Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 25 / 14.06.2004
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Martin Spiewak

Kinder mit fünf Elternteilen

Schöne neue Welt der Reproduktionsmedizin

Ein Informationsabend für Schwangere in einem deutschen Krankenhaus. Zwei Dutzend Paare sind gekommen und möchten von den Vorzügen überzeugt werden, gerade auf dieser Geburtsstation zu entbinden. Das anwesende Personal gibt sich redlich Mühe. Der Gynäkologe spricht von der "Individualität der Geburt". Die Schwestern zählen die Möglichkeiten der Niederkunft auf, die das Haus bietet: in der Wanne oder auf dem Hocker, hängend am Gebärtuch, rollend auf dem Petziball oder gemeinsam mit dem Mann im Bett.

Darüber hinaus stehen Aromatherapie, Homöopathie und Akupunktur im Angebot, und wenn gewünscht, schaltet die Rückenmarksspritze alle Wehenbeschwerden aus. Auch der Kaiserschnitt auf Wunsch ist eine mögliche Option, erfahren die anwesenden Paare: "Wir richten uns nach den besonderen Wünschen der Frau", sagt der Oberarzt der Entbindungsstation.

Das hören die Paare gern. Jahrelange haben viele von ihnen die Vor- und Nachteile eines Kindes vermessen, seine Chancen und Risiken kalkuliert: ob der Zeitpunkt der richtige ist, ob die Beziehung die Belastung aushält, ob die Karriere eine Unterbrechung erlaubt. Da darf man sich jetzt, wo das "Projekt Kind" zur Geburt ansteht, keiner Planlosigkeit schuldig machen.

Bloß nichts dem Zufall überlassen!

Es gab einmal eine Zeit, da kam der Nachwuchs über ein junges Paar wie ein Naturereignis, und die Kinder wurden ausschließlich gezeugt, indem zwei Menschen miteinander Sex hatten. Dann wartete Frau neun Monate, gebar zu Haus oder im 4-Bett-Kreißsaal des nächstgelegenen Krankenhauses, und mit Gottes Hilfe und Mutters Rat wurde aus zwei Menschen eine Familie. Manche Paare blieben kinderlos. Das Schicksal habe es nicht gewollt, hieß es dann.

All das ist knapp zwei Generationen her und scheint dennoch unendlich weit entfernt. Heute wollen moderne Paare nichts dem Zufall überlassen: weder den Zeitpunkt der Zeugung noch das Ergebnis, weder die Art der Geburt noch den Ort der Niederkunft. Die Planungswut produziert einen Heißhunger auf Information. Ob alternativ angehaucht oder eher pragmatisch, wissenschaftlich nüchtern oder voyeuristisch verkitscht: Die Experten und Ratgeber, TV-Serien und Spezialzeitschriften, auf die Schwangere zurückgreifen können, sind gewaltig. Allein beim Stichwort "Geburt" wirft der Internetbuchhandel Amazon 1281 Titel aus.

Niemals war die Zahl der geborenen Kinder in Deutschland so niedrig - und der Aufwand für die Vorbereitungen ihrer Ankunft so hoch. Zu keiner Zeit wurden Paare so spät erstmals Eltern - und stimmten sich gleichzeitig so früh in der Schwangerschaft darauf ein. Und klappt es nicht, steht die Fortpflanzungsmedizin bereit, dem Wunder der Zeugung auf die Sprünge zu helfen. Einfacher geworden ist das Kinderkriegen damit nicht. Im Gegenteil: Kein Schicksal mehr zu haben ist auch ein Schicksal, und zwar kein leichtes.

Dabei hat sich am Urwunsch, Nachwuchs in die Welt zu setzen, nichts geändert. Auch heute gehören Kinder zu einem erfolgreichen Menschen und einer gelungenen Biographie. In Zeiten der Krise vielleicht sogar mehr denn je. Laut einer im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft erstellten Umfrage hielten nur zehn Prozent der Befragten ein Leben ohne Kinder für erstrebenswert, 14 Prozent der Männer, fünf Prozent der Frauen. Doch die Entscheidung zum Kinderkriegen wird immer wieder verschoben. 20-Jährige antworteten, das beste Alter, Nachwuchs zu zeugen, sei mit 26 Jahren. Befragte zwischen 21 und 30 gaben als idealen Moment zum Mutterwerden 29 an, die Befragten zwischen 31 und 40 Jahren schließlich 36. Ebenso wuchs die Gemeinde der Spätgebärenden über 34 Jahre in diesem Zeitraum von 1,3 auf 22 Prozent.

Doch lassen sich Paare zu lange Zeit und entscheiden sich erst ab Mitte Dreißig für ein Kind, wird das Zeitfenster schmal und die Biologie zum Risiko. Denn das Alter einer Frau ist der wichtigste Indikator, ob es mit dem Kinderwunsch noch klappt - und der Hauptgrund, warum die Zahl der künstlichen Befruchtungen in Deutschland stetig steigt. Rund 50.000 Paare haben 2002 in Deutschland versucht, mithilfe der Reproduktionsmedizin Eltern zu werden. Vor sechs Jahren waren es nur halb so viele, vor 16 Jahren nicht einmal ein Zehntel. Zwischen zehn und 15 Prozent aller Paare haben Probleme mit dem Elternwerden, das heißt sie warten mindestens ein Jahr vergeblich auf eine Schwangerschaft. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich ungewollte Kinderlosigkeit zu einem stillen Volksleiden entwickelt, zu einer Alterskrankheit der besonderen Art.

Fragt man, warum die Zahl der In-Vitro-Fertilisation-Behandlungen (IVF) so rasant gewachsen ist, so gibt es noch einen zweiten Grund: Der Nachfrage steht ein Angebot von Praxen gegenüber, die bestrebt sind, ihren Kundenstamm zu verbreitern. Manfred Stauber, ein Reproduktionsmediziner der ersten Stunde, schrieb bereits 1996 in einem Gutachten für das Bundesgesundheitsministerium: "Patientenpaare fragen oft mit großer Ungeduld nach der erfolgversprechendsten Behandlungsmethode und fordern diese häufig mit grenzenloser Risikobereitschaft und ohne Rücksicht auf Kosten in den Spezialpraxen ein. Ärzte begeben sich dabei nicht selten in eine unheilvolle Allianz - nicht zuletzt aus profitorientierten Gründen."

Mittlerweile bevölkern mehr als eine Million Menschen die Welt, die nicht im Mutterleib, sondern per IVF im Labor entstanden sind. In den USA, wo nahezu alles erlaubt ist, leben Kinder mit fünf Elternteilen: dem Samenspender und der Eizellgeberin als den genetischen Erzeugern, der biologischen Mutter, die das Kind ausgetragen hat, sowie den sozialen Eltern, bei denen das Kind aufwächst. Babymachen nach der Baukastenmethode.

Zugleich eröffnet die Medizin immer neue Chancen, nicht nur irgendein Kind, sondern ein gesundes Kind zu bekommen. Die Pränataldiagnostik schuf mit Ultraschall und Fruchtwasseruntersuchung die Möglichkeit, behinderte Kinder im Mutterleib zu erkennen und abzutreiben. Die Präimplantationsdiagnostik (PID) verlegt den Test, unerwünschte Krankheiten aufzuspüren und zu vermeiden, zeitlich bereits kurz hinter die Zeugung. Auch das Geschlecht ihres Kindes können sich Eltern dank PID mittlerweile bereits aussuchen. In Deutschland freilich ist das verboten. Schon ist es denkbar, werdendes Leben durch Eingriffe ins Erbgut zu reparieren - oder gar zu veredeln. Wie in einem Restaurant, verheißt der Biologe und Buchautor Robin Baker, werden die Menschen in Zukunft einem Menü gleich auswählen, in welcher Konstellation sie ihr Erbgut kreuzen und welche genetischen Eigenschaften ihr Nachwuchs tragen soll.

"Neunmonatiges Risiko"

Solche Spekulationen werden von allen seriösen Fruchtbarkeitsmedizinern zurückgewiesen. Realität ist jedoch, dass immer mehr Paare ihren Nachwuchs - in erster Linie aus Angst vor Behinderungen - vor der Geburt testen lassen. Drei Ultraschallbefunde, optionaler Bluttest bei der Mutter, im Verdachtsfall Punktion des Mutterkuchens oder Kontrolle des Fruchtwassers gehören heute zum Standardangebot vorgeburtlicher Untersuchungen. Insbesondere die Zahl der Fruchtwasseruntersuchungen ist in den vergangenen drei Jahrzehnten steil angestiegen: von 1.796 im Jahr 1976, als die staatlichen Krankenkassen die Kosten des Eingriffs übernahmen, auf 15.888 bereits 1982. Zurzeit werden rund 80.000 Diagnosen pro Jahr gestellt. Längst sind es nicht mehr nur Spätgebärende, die den Chromosomencheck machen lassen. Spricht man mit Frauen, die vor 40 Jahren ihre Kinder bekamen, kann sich kaum eine an eine Angst erinnern, ein geschädigtes Kind zu bekommen. Heute ist die Sorge um das Ungeborene ein zuverlässiger Begleiter der Schwangerschaft. Aus dem Zustand der guten Hoffnung wurde ein neun Monate währendes Risiko.

Martin Spiewak ist Redakteur bei der "Zeit".


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