspanne eine Bringschuld von minus 21 Prozent, Portugal darf sogar 27 Prozent mehr Klimakiller produzieren. Die Vorgabe für die Bundesrepublik mutet drastisch an, ist es aber nicht: 18 Prozent der Reduzierungsverpflichtung wurden bereits geleistet, nämlich durch die Stillegung vieler "schmutziger", noch aus der DDR stammender Industrieanlagen östlich der Elbe. In absoluten Zahlen: 1990 belasteten in Deutschland 1.218 Millionen Tonnen an Treibhausgasen die Luft, 2012 dürfen es noch 962 Millionen sein.
Wichtigstes Treibhausgas ist das Kohlendioxid. Laut EU-Ziel muss in der Bundesrepublik die Abgabe dieses Schadstoffs bis 2012 auf 846 Millionen Tonnen sinken (1990 waren es noch 1.014 Millionen). Der jetzt anlaufende Emissionshandel beschränkt sich auf Kraftwerke und auf industrielle Branchen wie etwa die Metallerzeugung, die mineralverarbeitende Industrie, die Zellstoff- und Papierherstellung, Raffinerien, Aluminiumhütten, Kalk- und Zementwerke oder Chemiefabriken, insgesamt sind hierzulande rund 2.300 Unternehmen betroffen. Zum gesamten Kohlendioxid-Ausstoß steuert dieser Sektor den Löwenanteil bei, 1990 waren es 636 Millionen Tonnen, zwischenzeitlich ist die Tendenz rückläufig.
Neben Kraftwerken und Industrie sind auch der Verkehr und die privaten Haushalte sowie das Kleingewerbe, die allesamt nicht unter den Emissionshandel fallen, für die Kohlendioxidbelastung verantwortlich. Als Faustregel gilt: Je höher der Schadstoffausstoß bei Kraftwerken und Industrie, desto mehr müssen Verkehr und private Haushalte zu einer Entlastung beitragen - so das von der EU proklamierte Ziel der Treibhausgas-Reduzierung für 2012 nicht verfehlt werden soll. Der Verband der Automobilindustrie warnt bereits vor rigiden Auflagen.
Im Januar hat Trittin ein Sprachmonster vorgestellt, das "Treibhausgasemissionshandelsgesetz", das den Rahmen für das Geschäft mit Verschmutzungsrechten absteckt. Ans Eingemachte geht es aber erst jetzt mit dem "Nationalen Allokationsplan", ein den Bürgern wohl nur schwer verständliches Wortungetüm: Dieses Instrument legt präzise fest, wieviel Lizenzen jeder einzelnen Firma für den Start des Emissionshandels zugeteilt werden - wieviel Kohlendioxid ein Betrieb also im kommenden Januar ausstoßen darf und auf welcher Basis in den Folgejahren je nach Schadstoffproduktion Zertifikate gewinnbringend verkauft werden können oder teuer zu erwerben sind. Bis Ende März müssen die Daten nach Brüssel gemeldet werden, und deshalb ist momentan vor und hinter den Kulissen ein Hauen und Stechen im Gang.
Trittin will Kraftwerken und Industrie 2012 noch eine lizenziertes Gesamtvolumen von 480 Millionen Tonnen Kohlendioxid zugestehen, bis Ende 2007 sollen es jährlich 488 Millionen Tonnen sein. Gegen diese Pläne läuft der BDI Sturm. Die Wirtschaftslobby will für die ersten drei Jahre des Emissionshandels überhaupt keine Vorgaben akzeptieren und diese Phase als eine Art Testlauf betrachten. Zum Start am 1. Januar 2005 sollen die am Emissionshandel beteiligten Firmen "bedarfsgerecht" mit Zertifikaten ausgestattet werden, das heißt, sie sollen Lizenzen im Umfang des aktuellen Kohlendioxid-Ausstoßes erhalten. Um des Umweltministers Ziel von 480 Millionen Tonnen für 2012 wird heftig gefeilscht: Nach einer FAZ-Meldung bewegt man sich in den Verhandlungen zwischen Clement und Trittin angeblich auf eine Kompromisslinie von rund 500 Millionen Tonnen zu - bestätigt worden ist das bislang nicht.
Die Wirtschaftslobby kämpft deshalb so erbittert um ein paar Millionen Tonnen Kohlendioxid, weil sich so die widerstreitenden Interessen der verschiedenen Branchen am einfachsten auf einen Nennen bringen lassen. Wie so oft steckt auch beim Allokationsplan der Teufel im Detail. Eine Fülle im Detail kaum zu durchschauender Regelungen bei den Kriterien für die Lizenzvergabe sorgt dafür, dass die diversen Industriezweige und einzelnen Unternehmen jetzt und in Zukunft höchst unterschiedlich mit Zertifikaten für den Kohlendioxid-Ausstoß bedacht werden.
Für Streit sorgt beispielsweise der "early actions"-Topf mit kostenlosen Extralizenzen; das Recht für die Abgabe von zehn Millionen Tonnen hat Trittin unter diesem Titel verpackt. Wer zwischen 1991 und 2002 in klimaschonende Produktionsmethoden investiert hat, soll mit solchen Zertifikaten nun nachträglich belohnt werden. Der Ansturm von Kraftwerken und Industriefirmen auf die Gratis-Zertifikate dürfte groß sein, im Einzelfall wird der Bonus aber wohl nicht viel einbringen - wenn diese Quelle insgesamt nicht noch kräftiger sprudeln sollte.
Für "prozessbedingte Emissionen" hat Trittin 35 Millionen Tonnen Kohlendioxid eingeplant: Das sind Schadstoffabgaben, die aus produktionstechnischen Gründen nicht vermindert werden können und die deshalb auch keinen Reduktionszwängen unterliegen. Die Stahlbranche verlangt eine Aufstockung dieses Topfs auf 65 Millionen Tonnen, sofern die deutsche Stahlherstellung nicht eingeschränkt werden solle: "Allein in der Stahlerzeugung verbrauchen wir schon 44 Millionen Tonnen", klagt Präsident Ameling.
Extra-Zertifikate im Umfang von zwei Millionen Tonnen sollen der Kraft-Wärme-Kopplung zugutekommen: Diese Kraftwerke gewinnen energieeffizient sowohl Strom wie Wärme und schonen deshalb wegen eines sparsamen Ressourcenverbrauchs die Umwelt.
Auch innerhalb der Kraftwerksbranche sind verquere Interessenkollissionen zu beobachten. So fürchten Konzerne wie Eon oder EnBW, die einen hohen Anteil an Atomstrom haben, eine Benachteiligung gegenüber den RWE mit ihren Kohlemeilern. Werde ein Kohlekraftwerk stillgelegt und durch eine schadstoffärmere Gasanlage ersetzt, blieben die alten Lizenzen in vollem Umfang erhalten und die "überflüssigen" Zertifikate könnten gewinnbringend veräußert werden - Kernkraftwerksbetreiber, so die Kritik, müssten im Falle einer Abschaltung der bisherigen Anlage hingegen Lizenzen teuer aufkaufen.
Die Energieversorger mit Kohlebestand sind freilich ebenfalls nicht zufrieden. Ihre Sorge: Werde bei neuen Kraftwerken das emissionsarme Gas als Maßstab für die Berechnung des zu zertifizierenden Schadstoffausstoßes genommen, dann drohe eine Verteuerung der Stromerzeugung aus Braun- und Steinkohle - mit der Folge einer "Decarbonisierung der Wirtschaft" und des Verlusts vieler Arbeitsplätze.
Wie man es dreht und wendet, mit welcher Begründung im Einzelfall diese Branche oder jenes Unternehmen mehr Lizenzen für sich herausholt: Solche "Gewinne" gehen immer zu Lasten anderer Firmen, da der Zertifikatstopf insgesamt ja limitiert ist. Deshalb dringt der BDI darauf, die künftig erlaubte Menge an Kohlendioxid-Ausstoß hoch anzusetzen - um so möglichst viel Verteilungsmasse zu erreichen und um so im eigenen Lager Druck aus dem Kessel nehmen zu können.
Dem Öko-Lager passt diese ganze Richtung nicht, man befürchtet eine Aufweichung des Emissionshandels zu Lasten der Umwelt. Regine Günther über die Power der Industrielobbyisten: "Es geht ihnen darum, das Klima weiter kostenlos im großen Stil ruinieren zu dürfen." Die WWF-Politikerin meint, Trittin sei in seinem Allokationsplan "den Wünschen der Wirtschaft schon bis zur Schmerzgrenze entgegengekommen".
In diesem Sinne argumentiert auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen: Trittins Konzept (ein "vernünftiger Kompromiss") enthalte bereits "sehr weitgehende Konzessionen" an die Industrie. Die pokere "um so viele Emissionsrechte wie möglich", kritisiert Generalsekretär Hey. Besonders alarmierend sei, klagt der Umweltrat, dass beim jetzigen Streit die Energiekonzerne RWE und Vattenfall mit ihrem Interesse an der Kohleverstromung das Wort führten. Gebe die Regierung den Forderungen des BDI zum Emissionshandel nach, mahnt das Gremium in einer Erklärung, "würde dies letztlich darauf hinauslaufen, die weltweit beachtete, ursprünglich parteiübergreifend getragene deutsche Klimapolitik zurückzuwerfen".