Das Parlament
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Nr. 18 / 26.04.2004
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Andrea Riemer

Der Flugzeugträger Zypern im politischen "Great Game"

Geteilt in die Europäische Union?

"Es gibt keinen Plan B - es gibt nur diesen einen Plan oder keinen", betonte Kofi Annan während der Verhandlungen zur Lösung der Zypernfrage im Schweizer Bürgenstock. In der Nacht zum 1. April mussten die Verhandler feststellen, dass die Gespräche gescheitert waren. Die Aussichten auf eine Akzeptanz des von Annan vorgeschlagenen Friedensplans durch die griechischen und türkischen Zyprer waren gering. Somit musste man annehmen, dass der "Worst Case" - eine geteilte Insel wird EU-Mitglied - eingetreten war.

Zypern stand am Beginn seiner Entwicklung im hellenischen und venezianischen, danach im osmanischen und britischen Wirkungskreis. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Insel zum Spielplatz für Kämpfe zwischen den Großmächten; überlagert wurden diese Kämpfe von inneren Zerwürfnissen zwischen den beiden Volksgruppen und von Ambitionen der Mutterländer Griechenland und Türkei. Ab Mitte der 50er-Jahre stiegen die Spannungen auf der Insel. Nach schwierigen Verhandlungen gelang 1959/60 die Schaffung einer vorübergehend gemeinsamen Grundlage zur Streitbeilegung mit den Verträgen von London und Zürich. Zwischen 1960 und 1963 funktionierte das Machtteilungssystem relativ gut. Danach beschnitt Regierungschef Makarios sukzessive die türkischzyprischen Minderheitsrechte. Die als Reaktion darauf folgenden blutigen Unruhen zwischen den Volksgruppen zu Weihnachten 1963 bildeten den Auftakt für die Segregation. Diese wurde mit den bekannten Ereignissen von 1974 (Juli und August) zementiert. Binnen weniger Tage eroberte die Türkei mit fast 40.000 Soldaten nahezu 37 Prozent der Insel. Die Annexion des Nordteils war zum Faktum geworden. Die türkische Invasion zwang etwa ein Drittel der griechischzyprischen Bevölkerung (circa 200.000 Menschen) zur Flucht in den Süden, während fast alle Türken in den Nordteil übersiedeln mussten (circa 65.000). Danach siedelte die türkische Regierung eine große Zahl anatolischer Bauern in der besetzten Zone zwangsweise an und vertrieb gleichzeitig systematisch die sich legal in der Zone aufhaltenden griechischen Zyprioten. Im September 1974 reorganisierte sich eine provisorische türkischzypriotische Regierung unter dem Titel "Autonome Türkischzyprische Administration". Im Februar 1975 erklärte sich der Nordteil der Insel zum "Turkish Federated State of Cyprus" (TFSC). Aus ihm entstand im November 1983 dann die "Turkish Republic of Northern Cyprus" (TRNC). Bereits ab 1975 gab zwar eine Reihe von Abkommen und Gespräche unter UN-Vermittlung, die aber letztlich alle scheiterten.

Heute wird die Bedeutung der Insel sehr oft auch aus strategischer Sicht gedeutet. Von Zypern aus lässt sich der Nahe Osten militärisch kontrollieren - für die türkische Armee eine nicht unbedeutende Perspektive. Ferner werden in naher Zukunft vor Zyperns Küste eine Reihe an Erdgas- und Erdölpipelines aus dem Irak und dem Kaukasus verlaufen. Die Türkei hat mit Ceyhan einen Terminal zur Gas- und Ölverladung, dessen Bedeutung und Qualität sie seit Jahren immer wieder in das "Great Game" einbringt. Dies zeigte sich in den jahrelangen Bestrebungen, die Pipeline Baku-Ceyhan zu errichten - bislang erfolglos, da die USA nicht bereit waren, die enorm hohen Kosten zu tragen und die Pipeline zusätzlich durch unruhiges Gebiet laufen würde. Seit dem Irakkrieg hat sich die amerikanische Position, das Projekt nicht zu unterstützen, verstärkt. Zypern bleibt aber dennoch eine Art "strategischer Flugzeugträger" im Mittelmeer. Auf diesem Flugzeugträger befindet sich eine Mannschaft mit höchst unterschiedlichen Interessen.

Alle beteiligten Akteure auf Zypern haben eine Fülle von grundsätzlichen Differenzen, die bislang alle Verhandlungen erschwerten oder zum Scheitern brachten - so auch den Annan-Plan. Für die Republik Zypern gelten die Erhaltung des Status quo ante 1974 (Schaffung eines Bundesstaates mit einer starken, von der griechischen Mehrheit entscheidend beeinflussten Zentralgewalt; dies wird bei einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von rund 800.000 bei 80 Prozent verständlich), mit ethnisch bestimmten, in der Hoheitsgewalt auf enge Bereiche der Selbstverwaltung begrenzten Teilstaaten für Zyperntürken und Zyperngriechen und die erst ab 2002 vorhandene Akzeptanz einer politischen Gleichberechtigung der beiden Volksgruppen als Kernelemente für Gespräche. Im Zentrum steht ein Gesamtstaat, der rechtlich die Fortsetzung von 1960 darstellt.

Griechenland betrachtet Zypern als Teil seines Staates. Ein Grossteil seiner Außenpolitik ist auf das Feindbild Türkei ausgerichtet, wobei die Zypernfrage ein Instrument des griechischen Nationalismus ist. Daran hat sich - wenngleich der Ton etwas moderater wurde - auch in der Annäherungsphase seit 1999 nichts geändert. Die Erhaltung des Status quo ante 1974 ist Kernelement der griechischen Position.

Die türkisch-zypriotische Seite (TRNC) fordert die Abschaffung des Status quo ante 1974, das heißt Schaffung eines Bundes zweier grundsätzlich gleichberechtigter, mit weitgehenden politischen Rechten ausgestatteter Staaten, die durch eine schwache, mit wenig klar begrenzten Funktionen ausgestattete Zentralinstitution verbunden sind. Träger der Souveränität bleiben aber die beiden Partnerstaaten. Anstatt einer Rücksiedlung sollen Entschädigungszahlungen für griechische Zyprioten geleistet werden. Auswärtige Mächte, zu denen in jedem Fall die Türkei gehört, garantieren die Sicherheit der Insel (Beibehaltung des Garantievertrages von 1960).

Die Türkei sieht sich als alleinige Schutzmacht für die Zyperntürken. Die TRNC wurde bislang nur von ihr anerkannt. Die Türkei will den Status quo ab 1974 (Teilung) unbedingt erhalten. Sie versuchte in den vergangenen Jahren, die TRNC durch eine gezielte Vertragspolitik stark zu binden, wobei eine Totalintegration (de facto und de iure) in die Türkei nicht ausgeschlossen werden kann. Bemerkenswert ist, dass gerade die Türkei eine sehr aktive Rolle in den letzten Verhandlungen einnahm - wohl auch, weil man sich daraus eine positive Stimmung für die eigenen EU-Beitrittsambitionen versprach.

Die Rollen der drei Akteure USA - NATO - Großbritannien fließen ineinander. Die USA leisteten in den vergangenen Jahren wertvolle Vermittlerdienste. Eine Lösung der Zypernfrage wäre für die USA ein wesentlicher Schritt zur Beruhigung der Region und hätte auch für andere Konfliktherde Symbolwirkung. Großbritannien hat eine Doppelfunktion - NATO-Mitglied und Garantiemacht. Zypern hat dabei einen besonderen Stellenwert, war doch die Insel jahrelang Teil des Commonwealth und hatte eine wichtige strategische Bedeutung. Bisherige Vermittlungsversuche waren nur wenig erfolgreich.

Die EU steht 2004 vor einem Dilemma. Aufgrund der jahrelangen Politik der Nicht-Involvierung und der Instrumentalisierung seitens Griechenlands ist man mit einer unlösbaren Lage konfrontiert. So wurde man von einer Vermittlerpartei zur betroffenen Fraktion und ist somit nicht unbedeutender Teil des Problems. Lösungen lassen nach wie vor auf sich warten, denn die "halbe Aufnahme" kann keine Lösung sein. Mangelnde strategische Fähigkeiten und eine unzureichende Einschätzung der Lage seitens der EU sind ein wesentlicher Teil des vorliegenden Problems. Darüber hinaus hat die Union nie eine eigene Position erarbeitet, wie aus ihrer Sicht die Lösung aussehen sollte. Hier wurde eine historische Chance verpasst.

Die Vereinten Nationen sind aufgrund des UN-Kontingents bereits seit den 60er-Jahren in das Geschehen auf Zypern involviert. Der letzte einer Reihe von UNO-Versuchen ist der Annan-Plan. Trotz größter Verhandlungsbemühungen scheiterte Annans Plan vorläufig im März 2003. Im Dezember 2003 tat sich nach den Wahlen im Nordteil Zyperns ein nochmaliges "window of opportunity" auf. Gegner und Befürworter eines EU-Beitritts und einer Lösung erhielten nahezu gleich viele Stimmen; für die Befürworter war dies dennoch ein Sieg nach Jahrzehnten des Mauerns. Die Wahlen wurden zu einem Votum für eine umfassende Lösung.

Die USA erkannten dies und drängten alle Beteiligten, sich wieder an den Verhandlungstisch zu setzen - auch im Hinblick auf die von ihnen vorgeschlagene Befriedung der Großregion im Rahmen der "Greater Middle East". Vor allem nach dem Irak-Krieg hat jede Konfliktlösung in diesem Gebiet eine Katalysatorfunktion. Dies gilt auch für Lösungen auf dem Balkan (zum Beispiel Kosovo).

UN-Generalsekretär Annan stellte seinen Plan mit Ergänzungsvorschlägen am 10. Februar 2004 für neuerliche Gespräche zur Disposition. Man vereinbarte ein dreistufiges Verfahren. Sollte es bis 22. März 2004 nicht gelingen, auf bikommunaler Ebene zu einer Lösung zu kommen, so würden bis 31. März 2004 Vertreter der beiden Mutterstaaten beigezogen. Sollten auch diese zu keiner tragfähigen Lösung kommen, so würde Kofi Annan einschreiten und die Lösung vorgeben. Diese würde am 24. April 2004 der Bevölkerung im Rahmen eines Referendums vorgelegt werden. Die Verhandlungen waren von Beginn an von großer Zögerlichkeit und Blockaden charakterisiert. In der ersten Runde wollten weder Denktasch noch Papadopoulos als diejenigen dastehen, die die Verhandlungen zum Scheitern brachten. In der zweiten Runde signalisierte man auf der Ebene der Garantiestaaten die Verhandlungsspielräume. Der Plan in seiner vierten und letzten Fassung umfasste rund 200 Seiten mit einer Annexe von etwa 9.000 Seiten mit 131 Gesetzen und 1.134 Verträgen, die für den neuen Staat bindend sind.

Für die Aufteilung der Macht wurde eine lose Föderation nach Schweizer Vorbild vorgeschlagen; die Vereinigte Republik Zypern wird als ein unabhängiger Staat in der Form einer "unauflöslichen Partnerschaft" definiert. Sie besteht aus zwei gleichberechtigten Teilstaaten mit weitgehenden Befugnissen; diese dürfen in Übereinstimmung mit der Verfassung eigene wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen mit dem Ausland pflegen. Das Parlament des Gesamtstaates besteht aus zwei Kammern, einem Senat und einem Abgeordnetenhaus mit je 48 Mitgliedern. Dem Senat gehört eine gleiche Anzahl von griechischen Zyprioten und türkischen Zyprioten an. Das Abgeordnetenhaus setzt sich proportional zur Bevölkerung der beiden Teilstaaten zusammen, wobei jeder Teilstaat mindestens einen Viertel der Sitze innehabt. Für Entscheidungen reicht in beiden Kammern die einfache Mehrheit. In speziellen Fällen ist eine Mehrheit von zwei Fünfteln der Senatoren jedes Teilstaats notwendig. Die Exekutive bildet ein für fünf Jahre vom Parlament gewählter Präsidialrat.

Die Frage der Entmilitarisierung ist für die griechische Seite von größter Bedeutung, sind doch seit 1974 im nördlichen Teil 35.000 türkischen Soldaten stationiert. Laut Vorschlag darf die Stärke der türkischen und der griechischen Truppe bis 2011 je 6.000 Mann nicht überschreiten. Nach einem möglichen Beitritt der Türkei zur EU liegt die Obergrenze für die griechischen Truppen bei 950 Mann, für die türkischen bei 650. Ein weiterer delikater Punkt sind die territorialen Rückgaben. Der türkisch-zypriotische Inselteil umfasst etwa 37 Prozent des Territoriums bei einem Bevölkerungsanteil von 20 Prozent. Nach griechischen Angaben verbleiben dem türkischen Teilstaat gemäss dem letzten Vorschlag noch 29 Prozent. Damit müssen acht Prozent an die griechischen Zyprioten übergeben werden, und zwar in einem Zeitraum von 42 Monaten (unter UN-Aufsicht). Heiß diskutiert wurden auch die Bewegungs- und die Niederlassungsfreiheit. In die zurückgegebenen Gebiete können etwa 90.000 griechische Zyprioten zurückkehren - falls sie wollen. Die dort wohnhaften Türkischzyprioten müssten umgesiedelt werden.

Mittlerweile scheint klar, dass - falls alle Mitglieder ratifizieren - de iure Gesamtzypern, de facto aber nur der Südteil aufgenommen wird. Damit würde die Insel ethnisch geteilt, und die EU-Grenze wäre mitten durch einen Mitgliedstaat gezogen. Damit käme es zur absurden Situation, dass ein Mitgliedstaat von einem Nicht-Mitglied und gleichzeitigem Beitrittswerber völkerrechtswidrig militärisch besetzt wäre. Somit sind alle Verlierer. Neben Zypern würde dies vor allem auf die Türkei zutreffen. Wie kann die EU mit der Türkei Verhandlungen führen, wenn sie eines ihrer Mitglieder nicht anerkennt (trotz der durchaus positiven Rolle, die die türkische Delegation in der letzten Phase der Verhandlungen spielte)? Stabilisiert ein geteiltes Zypern die Großregion?

Gleich wie die Entwicklung geht - sie wird für alle Beteiligten eine große Herausforderung - denn auch ein Zusammenleben will gelernt werden. Dies wird Generationen dauern - mit und ohne EU.

Andrea Riemer ist Professorin für Völkerrecht in Wien.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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