Max fotografiert mit seiner Digitalkamera noch schnell die Szenen aus der Bibel, die die Wände des Vorraums im Gästehaus der Abtei schmücken. "Das glaubt mir ja sonst kein Mensch", sagt der Sunnyboy und lacht. Seine 47 Jahre sieht man dem großen, sportlichen Mann in Jeans und Turnschuhen nicht an. Immer für einen Spruch gut, scheint er sich gerade zu fragen: Was macht ein erfolgreicher Türenfabrikant aus Westfalen in einem fränkischen Benediktinerkloster? In zehn Minuten beginnen die drei "Einkehrtage für Unternehmer". Es klingt wie ein Versprechen: Seminar-Idylle im Kloster Münsterschwarzach.
Der Unternehmer Max ist im Porsche vorgefahren, die Mönche leben vom Lohn Gottes, zumindest spirituell. Max sucht hier etwas, was er in seiner Welt nicht findet. Ora et labora: Wer ein erfolgreiches Wirtschaftsunternehmen führen will, sollte öfter die Regeln des Heiligen Benedikt lesen. Im ältesten Orden der katholischen Kirche bestimmt die Gemeinschaft das Füreinander und Miteinander. Die Hierarchien sind streng, der Tag ist genau eingeteilt: Fünf Mal am Tag beten die Mönche, ihre Speisen nehmen sie nur im Refektorium zu sich. Ihr Zusammenhalt steht im Sinne eines höheren Ziels: dem Weg zu Gott. Das ist die Existenzbedingung und das Erfolgsgeheimnis des Ordens.
Seit einigen Jahren entwickelt sich diese Erkenntnis zum Trend. Manager gehen neuerdings ins Kloster anstatt zu Gurus, die laut "Schacka Schacka" rufen. Gerade in Krisenzeiten, in denen der gesellschaftliche Wunsch nach Besinnung auf die wahren Werte das Versagen des Marktes kompensieren soll, schätzen die Menschen spirituelle Anreize. "Benedikt for Management" nennen die Mönche solche Kurse. Ein Versuch, ihre klösterliche Welt mit der Business-Sprache zu verbinden. Die Firmenchefs lernen dort, dass Unternehmensführung keine reine Zahlenspielerei ist. In der Regel des Heiligen Benedikt heißt es über den Abt: "Er zeige bald den Ernst des Meisters, bald die Güte des Vaters..., er soll allen die gleiche Liebe erweisen und alle gleich behandeln entsprechend ihrer Tugenden und Fähigkeiten."
"Führen ist eine spirituelle Aufgabe", erklärt Kursleiter Pater Anselm Grün seinen aufmerksamen Zuhö-rern. Im Kreis sitzen sie nun, bewaffnet mit Block und Stift in dem sonnendurchfluteten Seminarraum:
20 Klein- und Mittelständler, die wie Max mehr interessiert als eine gute Bilanz am Ende des Jahres, die neugierig und teilweise noch etwas ungläubig sind an ihrem ersten "Einkehrtag". Krawatten und Kostüme gibt es hier nicht. Nur der Pater, trägt seine Berufskleidung, die schwarze Kutte, kommt aber ansonsten ohne weitere Utensilien aus. Kein Redemanuskript und auch keine Powerpoint-Präsentationen sind nötig, um die Teilnehmer spüren zu lassen, dass Geld verdienen auch etwas mit Ausstrahlung zu tun haben könnte. Die leuchtenden, dunklen Augen auf sie gerichtet, erzählt der Abt, der gleichzeitig Medienprofi- und Buchautor ist, vom Leben. Von einfachen Regeln, die jeder kennt, und von denen sich gerade Manager ablenken lassen, deren Leben wie ein Fließband auf High Speed läuft. Ab und zu streicht er mit seinen Händen durch den grauen Rauschebart.
Einige der Teilnehmer kennen seine Bücher: "Was im Leben wichtig ist", "Die Kostbarkeit der Seele" oder "Menschen führen - Leben wecken". Man kann sie sich auch anhören, wie es Regina tut. Über dem blauen Blazer ragen die Rüschen ihrer weißen Bluse hervor. Sie bezeichnet sich als "Fan" von Pater Anselm: "Jeden Morgen höre ich im Auto die CD 'Zwölf Engel für ein Jahr'." Jeden Morgen fährt sie, trotz ihres Rentenalters, in den Baustoffhandel, den sie mit ihrem Sohn betreibt. Mit tränenerstickter Stimme sagt die elegante Dame in der Vorstellungsrunde: "Ich erhoffe mir, ein bisschen Ruhe zu finden." Vor zwei Jahren starb ihr Mann. Ihre goldenen Ringe glänzen in der Sonne. Am Ende wird auch sie sich ein Autogramm holen. Schließlich ist der 59-jährige Anselm Grün ein Star, eine Instanz in Sachen Lebensberatung. Seine Bücher erreichen Millionenauflagen. Wäre er nicht Mönch, könnte er ein vermögender Mann sein.
Der Abt stützt sich auf psychologische Erklärungsmuster, biblische Geschichten und eigene Erfahrungen: andere Menschen führen zu wollen bedeutet, zunächst bei sich selbst anzufangen, mit sich und der eigenen Lebensgeschichte im Einklang zu sein. Verletzungen, und seien sie noch so lange her, können die Ursachen für Aggressionen sein, mit denen sie gestern noch einem Mitarbeiter begegnet sind, ihn eventuell gar selbst verletzt haben. "Aggression nach außen ist oft eine Aggression nach innen", sagt er. Eigenes Verhalten kritisch zu sehen, gilt natürlich nicht nur für Führungskräfte, kann ihnen aber helfen, auch das Verhalten der Mitarbeiter besser einzuordnen und so auf jeden entsprechend zu reagieren. Worum es ihnen gehen sollte, ist, ein Klima der Motivation in ihrer Firma oder Abteilung zu schaffen, erklärt der Pater. Das klingt für alle einleuchtend. Nur: "Wie mache ich es praktisch?", ist die zentrale Frage, die viele Teilnehmer bewegt. Was theoretisch nachvollziehbar ist, ist in bestimmten Konfliktsituationen oft nicht umsetzbar.
Immer wieder fordert Pater Anselm die Teilnehmer auf, sich in Kleingruppen zusammen zu setzen. "Wie geht man mit Leuten um, von denen man eine ganz dumme Antwort bekommt? Also, da werde ich wütend!", sagt Wilfried energisch. Im wirklichen Leben leitet der fast 60-Jährige eine Recyclingfirma. Er könnte aber auch Offizier sein. Seine Fragen klingen mitunter wie Befehle. Der Mönch im Kreuzverhör: "Welche Fragen stelle ich?", "Wie formuliere ich Gefühle?" Anselm Grün wirkt etwas irritiert: "Ich weiß jetzt gar nicht richtig, was Sie meinen", antwortet er milde lächelnd.
"Aber was zählen denn noch Werte?", richtet sich Max in der Kaffeepause an seine Tischnachbarn. Er sitzt mit zwei anderen Bauunternehmern im Speisesaal des Gästehauses, in dem es nachmittags Kuchen aus der eigenen Bäckerei gibt. Der Kaffee kommt aus einem Automaten. Die drei sind sich einig, dass sie in ihrem Berufsalltag in einem "Haifischbecken" agieren, in dem "jeder jeden über den Tisch zieht", in dem Dumpingpreise die Existenz vieler Betriebe bedrohen. "Verantwortung, Zuverlässigkeit und Qualitätsbewusstsein sind einfach nicht mehr wichtig", sagt Max und fordert: "Man müsste ein Netzwerk von Unternehmern schaffen, das sich wieder für Qualitätsstandards und den Dienstleistungsgedanken stark macht. Und Qualität hat nun mal ihren Preis."
Am Nebentisch ist die Diskussion schon weiter. Dort geht es um Disziplin, Strenge und Werteverfall: "Also, mir haben die Schläge in meiner Kindheit nicht geschadet." Im schwäbischen Dialekt von Tobias, dem Chef eines Handwerkbetriebes, klingen solche Sätze harmloser, als sie sind. Eine Debatte um Fragen der Kindererziehung ist entbrannt. Mit verschränkten Armen vor dem kräftigen Oberkörper sitzt Tobias wie jemand da, dem das Gerede um Einfühlung, Mitfühlen, Sich-selbst-fühlen reicht: "Was soll ich denn mit einem Mitarbeiter machen, der sich auch nach mehreren Hinweisen partout nicht einfügen will? Da nützen auch keine Psychospiele, sondern den kann ich dann einfach nur noch entlassen und fertig." Die Umsitzenden schauen etwas ratlos. Wegen der "Psychospiele" sind sie ja hier und nicht, weil sie wissen wollen, wie man einen Mitarbeiter entlässt. Martin, mit Ende 20 der jüngste Teilnehmer, bricht das Schweigen: "Und, haben sie dir auch genützt, die Schläge?" Verlegen und unsicher lächelt er und schweigt einen langen Moment: "Ich weiß nicht."
Am Abend im Restaurant "Zum Benediktiner" trifft sich die Gruppe. Nun duzt man sich schon, die Männer erzählen Witze, es wird gelacht. Wilfried erzählt wie ein Oberlehrer, warum die Ökosteuer "Quatsch" ist und wie eine Matratze richtig zu entsorgen sei. Aber Pater Anselm hat bereits seine Spuren in den Köpfen hinterlassen. "Ja, da sollte man einfach mal drüber nachdenken, wie man morgens in die Firma kommt und wie das auf die Mitarbeiter wirkt. Dass man es auch schafft, sie zu motivieren", fällt Wilfried plötzlich ein.
Aber die Unternehmer wären nicht Unternehmer, wenn sie sich nicht doch für eine Frage brennend interessieren würden: Wie überlebt eine Abtei eigentlich wirtschaftlich? Die Baustoffhändlerin Regina stellt fest: "Nur vom Beten können die ja auch nicht leben?" So steht es auch in der Regel des Benedikt: "Dann erst sind sie wirklich Mönche, wenn sie von der Arbeit ihrer Hände leben." Für Wilfried bleibt das Kloster ein realitätsferner Raum. Andererseits unterstellt er den Mönchen, nicht nur als Überzeugungstäter zu handeln: "Im Kloster führen sie doch ein relativ abgeschottetes, ruhiges Leben jenseits der harten Wirklichkeit." Er ist hier, um die kaufmännische Welt seiner Firma für drei Tage zu verlassen. Gleichwohl ist ein Leben ohne Geld und persönlichen Besitz für ihn wie für Regina völlig abwegig. Ernsthaft und voller Mitleid überlegt Regina nach einem Gespräch mit einem Ordensbruder deshalb: "Sollen wir ihm nicht 30 Euro geben? Er darf doch 30 Euro Taschengeld haben."
Den Benediktinern geht es jedoch nicht um individuellen Besitz, sondern um Gütergemeinschaft. Geld ist hier nur Mittel zum Zweck und nicht das Ziel. Das allein scheint die Kompetenzen des Klosters in wirtschaftlicher Hinsicht in Frage zu stellen. Dabei sind sie, die Gäste, das beste Beispiel, wie man auch als Kloster Geld in die Kasse bekommt. Pater Anselm, fast schon zur "Marke" geworden, publiziert seine Bestseller im klostereigenen Verlag, lässt sich seine Vorträge und Seminare gut bezahlen und interessiert sich trotzdem nicht für das Geld an sich. Geld ist nicht der Wert, sondern, das was mit ihm geschieht. Das bleibt auch nach den "Einkehrtagen" der Unterschied.
Claudia Heine ist Volontärin bei "Das Parlament". Die Namen der Seminarteilnehmer wurden von der Redaktion geändert.