Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 17 / 19.04.2004
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Bert Schulz

Der letzte Stein ist gesetzt

Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche nahezu abgeschlossen

Was sagen Zahlen? Können sie ausdrücken, welche Bedeutung ein (Bau-)Werk hat? In Dresden wurde in der vergangenen Woche in der bedrohlichen Höhe von 78 Metern über dem Neumarkt ein exakt 80 mal 60 mal 35 Zentimeter großer und fast eine Tonne schwerer Sandstein verbaut. Diese Maße wird man sich wahrscheinlich nicht merken können, vielleicht noch nicht einmal wollen, denn die kleinen Zahlen verschwinden vor dem großen Ganzen: Der massive, aber letztlich doch so winzige Block, der aus den Brüchen des Elbsandsteingebirges stammt, war der letzte Stein, der noch fehlte beim Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche. Was 1945 zu einem Trümmerhaufen zerbombt wurde und anschließend Jahrzehnte lang als Mahnmal vor sich hin ruhte, steht jetzt wieder. Die Maurer können gehen.

Sie waren emsig und arbeiteten schneller, als viele hoffen konnten: Zwölf Monate früher als geplant, nach nicht ganz zehn Jahren mühsamer Arbeit, setzten zwei Bauarbeiter am 13. April den Schlussstein. Dahinter wurde eine Kassette eingemauert mit einer Urkunde, einem Gedicht und der Liste der etwa 200 Bauleute, die die Frauenkirche neu erschufen. "Das war ein langer Weg", resümierte Baudirektor Eberhard Burger, der sich an die Anfänge der Rekonstruktiion erinnerte. "Ein bisschen Wehmut ist schon dabei, weil es zu Ende geht." Ganz so fix geht es jedoch nicht, weswegen Burger auch von einem "Etappenziel" sprach: Zur Vollendung fehlt dem großen Symbol gegen den Krieg und für den Aufbruch aus der DDR-Diktatur noch die Turmhaube. Am 22. Juni soll die kupferbedeckte Holzkonstruktion mit dem vergoldeten Kreuz aufgesetzt werden. Dann reckt sich die Frauenkirche wieder auf 91 Meter.

Aber es war ein wichtiges Etappenziel. Diskussionen über einen Wiederaufbau des Gotteshauses waren bereits kurz nach dessen Zerstörung durch amerikanische und britische Bombenangriffe in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 aufgekommen. Doch die politischen Verhältnisse ließen die Umsetzung dieses ehrgeizigen Ziels nicht zu. Mit der Wende 1989 änderte sich auch das: Bereits im November jenes Jahres gründete sich ein Bürgerinitiative, 1993 wurde nach vielen schwierigen Debatten schließlich mit der Enttrümmerung begonnen. Am 27. Mai 1994 wurde im Ostflügel der erste Sandstein gesetzt, über eine Million weitere sollten folgen. Darunter waren exakt 3.634 Steine, die aus den Schuttresten der Kirche geborgen und wieder aufgearbeitet wurden. Sie sind dunkler als die neu gebrochenen Sandsteine und nehmen deutlich sichtbar in der Außenwand ihre alten Plätze wieder ein. So enthält das neue, alte Bauwerk auch einige Stücke des Originals, das 1726 bis 1743 nach Plänen des Ratszimmermeisters George Bähr entstanden war.

Gearbeitet wurde, damals wie jetzt, wie es in einem alten Volkslied heißt: "Stein auf Stein." Während die Arbeiten anfangs für Beobachter fast quälend langsam vor sich gingen, weil der Fortschritt der Bauleute kaum wahrnehmbar war, schritten sie in den vergangenen Monaten wie im Zeitraffertempo voran. Hauptsims, Glockentürme und die "Steinerne Glocke" wuchsen scheinbar unaufhörlich. Erster Höhepunkt: Im September 2003 wurde die weltberühmte Steinkuppel vollendet, die historische Silhouette Dresdens vervollständigt.

Der Fortschritt der Bauarbeiten war aber nur die eine Besonderheit dieser einzigartigen Wiederbelebung. Die andere, vielleicht bedeutsamere, war die Bereitschaft der Menschen in aller Welt, gerade auch in den USA und Großbritannien, dieses besondere Projekt finanziell zu unterstützen. Die Gesellschaft zur Förderung des Wiederaufbaus der Frauenkirche Dresden, ein Verein, der aus der Bürgerinitiative hervorging, hat heute nach eigenen Angaben über 6.300 Mitglieder aus 23 Ländern, darunter zahlreiche prominente Persönlichkeiten. Die Fördergesellschaft sowie regionale Förderkreise bilden eine der größten kulturellen Bürgerinitiativen Europas. Zudem haben Hunderte der verbauten Steine einen "Paten". So wurde ein wesentlicher Teil jener 121 Millionen Euro zusammengetragen, die nach Aussagen der Finanzdirektion bereits in den Wiederaufbau investiert wurden. Das sind Zahlen, die letztlich so bedeutsam sind wie das Bauwerk selbst.

In den kommenden Monaten steht der Innenausbau auf dem Plan. Bis zum 30. Juni wird der Fußboden mit Sandstein belegt. Im Juli sollen die letzten Außengerüste fallen. Die farbliche Fassung des Altars dauert noch bis 2005. Dann soll auch eine Nachbildung der verlorenen Silbermann-Orgel eingebaut werden. Zur Eröffnung und Weihe der Kirche im Oktober 2005 werden die New Yorker Philharmoniker auftreten.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.