Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 39 / 20.09.2004
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Eckhard Stengel

Der "beliebteste Sozialdemokrat in der Republik" geht nicht von Bord

Bremen: Nach dem Rücktritt von Wirtschaftssenator Perschau bleibt der Hansestadt Bürgermeister Scherf länger als angekündigt erhalten

In Bremen fiel das Sommerloch für Journalisten dieses Jahr aus. Erst erklärte Wirtschaftssenator Hartmut Perschau (CDU) völlig überraschend seinen Rücktritt und löste damit eine zähe Nachfolger-Suche aus. Dann verkündete Bürgermeister Henning Scherf (SPD), dass er doch noch nicht in den Ruhestand treten wolle, obwohl er das mehrfach angekündigt hatte.

Die großen Ferien hatten gerade begonnen, als der Senator für Wirtschaft und Kultur seinen Abgang mitteilte: "Leider werde ich in Zukunft aus gesundheitlichen Gründen erheblich kürzer treten müssen", schrieb Perschau dem "sehr geehrten, lieben Herrn Dr. Scherf". Deshalb habe er "auf den dringenden Rat meiner Familie hin" entschieden, den Senat zu verlassen und nur sein ruhendes Bürgerschaftsmandat wieder aufleben zu lassen. Eine Krebserkrankung hatte die Stimmbänder des 62-Jährigen so angegriffen, dass er nicht länger in vorderster Reihe als Senator und stellvertretender Regierungschef agieren mochte.

Für Perschau ein tiefer Einschnitt nach einer wechselvollen Karriere: Der gebürtige Danziger diente zunächst als Berufsoffizier, bis er 1974 in die Hamburgische Bürgerschaft einzog. Bei drei Wahlen misslang dem CDU-Fraktionschef die Regierungsübernahme. Nach einem Zwischenspiel im Europaparlament durfte er doch noch einen Ministereid ablegen: von 1991 bis 1993 für das Innenressort von Sachsen-Anhalt. 1995 wechselte der Wahl-Hamburger in die Konkurrenz-Hansestadt Bremen und übernahm in der großen Koalition zunächst das Wirtschaftsressort, später die Finanzen und 2003 wieder die Wirtschaft. Obwohl der Adenauer-Anhänger neben manchen Erfolgen auch das Scheitern des überdimensionierten Einkaufs- und Erlebniszentrums "Space Park" mit zu verantworten hat, lobten jetzt sogar die Grünen seinen "Einsatz für Bremen". Bei allen politischen Kontroversen habe die Opposition ihn "als Menschen schätzen gelernt".

Vielleicht würde auch der 65-jährige Scherf solche warmen Worte zu seinem Abschied hören - aber er will einfach nicht gehen. Zweimal schon hatte er seinen Rückzug angekündigt, weil er nicht "irgendwann am Schreibtisch umfallen" möchte. Erst wollte er vor der Bürgerschaftswahl 2003 weichen, dann vertagte er den Abgang auf etwa 2005. Aber auch das ist jetzt Schnee von gestern. Auf einer Segeltour durchs Polarmeer überraschte er seine Parteifreunde mit einem Telefoninterview: Er denke übers Weitermachen nach, denn er wolle sich nicht "zu einem schwierigen, komplizierten Zeitpunkt vom Hofe stehlen".

Dass er den neuerlichen Rücktritt vom Rücktritt nicht zunächst mit seinen Genossen beraten hatte, vergrätzte viele von ihnen. Gleich nach der Rückkehr aus dem ewigen Eis musste sich Scherf einer schnell einberufenen Landesparteikonferenz stellen. Nach zweieinviertel Stunden hinter verschlossenen Türen trat er gut gelaunt vor die Presse: "Ich bin nicht durchgeschwitzt." SPD-Landesparteichef Carsten Sieling berichtete hinterher, Scherfs Bereitschaft zum Weitermachen sei von den Mitgliedern "breit getragen" worden. Der Grund liegt auf der Hand: Außer dem leutseligen Landesvater ist niemand in Sicht, der der SPD wieder einen Wahlsieg garantieren könnte.

Eines gab die Partei ihm aber mit auf den Weg: Wenn der Zwei-Meter-Mann nun wieder als Spitzenkandidat 2007 antritt, muss er auf eine Koalitionsaussage zu Gunsten der CDU verzichten. Denn eine vierte Amtszeit des seit 1995 regierenden Elefantenbündnisses wäre vielen Sozialdemokraten suspekt. Nach der Wahl will Parteichef Sieling durch eine SPD-Mitgliederbefragung klären lassen, mit wem Scherf Koalitionsgespräche aufnehmen soll. Keine neue Situation: Schon 1995 war er durch eine solche Umfrage dazu verdonnert worden, sich mit der CDU zusammenzutun, obwohl er damals noch Rot-Grün-Anhänger war.

Was Scherfs "derzeit gültiges Haltbarkeitsdatum" sei, wollte ein Journalist nach der Parteiversammlung wissen. "2011", lachte Sieling. Ernsthaft wünscht sich der Parteichef einen Rücktritt etwa im Jahr 2008. Scherf selber will sich mal wieder nicht festlegen: "Ich muss einen guten Zeitpunkt finden." Warum bleibt der 65-Jährige überhaupt im Amt, statt lieber häufiger seine Enkel zu knuddeln? Weil die Lage Bremens, Deutschlands und der SPD derzeit "dramatisch" sei, sagt Scherf. "Ich bin, glaube ich, der beliebteste Sozialdemokrat in der Bundesrepublik"; da könne er sich doch nicht einfach nach Mallorca zurückziehen. Den letzten Ausschlag habe der Rücktritt Perschaus gegeben. Jetzt sieht sich der Hinterbliebene umso mehr gefordert, "den Laden zusammenzuhalten". Ganz so selbstlos sind Scherfs Motive nicht. Kenner sehen vor allem einen persönlichen Grund fürs Weitermachen: Das dienstälteste Mitglied einer deutschen Landesregierung kann schwer loslassen. Ein Vertrauter sagt: "Der macht das solange, wie die Bremer ihn lieben."

Inzwischen hat er auch einen neuen Stellvertreter: Als Perschau-Nachfolger holte die CDU nach wochenlanger Suche den Frankfurter Ex-Bankier Peter Gloy-

stein (58). Der gebürtige Bremer, der im Vorstand der Commerzbank saß und zuletzt die BHF-Bank führte, ist im Senat bereits der vierte Seiteneinsteiger aus der Wirtschaft. Als Diplom-Kaufmann mit Doktortitel sitzt er nicht nur im Bundesvorstand des CDU-Wirtschaftsrates, sondern auch in den Fördervereinen der Bayreuther Festspiele und der Frankfurter Oper. Damit ist er laut seiner Partei eine "Idealbesetzung" für das Doppelressort Wirtschaft und Kultur. Eckhard Stengel


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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