Ausbildungspakt, Verhaltenskodex der Kaffeewirtschaft, Verbände-Vereinbarungen: Wie erfolgreich sind solche Selbstverpflichtungen, und können sie gar ein Modell für ein neues Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft sein? Eine Bestandsaufnahme.
Der Ausbildungspakt zeigt Wirkung. Dieses Fazit zog der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages Ludwig Georg Braun am 21. September. Es seien 10.800 Ausbildungsverträge mehr als im Vorjahr abgeschlossen worden. Allerdings hätten andere Betriebe Lehrstellen wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation gestrichen. Somit bleibe immer noch eine Lücke von etwa 20.200 Ausbildungsplätzen. Beim deutschen Gewerkschaftsbund heißt es, diese Zahlen wolle man nicht kommentieren. Man warte die Statistik der Bundesagentur für Arbeit ab. Dort wiederum bekommt man die Antwort, genaue Zahlen könnten von der BA gar nicht kommen, da nur eine Geschäftsstatistik und keine Vermittlungsstatistik geführt werde. Der stellvertretende VERDI-Vorsitzende Frank Werneke spricht dann am Nachmittag von 150.000 fehlenden Lehrstellen und fordert eine gesetzliche Ausbildungsabgabe. Woher er die Zahlen hat, sagt er nicht. Und die Wirtschaft wiederum verspricht , trotz der jetzigen Lehrstellenlücke, werde bis Ende des Jahres in der Nachvermittlung jeder ausbildungsfähige Jugendliche eine Stelle oder eine Qualifizierung bekommen. Ist der Ausbildungspakt also nun ein Erfolg oder ein Flop? Reine Glaubenssache offensichtlich.
Den Ökonomen Dieter Schmidtchen von der Universität Saarbrücken kann das nicht verwundern. Er hatte ohnehin grundsätzliche, systemimmanente Zweifel am Konstrukt Ausbildungspakt. Denn er glaubt, dass der Pakt lediglich auf der Appell-Ebene greifen kann. Die Sanktionsmechanismen seien einfach zu schwach. So könne beispielsweise der Handwerkspräsident ja nicht dem Malermeister X oder Y vorschreiben, wen er nun einstellt oder nicht. Und falls der Malermeister eben keine Ausbildungsplätze schafft, werde er deswegen nicht aus dem Verband ausgeschlossen, so Schmidtchen: "Kein Verband wird die Basis, auf der er steht, verkleinern." Im Medienzeitalter, in dem auch die Wirtschaftsverbände immer stärker unter öffentlicher Beobachtung stünden, dienten daher Selbstverpflichtungen eher der Imagepflege: "Der Ausbildungspakt ist eine PR-Aktion."
Modell Selbstregulierung
Anders sei dies schon bei Selbstregulierungen wie den Verbände-Vereinbarungen (VV) der Energiewirtschaft. Hier ging es darum, den Netzzugang für alternative Stromanbieter zu gewährleisten und die Entgelte für die Durchleitung zu fixieren. Im Gegensatz zur reinen Selbstverpflichtung habe es hier aber ein Drohpotenzial des Staates gegeben, sagt Schmidtchen. Seit 1998 habe der Wirtschaftsminister die Möglichkeit gehabt, notfalls regulativ einzugreifen. Unter diesem Druck hätten alle Beteiligten stets verbesserte Vereinbarungen ausgehandelt, die letztlich immer mehr in Richtung Wettbewerb gegangen wären. Seit 2003 gibt es aber eine EU-Beschleunigungsrichtlinie, die festgelegt hat, dass ab dem kommenden Jahr die Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation zuständig ist. Schmidtchen glaubt, dass dies aber gar nicht nötig gewesen wäre: "Die Stromunternehmen waren schon auf dem Weg zu einer VV Drei, ließen diese aber fallen, als die EU-Beschleunigungsrichtlinie kam. Ohne diese Richtlinie, wäre die Verbände-Vereinbarung nicht gekippt."
Henning Klodt vom Kieler Institut für Weltwirtschaft schätzt dies etwas anders ein: "Staat und Wirtschaft sind keine natürlichen Partner." Seinem Staatsverständnis zufolge dürfen Selbstverpflichtungen der Wirtschaft die staatliche Kontrolle nicht ersetzen. Unter ganz genau definierten Rahmenbedingungen könnten aber Selbstregulierungen dennoch Sinn machen. Wenn ein Staatsziel vom Gesetzgeber vorgegeben werde, zum Beispiel, den Ausstoß an CO2 zu senken, und es dann den Unternehmen überlassen werde, wie sie dieses Ziel erreichen, sei dies ein gangbarer Weg. Absolut essentiell seien dann aber, so Klodt, im Falle eines Versagens der Wirtschaft auch staatliche Sanktionsmechanismen.
Vorreiter Umweltschutz?
Beim Umweltschutz gibt es zahlreiche Bereiche, in denen neben staatlicher Regulierung das Thema Selbstverpflichtung immer wichtiger wird. Der gemeinnützige Verein Germanwatch informiert auf seiner Internetseite (www.germanwatch.org) regelmäßig über die neuesten Entwicklungen. Nicht immer werden die Selbstverpflichtungen dort als Erfolg gewertet. Vielsprechend sei aber durchaus die jüngste Vereinbarung in der Kaffeewirtschaft, wo es neben dem Umweltschutz auch um den sozialen Schutz von Arbeitsverhältnissen weltweit geht. Mehr als 70 Vertreter der Kaffeeproduzenten, Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften legten sich Anfang des Monats auf einen "Common Code for the Coffee Community" fest. Darin sind verbindliche soziale und ökologische Standards für mehr Nachhaltigkeit beim Anbau, Verarbeitung und Handel mit Rohkaffee festgeschrieben. Diese Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft wurde als öffentliche-privatwirtschaftliche Partnerschaft vom Entwicklungsministerium gemeinsam mit dem Deutschen Kaffeeverband initiiert. Zur Zeit läuft die Testphase.
Der Saarbrücker Ökonom Dieter Schmidtchen kann sich durchaus mehr solcher Vereinbarungen auf anderen Ebenen vorstellen. In diesem Zusammenhang spricht er vom "Konsensualstaat". Statt wie beim Hoheitsstaat gesetzliche Regeln zu oktroyieren, könnten Gesetzesinhalte durch Vereinbarungen zwischen den Beteiligten herbeigeführt werden. Das habe dann den entscheidenden Vorteil, dass sich im Nachhinein keiner beschweren könne. Im Prinzip gibt es so etwas vor allem auf kommunaler Ebene schon. Bürgeranhörungen sind fester Bestandteil eines jeden Planfeststellstellungsverfahrens. Allerdings hat hier letztlich die Kommune das entscheidende Wort. So muss zum Beispiel beim Neubau einer Fabrik der Unternehmer vor dem Bau ein Genehmigungsverfahren durchlaufen. Stattdessen könne es aber auch umgekehrt geregelt werden, meint Schmidtchen. Der Unternehmer baut und wenn er dabei gegen Auflagen und Gesetze verstößt, wird er zur Rechenschaft gezogen und mit hohen Haftungspflichten belegt. Henning Klodt aus Kiel sieht hingegen dabei mindestens ein Problem: "Was machen wir, wenn ein Unternehmen pleite ist und die Haftung nicht eingefordert werden kann?" So gilt bei Selbstverpflichtungen und Selbstregulierung in der Wirtschaft also wohl genau dasselbe wie im übrigen Leben auch: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.