Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 07 / 14.02.2005
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Lydia Harder

Trauerklöße im Lachkoma

Erster Politischer Aschermittwoch im Bundestag

Werte Abgeordnete, verzeihen sie uns die Leidenschaft, wir hätten ihnen die ihre auch gern verziehen!" Fünf große Kabarettisten zogen zum ersten Politischen Aschermittwoch in den Bundestag, um "ordentlich drauf zu hau'n" und den größten Büßer öffentlich an den Pranger zu stellen. Volker Pispers, Georg Schramm, Hagen Rether und das Duo Rainer Pause und Norbert Alich entlarvten Politiker, zogen Reformen durch den Kakao und führten deutsche Politik ad absurdum. Schließlich sei es allerhöchste Zeit, nachdem die gesamte Mischpoke nach Berlin gezogen sei, auch den Aschermittwoch in die Hauptstadt zu exportieren. "Ohne Buße kann man doch nicht feiern!"

Im Paul-Löbe-Haus - "Hier sieht man also, wohin unsere Steuergelder fließen" - schritt der erste "Sautreiber" zur Tat. Der Rheinländer Volker Pispers, der seit seinem ersten Solo-Programm 1983 "Kabarette sich, wer kann" kein Auge mehr trocken lässt, zeigte sich mitfühlend gegenüber den mittellosen Abgeordneten. Auf Nebenjobs seien diese angewiesen. Allein der VW-Konzern habe mehr Abgeordnete als die PDS. Da brauche man sich nicht zu wundern, dass sie bei RWE um billigen Strom betteln.

Stellenstreicher-Ackermann, Absteige-Welteke, der Rechnungs-Fauxpas Hartz IV, Investmentbänker, die "anderer Leute Geld Gassi führen" - nichts und niemand blieb vor Pispers trockenen Witzen verschont.

Die Nebentätigkeiten der Abgeordneten blieben während des Polit-Kabaretts Zielscheibe Nummer Eins. Das Bonner Duo Pause und Alich alias Fritz und Hermann widmete dem ehemaligen CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer gleich einen ganzen Song, und einen praktischen Rat gab es obendrein: "Warum im Ausschuss schwitzen, bleib doch in der Firma sitzen."

Die fünf Kabarettisten waren sich auch in dem Punkt einig, dem Aschermittwochsniveau nicht nach unten hin zu folgen. Auch dann nicht, wenn CSU-Generalsekretär Söder behaupte, in Passau würden Sachthemen bearbeitet. Dennoch wurde auf Aschermittwochswitze nicht vollends verzichtet. So durfte über den bayrischen Ministerpräsidenten Stoiber gelacht werden, der sich "mit Bierhumpen voller Salbeitee im grammatischen Niemandsland verirrt".

Georg Schramm, einer der kompromisslosesten Satiriker des deutschsprachigen Kabaretts, stellte die Frage in den Raum, wo denn Politik eigentlich gemacht werde. Die finde doch hinter verschlossenen Türen statt, von denen aus die Fäden der Hampelmänner im Bundestag gezogen würden. Diese Marionetten "entleeren dann bei den Klofrauen Illner und Christiansen ihre Sprechblasen". Ganz zu schweigen von den "emotionalen Pissrinnen bei Kerner und Beckmann und deren öffentlich-rechtlichen Bedürfnis-Anstalten", witzelte Schramm. "Demokratie kann ganz schön nerven!", echauffierte sich auch Norbert Alich. Bis der letzte seinen Senf dazu gegeben hat.

Hagen Rether, der sich als Sitzpinkler vorstellt, angereist aus Essen, dem "Kaff der guten Hoffnung", forderte das Publikum erst mal zur Schweigeminute für Anke Engelke auf. "Sie hätte die Fußstapfen von Harald Schmidt ausfüllen können!", da ist sich Rether sicher. Hätte sie nur mal mit CDU-Chefin Angela Merkel geredet. Die verstehe einiges vom Durchhalten. Aber ihre Frisur - "Suche nach einem Spenderhirn oder doch ein Ablenkungsmanöver zum eigenen politischen Standpunkt?"

Ohne Zweifel: Der 35-Jährige war der scharfzüngigste Komiker des Abends. Messerscharfe Ironie, eingewickelt in virtuoses Klaviergeklimper. Auch optisch ist Rether nichts zu grotesk. Über dem grauen Anzug trug er eine rote Armbinde mit schwarzem Signum auf weißem Hintergrund, welches sich erst bei näherem Hinsehen als Logo des Arbeitsamtes entpuppte. Sein Statement zur aktuellen gesellschaftspolitischen Lage: "Die Werte gehen. Schröder bleibt."

Georg Schramm, ein scharfer Wortklauber in Offiziersuniform, sorgte dafür, dass auch die NPD ihren Platz auf der kabarettistischen Zielscheibe bekam. Ihr Mitgliederzuwachs sei eine Herausforderung für die Bundeswehr, so Schramm. Dort könne man das Gröbste abfangen. Die potenziellen NPD-Mitglieder hätten viele Möglichkeiten zum spielerischen Umgang mit Waffen, und einen Trainingsübungsplatz, wo sie nicht viel kaputt machen könnten.

Die Verweichlichung der Jugend ("Die müssen den Alkohol mit Limonade mixen") und die Mitnahmementalität der Deutschen bekamen ihren Spottanteil, ebenso wie die CIA auf ihrer Suche nach den "Massenverschwindungswaffen". Wehmütig erinnerten sich die Kabarettisten an alte Zeiten, als die "Achse des Bösen" noch Seidenstraße hieß und George Bush als Hardliner galt, weil man seinen Sohn noch nicht kannte.

Das Warten hat sich gelohnt

Vor allem die rot-grüne Regierung musste einstecken: "Wenn behauptet wird, etwas sei gut für Deutschland, dann sind nie die Leute selbst gemeint." Rot-grüne Mentalität zeichne sich vor allem dadurch aus: "Säuft einer ab, sagt die Regierung, helfen könne sie nicht, aber sie schüttet immerhin nicht mehr Wasser drauf!" Volker Pispers erklärte "Tri Tra Trulla Schmidt" zur "ärmsten Sau" des Aschermittwochs. "Bevor die Krankenkassenbeiträge sinken, gewinnen wir eher mit 11:0 die WM 2006", so Pispers. Aber das hänge ja ganz davon ab, wer pfeift! Überhaupt, die Fehltritte im Gesundheitswesen, das seien keine schwarzen Schafe, das sei eine schwarze Herde.

Ganz oben auf der Spottliste stand auch das Thema Tabaksteuer. Bei den Liedbeiträgen von Pause und Alich, "Wenn ich 'ne Lunge wär und auch zwei Flügel hätt'" und "Venen lügen nicht", krümmten sich die Zuschauer vor Lachen.

Die deutsche Bevölkerung, so Rether, das seien "80 Millionen Trauerklöße im Wachkoma". Nicht aber das Publikum im Löbe-Haus. Die 600 Zuschauer waren eindeutig im Lachkoma.

Der erste Politische Aschermittwoch im Bundestag: Lange hat es gedauert, aber das Warten hat sich gelohnt. Gerne möchte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse den Politischen Aschermittwoch zu einer Berliner Tradition machen. Schließlich bleibe einem manchmal nichts anderes übrig, als über die Frustrationen des politischen Alltags hinweg zu lachen.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.