Ein zu kompliziertes Steuerrecht, ein unflexibler Arbeitsmarkt und eine generelle "Verwaltungsverdrossenheit" sind Symptome des Problems. Ein gewisses Maß an Bürokratie ist zwar unentbehrlich, ein Zuviel jedoch kostet Zeit, Geld und Nerven.
Mittlerweile muss die Wirtschaft mehr als 5.000 Gesetze und Verordnungen mit mehr als 85.000 Einzelvorschriften beachten, wie das Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (IW) ermittelt hat. Immer mehr Ressourcen müssen Unternehmer für die Abarbeitung bürokratischer Erfordernisse statt für unternehmerische Kreativität einsetzen. Nach dem Gutachten des Instituts für Mittelstandsforschung Bonn sind die Kosten für mittelständische Unternehmen durch Bürokratie seit 1994 um knapp 30 Prozent gestiegen.
Ein Beispiel an bürokratiebedingter Lahmlegung eines Betriebs sind die zumeist zeitgleich stattfindenden Doppelprüfungen für Lohnsteuer, Sozialversicherung, die Prüfungen der Berufsgenossenschaften und die Zoll- und Außenprüfungen des Finanzamtes. Dafür müssen Belege, Buchungsunterlagen und Verträge jeweils für jede Prüfung erneut aus dem Archiv geholt werden.
Zeitbedarf und Kosten könnten halbiert werden, wenn zum Beispiel Lohnsteuer- und Sozialversicherungsprüfung gemeinsam, am besten noch durch einen Prüfer durchgeführt würden.
Die lange Prüfungsdauer bedeutet einen erheblichen Wettbewerbsnachteil deutscher Unternehmer. Bei einem mittelständischen Unternehmen der Bekleidungsindustrie mit rund 400 Mitarbeitern zum Beispiel dauerte die Prüfung des Finanzamtes 16 Monate. Hierfür mussten Mitarbeiter abgestellt werden, die sich mit den Prüfern beschäftigten. Die Lohnsteueraußenprüfung dauerte drei Wochen. Anschließend folgte die Prüfung durch die Textil- und Bekleidungsberufsgenossenschaft sowie die Zollprüfung und Außenprüfung für jeweils längere Zeit.
Genehmingungsverfahren
Enormer Bürokratieaufwand, insbesondere für Kleinbetriebe, besteht beispielsweise auch bei den Genehmigungsverfahren. Es kann nicht sein, dass eine Überprüfung, ob eine Maschine den europäischen Maschinenrichtlinien entspricht, eine längere Zeit in Anspruch nimmt, als die Maschine in Betrieb war. In diesem Beispielsfall wurde die Genehmigung erteilt, als die Maschine bereits verschrottet war.
In einem anderen Genehmigungsfall wurden für die Anbringung eines 3×4 Meter hohen Werbebanners zwar alle Vorschriften beachtet. Darüber hinaus aber ließ sich die Behörde ihre umfängliche Prüfung, ob alle Vorschriften seitens des Unternehmers eingehalten wurden, mit einer Genehmigungsgebühr von 400 Euro bezahlen. Für Genehmigungsverfahren sollte es daher, ähnlich wie bei Bauanträgen, einklagbare Fristen und angemessene behördliche Nachprüfungen geben.
Notwendig ist eine umfassende Deregulierung und Entbürokratisierung in Deutschland. Denn die Probleme des Mittelstandes sind vielfältig - sie reichen von langwierigen und unsinnigen Genehmigungsverfahren über ein beschäftigungshemmendes Arbeitsrecht, ein allzu kompliziertes Steuersystem bis hin zu Problemen mit Berufsgenossenschaften und Krankenkassen und, nicht zu vergessen, mit hohen Statistik-Anforderungen an Unternehmen.
Die Regierung hat daher in ihrer Koalitionsvereinbarung 2002 erklärt, dass sie einen umfassenden Bürokratieabbau in Angriff nehmen will. Vom "Masterplan Bürokratieabbau" sind seit Februar 2003 bis heute von 54 Beschlüssen zum Bürokratieabbau nur zwölf Vorschläge umgesetzt.
Ein Beispiel, das unter der Fahne Bürokratieabbau gänzlich missraten ist, ist die Novellierung der Arbeitsstättenverordnung, die noch vom Bundesrat beschlossen werden muss. Der Verordnungstext ist erheblich geschrumpft und zwar von 58 Paragraphen auf 10. Bei näherer Betrachtung aber stellt man fest, dass viele Details aus den 58 Paragraphen in den Anhang verschoben wurden. Das bedeutet weniger Paragraphen, aber nicht weniger Regelungsdichte.
Zu den mageren Ergebnissen der Bundesregierung beim Bürokratieabbau muss noch all das hinzugerechnet werden, was an neuer Bürokratie, an neuen Gesetzen und Verordnungen beständig hinzukommt. 637 Rechtsverordnungen und 167 Gesetze sind seit der letzten Bundestagswahl neu erlassen worden. Unzählige Anmeldungs-, Anzeige-, Aufzeichnungs-, Berechnungs-, Erklärungs-, Ermittlungs-, Nachweis- und Abführungspflichten bilden unseren bürokratischen Alltag. Wir erleben allein auf Bundesebene rund 2.200 Gesetze mit knapp 47.000 Einzelvorschriften und mehr als 3.000 Rechtsverordnungen mit 40.000 Einzelvorschriften.
Neue Behörden geschaffen
Diese Regierung hat neue Behörden geschaffen, wie zum Beispiel das zentrale Zulagenamt für die Verwaltung der kapitalgedeckten Rente, die Finanzagentur für öffentliche Schuldenverwaltung oder das neue Fahnderamt des Bundesfinanzministers Eichel. Die Minijobs stattet Rot-Grün mit einer speziellen Behörde im Ruhrgebiet und in Cottbus aus - insgesamt 1350 Stellen. Das Motto lautet Bürokratenschwemme gegen Arbeitslosenheer.
Jeder Arbeitsplatz im Mittelstand ist jährlich mit bis zu 3.500 Euro Kosten für staatlichen Bürokratiedienst belastet. Ein Mitarbeiter hat durchschnittlich 62 Stunden bürokratischer Pflichtkür zu bewältigen. Jedes vierte Industrieunternehmen will nach einer DIHK-Umfrage bis 2006 seine Produktion ins Ausland verlagern.
Einem Bericht der Weltbank (Ende 2003) zufolge ist es hierzulande besonders teuer und aufwendig, ein Unternehmen zu gründen - Dauer 45 Tage. Spitzenreiter ist Australien mit zwei Tagen und Tabellen-Letzter der Kongo mit neun Monaten.
Man darf allerdings auch nicht außer Acht lassen, dass unser Gemeinwesen ständig komplexer und vielfältiger wird. Daher ist Zunahme an staatlichen Regelungen ein Stückweit normal. Die Schwierigkeit, im Falle von Überregulierung einzugreifen, resultiert aus unserem Sicherheitsbedürfnis. Fehlt eine Regelung, und geht eine Sache schief, so heißt es wieder "Wieso wurde das nicht geregelt?" Spätestens vor Gericht wird jedem klar vor Augen geführt, dass nur einzelfallgerechte Regelungen jedwedes Risiko ausschließen. Unsere Rechtspraxis kompensiert so Versuche des Gesetzgebers, die Regelungsdichte zu entschlacken.
Es mangelt an der Umsetzung
Was ist zu tun? Die Bilanz ist niederschmetternd. Unsere mittelständischen Betriebe - oftmals ohne Möglichkeit, ihren Standort zu verlagern - müssen wieder freier und unbürokratischer arbeiten dürfen und auch wollen. Zu viele haben sich bereits an die einengende Sicherheit durch Überregulierung gewöhnt.
Es ist daher unumgänglich, dass eine breit angelegte Diskussion über unser System angefacht wird. Und es ist unumgänglich, dass die Politik eine breite Schneise in das Gesetzesdickicht schlägt. Letztere Erkenntnis ist wahrlich nicht neu. Aber an der Umsetzung mangelt es nach wie vor.
Doch last but not least können wir uns diese Überregulierung einfach nicht mehr leisten. Wir haben eine seit Bestehen dieser Republik nie gekannte Wirtschafts- und Wachstumsschwäche. Die Lage ist bitterernst und die Stimmung miserabel. Was wir brauchen, ist ein systematisches Großkonzept, um Deutschland wieder aus dem Bürokratiesumpf zu ziehen.
Was bietet die Union an Konzepten? In Absprache mit den unionsregierten Ländern haben wir einen grundlegenden Antrag erstellt, "Freiheit wagen-Bürokratie abbauen". Es handelt sich dabei nicht um einen CDU-"Masterplan" - das Gegenteil ist der Fall: Statt aneinander gereihter Einzelankündigungen und neu eingerichteter zahlreicher Arbeitskreise präsentiert die CDU/CSU zehn systematische Kernvorschläge: Wir wollen im Deutschen Bundestag einen Bürokratie-TÜV als Ausschuss. Dieser soll Gesetzesfolgenabschätzung betreiben, denn Bürgern und Unternehmen soll klar vor Augen gehalten werden, was neue Gesetze für sie an Kosten bedeuten. Alle Gesetze und Verordnungen sollen im Regelfall ein Verfallsdatum erhalten. Für ein neues Gesetz sind zwei alte zur Abschaffung vorzuschlagen. Pro Jahr sind etwa 250 Verwaltungsvorschriften abzuschaffen. Anstelle von Genehmigungsverfahren soll es Anzeigenverfahren geben. Es gilt das Prinzip zu verfolgen, "Bestehendes durchforsten und Zukünftiges verhindern".
Die AG Bürokratieabbau arbeitet momentan an einem zweiten Antrag, um in Fortsetzung des Grundsatzantrags nun die wichtigsten Maßnahmen zu nennen. Es sind solche, die aus unserer Sicht als Sofortmaßnamen zur Befreiung von Unternehmen und Bürgern notwendig sind. Geplant ist es, diesen Antrag nach der Sommerpause in den Deutschen Bundestag einzubringen. Abgeschafft werden sollen beispielsweise das Verbandsklagerecht oder die Doppelprüfungen in Unternehmen.
Erinnerung an Ludwig Erhard
Wir leben momentan in Zeiten, in denen das Wort "Wirtschaftswunder" nur noch historischen Bezug hat. Was wir brauchen, ist eine systematische Entbürokratisierung des gesamten deutschen Regelwerkes. Allein die Entbürokratisierung würde so manchen Unternehmer wieder mit Vertrauen in die Zukunft blicken lassen. "Ich will mich aus eigener Kraft bewähren, ich will das Risiko des Lebens selbst tragen, will für mein Schicksal selbst verantwortlich sein. Sorge Du, Staat, dafür, daß ich dazu in der Lage bin." Dieses Zitat von Ludwig Erhard aus den Zeiten des Wirtschaftswunders gibt die Richtung an, in die wir uns wieder bewegen müssen.
Der Autor ist Abgeordneter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.