Wenn Inge Hintringer einkaufen geht, dann macht sie es richtig. Nicht, dass sie übermäßig viel kaufen würde, manchmal verlässt sie den Laden auch wieder mit leeren Taschen, aber dann hatte sie auch gute Gründe: Schlechte Beratung, komplizierte Produkte, keine Qualität. Wie zum Beispiel die Sache mit dem Camcorder. Was es für Modelle gab, konnte der Verkäufer ja noch erklären, aber die Unterschiede zwischen all den Dingern?
Kameras sind sowieso ein heikles Feld. Die meisten haben drei Mal so viele Funktionen, wie man tatsächlich braucht, und dann ist die Bedienungsanleitung auch noch auf Englisch. So ein Produkt fällt für die 79-Jährige gleich aus der Wahl. Der Grund: Nicht altersgerecht. Aber wer denkt bei der Vermarktung von Camcordern schon an 80-Jährige als Zielgruppe? "Das hat mich schon immer geärgert", sagt Inge Hintringer, "aber jetzt habe ich eine Möglichkeit das auszudrücken." Jetzt, das heißt seit vier Jahren, ist sie als Einkäuferin im Auftrag von A.GE unterwegs, einer Nürnberger Agentur, die das Konsumverhalten von Senioren erforscht, und testet Produkte auf ihre Seniorentauglichkeit. Das Ergebnis ist mitunter niederschmetternd. Ob Camcorder, Bankberatung, Matratzen, Parfüms oder Anti-Faltencremes, für Alte ist das meiste nicht gemacht. Inge Hintringer wundert das: "Was die Geschäftsführer sich denken - das ist doch ein großer Markt!"
Das findet auch Andreas Reidl, Geschäftsführer der Agentur A.GE Schließlich lebt in jedem zweiten Haushalt eine Person über 50, und es werden jedes Jahr mehr. Sind heute rund 14 Millionen Menschen in diesem Land älter als 65 Jahre, werden es im Jahr 2030 bereits 20,5 Millionen sein. Auf 36 Prozent belaufen sich die Schätzungen für das Jahr 2050. Trifft die Prognose zu, gäbe es dann mehr als doppelt so viele Rentner wie Kinder. Im Marktanalystendeutsch heißt das: Mit abnehmender Bevölkerung schrumpft zwar die Zahl der Konsumenten, aber die Zielgruppe der Generation 50+ nimmt zu. Dass die Firma A.GE noch schneller wächst als der Altenanteil - seit 1996 hat sich die Mitarbeiterzahl verdreifacht - spricht dafür, dass es im Bereich seniorengerechte Produkte noch einiges zu tun gibt.
Wenn die Schrift liederlich klein ist
Wenn es um dieses Thema geht, kommt Inge Hintringer in Fahrt: "Ich kauf doch keine Creme, wenn ich die Zusatzstoffe nicht lesen kann, weil sie so klein gedruckt sind. Das ist so was von liederlich!" Oder: "In der Drogerie kommt ein Püppchen von 18 Jahren auf mich zu, aber was für die schick ist, ist es doch nicht für mich." Oder: "Ich kauf doch kein technisches Gerät, wenn ich die Bedienungsanleitung nicht lesen kann, weil sie auf Englisch ist." Letztendlich sind Inge Hintringers Ansprüche einfach. Sie lassen sich in vier Schlagworten zusammenfassen: Seniorenfreundliche Aufmachung, guter Service, Haltbarkeit, Qualität und Überschaubarkeit. Was ihr und anderen Seniorscouts aufstößt, sind immer wieder dieselben Mängel: Verpackungen, in denen sich die Finger verheddern; eine Fülle von Funktionen, die Ottonormalverbraucher nicht anwenden kann; englische Werbeworte oder unverständliche Abkürzungen; Texte, die kaum zu entziffern sind. Der Grund dafür ist einfach: An ältere Kunden wird bei der Produktentwicklung zu wenig gedacht. Nicht nur, weil junge Menschen als konsumfreudiger, gelten, sondern auch wegen des Seniorenbildes in den Köpfen: Die Nachkriegsoma, die ihre Röcke so lange flickt, bis sie auseinander fallen. Sparsam, genügsam, nicht in der Konsumgesellschaft angekommen. Andreas Reidl findet die Zeit reif für eine mentale Kehrtwende: "Das Alter muss man anders betrachten, heute bleibt man länger jung."
Die Erkenntnis reift allerdings nur langsam. 1992 wurden ältere Menschen von der Düsseldorfer Werbeagentur "Grey" erstmals als "Master Consumers" entdeckt: Verbraucher mit hohen Ansprüchen, eben weil sie schon ein langes Leben Einkaufserfahrung mitbringen und wissen, was sie wollen. Andreas Reidl stieß schon 1990 auf das Thema. Auf einem Seminar lernte er einen älteren Designer kennen, der ihm von seinem Lebensabendplan erzählte. "Das war nur Konsum", sagt Reidl. Es dauerte bis 1996, ehe er diesen Anstoß in seiner Agentur für Generationenmarketing umsetzte. Seither wurde das Thema immer präsenter. Wenn die Absatzzahlen sinken und neue Wachstumsmärkte gefunden werden müssen, suchen die Firmen nach neuen oder bislang unerschlossenen Verbrauchergruppen. Und auf einmal sind sie im Blickfeld, die Alten mit den hohen Renten und den dicken Sparbüchern. Die kaufen schließlich nicht nur Knoblauchpillen und Lesebrillen, sondern auch Joghurt, Fotoapparate und Haarspray. Die Frage ist: Wie wird man deren Bedürfnissen gerecht?
Betuliche Spots für Treppenlifte
Das ist gar nicht so einfach. Als groben Fehler stufen die Reidls Scouts es ein, Produkte als explizit seniorengerecht zu verkaufen. Das endet oft in betuliche Spots für Treppenlifte, Blasenschwächeprodukten und Herzpillen. "Das wird als Stigma wahrgenommen", sagt Andreas Reidl. Nicht gut angekommen ist bei den Seniorscouts auch die Werbung eines Tiefkühlkostherstellers, in der eine betagte Frau auf der Suche nach "jungem Gemüse" war. Andreas Reidl urteilt: "Die Frau war zu aufgedreht und überzogen. Ältere Konsumenten legen Wert auf eine authentische Darstellung." Keine pink gefärbten Schmetterlinsgbrillenträger, sondern Menschen mit grauen Haaren und altersgerechtem Lifestyle. Als solche wollen sie gleich- berechtigt neben jungen Käufern angesprochen werden, also alte Gesichter, die mit nichtalten an einem Tisch sitzen. Andreas Reidl resümiert: "Wünschenswert ist eine Kultur des Miteinanders, in der Ältere auch wieder einen Stellenwert bekommen."
Am Ende behindern die Konsumansprüche der Alten die Jüngeren schließlich nicht. Wenn die Handytastatur auch für schwache Augen lesbar ist und überflüssige Funktionen entsorgt werden, glaubt Andreas Riedl, sei allen geholfen: "Telefone, mit denen man in erster Linie telefonieren kann, werden alle ansprechen." Seinen Kunden rät er also, die Senioren nicht als Extra-Zielgruppe anzuvisieren, sondern Produkte und Werbung so auszurichten, dass unter anderem auch Ältere etwas damit anfangen können. Dass sich diese Einsichten angesichts der zu erwartenden Seniorenschwemme zwar gemächlich, aber sicher durchsetzen, glaubt er auch: "Ab 2010 wird der Wandel dann spürbar, wenn die Babyboomer in den Ruhestand gehen." Dann ist eine neue Generation im Rentenalter, die mit der Nachkriegsmentalität nichts mehr gemein hat und Weichen für die Zukunft setzt."
Susanne Balthasar lebt in Berlin und arbeitet als freie Journalistin.