Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 46 / 08.11.2004
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Ralf Puchert

Männer und Gleichstellungspolitik?

Was ich nicht sehe, findet auch nicht statt: Diskriminierung

"Gleichstellungspolitik ist Frauensache." "Gleichstellungspolitik zielt auch heute weitgehend auf eine Gleichstellung von Frauen." Diese Aussagen sind Vorwurf und Tatsache zugleich, und angesichts noch immer dominierender Geschlechterhierarchien in der Arbeitswelt auch durchaus ein gerechtfertigter Ansatz. Um das Ziel der Gleichstellung zu erreichen, ist nicht nur eine Gleichstellung von Frauen nötig, sondern auch eine Veränderung des Geschlechterverhältnisses. Die Geschlechtersegregation des Arbeitsmarkts lässt sich nicht nur aufheben, wenn Frauen in Männerberufen gefördert werden, sondern auch umgekehrt.

Das Bild des Mannes als Familienernährer ist nicht nur bei Männern selbst wirkmächtig, sondern ist auch Grundlage vieler Positionen in der Sozial- und Familienpolitik. So fördert das Ehegattensplitting in der Steuergesetzgebung das Hauptverdienermodell in Familien. Männer erlangen in Folge dessen zwar häufiger besser dotierte Stellen, sind jedoch auch in den Anforderungen gefangen, die das Ernährermodell an sie stellt. Zudem profitieren nicht alle Männer im gleichen Maße von den Geschlechterhierarchien. So haben inzwischen auch viele Männer ein Vereinbarkeitsproblem von Berufs- und Privatleben, wünschen sich eine gerechtere Verteilung von Berufs- und Familienarbeit innerhalb ihrer Partnerschaften. Dabei werden sie bisher im Rahmen von Gleichstellungspolitiken und -maßnahmen jedoch weitgehend allein gelassen. Im Rahmen von Gender Mainstreaming-Prozessen scheint hier etwas in Bewegung zu kommen. Erstmals wird theoretisch der Blick auf die gesamten Geschlechterverhältnisse gerichtet. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen von einzelnen Männern sind bis jetzt jedoch kaum davon berührt.

Seit langem geben Männer in Umfragen und Studien an, dass sie für die Gleichstellung der Geschlechter auch im Beruf sind. Trotzdem existieren weiterhin die Geschlechterhierarchien im Beruf, Männer sind weiterhin nur unterdurchschnittlich mit Hausarbeit und Kinderbetreuung befasst. Wie lässt sich dieser Widerspruch erklären oder verstehen? Feministische Theorien gingen lange davon aus, dass Männer mit ihren Äußerungen nur Ideologie betreiben, aber ansonsten bewusst an dem Fortbestand ihrer Dominanz bastelten. Die kritische Männerforschung hat jedoch inzwischen gezeigt, dass der Fortbestand von männlicher Dominanz in vielen Bereichen nicht so einfach zu erklären ist.

Geschlechterhierarchie kann als eine kulturelle Hegemonie des männlichen Geschlechts verstanden wer-den, die im Berufsleben von Männern, aber auch von Frauen fortwährend reproduziert wird. Gemeinsam wird eine Arbeitskultur geschaffen, die auf immer neue Weise eine Vorherrschaft von Männern sichert. Diese sind die Hauptgewinner einer solchen Kultur. Den Preis zahlen vor allem Frauen, in unterschiedlichem Maße aber auch Männer. Die komplexe Stabilität dieser männlich dominierten Arbeitskultur in Betrieben, Organisationen und Verwaltungen soll hier verdeutlicht werden: Wie nehmen Männer Geschlechterdifferenzen in ihrer Arbeitskultur, im Team oder im Arbeitsumfeld individuell wahr?.

Bei der Untersuchung von individuellen Reaktio-nen auf Gleichstellung zeigt sich bei allen Männern eine ungeheure Diskrepanz zwischen egalitärem Bewusstsein und konkretem Verhalten. Trotz durchgängig egalitärer Einstellung verharren Männer in Untätigkeit. Viele beurteilen Gleichstellungsmaßnahmen skeptisch, manche lehnen jeden Schritt und jede Maßnahme zur Schaffung von Gleichstellung ab. Den Widerspruch zwischen ihrer positiven Einstellung zur Gleichstellung und ihrer Untätigkeit bei der Herstellung derselben können Männer dadurch aushalten, dass sie geschlechtsspezifische Diskriminierung und Differenz nur selektiv wahrnehmen. Die Betrachtung durch die Brille der eigenen Interessen heißt für Männer, die Diskriminierungen von Frauen zwar grundsätzlich gesamtgesellschaftlich anzuerkennen. In ihrem eigenen Arbeitsumfeld aber überschätzen sie den bereits erreichten Stand der Gleichstellung erheblich. So weisen Männer allein die Möglichkeit einer Diskriminierung durch sexuelle Belästigung in ihrem Arbeitsumfeld weit von sich - alles, was sie wahrnehmen, wird nicht als solche gedeutet. Diese selektive Form der Wahrnehmung soll hier "interessen-geleitete Nichtwahrnehmung" genannt werden.

Gleichheit heißt für viele Männer Gleichbehand-lung. In ihrem direkten Umfeld sind ihrer Meinung nach Männer und Frauen gleich und werden gleich behandelt. Die Gleichheit der Geschlechter sei demnach schon erreicht, somit könne es also gar keine Diskriminierung geben. Durch dieses Gleichheitspostulat entsteht für sie keinerlei Handlungsbedarf, im Gegenteil, weitere Maßnahmen erscheinen überflüssig. Erklären lässt sich mit der interessengeleiteten Nichtwahrnehmung und dem Gleichheitspostulat vor allem das Selbstverständnis als "Gerechter", das gute Gewissen vieler Männer. Bei ihnen existiert keine Notwendigkeit, für ihre egalitäre Haltung einzutreten und zu handeln, sie können untätig bleiben angesichts von Diskriminierung. So wirken die meisten Männer an der Verhinderung der beruflichen Gleichstellung mit, allerdings in den meisten Fällen weder strategisch noch bewusst. Doch die Wahrnehmungsmuster allein erklären nicht die Männerdominanz im Beruf.

Eine männlich dominierte Arbeitskultur in Organi-sationen und Verwaltungen grenzt ganz nebenher Nicht-konforme aus - Frauen wie Männer. Es gibt verschiedene typische Arbeitskulturen, die dominante Kultur insbesondere in den Führungsetagen lässt sich als "männerbündische Arbeitskultur" beschreiben. Sie umfasst folgende we-sentliche Merkmale: In Organisationen gibt es viele unausgesprochene Spielregeln, die besagen, welches Verhalten in welcher Situation angemessen ist. Nur diejenigen, die sie kennen und einhalten, werden akzeptiert. Nicht jede/r neue Mitarbeitende wird in die Spielregeln eingeweiht. Immer aufs Neue muss man seine Hingabe und Loyalität beweisen: Durch Informationen, Engagement, Verfügbarkeit und Belastbarkeit. Um ausgewählt zu werden und die nötigen Verbindungen zu bekommen, muss man zeigen, dass man "in den Kreis passt". In einer homogenen Gruppe fühlt man sich schnell wohl, und es arbeitet sich erheblich einfacher. Durch die langen Arbeitszeiten gehen "unnütze" außerberufliche Kontakte schnell verloren. Die Berufsarbeit wird zum Mittelpunkt der gesamten Existenz und damit auch der zentrale soziale Lebensraum. Es kommt zur Vermischung von beruflichen und privaten Angelegenheiten - und zur Ausgrenzung all jener Personen, die ihre Zeit nicht unbegrenzt zur Verfügung stellen können oder wollen.

Gruppen, die sich durch die genannten informellen Mechanismen absondern, halten sich gerne im Hintergrund. Sie bestehen oft nur aus Männern und haben einen starken Zusammenhalt. Die "Freundschaften" werden durch Rituale gestiftet und erhalten. Interne Konflikte werden von "alten Hasen" kontrolliert ausgetragen und eskalieren daher selten, die Wahrung des Gruppenzusammenhalts ist das wichtigste Ziel. Diese männerbündischen Gruppen geben nach außen immer ein geschlossenes Bild ab, das sichert ihnen Vorteile gegenüber vereinzelten Akteuren. Sie prägen die Arbeitskultur. So schließt sich der Kreis, und der Erfolg, den man gerne darstellt, und die etwas geheimnisvolle Macht gibt den Männerbünden Anziehungskraft und Glanz. Auch wenn sich nicht in überall so starke innerorganisatorische Gruppen formieren, wie im letzen Punkt beschrieben, die hegemoniale Arbeits- und Organisationskultur vieler Führungsetagen ist deutlich an diesem Muster orientiert - und damit männerbündisch. Sie befriedigt vielfältige Bedürfnisse der Führungskräfte. Durch die Bündelung der Kräfte kann sie zumindest vorübergehend für die Organisationen von Nutzen sein.

Die Auswirkungen auf Gleichstellung liegen auf der Hand: Frauen passen nicht in die homogenen Führungskreise, Mütter (und verantwortungsbewusste Väter) können sich nicht in beliebiger Weise verfügbar halten. Die Veränderung dieser Arbeitskulturen ist schwierig, obwohl sie zu großen Teilen sinnvoll für die Organisationen wären und den Bedürfnissen eines Teils der Männer entsprächen. Trotz des Beharrungsvermögens von männlichen Arbeitskulturen und Männlichkeiten lassen sich aktuell Veränderungen aufzeigen, die ein gleichgestelltes Leben unterstützen. Den ökonomischen Hintergrund dazu bildet die Tatsache, dass Männer zunehmend weniger die Familien-ernährerposition ausfüllen können. Angesichts von Flexibilisierung und Abbau von Berufsarbeit hat heute nur noch eine Minderheit der Männer in Deutschland ein "Normalarbeitsverhältnis", so dass immer weniger die ökonomische Sicherheit für ihre Familien garantieren können. Männer sind insoweit gezwungen, ihre Position in Partnerschaften und Familien zu reflektieren. Jedoch trifft dies zumindest bei einem Teil der Männer auf gewandelte Einstellungen und Interessen. Männer wollen zunehmend mehr sein, als Berufsmenschen und ökonomische Ernährer. Der Anspruch an das ganze Leben wächst. Von einem sehr niedrigen Level ausgehend, nimmt etwa die Zahl von Männern in Erziehungszeit und Teilzeit deutlich zu. Neben dieser bisherigen Minderheit strebt die Mehrheit der Män-ner eine Gleichverteilung von Berufsarbeit in ihrer Partnerschaft an, was sich in einer europäischen Studie eindrücklich bestätigte.

Je nach Lebenslage und Orientierung, je nach Männlichkeit unterscheiden sich die möglichen Gewinne durch Gleichstellung: Männer, deren Männlichkeit durch das Selbstverständnis als Familienernährer geprägt ist, können mehr Kontakt zu Familie und Kindern bekommen. Führungskräfte, berufliche Übererfüller, die bis zu 100 Stunden die Woche mit Berufsarbeit verbringen, können dadurch ihre körperliche und seelische Gesundheit stärken. Zeitpioniere, die schon jetzt der Berufsarbeit nicht die Priorität einräumen, können gleichzeitig in mehreren Lebensbereichen aktiv sein und wären dennoch keine Ausnahmefälle. Männer, die versuchen, andere Paararrangements, aktive Vaterschaft und Reduzie-rung des Berufslebens zu leben, finden bisher kaum Unterstützung. So fühlen sich Gleichstellungsbeauftragte häufig nicht zuständig für die Vereinbarkeitsprobleme von Männern.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Männer in der Gleichstellungspolitik bisher meist nur in dem sozialen Stereotyp des Ernährers mitbedacht sind, der sich der Gleichstellungspolitik in den Weg stellt. Männer, die bewusst und aktiv Frauen diskriminieren oder Gleichstellung torpedieren, sind jedoch eine Minderheit. Die Mehrheit wirkt durch ihre Wahrnehmung und Arbeitskulturen an dem Ausschluss von Frauen aus Führungsetagen mit und hat ansonsten mit der "Frauensache" Gleichstellung nichts zu tun. Gleichstellungspolitik, die auf die Veränderung des Geschlechterverhältnisses zielt, trifft durchaus die Interessen von vielen Männern.

Ralf Puchert ist Soziologe bei Dissens e.V. Berlin


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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