Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 08 / 21.02.2005
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Claudia Heine

Schonzeit für den Außenminister

Erste öffentliche Sitzung des Visa-Untersuchungsausschusses

Der Ort war passend gewählt: Ausgerechnet im Raum des Europa-Ausschusses trat am 17. Februar der Visa-Untersuchungsausschuss des Bundestages zu seiner ersten öffentlichen Sitzung zusammen. Endlich, so hatte es den Anschein. Denn spätestens mit der Erklärung von Bundesaußenminister Joschka Fischer vor dem Parteirat der Grünen am Montag vergangener Woche wurde die Affäre um leichtfertig vergebene Visa in Osteuropa zum Medienereignis. Vor seinen Parteikollegen hatte der grüne Spitzenpolitiker nämlich angekündigt, "für mögliche Versäumnisse und Fehler" seiner Mitarbeiter die politische Verantwortung zu übernehmen. Was wusste der Minister wann, lautet nun die zentrale Frage, die auch der Untersuchungsausschuss so schnell wie möglich klären möchte.

Nach dessen Sitzung am 17. Februar wurde jedoch klar: So schnell wird es mit der von der Union gewünschten Vorladung Fischers nichts werden. Mit ihrer Stimmenmehrheit konnten die Koalitionsparteien SPD und Grüne verhindern, dass der Außenminister bereits im April als Zeuge geladen wird. Die Ausschuss-Obleute von SPD und Grünen, Olaf Scholz und Jerzy Montag, nannten einen solchen Termin verfrüht. Scholz äußerte jedoch die Erwartung, die Beweisaufnahme und Zeugenvernehmungen bereits vor der Sommerpause abschließen zu können. Ob Joschka Fischer allerdings noch vor der Landtagswahl in Nord rhein-Westfalen am 22. Mai geladen wird, ist weiter offen. Auch der frühere Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer (Grüne), wird vorerst nicht vernommen. Die Oppositionsparteien hatten auf eine Aussage Volmers noch im Februar gedrängt.

Am 12. Februar war Volmer nach zunehmender öffentlicher Kritik im Zusammenhang mit dem massenhaften Visa-Missbrauch von seinen Parteiämtern zurückgetreten. Er galt bisher als Hauptfigur in einer Affäre, die sich auf einen Visa-Erlass des Auswärtigen Amtes, den so genannten Volmer-Erlass vom März 2000 konzentriert. Das von Volmer angeregte und von Fischer unterzeichnete Dokument hatte den Ermessensspielraum der deutschen Vertretungen im Ausland erheblich erweitert. In der Prüfung von Reisezeweck und Rückkehrbereitschaft des Reisenden, beides Voraussetzungen für eine Visumserteilung, wurden die Auflagen erheblich gelockert. Im Zweifel sollten die Botschaftsmitarbeiter für die Reisefreiheit der Antragstellenden entscheiden. Seitdem waren die Anträge vor allem in den Botschaften Osteuropas sprunghaft angestiegen. Als besonders dramatisch erwies sich die Situation in der ukrainischen Hauptstadt Kiew, die allein im Jahr 2001 knapp 300.000 Visa erteilt hatte. CDU und CSU werfen dem Auswärtigen Amt nun vor, durch eine zu lasche Visa-Vergabe den massenhaften Missbrauch von Einreise-Genehmigungen begünstigt zu haben. Mit diesen hätten auch Kriminelle zunehmend Menschen nach Deutschland geschleust. Auf diese Weise seien Zwangsprostitution und Schwarzarbeit gefördert und die Interessen der Bundesrepublik verletzt worden. Den Stein ins Rollen brachte ein Gerichtsurteil vom Februar 2004. Das Kölner Landgericht hatte einen Ukrainer wegen bandenmäßiger Menschenschleusung zu fünf Jahren Haft verurteilt. Allerdings stellte der Richter Ulrich Höppner in seiner Urteilsbegründung fest, dass das Auswärtige Amt den Taten des Ukrainers "durch schweres Fehlverhalten" Vorschub geleistet hätte. Am 17. Dezember 2004 setzten die Unionsparteien im Bundestag deshalb einen Untersuchungsausschuss zur Prüfung der Vorgänge durch. Gut zwei Monate vorher erhielten alle Auslandsvertretungen bereits eine Order vom Außenministerium, die den Volmer-Erlass revidierte.

Tatsächlich gab es schon früh Warnungen von verschiedenen Seiten. Sowohl Botschaftsangehörige als auch Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes und Innenministeriums äußerten Zweifel an der Vergabepraxis, insbesondere an den so genannten Reiseschutzpässen. Diese Versicherungen, die als Ersatz für eine persönliche Bürgschaft des Einladenden dienten, wurden schon 1995 eingeführt (der ADAC gehörte zu den ersten Anbietern). Ein Runderlass des Auswärtigen Amts vom Oktober 1999 forderte die Botschaften allerdings auf, bei Inhabern solcher Pässe (Carnet de touriste) auf eine weitere Prüfung von Zweck und Finanzierung der Reise zu verzichten. Seit Anfang Mai 2001 akzeptierte das Auswärtige Amt dann Reiseschutzpässe der Reise-Schutz-AG, eines privaten Unternehmens, von dessen engen Verbindungen in die Schleuserkriminalität das Bundeskriminalamt wusste. Solche Pässe konnten die Antragsteller seit Januar 2002 direkt vor Ort, in ihrem Heimatland erwerben. Vor der deutschen Botschaft entwickelte sich seitdem ein reger Handel mit diesen Dokumenten. Bis zu 1.000 Dollar wollten fliegende Händler zum Teil dafür haben. Im Juni 2002 hatte das Auswärtige Amt die Reiseschutzpässe der Reise-Schutz-AG jedoch verboten; seit März 2003 wurden solche Versicherungen generell und weltweit nicht mehr anerkannt. Aus Sicht der Koalitionsparteien schien das Verfahren deshalb eigentlich beendet.

In der Sitzung des Ausschusses vom 17. Februar äußerten die geladenen Sachverständigen jedoch erhebliche Zweifel an der ausreichenden Prüfung der Visa-Genehmigungen. Joachim Teipel, Richter am Oberverwaltungsgericht Münster, stellte fest, dass das System der Reiseschutzversicherungen eine Einschränkung des Prüfungsverfahrens bedinge, da die Inhaber nicht mehr persönlich in der Botschaft erscheinen müssten und so die Glaubwürdigkeit ihres Anliegens nicht so sorgfältig geprüft werden könne. Eine solche Sorgfalt verlange jedoch das Schengener Abkommen, um illegale Einreise in die Vertragsstaaten zu verhindern. Nach der Befragung, in deren Zentrum grundsätzliche Fragen des Rechts der Visa-Erteilung standen, fühlte sich die Union deshalb in ihrer Position bestätigt, dass die Visa-Praxis mit geltendem Recht unvereinbar gewesen sei. FDP-Obmann Hellmut Königshaus betonte, dass es nun nicht mehr so sehr um den Volmer-Erlass gehe, sondern um den Runderlass vom Oktober 1999, der Inhaber von Reiseschutzpässen von einer weiteren Prüfung des Reisezweckes befreite.

Der Grünen-Obmann Jerzy Montag hingegen betonte, die Opposition müsse nun eingestehen, dass der Volmer-Erlass "völlig rechtmäßig" gewesen sei. Dies werde sich in der weiteren Ausschussarbeit auch bei anderen Erlassen zeigen. Olaf Scholz, der SPD-Obmann, unterstrich, es sei schon am Tag der ersten Vernehmungen zum Ausdruck gekommen, dass nicht die Erlasse, sondern der Missbrauch von Instrumenten wie Reiseschutzversicherungen für die Missstände an der Kiewer Botschaft verantwortlich seien.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.