Das Arbeitsprojekt "Objectif Plein Emploi" ("Ziel Vollbeschäftigung") ist ein in ganz Luxemburg tätiges Netzwerk von lokalen, solidarwirtschaftlichen Betrieben. Sein Hauptziel ist es, für arbeitslose Menschen neue Erwerbsmöglichkeiten zu schaffen, indem sozial nützliche Tätigkeiten erkannt und daraus Arbeitsplätze kreiert werden. Auf diese Weise entstanden bisher 30 Betriebe mit insgesamt 700 Arbeitsplätzen, was einem Anteil von zehn Prozent aller arbeitslosen Luxemburger entspricht.
Obwohl die Arbeitslosigkeit in Luxemburg mit 4,5 Prozent vergleichsweise niedrig ist, unterliegt das Land den gleichen Trends wie alle anderen westlichen Industriestaaten. Dazu gehört, dass selbst bei anhaltend hohem Wirtschaftswachstum nicht mehr so viele Arbeitsplätze neu entstehen, wie infolge Produktivitätssteigerungen und Produktionsverlagerungen in Niedriglohnländer ständig verloren gehen. Wie Günther Schmid in seinem Werk "Wege in eine neue Vollbeschäftigung" darlegt, hinterlässt jede Konjunkturflaute einen größeren Sockel von Erwerbslosen, die auch in Zeiten des Aufschwungs nicht mehr in Beschäftigung zurückfinden. Die verbreiteten Integrationsmaßnahmen für Arbeitslose können hiergegen nichts bewirken, weil sie keine neuen Stellen schaffen. Sie verbessern vielleicht die Chancen ihrer Teilnehmer auf einen Job, dafür bleiben aber genauso viele andere Bewerber auf der Strecke.
Erwerbslosigkeit verursacht enorme volkswirtschaftliche Schäden und überdies schwerste soziale Probleme. Für die meisten Menschen hängt die gesellschaftliche Anerkennung unmittelbar von der Fähigkeit ab, sich durch selbst verdientes Geld zu versorgen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Erwerbslosigkeit bedeutet ein sehr hohes Armutsrisiko und sie hat eine zersetzende Wirkung auf das Selbstwertgefühl, die Gesundheit und die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Familien.
In sozialen Brennpunkten, in denen oft besonders viele Langzeitarbeitslose leben, lässt sich überdies beobachten, wie die Verarmung der Bevölkerung zu einer Verwahrlosung des öffentlichen Raumes führen kann. Zur gleichen Zeit bleiben jedoch enorm viele gesellschaftliche Aufgaben oder sozial nützliche Tätigkeiten, mit denen kein wirtschaftlicher Profit zu machen ist, unerledigt. Betroffen davon sind wiederum vor allem sozial benachteiligte Gruppen der Bevölkerung, aber auch Lebensbereiche, die alle betreffen, etwa Bildung, Umwelt und soziale Infrastruktur.
"Objectif Plein Emploi" (OPE) hat es sich aufgrund dieser Ausgangslage zum Ziel gemacht, systematisch sozial nützliche Tätigkeiten zu erschließen und daraus neue Arbeitsplätze zu schaffen. An der Umsetzung dieser Aufgabe arbeiten 30 kleinere, über die Kommunen Luxemburgs verteilte, solidarwirtschaftliche Unternehmen, genannt "Initiativ- und Managementzentren" ("Centre d?initiative et de gestion CIG"). Sie werden geführt von so genannten lokalen Entwick-lungsmanagern ("agent de développement locale"), deren Berufsprofil eigens für diese Aufgabe geschaffen wurde.
Die CIGs ermitteln zunächst direkt im Gemeinwesen Bedarfe für sozial nützliche Tätigkeiten und entwickeln daraus Projektvorschläge. Jedem Initiativzentrum ist ein Verwaltungsrat beigeordnet, dem Vertreterinnen und Vertreter aus der lokalen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft angehören. Dieser berät und entscheidet mit darüber, wie die Projekte konkret umgesetzt werden. Schließlich wird mit der Kommune ein Kooperationsvertrag abgeschlossen, in dem festgelegt ist, welche Leistungen angeboten werden dürfen, zu welchem Preis und an welchen Personenkreis, wie viele Stellen geschaffen werden, zu welchen Vertragsbedingungen und wer als Arbeitnehmer in Frage kommt.
Eines der Haupttätigkeitsfelder des OPE sind die "personennahen Dienstleistungen" ("Service de proximité"). Diese gehen darauf zurück, dass ein großer Bedarf an Unterstützung in Form von kleineren, alltäglichen Hilfestellungen für ältere und behinderte Menschen festgestellt wurde wie Rasenmähen, kleine Reparaturen im Haushalt, Gartenarbeiten, Hilfe beim Aufräumen oder Entrümpeln, Einkaufen, Kochen, Grundreinigung oder Den-Hund-spazieren-Führen. Für die Dienste wird eine Bezahlung verlangt, wenn auch in symbolischer Höhe.
Auch bei diesen Diensten werden die Kriterien vom Verwaltungsrat und der Gemeinde genau festgelegt. Nur wer bedürftig ist, kann sie in Anspruch nehmen und auch nur in einem Umfang, durch den dem lokalen Gewerbe keine Aufträge verloren gehen. In der Praxis bedeutet das zum Beispiel, dass Hilfe bei Gartenarbeiten jemand anfordern kann, der dazu selber nicht mehr in der Lage ist, kein Geld hat, einen Gärtner zu beauftragen und/oder dessen Auftragsvolumen so gering ist, dass es für den Gärtner ohnehin nicht lukrativ ist. Die entsprechenden Mitarbeiterinnen- und Mitarbeiterstellen werden wiederum nur mit Menschen besetzt, die auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt sind. Gerade im Bereich der Gartenarbeiten hat OPE im Jahre 2002 ein wegweisendes Rahmenabkommen mit dem nationalen Gewerbeverband abschließen können, das all diese Konditionen gesamthaft regelt.
Die personennahen Dienstleistungen bieten auf diese Weise individuelle Hilfestellungen im Alltag an, die zeitaufwändig sind, aber nicht unbedingt hoch qualifiziertes Personal erfordern. Oft ist hierbei der menschliche Kontakt sogar wichtiger als die Dienstleistung an sich. Damit wirken die Dienste auch der Vereinsamung und dem gesellschaftlichen Ausschluss von älteren und behinderten Menschen entgegen und ermöglichen ihnen, länger in ihrer angestammten Umgebung wohnen zu bleiben und aktiver am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Gegenwärtig erreichen mit den personennahen Dienstleistungen insgesamt 180 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter circa 7.000 Menschen.
Andere wichtige Arbeitsbereiche des OPE sind Umweltdienstleistungen wie Recyclingbetriebe, Wanderwege- und Spielplatzunterhaltdienste sowie der Zugang zu Informationstechnologien für sozial Benachteiligte. Durch die Verwaltungsräte und andere Kooperationsstrukturen sind neben den 700 Beschäftigten weitere 400 Personen ehrenamtlich involviert.
Entscheidend für den Erfolg von OPE scheint nicht nur die dezentrale, sehr stark im lokalen Gemeinwesen verankerte Vorgehensweise zu sein, sondern auch, dass die vielen kleinen Initiativzentren eben nicht isoliert arbeiten, sondern in ein großes Ganzes integriert sind. Das Mutterhaus von OPE steuert das Unternehmen als Ganzes und versteht sich als Ressourcenzentrum für die CIGs. Es nimmt ihnen einerseits administrative Aufgaben ab und versorgt sie andererseits mit Informationen und Bildungsangeboten und es stellt ihnen ein Team von Experten verschiedener Fachrichtungen zur Verfügung.
Nach außen hin sorgt das Mutterhaus für ein einheitliches Erscheinungsbild. Durch seine Größe, seine konzeptuelle Konsistenz und seine hoch entwickelte Öffentlichkeitsarbeit ist OPE ein gewichtiger Akteur in der sozialpolitischen Landschaft geworden, der sich bei Politik und Behörden für eine veränderte Arbeitsmarktpolitik und für die Anerkennung des solidarwirtschaftlichen Sektors insgesamt einsetzt. Auch im Rahmen der EU und der OECD ist OPE laufend an verschiedenen arbeitsmarktpolitischen Netzwerken und Projekten beteiligt. Solidarwirtschaftlichen Betrieben wird eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der europäischen Beschäftigungsrichtlinie zugemessen.
Zentraler Leitgedanke der Politik des OPE ist die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit, das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, in zahlreichen weiteren internationalen und europäischen Menschenrechtsabkommen sowie in den meisten Staatsverfassungen verankert ist. Das Recht auf Arbeit bedeutet unter anderem, dass jedem Menschen eine Möglichkeit gegeben sein soll, durch frei gewählte oder angenommene Arbeit für sich und seine Familie einen angemessenen Lebensunterhalt verdienen zu können. Selbst die großzügigsten staatlichen Sozialleistungen können hierfür langfristig keinen befriedigenden Ersatz bieten, weil ihre Empfängerinnen und Empfänger mit dem Stigma behaftet sind, nichts für ihr Geld zu tun. OPE setzt sich daher vehement für die Schaffung neuer, existenzsichernder Erwerbsmöglichkeiten ein und gegen die bloße Alimentierung von Arbeitslosen, die "Integration" in einen nicht aufnahmefähigen Arbeitsmarkt sowie gegen jede Form unfreiwilliger oder prekärer Arbeitsverhältnisse.
OPE argumentiert, dass von ihm geschaffene Arbeitsplätze noch nicht einmal mehr kosten als die Alimentierung Arbeitsloser und unterstreicht dies mit einer einfachen Rechnung: Im Jahr 2003 kostete jeder Arbeitsplatz der personennahen Dienstleistungen im Schnitt 25.000 Euro. Bringt man Sozialabgaben, Steuern und selbst erwirtschaftete Mittel in Abzug sind es noch 15.800 Euro zu Lasten der öffentlichen Haushalte. Das ist wenig mehr als der niedrigste Satz der Arbeitslosenentschädigung und nicht einmal halb soviel wie der höchste. Ein Arbeitsloser in Deutschland kostete laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg 18.900 Euro, wovon fast die Hälfte Mindereinnahmen an Steuern und Sozialabgaben ausmachen. Die gleiche Rechnung für das gesamte OPE-Netzwerk, einschließlich Management, Verwaltung, Experten etc. ergibt fiskalische Kosten pro Arbeitsplatz von rund 20.000 Euro.
Für eine seriöse Kosten-Nutzen-Analyse beschäftigungsfördernder Maßnahmen fehlt bis heute die notwendige wissenschaftliche Grundlage, schreibt Günther Schmid vom Wissenschaftszentrum Berlin. Würden auf der Kostenseite zum Beispiel die Behandlung gesundheitlicher Folgen, der Erhalt des Bildungsstandes, die Wiedereingliederung oder die volkswirtschaftlichen Verluste durch Schwarzarbeit berücksichtigt werden und auf der Nutzenseite die Wertschöpfung dieser Arbeitsplätze, so würde die Bilanz wohl noch viel klarer zu Gunsten von Erwerbsmöglichkeiten ausfallen. OPE hat inzwischen erreicht, dass das Wirtschaftsministerium von Luxemburg eine Studie in Auftrag gegeben hat, die den Beitrag der Solidarwirtschaft an das Bruttoinlandsprodukt beziffern soll. Einsparungen oder kollektive Gewinne, die durch seine Tätigkeit zustande kommen, erfasst OPE wo immer möglich monetär und lässt die entsprechenden Zahlen denjenigen Behörden zukommen, auf deren Haushalt sie sich auswirken.
Das Arbeitsplatzpotenzial des OPE Modells ist beträchtlich. Die rund 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechen etwa zehn Prozent aller Arbeitslosen in Luxemburg und immer noch wächst das Netzwerk weiter. Für Deutschland sähe Günther Schmid ein Potenzial von etwa einer Million neuer Beschäftigungsverhältnisse, die den Menschen die Möglichkeit eröffnen würden, ohne den Verlust von wirtschaftlicher Sicherheit zwischen reiner Erwerbsarbeit, Familienarbeit und anderen sozial nützlichen Tätigkeiten hin und her zu wechseln. Er teilt mit OPE die Überzeugung, dass es in jeder Hinsicht sinnvoller und kostengünstiger ist, Arbeit zu finanzieren als Erwerbslose zu alimentieren und dass auf lange Sicht sozial nützliche Arbeit gegenüber der reinen Erwerbsarbeit aufgewertet werden muss, wenn man einer drohenden tief greifenden Spaltung der modernen Gesellschaft entgegenwirken will.
Bernhard Heeb arbeitet freiberuflich in den Bereichen Menschenrechte, Gemeinwesenarbeit und internationale Zusammenarbeit.