Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 43 / 18.10.2004
Zur Druckversion .
Helmut Hetzel

Albert II. von Belgien

Im Porträt:

Das Timing ist perfekt. Genau zum belgischen Nationalfeiertag am 21. Juli 2004, just an dem Tag an dem König Albert II. seinen Landsleuten in einer TV-Ansprache die Lage der Nation erläuterte, wurde das belgische Staatsoberhaupt an seine Jugendsünden erinnert. Und das ausgerechnet im Nachbarland Niederlande. Dort wandte sich nämlich seine angebliche, uneheliche Tochter Delphine Boel in der größten Tageszeitung des Landes, im Telegraaf, mit einem öffentlichen Appel an ihren Vater: "Weise mich nicht länger ab, rede mit mir," forderte die 36-jährige Delphine. Sie wollte nicht länger hinnehmen, dass König Albert II. sie nicht als seine Tochter akzeptiert. "Ich will mit ihm kein Eis auf dem Grand Place in Brüssel essen, aber er sollte endlich etwas für mich und meine Mutter tun," flehte sie.

Die in London lebende Malerin begründete ihre neuerliche Sehnsucht nach ihrem Vater damit, "dass ich jetzt selbst Mutter geworden bin". Das habe ihr Verlangen nach einem Wiedersehen mit ihrem Vater stimuliert. Delphine Boel erinnerte sich: "Als ich klein war, da kam er regelmäßig zu uns nach London. Damals kümmerte er sich um mich." Im Jahr 1999, als sie enthüllt habe, dass sie die uneheliche Tochter von König Albert II. sei, kam es zum Streit zwischen ihr und ihrem Vater, behauptete Delphine. Seither hätten sie keinen Kontakt mehr. Ihre Mutter sei die "große Liebe" von Albert II. gewesen, berichtete sie weiter. Die Beziehung habe von 1966 bis 1984 gedauert. Albert II. sei sogar bereit gewesen, sich von seiner Frau Paola scheiden zu lassen. "Aber meine Mutter wollte das nicht. Das hätte für ihn den totalen Bruch mit dem Königshaus bedeutet."

Bis vor elf Jahren hat in Belgien fast niemand geglaubt, dass Albert II. Herzog von Brabant, Prinz von Lüttich aus dem Hause Sachsen-Coburg einst König der Flamen und Wallonen werden könnte. Doch die Geschichte wollte es anders. Nach dem plötzlichen Tod seines Bruders König Baudouin, der am 9. August 1993 in seinem spanischen Feriendomzil völlig unerwartet einem Herzleiden erlag, stellte sich die Frage der Nachfolge ganz unerwartet. Zunächst blickte ganz Belgien auf Prinzessin Astrid, die Tochter von Albert II., die im Volk viel Symphathie genießt. Dann war Prinz Philip, der älteste Sohn des heutigen Königs, im Gespräch für das höchste belgische Staatsamt. Da König Baudouin und Königin Fabiola kinderlos geblieben waren, lag dies auf der Hand. Schließlich machte sich der am 6. Juni 1934 in Brüssel auf Schloss Stuyvenberg geborene Albert II. selbst auf, um seinen Bruder Baudouin auf dem Thron zu beerben.

Das hatte einen bizarren Nebeneffekt. Seither lebt Belgien nämlich mit der Situation, von zwei Königinnen regiert zu werden. Denn mit dem Amtsantritt von König Albert II. wurde auch dessen aus Italien stammende Frau Donna Paola Ruffo di Calabria Königin Belgiens. Königin Fabiola, die Witwe des verstorbenen Königs Baudouin, durfte ihren Titel als Königin jedoch behalten.

Prinz Albert II. kümmerte sich vor seiner Regentschaft vor allem um die Entwicklung und Förderung des belgischen Exports. Als Präsident des belgischen Außenhandelsamtes leitete er zahlreiche Delegationen ins Ausland und wurde so zu einer Art "Botschafter der belgischen Wirtschaft". Auch darüber hinaus übernahm er, seit den 60er-Jahren schon, zahlreiche Repräsentationspflichten. Er rief außerdem den nach ihm benannten "Prinz Albert Fonds" für die Ausbildung von Wirtschaftsfachleuten ins Leben.

Dennoch galt er als Lebemann, und so gab es zunächst etwas Argwohn, Albert II. könne das von seinem als ernst und steif geltenden Bruder Baudouin geerbte Staatsamt nicht standesgemäß ausfüllen. Solche Zweifel hat er längst beiseite gewischt. Sowohl während der schrecklichen Affäre um den Kinderschänder und -Mörder Marc Dutroux als auch nach der verheerenden Gasexplosion in Ath im Juli diesen Jahres mit 18 Toten und über 100 Verletzten, erwies sich der König als mitfühlender Landesvater. Er lud die Angehörigen der Opfer zur persönlichen Audienz in das Brüsseler Schloss. Er widmete ihnen in einigen seiner zahlreichen Reden große Aufmerksamkeit und spendete ihnen damit Trost. Kein Zweifel: König Albert II. ist in seiner nunmehr elfjährigen Amtszeit der König aller Belgier geworden. Es ist im gelungen, das sprachlich und kulturell so zerklüftete Land, in dem die flämische Mehrheit im Norden niederländisch parliert, der Süden in der Wallonie frankophon ist und rund um Eupen und Malmedy noch rund 70.000 deutschsprachige Belgier leben, zusammenzuhalten. Und das, obwohl in Flandern der Wunsch nach Unabhängigkeit immer lauter hörbar wird und der fragile Bundesstaat Belgien mit jeder neuen Krise auf eine neue Bewährungsprobe gestellt wird.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.