Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 31-32 / 26.07.2004
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Ernst-Otto Czempiel

Schonungslose Entlarvung der Bush-Administration

Richard Clarkes brisante Enthüllungen über Washingtons Politik

Das Buch von Richard A. Clarke macht einen dicken Strich durch das Kalkül von Präsident George W. Bush, mit dem Kampf gegen den Terrorismus nicht nur seine Weltpolitik zu legitimieren, sondern auch die Präsidentschaftswahlen vom 2. November zu gewinnen. Clarke weist nach, dass Bush zwar vom "Krieg gegen den Terror" spricht, aber den Krieg gegen den Irak meint, und dass beide nichts miteinander zu tun haben. Behauptet wurde das schon lange, Clarke schafft nun Gewissheit.

Der Autor ist nicht irgendwer. Er war seit 1990 zunächst in führender, dann in leitender Position für die Terrorismusbekämpfung in den USA zuständig. Er koordinierte die Regierungspolitik am 11. September. Mit der dramatischen Schilderung dieses Tages beginnt sein Buch. An Autorität und Kompetenz des Autors in Sachen Terrorismusbekämpfung besteht also nicht der leiseste Zweifel. Und deswegen wiegt sein Vorwurf gegen die Washingtoner Administration politisch so schwer, dass Bush gleich nach dem 11. September den Krieg gegen den Irak zu Lasten des Anti-Terrorismuskampfes vorbereitet und finanziert hat. Dadurch wurde der Terrorismus nicht geschwächt, sondern immens gestärkt.

Diese massive Kritik wird von Clarke im zweiten Teil seines Buches minutiös begründet. Der erste Teil ist der Clinton-Ära gewidmet, deren Terrorismus-Abwehr Clarke maßgeblich mitgeprägt hat. Von seinem Büro im Weißen Haus aus entfaltete Clarke erstmals eine konsistente Anti-Terrorismus-Politik für die amerikanische Regierung.

Selbstgesetzter Anspruch

Für sich und die Clinton-Administration nimmt er in Anspruch, den Terrorismus als die eigentliche Herausforderung der Vereinigten Staaten erkannt und seine richtige Bekämpfung aufgenommen zu haben. Entsprechend enttäuscht war er, dass die nachfolgende Bush-Koalition sich nicht um diese Gefahr, sondern um den Krieg gegen den Irak kümmerte. Insofern enthält das Buch auch eine politische Abrechnung. Clarke schied im März 2003 aus seinen Ämtern.

An der Überzeugungskraft seiner Darstellung ändert sich nichts. Mögen die von ihm wörtlich wiedergegebenen Dialoge zwischen und mit den maßgeblichen Regierungsmitgliedern nachträglich rekonstruiert worden sein - dieser pseudo-authentische Berichtsstil ist in Amerika sehr beliebt -, er gibt den Entscheidungsgang in der Regierung anschaulich wieder. Verteidigungsminister Rumsfeld und vor allem sein Stellvertreter Paul Wolfowitz haben, zusammen mit Vizepräsident Dick Cheney, den Objektwandel von Al Qaida hin zu Saddam Hussein vorangetrieben; Außenminister Collin Powell und sein Ministerium hielten dagegen, konnten aber die Entwicklung nicht aufhalten. So wurde mit dem Irakkrieg im März 2003 der falsche Krieg gegen den falschen Gegner geführt (S. 321ff.).

Clarke hält weitere Vorwürfe bereit. Die Bush-Regierung habe es versäumt, die gemäßigten arabischen Regierungen zu unterstützen und dem extremistischen Islamismus eine Offensive der westlichen Werte entgegenzustellen. Sie - und nicht die Waffen - hätten den Ost-West-Konflikt zugunsten des Westens entschieden. Stattdessen habe sich die Bush-Regierung mit ihrer Vorliebe für die Anwendung militärischer Gewalt auf die gleiche Stufe mit Al Qaida gestellt.

Das ist starker Tabak, aber eben nicht zu bestreiten. Deswegen hat Clarkes Buch in den USA reißenden Absatz gefunden, ist der Verlag Hoffmann und Campe zu loben, der er es in so kurzer Zeit auch in deutscher Sprache zugänglich gemacht hat. Es bietet Einblicke in den außenpolitischen Entscheidungsprozess des Weißen Hauses wie in den der wichtigsten Ministerien, die es in dieser ungeschützten Detaillierung noch nicht gegeben hat. Sie kommen von einem Top-Insider, der Informationen nicht aus Interviews gewinnen musste, sondern sich nur zu erinnern brauchte.

Clarke nennt die eigentlichen Ziele der Bush-Regierung im Irak: dort eine amerikafreundliche Regierung einzusetzen, die strategische Lage Israels zu verbessern, die irakischen Ölquellen für den amerikanischen Markt zu sichern und den Umzug des amerikanischen Militärs von Saudi-Arabien in den Irak zu ermöglichen. Dieses gewaltige geostrategische Programm kann kaum allein von den Regierungsmitgliedern entworfen worden sein, mit denen Clarke es zu tun hatte. Dahinter stehen bedeutende politische, strategische, ökonomische und energiepolitische Interessen der USA. Sie bleiben bei Clarke unsichtbar. Diese gewisse Schwäche des Buches ist seinem autobiografischen Charakter geschuldet. Er aber erzeugt die Authentizität der Argumentation.

Richard A. Clarke

Against all enemies.

Der Insiderbericht über Amerikas Krieg

gegen den Terror.

Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz,

Werner Roller und Keike Schlatterer.

Hoffmann & Campe, Hamburg 2004;

384 S., 19,80 Euro


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