Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 18 / 26.04.2004
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Dirk Halm

Migranten: Starke Sympathien für die Sozialdemokratie

Türken und die deutsche Politik

Zahlreiche Türken sind Mitglieder in deutschen Parteien und durch die Einbürgerungen der vergangenen Jahre werden sie auch als potentielle Wähler interessant. Wahlumfragen belegen durchgängig eine starke Sympathie der Deutschtürken für die Sozialdemokratie. Rund zwei Drittel der erwachsenen Türkinnen und Türken würden ihr Kreuzchen bei der SPD machen - wenn sie denn wahlberechtigt wären. Eingebürgert ist aber nur ein knappes Viertel der in Deutschland lebenden Menschen mit familiären Wurzeln am Bosporus.

Zu einem guten Teil erklären sich diese politischen Präferenzen aus der Migrationsgeschichte und der heutigen, noch immer spezifischen Lebenssituation von Migrantinnen und Migranten in Deutschland. Die politische Sozialisation der türkischstämmigen Migranten, die in Deutschland in erster Linie über die Gewerkschaften erfolgte, drückt sich noch immer in einer Präferenz für die SPD aus, während die CDU - obwohl sie mit konservativen Gesellschaftsentwürfen durchaus auf Resonanz bei einem Teil der türkischen Wähler treffen könnte - nicht punkten kann.

Grundsätzlich ist zu erwarten, dass mit steigender Verbleibedauer in Deutschland und zunehmender Integration sich auch die Parteienpräferenz differenziert und sich der Verteilung in der deutschen Wählerschaft zumindest langsam annähert. Aber das politische Engagement der Türkischstämmigen in Deutschland folgt mitunter anderen Interessenlagen als das der Mehrheitsgesellschaft. Bestimmte Politikfelder, die für Wähler ohne familiären Migrationshintergrund nur Randthemen hergeben, sind bei ihnen im Interessenfokus - sei es das Ausländerrecht, die Regelung der Zuwanderung oder die Integrationspolitik. Diese Themen haben großes Mobilisierungspotential für die türkischstämmige Wählerschaft. Gleiches gilt auch für die Bildungspolitik, mit den Zuwanderern als Hauptleidtragenden der fehlgelaufenen Schulpolitik der letzten Jahrzehnte - siehe die PISA-Studie. Gleichzeitig hat die der Gesamtbevölkerung wichtigste Frage - nach Wegen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit - auch für sie - weit vor allen anderen Themen - herausragende Bedeutung: Während die Arbeitslosenstatistik die allgemeine Arbeitslosigkeit in Deutschland mit etwa 10 Prozent ausweist, ist unter den Türkischstämmigen von einer Quote von 24 Prozent auszugehen. Die Außenpolitik spielt demgegenüber für die Wahlentscheidung der Deutschtürken eine eher geringe Rolle - abgesehen vom Standpunkt der Parteien zur EU-Mitgliedschaft der Türkei. Die politischen Rezepte, die durch die Türkinnen und Türken bei Wahlen honoriert werden könnten, mögen sich wiederum deutlich von den Präferenzen der deutschen Durchschnittsbevölkerung unterscheiden - wirtschaftliche Selbsthilfe wird seitens der Migranten in starkem Maße in der Selbstständigkeit gesucht, weshalb gerade mit den wirtschaftspolitischen Konzepten zur Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen wichtige Punkte gemacht oder auch verspielt werden können.

Inzwischen werden diese Themen innerhalb der deutschen Parteien durch Türkinnen und Türken adressiert - und das nicht nur durch den prominenten Grünen-Politiker Cem Özdemir. Sie beginnen, sich in den deutschen Parteien zu etablieren. Und obwohl sie keine Klientelpolitik betreiben wollen, ist ihr thematischer Zugang von dem der Deutschen doch oft merklich unterschiedlich. Zum Beispiel Mehmet Gürcan Daimagüler: Er ist der erste Politiker türkischer Herkunft im Bundesvorstand der FDP. Der 35-Jährige vertritt klare Standpunkte zur deutschen Innenpolitik: Deutschland ist und war schon immer ein Einwanderungsland. Daher brauche es endlich ein Zuwanderungsgesetz. Besonders am Herzen liegt ihm zudem die Verbesserung des deutsch-türkischen, aber auch des türkisch-europäischen Verhältnisses. Gegen den Vorwurf, ein Türkei-Lobbyist zu sein, braucht er nicht anzukämpfen: Er steht dazu. Die Morde von Mölln und Solingen an Türken wurden für Daimagüler zum Anlass, 1993 die Liberale Türkisch-Deutsche Vereinigung (LTD) ins Leben zu rufen, deren Vorsitzender er ist. Sie hat etwa vierhundert Mitglieder und will das Verständnis zwischen Deutschen und Türken verbessern und vertiefen.

Und in der Lokalpolitik gibt es interessante Pendants zu Daimagüler. Der gleichaltrige Özcan Mutlu etwa ist zu einer bedeutenden Stimme des Berliner Bezirks Kreuzberg aufgestiegen. In seiner Partei, Bündnis 90/Die Grünen, ist er seit 1990 aktives Mitglied. Im Oktober 1999 wurde er mit Direktmandat ins Abgeordnetenhaus von Berlin gewählt, wo er sich als bildungspolitischer Sprecher für die Chancengleichheit aller Schülerinnen und Schüler stark macht. "Die Schule", so meint der Vater von zwei Kindern, "muss ein Ort zum Lernen und Leben werden, wo Kinder und Jugendliche ihre sozialen Kompetenzen erwerben." Zudem ist er Mitglied im Innenausschuss und der Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Er macht Politik für Deutsche und Migranten gleichermaßen - aber eben zur Abwechslung aus dem Blickwinkel des Zuwanderers. Dirk Halm

Dr. Dirk Halm ist Redakteur der Zeitschrift "Eurotürk".


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