Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 49 / 29.11.2004
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Dirk Klose

Wider Rassismus und Vorurteile

Hearing im Bundestag zum Antisemitismusbeschluss der OSZE

Wie kann der virulente Antisemitismus in Europa angemessen bekämpft werden? Ist Kritik an der Politik des Staates Israel bereits Antisemitismus? Und wie soll man sich auf den islamistisch gefärbten Antisemitismus einstellen, der immer nachhaltiger auch die Debatten zwischen christlicher und islamischer Welt prägt? All diese Fragen standen im Mittelpunkt einer kontroversen Anhörung vor der deutschen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE am 22. November im Deutschen Bundestag, bei der es um konkrete Maßnahmen zur Antisemitismusbekämpfung ging.

Im April dieses Jahres hatte im Auswärtigen Amt in Berlin eine Konferenz der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) zum Thema Antisemitismus getagt und in einer einstimmig angenommenen "Berliner Erklärung" die Teilnehmerstaaten zu einer nachdrücklichen Abwehr des Antisemitismus in Europa verpflichtet. Bei dem jetzigen, vom SPD-Abgeordneten Gert Weisskirchen geleiteten Hearing im Bundestag ging es um die konkrete Umsetzung dieser Beschlüsse. Dabei standen drei Fragen auf der Tagesordnung: Hat die Berliner Erklärung den gegenwärtigen Antisemitismus in Europa klar erkannt, oder gibt es Defizite? Ist die Zielsetzung für einen Kampf gegen den Antisemitismus klar beschrieben? Wie kann Kritik an der Politik Israels von Antisemitismus abgegrenzt werden?

Bedrohung der Menschenwürde

Staatssekretär Klaus Scharioth vom Auswärtigen Amt wies zu Beginn auf die politische Wirkung des einstimmig angenommenen Beschlusses der OSZE-Konferenz hin. Antisemitismus sei angesichts der Bedrohung der Menschenwürde von Betroffenen immer zugleich auch eine Bedrohung der Sicherheit und somit eine politische Bedrohung. Konkret soll jetzt, so Scharioth, das in Warschau arbeitende "Office for Democratic Institutions and Human Rights" (ODIHR) eine zuverlässige Datenbasis liefern; ferner wird auf deutsche Initiative der OSZE-Ministerrat im Dezember voraussichtlich einen Sonderbeauftragten zum Thema Antisemitismus berufen, ebenso wird es einen Beauftragten für Rassismus und Diskriminierung der Muslime geben.

Als erster Experte hatte Professor Alfred Grosser, wegen seiner jüdischen Abstammung in jungen Jahren aus Deutschland geflohen und heute einer der besten Deutschlandkenner in Frankreich, gesprochen und harsche Kritk an der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern geübt: "Ich spreche von israelischen Kriegsverbrechen; man darf das sagen." Nach seinen Worten komme es im Nahen Osten vor allem darauf an, das Leiden anderer zu verstehen; "das aber ist auf jüdischer Seite in der Regel nicht vorhanden".

Opfer des Rassismus in Frankreich sind heute nach Grossers Worten weniger die Juden als vielmehr jugendliche Moslems, und Antisemitismus werde ungewollt dadurch gefördert, dass man nicht auch diesen Rassismus nennt. Grosser nannte als Beispiele für "Taten gegen den Antisemitismus" die jüdische Schriftstellerin Amira Haas, die seit Jahren in den besetzten Gebieten lebt und von dort berichtet, und den Musiker Daniel Barenboim, der gemeinsam mit jungen Israelis und Palästinensern Konzerte gibt.

Heftige Kontroversen

Grossers Erklärung rief bei mehreren Teilnehmern heftigen Widerspruch hervor bis hin zur Kritik daran, dass er überhaupt als Experte eingeladen worden sei. Die Abgeordnete Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) bedauerte den Stil der Auseinandersetzung und nannte die gegen Grosser gerichteten Anwürfe "unangemessen und unakzeptabel". Grosser selbst äußerte, er fühle sich "zurückgeworfen in die Zeit der Berufsverbote" in Deutschland. Er habe eine Mitverantwortung, "und ich fühle mich verpflichtet, mich zu äußern, wenn Israel Grundregeln verletzt, die mir wehtun wegen meines Judentums".

Die am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin arbeitende Wissenschaftlerin Juliane Wetzel wies in einem historischen Rückblick auf die "Langlebigkeit von Weltverschwörungstheorien" hin, die im Laufe der Geschichte immer wieder und mit jeweils neuer Stoßrichtung wirkten. Nach ihren Worten werden Juden heute nicht wegen ihrer Rasse und Religion diskreditiert, sondern per se als Bedrohung empfunden: "Statt Juden sagt man heute Zionisten oder Israel. Das ist der neue Antisemitismus." Es gebe einen "antisemitischen Stereotypenkatalog", der in einer "unheiligen Allianz" von Rechtsextremisten und jugendlichen Zuwanderern gleichermaßen genutzt werde. Der "teuflische Staat Israel" ersetze das frühere Vorurteil des "teuflischen Juden".

Der ebenfalls in Berlin arbeitende Sozialwissenschaftler Jörg Rensmann ("Die Jüdische") hielt es für unzulässig, die Kämpfer des Warschauer Ghettos mit den bewaffneten Gruppen in den Palästinensergebieten gleichzusetzen. Heute werde zunehmend ein arabischer Antisemitismus nach Europa "zurücktransportiert". Durch die Unterstützung palästinensischer Bildungseinrichtungen etwa bei Schulbüchern seien einige europäische Länder mitverantwortlich für diese antisemitische Indoktrination in den Palästinensergebieten.

Die Schlussdiskussion konzentrierte sich vor allem auf konkrete Maßnahmen gegen Antisemitismus und Diskriminierung. Gerd Weiskirchen unterstrich dabei die Notwendigkeit, das Thema Antisemitismus in bi- und multilaterale Verhandlungen einzubringen. Wichtig sei deshalb der zügige Aufbau einer zentralen Datenbank bei ODHIR in Warschau und in Ergänzung zu diesem Plan ein ressortübergreifender nationaler Aktionsplan.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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