Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 40 / 27.09.2004
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Thilo Castner

"We not shoot, you not shoot"

Ein kurzer denkwürdiger Frieden an der Westfront 1914

Weihnachten 1914, knapp vier Monate nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, hatten die Soldaten beiderseits der Schützengräben vom Schießen, Töten und Morden genug. Es kam fast auf der gesamten Westfront zu Verbrüderungen. Deutsche und Briten, Franzosen und Belgier verließen, zunächst vereinzelt, dann zu Hunderttausenden ihre Unterstände. Man begrub zunächst die Toten, die im Niemandsland lagen, sang gemeinsam Weihnachtslieder, tauschte Geschenke aus, Zigaretten, Bier, Plumpudding, Wurst und Brot, zeigte sich Familienfotos, verständigte sich mit Händen und Füßen, umarmte sich. An einigen Abschnitten kam es zu Fußballspielen, mitunter zu Besuchen im feindlichen Revier. Und obwohl jede Fraternisierung aufs Strengste verboten war, fiel über die Feiertage kein Schuss. Zwischen Sachsen und Briten schwiegen die Waffen sogar bis in den Januar.

Jürgs erklärt einleuchtend, wie es zu dieser Verbrüderung kam. Vor allem auf deutscher Seite war man begeistert in den Krieg gezogen in dem irrigen Glauben, die Sache werde schnell und siegreich beendet sein. Während Generalität und höhere Offiziere fernab in Sicherheit saßen und an nichts Mangel hatten, erlebte der einfache Soldat einen mörderischen Stellungskrieg mit entsetzlichen Verlusten. Bei starkem Regen standen die Landser bis zum Knie im Wasser, bei Kälte froren Strümpfe und Stiefel an den Beinen fest, es wimmelte von Ratten und Läusen, das Essen war mies und unzureichend.

Auf beiden Seiten begriffen die Soldaten, dass sie von ihren Befehlshabern sinnlos verheizt wurden, dass ihre Feinde in den gegenüber liegenden Schützengräben nicht, wie von der nationalen Hetzpropaganda behauptet, Widerlinge und Monster waren, sondern Menschen wie sie selbst, die Frauen und Kinder hatten, die nach Hause und dieses sinnlose Morden beenden wollten. Wären nicht nach den Tagen des spontanen Waffenstillstands auf allen Seiten die Vorgesetzten mit brutalen Strafen gegen die Kriegsverweigerer vorgegangen, der Krieg hätte ein frühes Ende finden können.

Das Buch zeigt auf erschütternde Weise, wie menschenverachtend und verbrecherisch der Weltkrieg war, nur von Vorteilen für eine kleine Clique von Kriegsgewinnlern und gewissenlosen Militärs, die von sicheren Bunkern aus ganze Heere und Divisionen bedenkenlos in den Tod jagten. Wer diese aufrüttelnde Dokumentation gelesen hat, wird die Sinnlosigkeit eines Krieges nie mehr in Frage stellen.

Michael Jürgs

Der kleine Frieden im Großen Krieg.

Westfront 1914:

Als Deutsche, Franzosen und Briten gemeinsam Weihnachten feierten.

C. Bertelsmann Verlag, München 2003;

351 S., 22,90 Euro


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