Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 26 / 21.06.2004
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Hartmut Hausmann

Grundkonsens über Europäische Verfassung trotz einiger Vorbehalte Großbritanniens

Schwierige Verhandlungen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union

Bei dem Gipfeltreffen der EU am 17. und 18. Juni in Brüssel zeichnete sich bei den Verhandlungen der EU-Staats- und Regierungschefs am zweiten Tag eine Einigung über die Europäische Verfassung ab. Das Ergebnis lag aber bei Redaktionsschluss ebenso wenig vor, wie ein Beschluss zur Benennung des neuen Kommissionspräsidenten. "Das Parlament" wird in der nächsten Ausgabe ausführlich darüber berichten.

Im ersten Anlauf zur Regelung der Nachfolge von Romano Prodi als Präsident der EU-Kommission hatte sich die Diskussion auf zwei Kandidaten konzentriert. Deutschland und Frankreich hielten weiter an dem von ihnen vorgeschlagenen liberalen belgischen Ministerpräsidenten Guy Verhofstadt fest. Er hätte auch die Unterstützung der meisten anderen Länder erhalten, nachdem der allgemeine Wunschkandidat, der Luxemburger Regierungschef Jean-Claude Juncker, den Posten eindeutig abgelehnt hatte, weil er seinen Wählern ein Verbleiben in der nationalen Politik versprochen hatte. Verhofstadt aber wurde vehement vom britischen Premier Tony Blair als zu integrationsfreundlich abgelehnt, wohl auch, weil er sich als einer der Wortführer gegen den Irak-Krieg hervorgetan hatte.

Da sich diese Konfrontation schon vor dem Gipfel abgezeichnet hatte, beschloss die Mehrheit der konservativen und christdemokratischen Regierungschefs in einem Treffen unmittelbar vor Gipfelbeginn, den gegenwärtigen britischen EU-Außenkommissar und früheren Gouverneur von Hongkong, Chris Patten, als Kandidaten zu benennen. Als einziger in diesem Kreis hatte der französische Ministerpräsident Jean-Pierre Raffarin diese Nominierung abgelehnt. Eine Einigung kam nach mehrstündigen Beratungen nicht zustande und die Runde kam überein, die Frage zum Ende des Gipfels noch einmal auf die Tagesordnung zu setzen. Dann werde die Kür des Kommissionspräsidenten mit "acht oder neun Kandidaten" ganz neu eröffnet, erklärte der gegenwärtige EU-Ratsvorsitzende Berti Ahern zum Abschluss des ersten Gipfeltages eine Stunde nach Mitternacht. Zur Begründung seiner grundsätzlichen Ablehnung Pattens sagte Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac, er werde niemals einen Kommissionspräsidenten aus einem Land akzeptieren, das nicht in allen Politikbereichen der EU integriert sei. Großbritannien ist weder Mitglied der Europäischen Währungsunion, noch hat es das Schengener Abkommen zur Freizügigkeit des Personenverkehrs in der EU voll übernommen.

Da die übrigen bisher in die Diskussion gebrachten Kandidaten wie der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der portugiesische Ministerpräsident José Manuel Durao Barroso, der bisherige Präsident des Europäischen Parlaments Pat Cox oder der portugiesische EU-Kommissar Antonio Vitorino nicht unbedingt als ideale Besetzung gelten, könnte der von den deutschen Christdemokraten im Europäischen Parlament gemachte Vorschlag Gehör finden, diese Personalentscheidung erst Anfang nächsten Monats unter niederländischem EU-Vorsitz zu treffen. Es bestehe überhaupt keine Notwendigkeit jetzt eine Entscheidung erzwingen zu wollen, meinte der Obmann der CDU-Abgeordneten in Straßburg, Hartmut Nassauer.

Angesichts dieser schlechtesten aller Lösungen wuchs erneut der Druck auf Juncker, den sowohl der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder als auch der Ire Ahern am frühen Morgen des zweiten Tages noch einmal umzustimmen versuchten. Sollte dieser weiter bei seiner Haltung bleiben und sich bis zum Abend kein für alle 25 Mitgliedstaaten akzeptabler Kompromisskandidat gefunden haben, so verlautete aus mehreren Delegationen, könnte die Wahl auf Berti Ahern selbst fallen, zumal wenn es ihm gelungen sein sollte, alle EU-Staaten auf den von ihm am 16. Juni vorgelegten Änderungsvorschlag für die Europäische Verfassung einzuschwören. Der erste Versuch, einen europäischen Verfassungsvertrag zu verabschieden, war im vergangenen Dezember gescheitert.

Die Chancen dafür, dass am 18. Juni ein Einvernehmen zu erreichen ist, wurden kurz vor Ende des Treffens als günstig eingestuft. Zum einen haben Spanien und Polen als größte Blockierer im Dezember nun unter ihren neuen Regierungschefs bereits Kompromissbereitschaft erkennen lassen. Zum anderen wird dem Iren Ahern wesentlich größeres Verhandlungsgeschick bescheinigt als im Dezember Italiens Ministerpräsident Berlusconi, um das Vorhaben durchzusetzen, der EU eineinhalb Monate nach der größten Erweiterung ihrer Geschichte eine Verfassung zu geben und sie damit für die Zukunft handlungsfähig zu machen.

In den von Ahern vorgelegten Kompromissvorschlägen zu den besonders umstrittenen Fragen bleibt die irische Regierung dabei, für Entscheidungen im EU-Ministerrat eine doppelte Mehrheit vorzusehen. Gegenüber dem früheren Vorschlag, dass für eine Entscheidung mindestens 50 Prozent der EU-Staaten zustimmen, und diese gleichzeitig 60 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren müssen, wurden nun 55 und 65 Prozent vorgesehen. Damit würde den kleineren Ländern mehr Einfluss gewährt, da nicht mehr nur drei große Länder eine Entscheidung blockieren könnten. Eine Einigung über diese Frage konnte am ersten Gipfeltag noch nicht gefunden werden. Ahern kündigte deshalb an, am 18. Juni ein neues Zahlenmodell vorzulegen, das Polen und Spanien noch etwas stärker entgegenkommen soll. Immerhin sei das Prinzip der doppelten Mehrheit inzwischen akzeptiert.

Weiter sieht der Kompromissvorschlag vor, die Zahl der EU-Kommissare ab 2009 auf 18 zu begrenzen, wobei noch unklar ist, wie die Auswahl genau getroffen werden soll. Als Zeitpunkt für den Beginn dieser Regelung ist das Jahr 2014 im Gespräch, auf das sich die Außenminister zuvor geeinigt hatten. Für die kleinen Länder sei es besonders wichtig, hob Luxemburgs Regierungschef Juncker hervor, dass bei dem Rotationsverfahren alle Länder unabhängig von ihrer Größe gleichberechtigt behandelt werden sollen.

Nach dem noch gültigen Vertrag von Nizza soll die Regelung "ein Kommissar pro Land" bis zur Aufnahme Rumäniens und Bulgariens gelten. Danach sollte eine noch nicht beschlossene Verringerung der Zahl der Kommissare erfolgen. Der Verfassungskonvent hatte wiederum ein Mischsystem aus stimmberechtigten und nicht stimmberechtigten Kommissaren nach dem Rotationsprinzip vorgeschlagen. Akzeptiert wurde aber in der ersten Verhandlungsrunde die im Kompromisspapier vorgeschlagene Änderung, dass die Zahl der Sitze im Europaparlament pro Land auf mindestens sechs erhöht werden soll. Dadurch würde Malta einen Sitz mehr erhalten.

Der Forderung der Länder Malta, Tschechien, Italien, Litauen, Polen, Portugal und der Slowakei, aber auch der deutschen Christdemokraten nach einer Erwähnung der christlichen oder christlich-jüdischen Wurzeln Europas gab der irische Vorsitzende nicht nach. Es soll bei der schon vom Verfassungskonvent vorgesehenen Formulierung der "kulturellen, religiösen und humanistischen Überlieferung" Europas bleiben.

Zu längeren Diskussionen führte der Vorstoß der Iren, im Sinne Deutschlands und Frankreichs die Kompetenzen der EU-Kommission beim Stabilitätspakt zum Schutz der gemeinsamen Währung zu beschneiden. Ahern räumte nach der ersten Aussprache ein, dass es schwer sei, hier den richtigen Mittelweg zu finden. Brüssel soll nach dem Willen der Präsidentschaft nur noch Empfehlungen geben dürfen, die dann im Finanzministerrat im Geheimverfahren mit einfacher Mehrheit überstimmt werden könnten. Obwohl die Vorschläge der Kommission bisher verbindlich sein sollten, hatten sich die Finanzminister im Fall Deutschlands und Frankreichs, die beide unzulässige Haushaltsdefizite aufweisen, über den Vorschlag der Kommission, Sanktionen gegen Paris und Berlin einzuleiten, hinweggesetzt. Die Brüsseler Behörde hat deshalb bereits den Europäischen Gerichtshof angerufen. Der Verfassungskonvent hatte vorgesehen, dass Beschlussvorlagen der Kommission nur einstimmig von den Finanzministern abgelehnt werden können.

Für heftige Diskussionen sorgte der britische Vorstoß, weitere Abstriche an der Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat zu machen, obwohl der irische Vorsitz den britischen Vorbehalten schon entgegengekommen war. So soll das Einstimmigkeitsprinzip auf Londoner Wunsch nicht nur in der Steuerpolitik und weitgehend auch in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik erhalten bleiben, sondern auch bei Beschlüssen zur Betrugsbekämpfung in Einwanderungsfragen erhalten bleiben. Außerdem bestand er bei der Regelung des jährlichen Haushaltsrabatts für Großbritannien auf seinem Vetorecht. Diese "red lines", die Blair nach eigenen Worten unter keinen Umständen überschreiten kann, ließen aber keinen Raum für weitere von ihm verlangte Einschränkungen bei der Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtecharta in der neuen Verfassung, hieß es übereinstimmend aus mehreren Delegationen.

Der noch amtierende Präsident des Europäischen Parlaments Pat Cox hatte bei seinem traditionellen Auftritt vor den "Chefs" zum Auftakt des zweiten Tages die Ergebnisse der Europawahlen vom 10. bis 13. Juni interpretiert. Für die niedrige Wahlbeteiligung - 49 Prozent in den 15 "alten" EU-Mitgliedstaaten und um die 20 Prozent in den neu aufgenommenen Ländern - sei nicht allein das Europaparlament verantwortlich zu machen, sondern die große Kluft zwischen den EU-Institutionen insgesamt und den Bürgern. Dies stelle eine klare Aufforderung an die Regierungschefs dar, Europa als Thema auf die Tagesordnung zu setzen.

Eine Verschiebung der Nominierung des künftigen Kommissionspräsidenten stelle organisatorisch kein unüberwindliches Hindernis dar, sagte Cox bei dieser Gelegenheit. Vom Europäischen Parlament müsse der neue Kommissionspräsident erst am 21. Juli gewählt werden. Besser sei es jedoch, das "business" jetzt zu machen. Cox, der nicht wieder als Abgeordneter des Parlaments kandidiert hatte, sagte, auf seine eigene Person als Kandidat für das Amt des Kommissionspräsidenten angesprochen, entweder er habe bald sehr viel zu tun, oder aber er könne nun erst einmal in Ruhe Urlaub machen.


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