Sophia Loren und Peter Rühmkorf sind unehelich geboren, auch Marilyn Monroe, Leonardo da Vinci und Fidel Castro. Heute, da 25 Prozent der Kinder unverheiratete Eltern haben und Alleinerziehende beinahe schon normal sind, gerät fast in Vergessenheit, wie stigmatisiert die so genannten "Bastarde", wie diskriminiert die betroffenen Frauen waren. Fräulein Mutter und ihr Bastard, diesen Filmtitel von 1919 gibt die Freiburger Historikerin Sybille Buske ihrer Dissertation. Sie zeichnet die Geschichte der Unehelichkeit in Deutschland im 20. Jahrhundert nach, schreibt aber auch eine integrierte Familien- und Gesellschaftsgeschichte. Sie zielt darauf, die Wechselwirkung zwischen dem Rechtswandel und der sich verändernden gesellschaftlichen Einstellung gegenüber Illegitimität darzustellen.
In sieben Kapiteln zeigt die Autorin, wie Unehelichkeit im Verlauf des 20. Jahrhunderts vom ausgrenzenden Befund zum legitimen Faktum wird. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts (zwischen zehn und zwölf Prozent der Kinder sind unehelich) ist uneheliche Mutterschaft ausschließlich ein "Problem der Frau"; sie allein trägt alle sozialen und finanziellen Konsequenzen. Bis in die 20er-Jahre (8,7 Prozent der Kinder sind unehelich) ist uneheliche Schwangerschaft ein Kündigungsgrund - für die Betroffenen zumeist eine Katastrophe. Anhand der Sittlichkeitsdebatte vor dem Ersten Weltkrieg zeigt Buske, welch tiefer Riss zwischen den Verfechterinnen freier Liebe und freier Mutterschaft und den Gegnerinnen außerehelicher Sexualität besteht: Selbst progressive Frauen lehnen "Fräulein Mutter" ab. Das NS-Regime funktionalisiert auch die Familiengesetze für seine rassepolitischen Ziele: ehelich-unehelich wird zu wertvoll-wertlos. Ab 1938 ist die ledige Mutterschaft kein Kündigungsgrund mehr. Was bleibt, ist die moralische Stigmatisierung, die sich in der Unterscheidung von monogamen und promisken Frauen manifestiert.
Buske analysiert vorrangig die Rechtsentwicklung, aber auch die Interdependenz von gesellschaftlichen Veränderungen und politisch-moralischen Diskursen. Die Zusammenschau ergibt, wie sich parallel zur Wirklichkeit der prosperierenden Bundesrepublik die politischen Wertmuster verändern. Als "Wasserscheide" bezeichnet die Autorin die 60er-Jahre - bis dato hatten sich die konservativen Parteien und die christ-lichen Kirchen gegen eine Reform des Unehelichkeitsrechts gestellt. Menschenrechte und Gerechtigkeit sind nun Schlüsselbegriffe der Nichtehelichkeitsrechts-Debatte, die zum Demokratiediskurs wird.
Die Autorin erzählt anhand einer "abweichenden Familienform" den Normwandel der deutschen Gesellschaft und macht tiefe Veränderungen im Umgang mit Unehelichkeit sichtbar: Zwar wurde auch in den 60er und 70er-Jahre "Illegitimität als Folge vor- und außerehelicher Sexualität als gesellschaftliche Abweichung, jedoch nicht mehr als gesamtgesellschaftliche Gefahr wahrgenommen". Dann erst gelingt die rechtliche Angleichung des ehelichen und nicht-ehelichen Nachwuchses: "Der Bastard wird zum Kind."
Sybille Buske
Fräulein Mutter und ihr Bastard. Eine Geschichte der Unehelichkeit in Deutschland 1900 - 1970.
Wallstein Verlag, Göttingen 2004; 400 S., 40,- Euro