Das Parlament
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Nr. 11 / 14.03.2005
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Marina Mai

Agent Orange vor Gericht

Vietnamesen wollen ihr Recht

Jack B. Weinstein ist ein gründlicher Mann. Mit dem Richterspruch, der für den letzten Februartag erwartet worden war, lässt sich der 83-jährige amerikanische Bundesrichter vom Federal Court of Brook-lyn Zeit. Die brauche er, um alle Beweisanträge zu prüfen, sagte er amerikanischen Medien. Geklagt hatte die "Vietnamesische Vereinigung der Opfer von Agent Orange". Ihr gehören rund 100 Vietnamesen an, die während des Krieges, den der Westen den "Vietnamkrieg" und Vietnamesen den "amerikanischen Krieg" nennen, mit dem Gift besprüht wurden oder besprühte Nahrungsmittel aßen, deshalb krank wurden oder Behinderungen erlitten. Betroffen sind mindestens zwei Millionen Menschen. 80 Millionen Fässer toxische Chemikalien, darunter Agent Orange, wurden neuesten Forschungen zufolge während des Krieges über riesigen Teilen Zentralvietnams und über dem so genannten Ho-Chi-Minh-Pfad an den Grenzen zu Laos und Kambodscha abgeworfen. Die Entlaubung des Regenwaldes galt als militärisches Ziel: Die USA wollten das Laubdach beseitigen, das der so genannten Befreiungsfront Tarnung und Schutz bot.

Die Gifte führen zu Krebserkrankungen bei Menschen, die auf den Kriegsschauplätzen mit ihnen in Berührung kamen und die noch heute Reis und Gemüse von verseuchten Böden essen und zu schweren Missbildungen bei deren Kindern und Enkeln.

In Vietnam wird die Klage mit großem Interesse verfolgt. Dabei waren die Kriegsverletzten und Behinderten über eineinhalb Jahrzehnte kein Thema im Land zwischen Rotem Fluss und Mekong. Das Land durchlebt seit 1991 einen gewaltigen Wirtschaftsboom mit jährlichen Wachstumsraten zwischen fünf und elf Prozent. Vietnamesen präsentierten sich gern in der Öffentlichkeit als erfolgreiche Geschäftsleute oder Ärzte. Sie zeigten stolz die Zeugnisse der Kinder vor. Die behinderten Familienangehörigen dagegen passten nicht in das Bild einer aufstrebenden vietnamesischen Familie und wurden gern versteckt. Die im Januar 2004 von drei mutigen Betroffenen eingereichte Zivilklage rückte die Kriegsversehrten endlich wieder in den Blick der Öffentlichkeit. Und die weiß die Klage bei Richter Weinstein in guten Händen - auch wenn er sich Zeit lässt, möglicherweise noch Monate.

Jack B. Weinstein, 1967 vom demokratischen Präsidenten Lyndon B. Johnson als Richter auf Lebenszeit berufen, gilt seit langem als ein eigenwilliger Mensch mit sozialem Gewissen. 1984 hatte er schon einmal über das Thema Agent Orange entschieden. Die ehemaligen GIs, die das Giftgas transportierten, erstritten in einem durch Weinstein erzwungenen außergerichtlichen Vergleich von den Herstellerfirmen der Gifte Entschädigungen für erlittene gesundheitliche Schäden. Fast 300.000 Veteranen erhielten danach rund 180 Millionen Dollar Entschädigung zugesprochen. Ein Schuldeingeständnis der Chemiefirmen war mit der Zahlung jedoch nicht verbunden. Den Unternehmen war nur wichtig, dass die unangenehme Sache schnell abgehakt war. Und sie schien damit erledigt zu sein, denn die vietnamesischen Opfer hatten damals niemand im Blick. Wegen des Handelsembargos der USA gegen Vietnam konnten Vietnamesen allerdings nicht vor amerikanischen Gerichten klagen.

Das Embargo fiel 1994. Wegen der schwierigen vietnamesisch-amerikanischen Beziehungen dauerte es allerdings noch einmal zehn Jahre, bis betroffene Vietnamesen die Klage einreichten. Vor Gericht sind zwei Fragen strittig: Erstens halten die 37 beschuldigten Chemiefirmen, darunter Dow Chemical und Monsanto, die Kausalität zwischen den Giften und den Krankheiten und Behinderungen der Kläger für nicht erwiesen. Die Vietnamesen können sich dabei jedoch auf Studien amerikanischer und kanadischer Universitäten berufen, die diesen Zusammenhang zumindest statistisch nachweisen. Die Studien wurden in der Clinton-Ära aus dem Staatshaushalt bezahlt.

Zweitens sehen sich die Chemiefirmen nicht als Adressat der Klage. Sie berufen sich vor Gericht darauf, im Auftrag des US-Militärs gehandelt zu haben. Folgt Richter Weinstein jedoch dieser Argumentation, sieht es für die Opfer ziemlich schlecht aus: Namhafte amerikanische Juristen halten eine Zivilklage gegen die US-Regierung für nicht möglich.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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