Fußballfans, die zur Europameisterschaft nach Portugal geflogen sind, mögen sich gewundert haben. Vor Beginn des Turniers meldeten die Zeitungen, die Veranstalter befürchteten terroristische Anschläge. Die Vereinbarung von Schengen erlaubt es den Mitgliedsstaaten in einem solchen Fall, die ansonsten offenen Grenzen wieder zu kontrollieren. Doch selbst einen Tag vor dem Endspiel durften Reisende von Köln nach Lissabon die Schalterhallen unbehelligt passieren, von Polizisten weit und breit keine Spur. Sind Grenzkontrollen für unsere Sicherheit nicht mehr so wichtig? "Das Bedrohungsszenario und die von Kriminellen eingesetzten Instrumente haben sich verändert", erklären Experten etwas ausweichend.
Grenzen stören Terroristen heute weniger als früher, denn die Übeltäter haben sich, ähnlich wie die Wirtschaftsbosse, global organisiert. Sie reisen nicht mehr wie Handlungsreisende persönlich mit Sprengstoff und Waffen durch die Welt. Sie haben Niederlassungen gegründet, die so genannten "Keimzellen" des Terrors, und operieren mit "Angestellten" vor Ort. Waffen, die die vernarrten oder durch Propaganda aufgehetzten Stellvertreter benutzen können, gibt es in den westlichen Ländern genug. So soll Al Quaida für die jüngsten Attentate in Madrid in Spanien produzierten Sprengstoff benutzt haben. Was sollen Grenzen da noch verhindern?
Ähnlich sieht es im Bereich der organisierten Kriminalität aus. Die Banden haben ihre Fühler mittlerweile in ganz Europa ausgestreckt und sind mit herkömmlichen Mitteln kaum noch zu fassen. Meistens sind es hierbei aber sogar Deutsche, die die Straftaten hierzulande verüben. Das heißt: Das Problem lässt sich auch durch eine noch so rigide Einwanderungskontrolle an der Grenze nicht lösen. Um Kriminalität und Terrorismus zu bekämpfen, haben sich die Ermittler daher heutzutage eine ganze Reihe anderer Methoden einfallen lassen. Statt mit Hunden bewaffnet Schlangen von Autos und Wagenladungen voller Gepäck zu durchstöbern, überwachen Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) beispielsweise lieber den Zahlungsverkehr von dubiosen Firmen. Jeder Terrorist braucht Geld, jede dunkle Gestalt aus dem Milieu will Geld. Geld führt die Ermittler auf die Spur des Verbrechens.
Und das geht so: Bankangestellte, Finanzdienstleister, Spielbanken, Immobilienmakler, Wirtschaftsprüfer, Buchprüfer, Steuerberater, Finanzbeamte, Rechtsanwälte, Patentanwälte und Notare - sprich alle, die Einblick in die finanzielle Situation eines Menschen haben - müssen größere oder auffällige Transaktionen ihrer Kunden prüfen und es dem BKA melden, wenn der Verdacht auf Geldwäsche besteht. Dort gibt es eine Stelle, die so genannte Financial Intelligence Unit (FIU), die sämtliche Fälle auswertet. Dann beginnt die Arbeit. Tokio, Paris, London, Wall Street und Kairo - um seine unlauteren Absichten zu verdecken, transferiert das organisierte Verbrechen die Vermögenswerte kreuz und quer durch sämtliche Finanzmärkte. Um dieses Knäuel zu entwirren, arbeiten die Beamten genauso international. Seit der Einführung des neuen Geldwäschebekämpfungsgesetzes im August 2002 hat die deutsche FIU "in 98 Fällen Nachrichtenaustausch mit 21 ausländischen FIUs geführt", betont der FIU Jahresbericht Deutschland von 2002. Hochgerechnet wären das rund 250 Fälle im ersten Jahr.
Dennoch sind auch die modernen Ermittler noch auf Grenzkontrollen angewiesen, zum Beispiel um Schleuserbanden oder Kleinkriminelle aufzuspüren, oder die großen Fische zu verhaften, die mit Hilfe der anderen Methoden überführt wurden. Grenzen sind Posten, an denen viele Verbrecher früher oder später doch einmal vorbei kommen, und sei es nur, um in Urlaub zu fahren. Spätestens hier kann man sie stellen. Zu diesem Zweck haben die Schengen-Staaten eine eigene Datenbank eingerichtet, auf die sämtliche Polizeidienststellen, also auch der Bundesgrenzschutz, Zugriff haben. Im Schengener Informationssystem (SIS) sind sämtliche Fahndungsdaten der Mitgliedsstaaten gespeichert. Allein in Deutschland sind für SIS mehr als 40.000 einzelne Computer vernetzt, international sind es geschätzt vermutlich mehr als 100.000. Mehr als 40 Millionen Mal jährlich fragt allein der Bundesgrenzschutz Daten aus dem System ab.
Die Grenzkontrollen haben sich allerdings verändert. Sie sind für Schengenreisende unauffälliger geworden. Das mag einer der Gründe dafür sein, warum sie nicht mehr als so bedeutend eingeschätzt werden. Im Gegensatz zu früher, als die Grenzbeamten alle Reisende nach dem Stichprobenprinzip kontrolliert haben, müssen Bürger der Schengenstaaten heute an den so genannten Außengrenzen nur noch ihren Pass vorzeigen und dürfen dann meist ungehindert passieren.
Nur Bürger aus Nichtmitgliedsstaaten werden grundsätzlich überprüft. Das aber gründlich. Bei jedem dieser Reisenden muss der Beamte laut Abkommen Pass und Visa kontrollieren und nachschauen, ob im SIS etwas gegen ihn vorliegt. Bei Verdacht oder nach dem Stichprobenprinzip können die Grenzer den Reisenden durchsuchen oder verhören. Alles, was darauf hin deuten könnte, dass der Einreisende ein Krimineller oder Terrorist ist, melden die Beamten an das Bundeskriminalamt in Wiesbaden weiter. Das Schengener Abkommen hat die Außengrenzen effizienter gemacht.
Zwischen den Mitgliedsstaaten sind die Schranken dafür weggefallen. Der Bundesgrenzschutz kontrolliert aber auch hier weiterhin, zum Beispiel wie bei ganz normalen Verkehrskontrollen: die Beamten sperren kurzfristig die Strassen und überprüfen jeden Passanten. Solche lageabhängige Kontrollen darf der Bundesgrenzschutz im gesamten Grenzgebiet, in Zügen, auf Bahnanlagen sowie auf Verkehrsflughäfen durchführen. Dazu hat der Bundesinnenminister dem BGS bereits 1992 die Aufgaben der Bahnpolizei und der Luftsicherheit übertragen und die Institution damit gestärkt. Besonders um illegale Einreise und Schleuser- kriminalität zu verhindern, aber auch bei der Bekämpfung von Drogenschmuggel scheint sich dieses Instrument zu bewähren. 22.638 illegale Einreisen konnte der BGS, die Bundeszollverwaltung, die Landespolizei Bayern und die Wasserschutzpolizei Hamburg und Bremen 2002 zusammen verhindern, 15.991 davon an den Binnengrenzen. Zusätzlich haben die Grenzbeamten 2002 insgesamt 87.460 Personen zurückgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben und insgesamt rund 3.700 kg Betäubungsmittel beschlagnahmt. Von insgesamt 57.402 als gestohlen gemeldeten Fahrzeugen konnten sie dagegen nur 326 sicherstellen.
Die bedeutendste Veränderung, die mit Schengen einherging, ist jedoch die Verzahnung des Bundesgrenzschutzes mit anderen Sicherheitsorganisationen. Im Gegensatz zu früher, als der BGS fast schon als eigenständige, paramilitärische Einheit angesehen werden konnte, arbeiten die Grenzschützer heute in Kooperation mit der Landespolizei, dem BKA in Wiesbaden und den Landeskriminalämtern. Die Informatio- nen, die der BGS für seine Arbeit braucht - Fahndungs- und Visadaten - erhält er über das aus Wiesbaden gespeiste Computernetzwerk SIS und den angeschlossenen Zusatzdiensten. Die Kriminalämter erhalten ihre Tipps umgekehrt oft sogar auf direkterem Weg von den Grenzern, zum Beispiel über Verbindungsbeamte. Ohne diesen Austausch, so die Ermittler, wären viele Aufklärungserfolge nicht möglich. Selbst der Verfassungsschutz greift gerne auf die Dienste des BGS zurück. Ein Beamter, der anonym bleiben will, erzählt: "Der Grenzschutz gibt uns zum Beispiel Tipps darüber, wer einreist. Oder sie helfen uns bei der Überwachung von verdächtigen Personen."
Wenn etwa ein befreundeter Geheimdienst einen Verdächtigen bis an die Grenze Deutschlands begleitet, wird die zu überwachende Person beim Grenzbeamten unauffällig an den deutschen Geheimdienst übergeben. Das funktioniert nur, wenn die Grenzpolizei dabei hilft. Gerade die Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten haben unsere Verfassungsväter allerdings nicht so vorgesehen. Um zu verhindern, dass sich einmal wieder eine Organisation ähnlich der Gestapo entwickelt, haben sie die strikte Trennung beider Institutionen angeordnet. Ähnlich wie andere demokratische Prinzipien wurde aber auch diese dem Kampf gegen den Terrorismus untergeordnet.
Auch international arbeitet der Bundesgrenzschutz bereits mit Kollegen zusammen. Die bislang noch nicht institutionalisierte Kooperation gilt als Vorreiter einer geplanten europäischen Grenzpolizei. Diese Einrichtung solle die Grenzschutzbehörden der Mitgliedsstaaten jedoch nicht ersetzen, sondern unterstützen. "Wichtige Querschnittsaufgaben wie etwa eine gemeinsame europäische Risikoanalyse, gemeinsame europäische Ausbildungsvorhaben im Grenzschutzbereich oder eine gemeinsame Krisenpräventionseinheit könnten gemeinsam wahrgenommen werden. Hierdurch würden Reibungsverluste minimiert, Synergieeffekte erzielt und ein einheitliches Schutzniveau an den EU-Außengrenzen sichergestellt," erklärt der Bundesgrenzschutz-Jahresbericht 2002.
Grenzkontrollen sind in ihrer neuen Form in Wirklichkeit also nicht unwichtiger geworden, dafür aber aufwändiger und teurer. "Früher kam der zu Kontrollierende zu mir. Heute muss ich ihm hinterherfahren. Um den gleichen Effekt zu erzielen, brauche ich also mehr Material und Personal", erzählt ein Beamter. Zusätzlich übernimmt der Grenzschutz heute noch eine ganze Reihe von neuen Aufgaben. Wie diese mit der Sicherheit Deutschlands und Europas zusammenhängen, ist nicht immer so leicht zu erkennen wie bei den Sicherheitskontrolle an Flughäfen und Bahnhöfen. Bei der Hochwasserkatastrophe 2002 beispielsweise unterstützte der BGS die Einsatzkräfte mit 4.000 Leuten, 25 Hubschraubern, 34 Booten und weiterem Material. Die Opfer waren über jede Hilfe dankbar. Doch man muss den Sicherheitsbegriff weit dehnen, wenn man den Einsatz, bei dem der BGS Rettungs- und Evakuierungsaktionen und die Sicherung der Katastrophenstelle übernahm, zum eigentlichen Aufgabengebiet der Grenzschützer zählen will - auch wenn es die Regierung in der Gesetzgebung so festgelegt hat.