Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 07 / 14.02.2005
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Johanna Metz

"Wir haben keine große Panik"

Zivis adé? Für die Sozial- und Wohlfahrtsverbände ein lösbares Problem

Der Zivildienst ist ein Auslaufmodell." Christiane Koss, die Leiterin einer Schwerstbehindertenwohngruppe der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V. im Zentrum Berlins, beobachtet das schon seit Jahren. "Früher hatten klingelte hier jeden Tag mindestens zehnmal das Telefon. Heute ist es viel, wenn einmal im Monat ein junger Mann anruft und nach einer Zivi-Stelle fragt." Der Geburtenrückgang und die seit Oktober 2004 geltenden neuen Einberufungsbestimmungen haben die Zahl der Zivildienstleistenden in Deutschland massiv reduziert. Wo 1999 noch 154.000 Zivis arbeiteten, sind es im Januar 2005 nur noch 80.700. Und es könnte noch dicker kommen, wenn die Wehrpflicht tatsächlich gekippt wird. Der Zivildienst, als Ersatzdienst seit 1961 an die Wehrpflicht gekoppelt, stünde dann ebenfalls vor dem Aus.

Gelassenheit in der Diskussion

Noch betreuen junge Kriegsdienstverweigerer für ein paar hundert Euro im Monat alte und behinderte Menschen und besuchen Pflegebedürftige zu Hause, um ihnen beim Anziehen zu helfen oder ihnen etwas vorzulesen. Der Zivi-Hiwi, der Malkurse gibt, Essen ausfährt und für Heimbewohner kocht, gehört in Krankenhäusern und Pflegeheimen ebenso zum Inventar wie eine behindertengerechte Badewanne. In wenigen Jahren könnte das vorbei sein - eine Perspektive, die bis vor einigen Monaten für viel Getöse bei Deutschlands Wohlfahrts- und Sozialverbänden sorgte. Vertreter der karitativen Einrichtungen sahen eine "Katastrophe" und "Kostenlawine" auf die sozialen Dienste zurollen und warnten vor einem "Pflegenotstand", wenn die vielseitig einsetzbaren Jung-Pfleger ausblieben. Fragt man heute nach der Stimmung, ist Gelassenheit in die Diskussion eingekehrt.

"Wir haben keine große Panik", sagt Roland Lehmann vom Diakonischen Werk, das mit rund 17.000 die meisten Zivis in Deutschland beschäftigt. "Wir hatten genug Zeit, uns auf die Veränderungen einzustellen und sind erfolgreich auf der Suche nach Alternativen." Er berichtet von Fahrdiensten, die schon jetzt komplett auf Zivis verzichten und stattdessen lieber Mini-Jobber beschäftigen. Und im Rettungsdienst, so erzählt Dorothee Mennicken vom Arbeiter-Samariter-Bund, würden Zivildienstleistende nur noch gelegentlich eingesetzt, weil durch die Verkürzung der Dienstzeit auf neun Monate seit Oktober 2004 und die lange Einarbeitungszeit kein effektiver Nutzen mehr zu erwarten ist.

Also sind Zivis doch entbehrlich? Zumindest bedeutet ihr Wegfall nicht zwangsläufig, dass die Pflege teurer würde oder wichtige Leistungen gekürzt werden müssten. Da für Zivis der Grundsatz der Arbeitsmarktneutralität gilt, dürfen sie nur unterstützende Tätigkeiten verrichten, und dafür sind teure Fachkräfte unnötig. Um Essen auszufahren, braucht es schließlich kein Staatsexamen, sondern einen Führerschein.

Freiwilliges Soziales Jahr

Bei der Diakonie hat man sich schon Gedanken gemacht, wie man Ersatz für die fehlenden Zivis finden könnte. Ganz oben auf der Liste steht der Ausbau des Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ). Mit Erfolg: Schon jetzt gebe es drei- bis viermal so viele Bewerber als Plätze zur Verfügung stehen, sagt Lehmann. Und Günter Jahn, sein Kollege von der Bundesvereinigung Lebenshilfe, teilt diese positive Erfahrung. Seit fünf Jahren gibt es dort das Berufsvorbereitende Soziale Jahr (BSJ), das sich "als gute Alternative" zum Zivildienst erweise. Jahn: "Die Leute, die sich für ein BSJ entscheiden, kommen aus freien Stücken. Sie sind entsprechend motiviert und sogar etwas billiger als Zivis." Er freut sich besonders über die vielen Menschen, die ehrenamtlich arbeiten wollen, zum Beispiel in dem sie Patenschaften für einen Behinderten übernehmen. Mittlerweile sind bei der Lebenshilfe über 100 Freiwillige aktiv - Studenten, Rentner, Arbeitslose, Berufstätige jeden Alters, die ein paar Stunden in der Woche etwas Abwechslung in das Leben eines behinderten Menschen bringen.

Mini-Jobber und Freiwillige könnten also in Zukunft die Löcher stopfen, die durch die Zivi-Knappheit entstehen. Michael Bergmann von der Caritas sieht das mit Wohlwollen, warnt aber vor zu viel Euphorie: "Der Zivildienst war über 40 Jahre ein eigenständiger Dienstleistungbereich. Es wird lange Zeit dauern, bis Ersatzlösungen greifen." Und er bedauert einen besonderen Verlust: "Mit den Zivis geht ein ganz wichtiger qualitativer Aspekt verloren. Zivis haben Zeit. Sie können sich zu den Kranken ans Bett setzen, sie trösten, den oft tristen Alltag beleben. Der Mehrwert liegt außerdem in der Begegnung der Generationen: Lebensgeschichten und -erfahrungen treffen aufeinander, junge Männer lernen hier etwas über die Sorgen und Erfahrungen alter oder behinderter Menschen. Es wäre sehr bedauerlich für alle Beteiligten, wenn das wegfiele."

Beim Sozialverband VdK sieht man das noch drastischer. "In der Pflege wird nur allzu oft eine Satt- und Sauber-Mentalität gepflegt. Ohne Zivis wird diese Tendenz nur verstärkt", sagt Tanja Schäfer. Alternativ fordert sie, ein soziales Pflichtjahr für alle einzuführen, um die soziale Versorgung auch in Zukunft sicherzustellen, denn: "Allein durch Freiwilligkeit können die Zivis nicht ersetzt werden."

Doch das ist mehr als umstritten. Das Bundesfamilienministerium, welches den 750-Millionen-Etat für den Zivildienst verwaltet, hat in der eigens einberufenen Kommission "Impulse für die Zivilgesellschaft" über die Zukunft von Freiwilligendiensten und Zivildienst in Deutschland, erst im vergangenen Jahr klargestellt, dass es keine "Verstaatlichung" des bürgerschaftlichen und freiwilligen Engagements geben dürfe.

"Ein Pflichtjahr kommt nicht in Frage"

"Eine allgemeine Dienstpflicht wird aus verfassungs- und völkerrechtlichen Gründen abgelehnt." Das sehen auch die meisten Sozial- und Wohlfahrtsverbände so. "Die Betreuung hilfebedürftiger Menschen ist Beziehungsarbeit. Die sollte in jedem Fall auf freiwilliger Basis beruhen.", sagt Dorothee Mennicken. Und Roland Lehmann stellt klar: "Ein soziales Pflichtjahr kommt grundsätzlich nicht in Frage."

Bis zum Jahr 2010 hat das Familienministerium den Verbänden Planungssicherheit garantiert. Bis dahin ist noch viel Zeit, neue Konzepte zu entwickeln, sollte der Zivildienst tatsächlich wegfallen. Für Günter Jahn steht jedenfalls fest: "Wir müssen uns frühzeitig auf ein Ende einstellen, sonst gehen wir richtig baden." Ohne finanzielle Unterstützung vom Staat geht es jedoch nicht. "Die durch den Wegfall des Zivildienstes frei werdenden Mittel müssen für Freiwilligendienste zur Verfügung gestellt werden, sonst ist eine solche Umstrukturierung nicht finanzierbar", fordert Roland Lehmann, und das Familienministerium ist sich dieser Verantwortung offenbar bewusst. Das Geld solle nicht einfach "in den regulären Haushalt übergehen", heißt es da, sondern den sozialen Einrichtungen möglichst wieder zugute kommen. Eine konkrete Entscheidung darüber steht allerdings noch aus.

Christiane Koss würde es bedauern, wenn der Zivildienst ganz wegfiele. "Zivis haben einen unpädagogischen Blick, eine erfrischende Art, die auch den Behinderten gut tut." Die patente Heimleiterin hat schon einige Zivis kommen und gehen sehen und immer die Erfahrung gemacht, dass es auch die Jungs weiter bringt: "Sie lernen Verantwortung zu übernehmen, wachsen persönlich daran. Vielleicht müssen sie hier sogar das erste Mal selbst waschen oder kochen und sich um andere kümmern. Das schadet jungen Männern nie."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.