Das Parlament
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Nr. 11 / 14.03.2005
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Tanjev Schultz

Freunde verfremdender Formeln

Der Briefwechsel Born - Einstein

Er sei wieder "Sklave des verd. Briefboten, der mich erbarmungslos überschüttet", schreibt Albert Einstein seinem Kollegen Max Born. Es ist ein Tag im August 1921. Zwei Jahre zuvor haben astronomische Messungen die Relativitätstheorie bestätigt; seither kann sich der Physiker vor Post kaum retten. Im Laufe seines Lebens schrieb er Tausende von Briefen, an Fans und Hobbyphysiker ebenso wie an Größen aus Politik, Wissenschaft und Kultur.

Mit Born, dem Göttinger Physiker und späteren Nobelpreisträger, tauscht sich Einstein nicht nur über wissenschaftliche Fragen aus. Die beiden verbindet eine lange Freundschaft. Und als vermeintliche Vertreter einer denunzierten "jüdischen Physik" müssen sie vor den Nazis fliehen. So gewährt der kommentierte Briefwechsel, den Born 1969 herausgab und der nun in einer ansprechenden Neuauflage vorliegt, dem Leser nicht nur Einblicke in die Kontroverse um die Quantenmechanik, er zieht ihn auch hinein in die unheilvollen Zeitläufte.

Während des Ersten Weltkriegs arbeitete Einstein an der Akademie der Wissenschaften in Berlin. Der drei Jahre jüngere Born war bereits Professor, musste aber den Kriegsdienst als Mitarbeiter einer Artillerie-Prüfungskommission ableisten. Sein Büro lag nicht weit von Einsteins Wohnung, oft hockten sie zusammen und diskutierten über Physik und Politik. Nach dem Krieg äußerte sich Einstein voller Zuversicht: "Ich bin überzeugt, daß das Kommende weit weniger hart sein wird, als das in den letzten Jahren Erlebte."

Doch schon 1920 werden die Freunde auf einer Konferenz mit antisemitischer Hetze konfrontiert.

Wenig später berichtet Born aus Göttingen, er habe es nicht geschafft, die Berufung eines jüdischen Kollegen durchzusetzen. Dessen Aussichten seien "unter den heutigen, antisemitischen Verhältnissen recht betrüblich". Er beobachte außerdem, wie sich Rachegefühle gegen die Franzosen ausbreiteten: "Es scheint mir unabwendbar, daß einmal neue Katastrophen daraus entstehen werden."

1933 rettet sich Born, der von sich sagt, er habe sich bis dahin nie besonders als Jude gefühlt, über Italien nach England und wird Professor in Edinburgh. Erst 1954 kehrt er nach Deutschland zurück. Einstein lässt sich in Princeton nieder, nie mehr reist er zurück ins "Land der Massenmörder". Nach der Emigration sehen sich die Freunde nicht wieder, bleiben aber in Kontakt. Auch Borns Frau Hedi beteiligt sich am Austausch; Einstein nennt ihre Briefe "Meisterstücke" und erfreut sich an ihren Gedichten.

Zwar tritt Born dem mächtigen Einstein oft als Bittsteller gegenüber, doch kann er sich auch deutliche Worte leisten. Im Herbst 1920 versucht er, den Freund von der Veröffentlichung eines Interviewbändchens abzubringen, weil er fürchtet, es könnte Neidern und Antisemiten eine Vorlage bieten. "Du verstehst das nicht, Du bist ein kleines Kind", hält er Einstein vor. Dieser fügt sich, merkt aber an: "Mir ist die ganze Sache gleichgültig nebst dem Geschrei und der Meinung aller Menschen."

Wenn sich die beiden über den Betrieb der Wissenschaft auslassen, wirkt vieles verblüffend vertraut. Er müsse leider ein Jahr lang das Dekanat übernehmen, klagt Born. Lange Zeit habe er sich durch teils echte, teils vorgetäuschte Trottelhaftigkeit in Amtsgeschäften davor drücken können, aber nun sei er dran. Es wird ein schweres Jahr: Wegen Sparmaßnahmen sind die Stellen der Assistenten bedroht. Nur durch Gehaltsverzicht der Professoren kann Born die Mitarbeiter halten. Und Einstein fragt sich, warum man jungen Forschern nicht einfach feste Amtsstellen mit verminderter Stundenzahl gibt: "Dies wäre entschieden besser als befristete Stellen, da der Storch für die geistigen Geburten ein Bohemien ist, der sich auf keine Lieferzeit einläßt."

Immer wieder kreisen die Briefe um die Quantenmechanik. "Der Gedanke, daß ein einem Strahl ausgesetztes Elektron aus freiem Entschluß den Augenblick und die Richtung wählt, in der es fortspringen will, ist mir unerträglich. Wenn schon, dann möchte ich lieber Schuster oder gar Angestellter in einer Spielbank sein als Physiker", schreibt Einstein. In einem Brief gebraucht er auch die berühmte Formulierung, er sei überzeugt, "der Alte" - Gott - würfle nicht. So finden die Freunde in der Physik bald keinen gemeinsamen Nenner mehr. Die Formeln, die sie sich entgegenschleudern, dürften nur Fachleuten verständlich sein.

Doch jedem Laien wird klar, dass sich Einstein zunehmend isolierte. Er hatte die Wissenschaft revolutioniert, aber dem Zug, in dem Quantenphysiker wie Born jetzt saßen, mochte er nicht mehr folgen. Von der eigenen Fehlbarkeit hatte Einstein freilich einen genauen Begriff. Gelassen gesteht er einmal ein fehlerhaftes Experiment: "Gegen das Böcke-Schießen hilft nur der Tod."

Als Einstein 1955 stirbt, verlieren die Borns ihren "besten Freund" - und den Partner eines langen Briefwechsels, den nicht nur Physiker und Historiker gebannt lesen werden.

Albert Einstein / Max Born

Briefwechsel 1916 - 1955.

Langen Müller Verlag, München 2005; 391 S., 24,90 Euro

Tanjev Schulz ist Redakteur der "Süddeutschen Zeitung" in München.


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