Der Autor ist Historiker aus der Bielefelder Schule, sein Doktorvater ist Joachim Radkau. Er stellt eine politische Grundfrage: "Wie entstehen in einer Gesellschaft Handlungsstrategien, mit Emissionen und ihren Konsequenzen umzugehen?" Diese Frage will er mit den Mitteln seiner Profession, der Hinwendung zur Geschichte und dem Gang in die Archive beantworten. Als Material nimmt er sich vor, was sich zwischen 1880 und 1970 in zwei Ländern, in den USA und in Deutschland, umweltpolitisch abgespielt hat.
Zu den Rahmenbedingungen dieser Jahre habe es gehört, "dass beide Länder eine industriekapitalistische Wirtschaftsverfassung besaßen und es damit oft genug kein ökonomisches Motiv gab, Emissionen zu reduzieren". Das führe zu dem, was die Umweltgeschichte auf den Beobachter leicht so depressiv wirken lässt, in Uekötters Worten "die kolossale Macht des Trägheitsgesetzes". Die zu dokumentieren fühlt der Verfasser sich verpflichtet, das zählt er zu den Kärrner-Aufgaben seiner Profession - möglicherweise meinte er deshalb, sein Buch so abschreckend voluminös anlegen zu dürfen. Aber das gibt nur den düsteren Hintergrund, den des Zwangs der Notwendigkeit ab.
Entscheidend scheint mir zu sein, wie einzelne Personen neue Wege des Umgangs mit drängenden Problemen eröffneten, - "im Regelfall dadurch, dass sie den Status quo schonungslos analysierten und nüchtern den Rahmen ihrer Handlungsmöglichkeiten taxierten". Das heißt: Der Depression, der Hoffnungslosigkeit entgeht nicht der, dessen Geschichtsbild darin besteht, auf den allgemeinen Trend der Zeit zu achten, und der daraufhin auf das in der Tat Unwahrscheinliche seines Ziels schließt. Ihr entgeht nur, so die Lehre aus der Geschichte, wer sich auf die Abgründe der scheinbaren Chancenlosigkeit, die in Wahrheit nur eine Chancenarmut ist, einlässt und der deshalb - und nur deshalb! - Chancen erfolgreichen Handelns zu Gesicht bekommt. Allerdings, Sicherheit gibt es nicht.
In dem meistversprechenden Teil des Buches, mit "Beispiel Autoabgase" (nur in den USA) übertitelt, findet sich leider kein sprechendes Beispiel. Da gibt es einen heldenhaften Einzelgänger, Kenneth Hahn, ein Vollblutpolitiker, der eine Art Landrat in Kalifornien war - doch der scheiterte. In diesem Buchteil (5 von 18 Kapiteln) wird gefragt, wie es geschehen konnte, dass jahrzehntelang nichts gegen die durch automobile Abgase aufgebauten Umweltprobleme unternommen wurde. Dies ist deswegen eine vielversprechende Problemwahl, weil die USA das Pionierland der Automobilisierung im Exzess sind. Sie haben, gerade an der Westküste, ihre Siedlungsstruktur so eingerichtet, dass das eigene Auto zur Lebensnotwendigkeit gemacht wurde. Sie haben mit Los Angeles prototypisch die europäische Stadt in großräumige Agglomerationen so aufgelöst, dass das Problem der Autoabgase entstand und es zugleich kaum einen Weg zurück gab. Mit den speziellen atmosphärischen Bedingungen in Kalifornien verfügte der Staat über eine eigenartige Verletzlichkeit und Betroffenheit der eigenen Bevölkerung. Man hätte erwarten können, dass aus dieser Gemengelage heraus ein politischer Impuls zu entscheidender Veränderung entsteht.
Uekötter schildert die fragliche Zeit aber als eine Geschichte dauernden Scheiterns. Vor 1945 sei eine Diskussion über Autoabgase so gut wie gar nicht in Gang gekommen, da mit dem Vorsorgeprinzip ein Kristallisationspunkt einer solchen Debatte gefehlt habe. Nach 1945 war es zunächst nur Los Angeles, welches Smog als Problem kommunizierte, aber die Autoindustrie habe sich ausgesprochen dickfellig gezeigt. Kenneth Hahn habe es nicht geschafft, mit seinen Briefen irgend etwas in Bewegung zu bringen. Der Grund habe also darin gelegen, dass "Detroit" sich von den Klagen aus Kalifornien nicht habe erweichen lassen. Der Umgang mit dem Eigenbeitrag der kalifornischen Politik, die problemschaffende Siedlungsstruktur, wird vom Autor nicht thematisiert. Erst die Stimmung des Jahres 1970, die Fundamentalmobilisierung einer breiten Öffentlichkeit für ökologische Ziele, habe den Durchbruch geschafft; das sei conditio sine qua non für eine Lösung des Problems gewesen.
Soweit das Ergebnis aus den USA. Ich bin nicht wirklich überzeugt - ich vermute, dass auch hier gilt: Wer den Änderungsimpuls allein bei anderen festmacht und seine eigenen Handlungsoptionen ausblendet, erreicht auch nicht, dass die anderen sich ändern. In Deutschland, in den 50er-Jahren, wird der Autor denn auch im Sinne seiner These fündig. Seine Frage lautet: Was ist es, was den Beginn einer ernstlichen Luftreinhaltepolitik in Deutschland - und diese Anfänge liegen im Ruhrgebiet - ausgelöst hat?
Politisch wirklich entscheidend war letztendlich das nordrhein-westfälische Ministerium für Arbeit und Soziales, das die Reformierung der Luftreinhaltung im Nachkriegsdeutschland vorantrieb. Angetrieben wurde es, so betont der Autor, weniger von idealistischen Motiven als vielmehr (auch) von der Konkurrenz, den das Genossenschaftskonzept Sturm Kegels für sie bedeutete.
Sturm Kegel war in den 50er-Jahren Direktor des Siedlungsverbands Ruhrkohlenbezirk, dem die Luft- und Wasserprobleme des Ruhrgebiets qua Mandat am Herzen lagen. Kegel ging 1952 in die Offensive: Er stellte ein eigenes Luftreinhaltekonzept öffentlich vor, um Druck zu machen - also das gesuchte Individuum als Akteur, "welches neue Wege des Umgangs mit drängenden Problemen eröffnete".
Anders als Kenneth Hahn mit seinen Briefen bestand Kegels Konzept nicht allein aus schönen Worten, sondern hatte die Form eines ausgearbeiteten Gersetzentwurfs: Die Minderung der Emissionen sollte durch Maßnahmen nach dem Stand der Technik vorgenommenen werden. Deren Verteilung sollte nach den Grenzkosten der Minderung optimiert werden: Wo viel Dreck mit wenig Geld unterbunden werden konnte, dort sollte es geschehen. Die Finanzierung sollte, deswegen ein "Genossenschafts-Konzept", von allen, die zur Luftbelastung beitrugen, nach Maßgabe ihres jeweiligen Beitrags geleistet werden - ein Konzept also, welches in heutiger Sprechweise wie eine Kombination von Lizenz- und Steuerkonzept erscheint.
Das Arbeitsministerium konnte sich seinerzeit für diesen speziellen Vorschlag nicht begeistern. Aber mit der Vorlage einer Handlungsoption seitens des Ruhrkohleverbands bestand der (Konkurrenz-)Zwang, ein eigenes Konzept zu entwickeln und auch zu implementieren. So, das ist die Botschaft Uekötters, vermochte ein Einzelner die Entwicklung voranzutreiben, dass der Weg zur kooperativen Luftreinhaltung, mit Beteiligung der VDI-Kommission Reinhaltung der Luft, tatsächlich beschritten wurde. Der wird bis heute durchgehalten.
Frank Uekötter
Von der Rauchplage zur ökologischen Revolution. Eine Geschichte der Luftverschmutzung in Deutschland und den USA 1880 - 1970.
Klartext Verlag, Essen 2003; 637 S., 74,90 Euro