Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 46 / 08.11.2004
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Bert Schulz

Die Frau von morgen war gestern

Über Trugbilder, Klischees und andere Irrtümer

Auf dem ersten Höhepunkt ihrer Emanzipation im vergangenen Jahrhundert gestand der Dichter Georg von der Vring den Frauen, galant, achtungsvoll und durchaus ein wenig euphorisch, zu: "Sie haben sich nicht unvorteilhaft verändert, meine Damen!"

Es war das Jahr 1929, und von der Vring durfte die neu errungene Stellung der Frau in der Gesellschaft loben, zusammen mit 15 renommierten, politisch meist progressiven Schriftstellern (Betonung auf der männlichen Form) in einer Essaysammlung mit dem schönen Titel: "Die Frau von morgen wie wir sie wünschen". Er tat dies, wie viele der Autoren, mit einer Mischung aus Selbstverständlichkeit und Sorge. Schließlich ließ sich nicht ganz von der Hand weisen, dass sich die "Offensive der Frau" (so der Titel seines Textes) auch auf Kosten des männlichen Geschlechts vollzog. Es war keine leichte Zeit für die Herren, damals, zehn Jahre nachdem sie auf ihrer ureigensten Domäne, dem Krieg, so schrecklich und vollkommen versagt hatten und quasi als Quittung die Frauen als Konkurrenz präsentiert bekamen.

An dieser Situation hat sich bis heute nichts geändert. Wie auch? Schließlich und eigentlich ist es nur gerecht, dass sich die Damen ein bisschen großzügiger im Herrenhaus einrichten. Das zuzugestehen wird wohl kein Mann - galant wie Cary Grant in seinen besten Rollen - bestreiten. Schließlich geben wir gerne immer noch zu, dass das "schwache" Geschlecht in Fragen des Stils und der (Wohnungs-)Einrichtung mehr Ahnung hat als wir. Allerdings macht diese Großzügigkeit unsere Lage nicht leichter. Wir müssen uns mit den Früchten von einem vollen Jahrhundert Frauenemanzipation herumschlagen, Bilanz ziehen und vielleicht sogar etwas daraus lernen. Aber wie sollen wir mannhaft diese Aufgabe bewältigen, wenn noch nicht mal die Frauen wissen, was sie in diesen Zeitraum erkämpft statt erkocht haben?

Das klingt jetzt ein wenig wehleidig. Aber irgendwo muss dieses klassische Klischee über "die" Männer ja herkommen. Schließlich flüchten auch wir uns in Abziehbilder, wenn es um die - im Sportreporterjargon formuliert - "Mädels" geht. Ohne sie läuft in den Geschlechterbeziehungen noch immer gar nichts. Selbst wenn wir uns einreden, Klischees ironisch zu verwenden und damit zu "brechen", wie das so schön heißt: Ganz verlassen hat uns der Glaube an die Richtigkeit der alten Vorstellungen noch nicht.

Beispiel: Unser Blick auf jene Frauen, die wir gar nicht kennen, aber denen wir mit Blicken und Gedanken folgen. Die Männerversteher vom Umfrageinstitut Allensbach haben 70 Jahre nach Georg von der Vring herausgefunden, dass jeweils gut zwei Drittel der männlichen Wesen "die" Frau erstens für zärtlich, zweitens für eitel und drittens für charmant halten. Wie gesagt, Frauen im Allgemeinen. Nur: Wir lassen uns immer wieder blenden. Denn, so die Untersuchung weiter, falls wir uns die Mühe machen - und wir machen sie uns bisweilen -, dieses Bild anhand eigener Erfahrungen zu überprüfen, ist es vorbei mit der eitlen flotten Biene. Nur ein knappes Drittel der uns bekannten Frauen, so wissen wir, erfüllt diese vermeintlich so typisch weiblichen Eigenschaften.

Eigentlich ist das ein schönes Ergebnis. Aber leider gilt diese Selbsttäuschung - wir könnten es ja besser wissen - auch für die anderen Charakteristika. Unser prinzipiell recht makelloses Bild von der charmanten und zärtlichen Weiblichkeit zerfällt genauso in der Realität. Die uns bekannten Frauen sind, um den Blick auf die trockene Statistik abzuschließen, in der Praxis zudem weniger nörglerisch und verschwendungssüchtig als ihr Ruf, haben aber einen guten Schuss mehr Durchsetzungsvermögen als wir allgemein erwartet hätten.

Der Befund stimmt nachdenklich. Wir lassen uns zwar gerne überraschen, aber nicht täuschen. Aber offensichtlich hängen wir Trugbildern nach. Und könnte es sein, dass sich die Frauen nicht in der Theorie, aber dummerweise in der Praxis dem männlichen Auftreten mehr und mehr annähern? Diese Entwicklung zehrt am Selbstwertgefühl. Das ist freilich nichts Neues. Schon in der genannten Essaysammlung aus den im Rückblick nicht für alle so "goldenen Zwanzigern" schrieb die Unsicherheit immer mit.

Offensichtlich befinden wir uns als Mann in der Gesellschaft auf dem Rückzug aus den gewohnten vorzüglichen Positionen und Rollen. Natürlich belehren uns Erbsenzähler(-innen) immer wieder, dass es damit - statistisch gesehen - gar nicht so weit her sei. Zu viele Großverdiener und, verglichen damit, viel zu wenig Großverdienerinnen; zu viele Entscheider und viel zu wenig Entscheiderinnen; zu viele Bundeskanzler und keine Bundeskanzlerinnen. Aber es ist doch offensichtlich: Letztlich können wir nur verlieren. Oder, um es in der männlichen Sprache mit den beliebten Anleihen aus dem Militärischen zu formulieren: Im "Geschlechterkampf" fühlt sich der männliche Part wie ein Feldherr, der weiß, dass die Schlacht zwar nicht unbedingt verloren, aber zumindest nicht mehr zu gewinnen ist. Jetzt überlegt er sich reichlich verzweifelt, auf welche Position er sich zurückziehen könnte. Es überrascht wenig, dass lediglich für ein knappes Drittel aller Männer der Begriff "Frauenemanzipation" sehr positiv besetzt ist.

Allerdings gibt es immer wieder Phasen, da lässt sich das Rätselraten über die eigene Position ganz gut verbergen. Wie derzeit: Offensichtlich lahmt die "Offensive der Frau". Sie wird von uns zumindest nicht mehr so aufdringlich empfunden wie in den 20er-Jahren oder im Zuge der Nachwehen der 68er-Bewegung. So ergeben sich immer wieder kleine und größere (vermeintliche) Gegenbewegungen. Beispiel: Anfang der 90er-Jahre verkündete das "Nachrichtenmagazin"(!) "Der Spiegel" das Ende der Frauenbewegung und dass die Männer nun "zurückschlagen" würden - vielleicht in der Hoffnung, in Zukunft noch ungezügelter als bisher schon blanke Frauenhaut zu jedem erdenklichen Thema auf das Titelbild bringen zu können. Gegen Ende des vergangenen Jahrzehnts schwappte dann die Welle britischer Hochglanz-Magazine für Jungs auf den Kontinent über. Nachdem das Schlachtschiff der Männerbewegung, der "Playboy", bereits mehr als nur graue Schläfen bekommen hat, können wir uns nun an Heften wie "Maxim" und "Matador" mit ihren Schlagzeilen Marke: "So kriegst du sie in fünf Minuten rum" ergötzen und Zweifel an unserem Rollenverständnis hinter einer enorm vergrößerten Masse an Titelbildern mit spärlich bekleideten, scharf ausgeleuchteten 25-jährigen (Film-)Sternchen verstecken. Ältere Semester dürfen familiengerecht auf die der selben Zeit entsprungenen TV-Magazine zurückgreifen, die von vollbusigen Blondinen meist aus einer Fernseh-Soap angepriesen werden.

Auf diese Art bleiben die alten Frauenbilder in den Herrenhirnen verhaftet, während sie von der Realität überholt werden. Wir wissen das. Und deswegen erneuern wir das Kompliment Georg von der Vrings gerne und unverändert: "Sie haben sich nicht unvorteilhaft verändert, meine Damen." Aber bitte einigen Sie sich doch darauf, wo und wann ihre Verwandlung endet. Damit wir uns darauf einstellen können.

Bert Schulz lebt als freier Journalist in Berlin.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.