Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 39 / 20.09.2004
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Ulrike von Leszczynski, dpa

Auf Spurensuche im Führerbunker

"Der Untergang" weckt Neugierde

Auf den Griffen der Gabeln ist noch "NSDAP Gau Berlin" eingraviert. Verrostete Stahlhelme sind von Kugeln durchsiebt, und die stabilen Holzbänke sollen aus dem Führerbunker stammen. Bunkerforscher Dietmar Arnold lässt diese Sammlung, die er nach der Wende im Berliner Regierungsviertel ausgegraben hat, ziemlich kalt. Er hat schon viele Kriegsrelikte aus dem Berliner Untergrund ans Licht geholt. Eine Begebenheit hat jedoch auch ihn erschaudern lassen. Es war der Tag, an dem Schauspieler Bruno Ganz bei den Dreharbeiten zum Film "Der Untergang" (Kinostart war vergangene Woche) die Treppe im nachgebauten Führerbunker hinunterstieg. Das schien so täuschend echt, erinnert sich Arnold, als ob er Hitler begegnete.

Der Führerbunker und die Schlacht um Berlin - über sie wird wieder diskutiert, seit Bernd Eichingers Film über Hitlers letzte Tage in die Kinos kam. Dietmar Arnold hat Anfang der 90er-Jahre die Reste des gesprengten Führerbunkers vermessen und die Pläne gezeichnet, nach denen die Filmkulissen-Bauer die unterirdische Welt wiedererstehen ließen. Seit 18 Jahren ist Arnold der Faszination des Berliner Untergrunds erlegen - den Bunkern, den Fluchttunneln, der Rohrpost oder der U-Bahn. Ein Ergebnis seiner Leidenschaft sind zwei Bücher über "dunkle Welten".

Vom Tabu- zum Modethema

In Berlin sind die Bunker seit dem Mauerfall ein Modethema geworden. Es gibt Stadtführer wie Jürgen Kuhl, die Touristen zu den Orten der Nazi-Bunker nahe der Wilhelmstraße führen und dann ihre Bildermappen mit historischen Fotos hervorziehen. Zu sehen gibt es nichts mehr, zu berichten viel. Enthusiasten wie Dietmar Arnold ärgert, dass es hier, inmitten des Plattenbau-Wohngebiets der 80er-Jahre, keinen Hinweis auf Hitlers Bunker gibt; keine Schautafel, die einen Grundriss zeigt oder mehrsprachige Erläuterungen bietet. "Es geht ja nicht darum, den Tätern ein Denkmal zu setzen", betont der 40 Jahre alte Stadtplaner. Es gehe um sachliche Informationen über einen authentischen Ort. Doch der liegt an einer heiklen Stelle. In der Nähe des ehemaligen Führerbunkers entsteht heute das Holocaust-Mahnmal.

Auch wenn die verbliebenen Nazi-Bunker nahe der Wilhelmstraße heute versiegelt sind, wird ihre Existenz nicht mehr verschwiegen. Die Tourist-Information verkauft den englischsprachigen Stadtplan "The Third Reich", auf dem sowohl die Lage des Hitler-Bunkers als auch Gedenkstätten und Museen eingetragen sind. Das Interesse an Orten der nationalsozialistischen Vergangenheit sei in den vergangenen Jahren stetig gewachsen, besonders bei Jugendlichen aus dem Ausland, sagt Natascha Kompatzki, Sprecherin der Berliner Tourismus Marketing. Amerikanische und britische Touristen stellen oft zwei Fragen: Wo stand die Mauer? Wo war der Führerbunker?

Stadtführer und Heimatforscher Jürgen Kuhl trifft bei seinen Berlin-Rundgängen "Geschichte(n) im Vorübergehen" meist auf deutsche Senioren. Ihnen berichtet der 69-Jährige dann, dass er zu DDR-Zeiten das Wort Nazi-Bunker bei seinen Führungen durch Ost-Berlin nicht erwähnen durfte. "Das war ein absolutes Tabu-Thema", sagt er.

Das Tabu ist lange gebrochen, auch Dank des Vereins "Berliner Unterwelten", der im Wedding einen großen Zivilschutzbunker gepachtet hat. 25.000 Besucher hat der Verein, den Forscher Dietmar Arnold mitgegründet hat, im Jahr 2003 durch die verwinkelte Anlage geführt. Bei diesen Rundgängen geht es nicht um Mythen oder Gruseleffekte. Es geht um Kriegsalltag in Berlin, um beklemmende Gefühle, grausame Enge und Angst. Ulrike von Leszczynski, dpa


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