Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 04 / 24.01.2005
Zur Druckversion .
Eckhard Stengel

Misstrauensantrag nach tödlichem Brechmitteleinsatz

Bremen als "Hauptstadt des organisierten Erbrechens"?

Bremen ist für manchen Superlativ gut: einerseits Hochburg der Arbeitslosen, andererseits "Stadt der Wissenschaft 2005". Neuerdings droht Bremen auch noch "zur Hauptstadt des organisierten Erbrechens zu werden", fürchtet die Arbeitsgemeinschaft der Juristen (ASJ) in der Bremer SPD. Mit diesem Spruch reagierte die ASJ auf die Häufung von Brechmitteleinsätzen gegen mutmaßliche Dealer und auf den Tod eines 35-jährigen Schwarzen nach einer solchen Prozedur. Die Grünen nahmen den Todesfall zum Anlass, einen Misstrauensantrag gegen Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) zu stellen. Am 26. Januar stimmt die Bremische Bürgerschaft darüber ab.

Anders als sonst in Koalitionen üblich, steht die SPD diesmal nicht von vornherein eindeutig zu ihrem Bündnispartner. Letztlich dürften zwar auch die Sozialdemokraten gegen den Antrag der Opposition stimmen - aber noch halten sie die CDU ein bisschen hin: Erst müsse Röwekamp endgültig auf gewaltsame Brechmittelvergabe verzichten, forderte SPD-Fraktionschef Jens Böhrnsen. Unerwähnt ließ er dabei, dass der Innensenator nicht der Hauptverantwortliche ist. Die Grundsatzfrage, auf welche Weise verschluckte Drogenkügelchen als Beweismittel zu Tage gefördert werden sollen, entscheiden nicht Polizei und Innenressort, sondern Staatsanwaltschaft und Justizsenator - und dieses Amt bekleidet nebenbei Bürgermeister Henning Scherf (SPD).

Scherf und alle bisherigen CDU-Innensenatoren waren sich stets darin einig, Brechmittel notfalls auch mit Zwang zu verabreichen, wenn mutmaßliche Straßendealer bei Kontrollen auffällig schlucken, als wollten sie ihre Ware den Strafverfolgern entziehen. "Mit Zwang" bedeutet, dass ein Polizeiauftragsarzt dem Tatverdächtigen einen Schlauch durch die Nase in den Magen schiebt und Brechsirup samt Wasser einflößt.

Schon einmal, Ende 2001 in Hamburg, starb ein 19-Jähriger nach einem solchen Einsatz. Das rot-schwarze Bremen ließ sich jedoch nicht abschrecken, sondern verabreichte weiterhin etwa hundertmal pro Jahr Brechsirup - bis jetzt der 35-jährige Afrikaner daran starb. Seit Einführung des Brechzwangs 1992 sind rund tausend Menschen in Bremen dieser Prozedur unterzogen worden. Bei jedem Vierten war die Qual vergeblich: Bei ihnen kamen keine Drogen zum Vorschein.

Die Menschenrechtsorganisation "amnesty international" hält das Zwangserbrechen für "grausam, unmenschlich und erniedrigend". Sogar das CSU-regierte Bayern sieht die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht gegeben und wartet lieber auf den Stuhlgang, notfalls beschleunigt durch Abführmittel. Zwar greifen auch Hamburg und Berlin regelmäßig zu Brechsirup, aber Bremen tat es bisher am routinemäßigsten - bis der jüngste Todesfall jetzt einen vorläufigen Anwendungsstopp auslöste. Aber auch als der Straßendealer bereits im Koma lag, erklärte Innensenator Röwekamp die Prozedur noch für grundsätzlich "unverzichtbar" und fügte hinzu, "Schwerstkriminelle" müssten nun mal "mit körperlichen Nachteilen" rechnen.

Die Grünen und andere Kritiker wie etwa Juraprofessoren und Jungsozialisten reagierten darauf empört. Sie erinnerten an die Strafprozessordnung, wonach körperliche Eingriffe bei einem Beschuldigten nur zulässig sind, "wenn kein Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist". Und selbst Strafermittler räumten ein, dass Drogenhandel auf der Straße meist nur als Vergehen und nicht als Verbrechen verfolgt werde. Jurist Röwekamp verteidigte sich daraufhin mit den Worten, seine Einstufung von Dealern als Schwerstverbrecher sei keine "juristische Definition, sondern eine politische Bewertung".

Die Opposition warf dem Senator auch vor, er habe zunächst Falschbehauptungen über den angeblich nicht mehr lebensbedrohlichen Zustand des Kollabierten verbreitet und ihm fälschlich vorgeworfen, sich durch das Zerbeißen von Drogenkugeln quasi selber vergiftet zu haben. Röwekamp bedauerte mittlerweile, dass er zunächst einen "fehlerhaften Eindruck" von dem Fall vermittelt habe - aber das seien nun mal die Informationen gewesen, die die Polizei ihm übermittelt habe. Die Grünen konterten, dass er offenbar seine Behörde nicht recht im Griff habe. Die grüne Integrationsbeauftragte des Bundes, Marieluise Beck, nannte ihn gar "Senator Gnadenlos" und einen "Schmalspurdemokraten".

Jetzt warten alle gespannt darauf, ob bei der geheimen Abstimmung über den Misstrauensantrag auch einzelne Sozialdemokraten mit der Opposition stimmen und ob sich die CDU doch noch der Meinung von SPD und Grünen anschließt, dass eine gewaltsame Brechmittelvergabe endgültig nicht länger zu verantworten sei.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.