Auf rund zehn Milliarden Euro beziffert das bayerische Justizministerium den Gewinn, den Kriminelle jedes Jahr in Europa aus der Zwangsprostitution ziehen. Das Risiko, dabei erwischt zu werden, ist immer noch gering. International organisierte Banden locken junge Frauen vor allem aus den armen Ländern Osteuropas mit angeblichen Jobs als Au-pair-Mädchen, Verkäuferinnen oder Kellnerinnen in den Westen. Hier nehmen sie ihren Opfern die Ausweise ab, sperren sie ein und zwingen sie in die Prostitution. Rund 500.000 junge Frauen arbeiten nach Schätzungen der EU-Kommission derzeit illegal unter Zwang als Prostituierte in der Europäischen Union.
Die Geschichten der Mädchen klingen alle gleich. Doch es sind die wahren Geschichten von Elena, Svetlana oder Ljuba, aus der Ukraine, aus Litauen oder aus Moldawien. Sie leben in trostlosen Dörfern, wo der bestbezahlte Mann, der Polizist, 25 Euro im Monat nach Hause bringt. Alle anderen überleben mit ein paar Schweinen und einem kleinen Feld hinter dem Haus. Die Männer schmuggeln, die Frauen sitzen zuhause und haben die Hoffnung aufgegeben. In Moldawien ist die Wirtschaftsleistung seit dem Ende der Sowjetunion um 70 Prozent gesunken, sieben von zehn haben keine Arbeit - und keine Perspektive. Das Land verfällt.
Freunde, Cousins oder andere weit gereiste Männer versprechen jungen Mädchen eine Stelle als Haushaltshilfe in Deutschland oder als Kellnerin in Frankreich. 1.000 Euro im Monat. Für die Moldawierinnen eine unvorstellbare Summe. "Wer geht, kann verlieren, wer bleibt, hat schon verloren", zitiert Manfred Paulus in seinem Buch "Frauenhandel und Zwangsprostitution" eine Moldawierin. In manchen Dörfern ist jedes zweite Mädchen verschwunden - "mit den Zigeunern gegangen", wie die Einheimischen sagen.
Die meist sehr jungen Mädchen glauben den Versprechungen ihrer falschen Freunde, verschulden sich für die vermeintliche Reise ins Glück. Statt des Jobs bekommen sie Prügel und einen Zuhälter. 1.000 bis 1.500 Euro zahlen Sklavenhändler auf den Märkten des Balkans für "Frischfleisch" aus dem Osten. Von hier aus verkaufen sie die Ware Mensch weiter.
"Den Markt schaffen die Männer", urteilen die CDU-Bundestagsabgeordneten Ute Granold und Siegfried Kauder. Sie wollen deshalb - wie die bayerische Justizministerin - auch Männer bestrafen, die als Freier die Lage der jungen Frauen ausnutzen.
SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben im Mai einen "Gesetzentwurf zur Änderung der Tatbestände über den Menschenhandel" in den Bundestag eingebracht. Schon wer auf sein Opfer einwirkt, um es in die Prostitution oder zu sonstigen "sexuellen Handlungen" zu zwingen, soll für bis zu fünf Jahre hinter Gittern verschwinden. Bis zu zehn Jahre Haft drohen denjenigen, die ihr Ziel dabei nachweislich erreicht haben.
Nach dem neuen Paragrafen 233 des Strafgesetzbuchs soll auch der Menschenhandel "zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft" mit bis zu zehn Jahren Haft geahndet werden. Wie beim Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung (Paragraf 232) sollen nun schon die Täter bestraft werden, die auf ihr Opfer einwirken, um es in Sklaverei, Leibeigenschaft oder Schuldknechtschaft zu bringen. Gleiches gilt für "Beschäftigungsverhältnisse, deren Bedingungen in auffälligem Missverhältnis zu den Arbeitsbedingungen anderer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stehen, die die gleiche oder eine vergleichbare Tätigkeit ausüben."
Der Heiratshandel gilt in Zukunft als besonders schwerer Fall der Nötigung. Gemeint sind damit Leute, die junge Mädchen aus dem Ausland gegen ihren Willen nach Deutschland schaffen, um sie hier zu verheiraten.
Mehr Schutz für die Opfer und beweisfeste Aussagen vor Gericht erhoffen sich SPD und Grüne vom neuen Paragrafen 154 c der Strafprozessordnung: Danach können die Staatsanwaltschaften die Verfahren gegen die Opfer - etwa wegen illegaler Einreise nach Deutschland - einstellen, wenn diese gegen ihre Peiniger aussagen. Viele Kritikerinnen in den Beratungsstellen verlangen mehr: Sie wollen, dass die Ermittlungsverfahren gegen die Opfer eingestellt werden.
Die Berliner Rechtsanwältin Regina Kalthegener, vertritt in vielen Prozessen gegen Menschenhändler die Nebenklage der Opfer. Sie hofft, dass die neuen Paragrafen "zumindest Kleinkriminelle" abschrecken und mehr "öffentliches Bewusstsein" für das Thema schaffen. Sie kritisiert, dass nach den neuen Vorschriften nur die Menschenhändler bestraft werden sollen, die mit ihren Taten einen "Vermögensvorteil" erzielen wollen. Wem dies nicht nachzuweisen ist, kann nur wegen schweren Menschenhandels bestraft werden. Dies setzt allerdings voraus, dass das Opfer jünger als 14 war, die Täter nachweislich Gewalt oder List angewendet haben und/oder das Opfer in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht haben.
Fehlende psychologische Betreuung
Gegen den Gesetzentwurf von Sozialdemokraten und Grünen im Bundestag liest sich der Forderungskatalog der CDU-Abgeordneten Ute Granold wie das Happy End eines Märchens: Granold verlangt "eine flächendeckende, fachgerechte Betreuung der Opfer unter Berücksichtigung ihrer sozialen und psychologischen Bedürfnisse" und "ein Modellprojekt der mobilen Krisenintervention, das unmittelbar nach dem Polizeieingriff die Opfer betreut und so im Moment der Krise traumatische Schäden mildert".
Die deutsche Wirklichkeit sieht anders aus: Im Mai hat die CDU- Staatsregierung in Sachsen der erfolgreichen Hilfsorganisation Karo die Zuschüsse gestrichen. Die Unterstützung von Prostituierten auf tschechischem Territorium sei Sache der dortigen Regierung, lautete die Begründung, obwohl vor allem deutsche Männer die Bordelle gleich hinter der Grenze besuchen.
Mitarbeiterinnen von Opferberatungsstellen wie Uta Ludwig, Leiterin von Belladonna in Frankfurt/ Oder, loben den Gesetzentwurf von SPD und Grünen als Schritt in die richtige Richtung. Wichtiger als neue Gesetze seien allerdings eine bessere Ausstattung der Polizei und mehr Geld für diejenigen, die sich der Opfer annehmen. Rund 250.000 Euro im Jahr bekommt Brandenburgs einzige Beratungsstelle für Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhandel vom Land. "Wir bräuchten mindestens das Doppelte", berichtet Uta Ludwig und verweist auf die Zahlen: Jedes Jahr suchen mehr als 800 Frauen Unterstützung bei Belladonna. Von den etwa 1300 jungen Frauen, die in den Bordellen an der Oder arbeiten, würde jede Zweite zur Prostitution gezwungen.
Für falsche Pässe und die Reise nach Deutschland verschulden sich die Frauen bei ihren späteren Zuhältern. 3.000 Euro verlangten diese für einen falschen polnischen Pass, weitere 3.000 für den Transport in den Westen. Dazu kämen "Schulden" für neue Kleidung und für die "Miete" der Zimmer in den Bordellen oder Wohnungen. "Viele Frauen kommen mit 15.000 Euro Schulden hier an", berichtet Uta Ludwig. Von 200 Euro, die eine Frau von ihren Freiern am Tag durchschnittlich einnimmt, ließen ihr die Hintermänner höchstens 20 Prozent, manchmal noch weniger oder überhaupt nichts.
Einzige Zeugen sind die Opfer. Diesen erzählen die Täter immer wieder, dass sie wegen der illegalen Einreise mit falschen Papieren sofort eingesperrt und abgeschoben würden, wenn sie zur Polizei gingen. Die meisten jungen Frauen glauben den Zuhältern. Werden sie verhaftet, sagen viele der völlig eingeschüchterten Frauen keinen Ton oder behaupten, dass sie freiwillig im Bordell arbeiteten.
Übereinstimmend fordern deshalb Mitarbeiterinnen in Beratungsstellen und andere Fachleute ein sicheres Bleiberecht für Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution. In Deutschland nimmt nach Angaben des Bundeskriminalamts nur etwa jede 20. Frau, die aus den Fängen der Zuhälter frei kommt, an den staatlichen Zeugenschutzprogrammen teil. Nur Opfer, denen die Menschenhändler nachweislich nach dem Leben trachten, werden in die Programme aufgenommen. "Außerdem müssen die Frauen im Zeugenschutzprogramm sämtliche Kontakte auch zu ihren Angehörigen im Heimatland abbrechen und werden an einem geheimen Ort versteckt", berichtet die Berliner Rechtsanwältin Regina Kalthegener. "Viele wollen oder können das nicht."
Einen Rechtsanspruch auf eine Aufenthaltsgenehmigung für die Opfer der Menschenhändler sieht auch der Gesetzentwurf der SPD und der Grünen nicht vor. Die meisten deutschen Ausländerbehörden erteilen Frauen, die gegen Menschenhändler aussagen wollen, eine auf drei Monate befristete Duldung. Verlängert wird diese nach Ende des Strafverfahrens nur, wenn dem Opfer zuhause im Heimatland durch Nachstellungen der Täter Gefahr droht. Da die meisten Familien dort der Polizei nicht vertrauen, zeigen sie Droh-anrufe oder Besuche von unfreundlichen Männern nur selten an.
Anfällig für erneute Ausbeutung
Während der Duldung in Deutschland bekommen die Frauen Sozialhilfe nach dem Asylbewerberleistungsgesetz: Rund 190 Euro im Monat. "Das macht sie anfällig für neue Ausbeutung", weiß Marion Böker vom Koordinierungskreis KOK in Potsdam und verweist auf bessere Regelungen im Ausland: In den USA zum Beispiel erhielten Opfer von Menschenhandel, die mit der Justiz zusammenarbeiten, ein dreijähriges Aufenthaltsrecht inklusive Arbeitserlaubnis.
In Italien garantiert Artikel 18 des Ausländergesetzes den Frauen ein Bleiberecht, wenn sie mit den Ermittlungsbehörden zusammenarbeiten oder einer Beratungsstelle ihr Schicksal offenbaren. Die Polizei muss Ausländerinnen, die sie in Bordellen oder auf dem Straßenstrich festnimmt, an die Beratungsstellen vermitteln. Diese haben landesweit eine kostenlose Telefonnummer geschaltet, über die Opfer in mehreren Sprachen Hilfe bekommen.
Belgien hat inzwischen speziell ausgebildete Staatsanwälte und Polizisten auf die Menschenhändler angesetzt. Wie in Italien erhalten Frauen, die gegen ihre Peiniger aussagen, ein Bleiberecht.
Alle Gesetze gegen Sklaverei, Menschenhandel und Zwangsprostitution nutzen wenig, so lange im Westen tausende Männer ohne Rücksicht auf die Menschenwürde schnellen, billigen Sex suchen und in Osteuropa so viele junge Frauen in hoffnungsloser Armut leben und nach ihrer Befreiung wieder ins gleiche Elend zurückkommen.
Infos:
Mitarbeiterinnen von Beratungsstellen wie Marion Böker vom Koordinationskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen in Migrationsprozessen KOK bitten vor allem Männer, die Bordelle besuchen und als "Freier" zu Prostituierten gehen, um Unterstützung:
Wenn eine der Frauen einen verängstigten
Eindruck macht, Verletzungen wie Wunden und
blaue Flecke hat, die möglicherweise von Schlägen stammen.
Internet-Adressen:
Mit dem DAPHNE II Programm fördert die Europäische Union Projekte gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution sowie Aufklärungsarbeit zum Thema:
http://europa.eu.int/comm/justice_home/funding/daphne/funding_daphne_en.htm
www.bka.de
Bundeskriminalamt, unter Berichte und Statistiken die jeweiligen Jahres-Lageberichte zum Thema Menschenhandel